Robert Lifton

Robert Lifton
Robert Jay Lifton (2000)

Robert Jay Lifton (* 16. Mai 1926 in Brooklyn, New York, N.Y.) ist ein prominenter US-amerikanischer Psychiater und Autor, der vor allem durch seine psychologischen Studien über die Ursachen und Folgen von Kriegen und politischer Gewalt bekannt wurde. Er war einer der frühesten Verfechter der Methoden der Psychohistorie.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Lifton wurde in Brooklyn, New York als Sohn des Geschäftsmanns Harold A. und Ciel (Roth) Lifton geboren. Er studierte Medizin am New York Medical College. Von 1951 bis 1953 diente er als Psychiater der Air Force in Japan und Korea, worauf er später sein Interesse an Krieg und Politik zurück führte.

Er hat seither als Lehrender und Forscher an der Washington School of Psychiatry, Harvard University, und dem John Jay College of Criminal Justice, wo er half das Center for the Study of Human Violence zu gründen, gearbeitet.

1952 heiratete er die Autorin Betty Jean Kirschner. Die beiden haben drei Kinder.

Einflüsse

Während der 1960er bildete Lifton zusammen mit seinem Mentor Erik Erikson und Bruce Mazlish die Wellfleet Group, ein von der American Academy of Arts and Sciences gesponsertes Projekt, um „Psychohistorie“ als Forschungsfeld zu definieren.

Liftons Arbeit auf diesem Gebiet war stark von Erikson's Studien über Hitler und andere politische Figuren sowie von Sigmund Freuds Sorge um die sozialen Auswirkungen von triebhaften Einstellungen (vgl. z.B. Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915) und Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921)) geprägt.

Theorie der Korrektur der Gedanken

Liftons Buch von 1961 Thought Reform and the Psychology of Totalism: A Study of "Brainwashing" in China war eine Studie der Zwangstechniken, die andere als „brainwashing“ oder „mind control“ bezeichnet hatten. Lifton beschreibt im Detail acht Methoden, die ihm zufolge benutzt werden, um den Geist von Menschen ohne deren Einverständnis zu ändern:

  • Milieukontrolle (kontrollierte Beziehungen zur Außenwelt)
  • mystische Manipulation (die Gruppe hat höhere Ziele als die restliche Welt)
  • Beichte (Beichte gegenwärtiger und vergangener Sünden)
  • Selbst-Heiligung durch Reinheit (das Individuum dazu drängen, eine nicht erreichbare Perfektion anzustreben)
  • Aura einer heiligen Wissenschaft (die Überzeugungen der Gruppe sind sakrosankt und vollkommen)
  • überladene Sprache (neue Bedeutungen für Worte, um Schwarz-Weiß-Denken zu fördern)
  • Doktrin über die Person (die Gruppe ist wichtiger als das Individuum)
  • verschonte Existenz (Insider werden gerettet, Outsider sind zur Vernichtung verdammt)

Sein Name wurde in den populären Medien mit diesen Begriffen assoziiert als er 1976 als Zeuge der Verteidigung in dem Prozess gegen Patty Hearst aussagte, die Symbionese Liberation Army habe ähnliche Techniken angewendet, um bei Patty Hearst eine zeitweilige Verhaltensänderung zu bewirken.

Entgegen populären Vorstellungen über ‚Gehirnwäsche‘ war Lifton immer der Ansicht, dass solcher Zwang nur kurzfristige Verhaltensänderungen oder allgemeine Neurosen, nicht aber dauerhafte Änderungen der Überzeugungen oder Persönlichkeitsveränderungen bewirken könne. Psychologen wie Margaret Singer und Steven Hassan haben später locker an seine Theorien angeknüpft und Termini wie „totalism“ und „thought reform“ auf die Praktiken bestimmter religiöser Gruppen übertragen; die American Psychological Association und die American Sociological Association haben erklärt, dass sie eine solche Analyse nicht für wissenschaftlich stichhaltig halten, aber nicht Liftons ursprüngliche Arbeit zurückgewiesen.

Studien von Überlebenden von Kriegen und Grausamkeiten

Liftons einflussreichste Bücher, Death in Life: Survivors of Atomic bombings of Hiroshima and Nagasaki (1968) und Home from the War: Vietnam Veterans. Neither Victims nor Executioners (1973), und The Nazi Doctors: Medical Killing and the Psychology of Genocide (1986) konzentrierten sich auf die mentalen Anpassungen, die bei den Überlebenden von Grausamkeiten sowie bei den Tätern geschehen. In jedem Fall glaubte Lifton, dass die psychische Fragmentierung bei diesen Subjekten eine extreme Form der Pathologien ist, die auch in Friedenszeiten aufgrund des Drucks und der Ängste in modernen Gesellschaften vorkommen.

Seine Studien von Menschen, die, sei es als Einzelne oder in Gruppen, Kriegsverbrechen begangen hatten, kamen zu dem Schluss, dass obwohl die menschliche Natur nicht an sich grausam ist und nur seltene Soziopathen an solchen Grausamkeiten teilnehmen können, ohne dauerhafte emotionale Schäden zu erleiden, solche Verbrechen keines ungewöhnlichen Ausmaßes an persönlicher Bösartigkeit oder geistiger Krankhaftigkeit bedürfen. Sie werden unter bestimmten Bedingungen, seien sie aufgrund verschiedener Umstände zustande gekommen oder planmäßig herbei geführt, die Lifton „atrocity-producing situations“ nannte, nahezu sicher begangen. The Nazi Doctors war die erste gründliche Studie wie Mediziner ihre Teilnahme am Holocaust rationalisierten, von den frühen Stadien der Aktion T4 bis zu den Vernichtungslagern.

In seinen Hiroshima und Vietnam Studien kam Lifton zu dem Schluss, dass das Gefühl persönlicher Disintegration, das viele Menschen erleben, die zu Zeugen von Tod und Zerstörung in sehr großem Ausmaß geworden sind, letztlich zu einer neuen emotionalen Stabilität führen kann, dass aber die meisten Überlebenden ohne geeignete psychologische Unterstützung in Gefühlen der Unwirklichkeit und der Schuld stecken bleiben. In seiner Arbeit mit Vietnamveteranen war Lifton einer der ersten, der therapeutische Diskussionsgruppen organisierte. Er setzte sich für die Anerkennung der post-traumatic stress disorder (deutsch: Posttraumatische Belastungsstörung) in dem psychiatrischen Handbuch Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders ein.

Theorien des 'totalism' und des proteischen Selbst

Totalism, ein zuerst in Thought Reform benutztes Wort, ist Liftons Bezeichnung für die Charakteristika ideologischer Bewegungen und Organisationen, die totale Kontrolle über menschliches Denken und Verhalten anstreben. Liftons Gebrauch unterscheidet sich von den Theorien des Totalitarismus dadurch, dass er auf die Ideologie von Gruppen angewandt werden kann, die keine Regierungsmacht haben.

Lifton zufolge scheitern solche Versuche letztlich immer. Sie folgen einem gemeinsamen Muster und verursachen vorhersehbare psychische Schäden bei Individuen und Gesellschaften. Er findet zwei gemeinsame Motive bei ‚totalistischen‘ Bewegungen: Angst und die Verleugnung des Todes, die in Gewalt gegen Sündenböcke, die zu metaphorischen Repräsentanten der Todesgefahr gemacht werden, kanalisiert werden, und eine reaktionäre Angst vor Veränderung.

In seinem späteren Werk hat sich Lifton darauf konzentriert, den Typ von Veränderung, gegen den totalism gerichtet ist, zu definieren. Dazu hat er den Begriff des ‚proteischen Selbst‘ eingeführt. In dem Buch The Protean Self (1993) vertritt er die Ansicht, die Entwicklung einer ‚flüssigen und vielseitigen‘ Persönlichkeit sei ein positiver Trend in modernen Gesellschaften. Geistige Gesundheit erfordere heute eine ‚kontinuierliche Erkundung und persönliches Experimentieren‘, denen sich reaktionäre und fundamentalistische Bewegungen entgegen setzen.

Kritik des modernen Krieges und des Terrorismus

Nach seiner Arbeit mit Hiroshima-Überlebenden wurde Lifton zu einem engagierten Gegner der Nuklearwaffen. Er argumentierte die Nuklearstrategie und die Kriegsführungsstrategie banalisierten massenhaften Genozid im großen Maßstab und machten ihn so vorstellbar. Obwohl er kein strikter Pazifist ist, hat er sich gegen verschiedene U.S.-Militäraktionen ausgesprochen, besonders gegen den Vietnamkrieg und den Krieg gegen den Irak. Er glaubt, dass sie aus irrationalen und aggressiven Aspekten der von Angst geprägten amerikanischen Außenpolitik resultierten.

Lifton hat auch den gegenwärtigen „Krieg der USA gegen den Terrorismus“ als fehlgeleiteten und gefährlichen Versuch „alle Verletzlichkeit auszuschließen“ kritisiert. Den Terrorismus sieht er als zunehmend ernstere Gefahr aufgrund der Verbreitung nuklearer und chemischer Waffen und ‚totalistischer‘ Ideologien. In seinem Buch Destroying the World to Save It von 1999 beschreibt er die apokalyptische Gruppe Ōmu Shinrikyō als Vorläufer des ‚neuen globalen Terrorismus‘.

Bibliographie

deutsch

  • Die Unsterblichkeit des Revolutionärs : Mao Tse-tung u.d. chines. Kulturrevolution, München : List, 1970
  • Der Verlust des Todes : über d. Sterblichkeit d. Menschen u.d. Fortdauer d. Lebens, München ; Wien : Hanser, 1986
  • Ärzte im Dritten Reich, Stuttgart : Klett-Cotta, 1988
  • Die Psychologie des Völkermordes: Atomkrieg und Holocaust, Stuttgart : Klett-Cotta, 1992
  • Zeugnis ablegen, Hamburg : Hamburger Ed., 1995
  • Terror für die Unsterblichkeit : Erlösungssekten proben den Weltuntergang, München ; Wien : Hanser, 2000

englisch, als Autor

  • Thought Reform and the Psychology of Totalism: A Study of "Brainwashing" in China, Norton (New York City), 1961.
  • Death in Life: Survivors of Hiroshima, Random House (New York City), 1968.
  • Revolutionary Immortality: Mao Tse-Tung and the Chinese Cultural Revolution, Random House, 1968.
  • Birds, Words, and Birds (cartoons), Random House, 1969.
  • History and Human Survival: Essays on the Young and the Old, Survivors and the Dead, Peace and War, and on Contemporary Psychohistory, Random House, 1970.
  • Boundaries, Canadian Broadcasting Corporation (Toronto), 1969, published as Boundaries: Psychological Man in Revolution, Random House, 1970.
  • Home from the War: Vietnam Veterans—Neither Victims nor Executioners, Simon & Schuster (New York City), 1973.
  • (With Eric Olson) Living and Dying, Praeger, 1974.
  • The Life of the Self: Toward a New Psychology, Simon & Schuster, 1976.
  • Psychobirds, Countryman Press, 1978.
  • (With Shuichi Kato and Michael Reich) Six Lives/Six Deaths: Portraits from Modern Japan (originally published in Japanese as Nihonjin no shiseikan, 1977), Yale University Press (New Haven, CT), 1979.
  • The Broken Connection: On Death and the Continuity of Life, Simon & Schuster, 1979.
  • (With Richard A. Falk) Indefensible Weapons: The Political and Psychological Case against Nuclearism, Basic Books (New York City), 1982.
  • The Nazi Doctors: Medical Killing and the Psychology of Genocide, Basic Books, 1986.
  • The Future of Immortality and Other Essays for a Nuclear Age, Basic Books, 1987.
  • (With Eric Markusen) The Genocidal Mentality: Nazi Holocaust and Nuclear Threat, Basic Books, 1990.
  • The Protean Self: Human Resilience in an Age of Fragmentation, Basic Books, 1993.
  • (With Greg Mitchell) Hiroshima in America: Fifty Years of Denial, Putnam's (New York City), 1995.
  • Destroying the World to Save It: Aum Shinrikyo, Apocalyptic Violence, and the New Global Terrorism, Owl Books, 2000.
  • (Co-author) Who Owns Death? Capital Punishment, the American Conscience, and the End of Executions, Morrow, 2000.
  • Superpower Syndrome: America's Apocalyptic Confrontation With the World, Nation Books, 2003.

englisch, als Herausgeber

  • The Woman in America, Houghton (Boston), 1965.
  • America and the Asian Revolutions, Trans-Action Books, 1970, second edition, 1973.
  • (With Falk and Gabriel Kolko) Crimes of War: A Legal, Political-Documentary, and Psychological Inquiry into the Responsibilities of Leaders, Citizens, and Soldiers for Criminal Acts of War, Random House, 1971.
  • (With Olson) Explorations in Psychohistory: The Wellfleet Papers, Simon & Schuster, 1975.
  • (With Eric Chivian, Susanna Chivian, and John E. Mack) Last Aid: The Medical Dimensions of Nuclear War, W. H. Freeman, 1982.
  • (With Nicholas Humphrey) In a Dark Time: Images for Survival, Harvard University Press, 1984.

Filmographie

2009 erschien der Film "Wenn Ärzte töten". Robert Lifton untersucht darin, wie deutsche Ärzte während der Naziherrschaft an Zwangssterilisation, Euthanasie, Selektion sowie Menschenversuchen teilnahmen und sich nach dem Ende des Krieges in die deutsche Gesellschaft integrieren.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Lifton — ist der Familienname folgender Personen: Betty Jean Lifton (1926–2010), US amerikanische Autorin, propagierte offene Adoption Richard P. Lifton, US amerikanischer Nephrologe und Genetiker Robert Lifton (* 1926), US amerikanischer Psychiater D …   Deutsch Wikipedia

  • Robert Jay Lifton — Infobox Scientist image width = 150px name = Robert Jay Lifton birth date = Birth date and age|1926|5|16|mf=y birth place = Brooklyn, New York death date = death place = residence = United States nationality = American field = psychiatry, mind… …   Wikipedia

  • Robert J. Lifton — Rober Jay Lifton (2000) Robert Jay Lifton (* 16. Mai 1926 in Brooklyn, New York, N.Y.) ist ein prominenter US amerikanischer Psychiater und Autor, der vor allem durch seine psychologischen Studien über die Ursachen und Folgen von Kriegen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Robert Jay Lifton — Rober Jay Lifton (2000) Robert Jay Lifton (* 16. Mai 1926 in Brooklyn, New York, N.Y.) ist ein prominenter US amerikanischer Psychiater und Autor, der vor allem durch seine psychologischen Studien über die Ursachen und Folgen von Kriegen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Robert Picardo — Picardo au San Diego Comic Con International en juillet 2011 Données clés Naissance …   Wikipédia en Français

  • Robert Jay Lifton — Rober Jay Lifton (2000) Robert Jay Lifton, né le 16 mai 1926, est un psychiatre américain. Il s est notamment illustré dans l étude des méfaits de la guerre sur la psyché humaine. De 1951 à 1953, il effectue son service militaire dans l armée de… …   Wikipédia en Français

  • David Lifton — David S. Lifton (born 1939) is a researcher and author on the topic of the assassination of John F. Kennedy. He is also the writer/producer of the documentary, BEST EVIDENCE: The Research Video. He is also the author of Pig on a Leash, an essay… …   Wikipedia

  • David S. Lifton — (born 1939) is a researcher and author on the topic of the assassination of John F. Kennedy. He is also the author of Pig on a Leash, an essay about the Zapruder film.Best EvidenceThe culmination of over 15 years of research was his 1980 book… …   Wikipedia

  • Action T4 — This poster (from around 1938) reads: 60,000 Reichsmarks is what this person suffering from a hereditary defect costs the People s community during his lifetime. Fellow citizen, that is your money too. Read [A] New People , the monthly magazine… …   Wikipedia

  • Brainwashing — (also known as thought reform or as re education) consists of any effort aimed at instilling certain attitudes and beliefs in a person beliefs sometimes unwelcome or in conflict with the person s prior beliefs and knowledge, [For a medical (as… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”