Avi Primor

Avi Primor

Avraham „Avi“ Primor (* 8. April 1935 in Tel Aviv) ist ein israelischer Diplomat und Publizist. Er war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland und wurde während dieser Zeit in der deutschen Öffentlichkeit als eine der wichtigsten Stimmen des deutsch-israelischen Dialogs bekannt.

2010 in Frankfurt am Main

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre

Seine Mutter Selma Goldstein, eine ausgebildete Lehrerin, emigrierte 1932 von Frankfurt nach Tel Aviv in Palästina; ihre gesamte Familie wurde während des Holocaust ermordet. Sein Vater, ein Sohn niederländischer Einwanderer, hatte noch in den Niederlanden den Beruf des Diamantschleifers erlernt und führte in Palästina eine Diamantschleiferei.

Primor studierte von 1952 bis 1955 Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1955 bis 1957 leistete Primor seinen Wehrdienst (er wurde während der Suezkrise als Panzersoldat verwundet), danach studierte er weiter am City College New York (Master-Abschluss in Internationalen Beziehungen 1959) und an der Sorbonne in Paris.

Diplomatischer Dienst

1961 trat er in den israelischen diplomatischen Dienst ein. Nach verschiedenen Tätigkeiten im Jerusalemer Außenministerium wurde er bald auf diplomatische Posten in mehreren afrikanischen Ländern entsandt. Als Botschaftssekretär in der Elfenbeinküste hatte Primor eine nach eigener Beschreibung prägende Begegnung mit „seinem ersten Deutschen“, dem an der dortigen deutschen Botschaft tätigen Claus von Amsberg, der später Königin Beatrix der Niederlande heiratete.

Mit 27 Jahren wurde er dann als jüngster jemals von Israel entsandter Botschafter nach Dahomey versetzt, dem heutigen Benin. 1965 kehrte er als Direktor der Abteilung für Skandinavische Angelegenheiten ins Außenministerium zurück.

1970 wurde er Gesandter Israels in Frankreich.

1973 war Primor Sprecher der israelischen Delegation bei der Genfer Friedenskonferenz, die nach dem Jom-Kippur-Krieg erstmals Vertreter Israels und arabischer Staaten an einen Tisch brachte.

Ab 1975 hatte er verschiedene hohe Posten in der Jerusalemer Ministerialbürokratie inne: zunächst wurde er Sprecher des Außenministeriums und Direktor der Presseabteilung. Ab 1977 leitete er die Abteilung Internationale Organisationen. 1980 wurde Primor Direktor der Afrika-Abteilung und 1984 schließlich stellvertretender Staatssekretär des Außenministeriums.

Von 1987 an war er gleichzeitig in Brüssel Botschafter Israels bei der Europäischen Gemeinschaft, in Belgien und in Luxemburg.

1991 ließ er sich vom Außenministerium beurlauben, um Vizepräsident der Hebräischen Universität Jerusalem zu werden. Mit dem Ziel, den Austausch zwischen Israel und Europa zu fördern, gründete er dort das Institut für Europa-Studien, das 1995 in Helmut-Kohl-Institut umbenannt wurde.

Im November 1993 wurde Primor auf Anregung von Shimon Perez Botschafter Israels in Bonn.

Während seiner Zeit als Botschafter war er durch zahlreiche Vorträge und Auftritte in Talkshows sehr präsent in der deutschen Öffentlichkeit (wesentlich mehr als seine Vorgänger und Nachfolger, oder seine Kollegen aus anderen Staaten). Er wurde zu einer der wichtigsten Stimmen des deutsch-israelischen Dialogs.

1997 veröffentlichte er das Buch „...mit Ausnahme Deutschlands“, in dem er sich anhand von vielen persönlichen Erinnerungen und Erlebnissen mit den problematischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland befasste. Es war das erste Buch, das je ein amtierender Botschafter über sein deutsches Gastland geschrieben hatte, und es zitierte freimütig Details aus teils erst kurz zurückliegenden Gesprächen mit noch amtierenden Politikern. Primor schrieb es auf Deutsch, obwohl er erst kurz vor seinem Amtsantritt am Goethe-Institut in Mannheim (unter dem Namen Albert Schmidt) begonnen hatte, die Sprache zu erlernen.

Primor wurde viel Lob zuteil für die offene und gewinnende Art, mit der er sich für die Versöhnung zwischen Deutschen und Israelis einsetzte und für die Interessen Israels warb. Er erhielt mehrere europäische Preise, unter anderem den Kulturpreis Europa 1998, den Merite Européen in Gold und das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.

Zu den Erfolgen seiner Amtszeit gehört auch, dass der Europäische Rat 1994 beschloss, Israel in seinen Wirtschaftsbeziehungen zur EU einen privilegierten Status zu verleihen (vergleichbar dem der Schweiz), was wesentlich der Fürsprache von Bundeskanzler Kohl zu verdanken war.

Kritik an der eigenen Regierung

Belastet wurde das Verhältnis beider Staaten durch einen Vorfall im Februar 1999, als israelische Sicherheitsbeamte vier kurdische Demonstranten töteten, die versucht hatten, gewaltsam in das israelische Generalkonsulat in Berlin einzudringen. Als Botschafter vertrat Primor die offizielle israelische Version, dies sei in Notwehr geschehen. Später, als Privatmann, rückte er davon ab.

Auch schon während seiner Amtszeit kritisierte er mehrmals öffentlich die eigene Regierung. 1996 widersprach er in einer Fernsehsendung dem israelischen Staatspräsidenten Ezer Weizman, der bei einem Staatsbesuch im Hinblick auf die steigenden Zahlen jüdischer Einwanderer nach Deutschland erklärt hatte, es sei für keinen Juden richtig, in Deutschland zu leben.

Während des israelischen Parlamentswahlkampfs 1999 bezeichnete er in einem Interview mit der WELT die ultraorthodoxe Schas-Partei (und andere religiöse Parteien in Israel) als undemokratisch, weil sie „auf göttlichem Gesetz und den Worten der Rabbiner“ statt auf parlamentarischen bzw. demokratischen Grundsätzen beruhe. Wegen dieser Äußerung wurde er von dem damaligen Außenminister Ariel Scharon nach Jerusalem einbestellt und gerügt. Ein halbes Jahr später, nachdem die Netanjahu-Scharon-Regierung abgewählt worden war, unter der Regierung von Ehud Barak (Arbeitspartei), ging Primor altersbedingt in den Ruhestand.

Nach dem Staatsdienst

Primor kehrte nach Israel zurück, schied aus dem diplomatischen Dienst aus und wurde Vizepräsident der Universität Tel Aviv. Seit 2004 ist er an der Privatuniversität Interdisciplinary Center (IDC) Herzliya tätig, wo er das trilaterale Zentrum für Europäische Studien (eine Zusammenarbeit mit einer palästinensischen und einer jordanischen Universität) gegründet hat und leitet. Primor ist zudem Mitglied des Hochschulrates der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Privates

Primor ist verheiratet und hat drei Kinder – erwachsene Zwillinge, von denen einer Journalist bei der Zeitung Haaretz ist, und Sohn Daniel, der 1997 als erstes israelisches Diplomatenkind eine Bonner Grundschule besuchte. Primor spricht fließend Hebräisch, Deutsch, Französisch und Englisch und ist begeisterter Reiter.

Avi Primor ist Mitglied im Club of Rome.

Zitate

Aus der ARD-Sendung „Anne Will” vom 23. September 2007: „Es herrscht Krieg, ein Weltkrieg. Der Krieg gegen Weltterrorismus ist ein Weltkrieg – ein Weltkrieg gegen den Westen.”

Aus einem Gastbeitrag von Avi Primor in der Kolumne der Frankfurter Rundschau online am 13. November 2007 [1]: „Heute glaubt kaum noch jemand an die Vorwände der Amerikaner, mit denen im Jahr 2003 der Irak angegriffen wurde. Unter anderen Gründen motivierte die Sorge um Erdöl die amerikanische Führung, den Irak anzugreifen. (...) Anstatt Kriege zu führen, sollte man zielgerichtet an die Entwicklung alternativer Energien denken. Alternative, erneuerbare Energien würden die Gefahren des Klimawandels mindern, den Weltreichtum gerechter verteilen und dem Weltfrieden zuträglich sein.”

Schriften

Autograph
  • „... mit Ausnahme Deutschlands”. Als Botschafter Israels in Bonn. Ullstein-Verlag, Berlin, 1997, ISBN 3550070993 (gebundene Ausgabe), ISBN 3548359108 (Taschenbuchausgabe) - Online-Version
  • Europa, Israel und der Nahe Osten. Droste Verlag, Düsseldorf, 1999, ISBN 3770011058 (gebundene Ausg.), ISBN 3518395971 (Taschenbuchausgabe)
  • Terror als Vorwand. Die Sprache der Gewalt. Droste Verlag, Düsseldorf, 2003, ISBN 3-7700-1161-9
  • Mit dem Islam gegen den Terror. Droste Verlag, Düsseldorf, 2008, ISBN 978-3-7700-1226-8
  • mit Christiane von Korff: An allem sind die Juden und Radfahrer schuld: Deutsch-jüdische Missverständnisse. Piper Verlag, München 2010, ISBN 978-3492046985

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gastbeitrag von Avi Primor in der Kolumne der Frankfurter Rundschau am 13. November 2007

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