Saysches Theorem

Saysches Theorem

Das saysche (oder Say'sche) Theorem (auch saysches (Say'sches) Gesetz) geht auf Jean-Baptiste Say (1803) und James Mill zurück. Es formuliert einen Kausalzusammenhang zwischen den volkswirtschaftlichen Größen Angebot und Nachfrage. Das Theorem zählt zu den klassischen bzw. neoklassischen Theoremen und ist ein entscheidender Baustein zum Verständnis der modernen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik.

Inhaltsverzeichnis

Das Theorem in der klassischen Darstellung

Ursprung und Kerngedanke

Geprägt und bekannt wurde das saysche Theorem als Bestandteil der Klassik/Neoklassik neben Say über James Mill[1] und John Stuart Mill, sowie John Maynard Keynes (der das Theorem kritisch betrachtete). Eine weit verbreitete Zusammenfassung[2] lautet:

Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst.[3]

Say schrieb 1803 in seinem Werk Traité d'economie politique:

Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte.[4]

Say wandte sich damit in der damaligen Diskussion gegen die von einigen Ökonomen vertretene Befürchtung, dass es mit dem technischen Fortschritt zu Überproduktionskrisen komme.[5] Nach Say war die Produktion von Gütern nötig, um die für Güterkäufe erforderlichen Mittel bereitzustellen und die Güterproduktion somit gleichzeitig Angebot und Nachfrage schaffe.[6]

Diese Sicht von Say wurde von den Neoklassikern später auch auf Aspekte wie relative Preise und Arbeitslosigkeit übertragen.[6] Ein erhöhtes geplantes Güterangebot generiere daher automatisch eine entsprechend höhere geplante Nachfrage. Ein unzureichendes Nachfrageniveau kann daher – von kurzfristigen Schwankungen abgesehen – gesamtwirtschaftlich gar nicht existieren. Demnach könne es auch keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit (→ Vollbeschäftigung) geben, solange der Staat nicht wirtschaftspolitisch, z. B. durch Mindestlöhne oder Steuerregulierungen, in das Marktgeschehen eingreift und dadurch die Nachfrage nach Arbeitskräften einschränkt.

Eine partielle Überproduktion sei zwar möglich, der eine Unterproduktion an anderer Stelle entspreche. Solch ein Ungleichgewicht sei aber nur temporär und werde durch den Preismechanismus beseitigt.[7]

Sparen

In einer reinen Tauschwirtschaft ist das saysche Theorem eine tautologisch erfüllte Identitätsgleichung.

In einer mehrperiodigen Geldwirtschaft kann das Theorem aber über einen Teilzeitraum keine tautologische Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen, weil die Menschen dann auch die Möglichkeit haben, Geld zu horten oder zu sparen, ohne das Ziel zu haben selbst damit Güter zum aktuellen Zeitpunkt zu kaufen.

Nur wenn es einen Mechanismus gibt, der dafür sorgt, dass sich die Ersparnisse mit den Investitionen decken, ist das saysche Theorem in einer modernen Geldwirtschaft gültig. Als diesen Mechanismus sehen die Anhänger meist den Zinssatz. Der Gütermarkt wird in einer Geldwirtschaft nach dem sayschen Theorem deshalb nicht über den Preis geräumt, sondern über den Marktzins.[8] Teilgütermärkte (z. B. der Getreidemarkt) werden über den Preis geräumt.

Nach dieser klassischen Auffassung hat das saysche Theorem somit auch dann Gültigkeit, wenn gespart werden kann. Denn die Bank wird das gesparte Geld verleihen, wodurch es letztlich nachfragewirksam bleibt, da Unternehmen damit Investitionsgüter nachfragen. Der Marktzins regelt das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage.

Horten

Anders als beim Sparen bringen die Marktteilnehmer beim Horten ihr Geld nicht zu einer Bank. Stattdessen bewahren sie es zu Hause beispielsweise im Sparschwein auf. Es sammeln sich liquide Geldbestände an, die nicht nachfragewirksam werden.

Bereits die klassischen Ökonomen argumentierten hier mit der Quantitätstheorie des Geldes: Selbst wenn durch Hortung dem Kreislauf Geld entzogen würde, so hat das saysche Theorem seine Gültigkeit, wenn man unterstellt, dass die verringerte Geldmenge dafür sorgt, dass der Durchschnittspreis aller Güter sinkt.[8] Dadurch würde der Wert des weiterhin im Umlauf befindlichen Geldes aufgewertet und der Gesamtwert bliebe erhalten.

Die Klassiker gingen davon aus, dass der jetzt niedrigere Geldpreis einen Anreiz bieten würde, das Geld wieder auszugeben, und sich dadurch wieder ein Gleichgewicht einstellt.

Normalerweise gleichen die Notenbanken heute aber Verringerungen der Geldumlaufgeschwindigkeit aus, indem sie die Geldmenge entsprechend der erwarteten Umlaufgeschwindigkeitsverlangsamung erhöhen. Verringerungen der Umlaufgeschwindigkeit müssen also nicht zwangsläufig zu Deflation oder (bei starren Preisen) gar zu Nachfragelücken führen.

Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik

Da nach dem sayschen Theorem immer ein Marktgleichgewicht entsteht, wird von den Anhängern des Theorems eine nachfrageorientierte Politik durch den Staat oder die Notenbank abgelehnt und eine angebotsorientierte Politik gefordert.

Kritik

John Maynard Keynes bestritt die Gültigkeit des sayschen Theorems[9][10]. Er ging davon aus, dass auch niedrige Zinsen die Unternehmen nicht mehr zum Investieren bewegen würden, wenn die Gewinnerwartungen nur hinreichend gering wären. Dieser Fall wird Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung genannt. Die Ersparnisse würden sich nicht zwingend mit den Investitionen ausgleichen (→ Liquiditäts- und Investitionsfalle).

Nach Keynesianischer Auffassung führt Geldhortung nicht automatisch zu einer Verringerung des Preisniveaus, da die Preise (einschließlich Löhne) insbesondere nach unten hin ziemlich starr seien. Der mit der Quantitätsgleichung begründete Zusammenhang, dass eine Verringerung der Geldumlaufgeschwindigkeit somit (ausschließlich) zu einer Verringerung des Preisniveaus führt, wird damit infrage gestellt. Stattdessen würde bei konstanter Geldmenge das Sozialprodukt sinken. Ein sich selbst verstärkender Mechanismus wäre somit in Gang gesetzt.

Damit Sparer bereit sind, ihr Geld zu verleihen statt es zu horten, muss ihnen ein Anreiz gegeben werden. Da es auf dem Kapitalmarkt aber möglicherweise sehr wenig Kapitalnachfrager gibt (z.B. rezessive Stimmung, geringe Absatzerwartungen usw.) und durch die geringe Geldumlaufgeschwindigkeit auch noch Deflation herrschen mag, könne es sein, dass der (nominale) Marktzins nicht markträumend ist. Die Geldumlaufgeschwindigkeit würde sich dadurch dann weiter verringern (vermehrte Geldhortung). Es handele sich also um einen selbstverstärkenden Prozess, weil sich die Geldumlaufgeschwindigkeit auch wiederum auf das Sozialprodukt (→ rezessive Stimmung) und das Preisniveau (Deflation) auswirkt. Deflation ihrerseits verstärkt wiederum den Anreiz Geld zu horten. Um einen markträumenden Realzinssatz zu gewährleisten ist eine mäßige (aber möglichst konstante) Inflationsrate also sehr hilfreich. Sie ermöglicht sogar negative Realzinsen. Bei einer konstanten Inflationsrate bleibt die Planungssicherheit für die Wirtschaftssubjekte gewährleistet, und die Nachteile so einer mäßigen Inflation halten sich somit in Grenzen. Außerdem bestraft eine geringe Inflation Geldhortung, die ja letztendlich die Ursache jeder Nachfragelücke ist (bzw. eigentlich ist eine Zunahme der Geldhortung die Ursache für Nachfragelücken - also die 1. Ableitung der Geldhortung), und bietet somit einen Anreiz wenig Kasse zu halten (und stattdessen zu investieren).

Auch mehrere neuere Veröffentlichungen sehen keinen Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren. Das DIW sieht keinen Zusammenhang zwischen Sparen und Konjunktur [11].

Karl Marx setzt sich im Zuge der Durcharbeitung der Theorie von David Ricardo auch mit dem Sayschen Theorem auseinander und bemängelt, dass Say seine Modellvoraussetzungen so gewählt habe, dass Krisen logisch unmöglich seien.[12] Er kritisierte des Weiteren, dass Say das Kapitalverhältnis bloß als Naturaltauschverhältnis deutet und damit die inneren Widersprüche der kapitalmäßigen Verwertungsprozesse bei Überproduktion ignoriere.[5] Marx rechnete Says Ansatz deswegen zur Vulgärökonomie. Hingegen lobt Marx Ricardo für seine wissenschaftliche Objektivität in dessen Kapitel über das Maschinenwesen und übersieht dabei die Inkonsistenz: Ricardos Theorie insgesamt unterstellt das Saysche Theorem. Danach ist Arbeitslosigkeit auch bei Neueinführung von Maschinen theoretisch ausgeschlossen.[13]

Literatur

  • Henri Denis: La «Loi de Say» sera-t-elle enfin rejetée ? Une nouvelle approche de la surproduction. Economica, Paris 1999, ISBN 978-2717838480.
  • Jean-Baptiste Say: Abhandlung über die National-Oekonomie oder einfache Darstellung der Art und Weise, wie die Reichthümer entstehen, verheilt und verzehrt werden („Traité d’économie politique“). Gruber, Dillenburg 1999, ISBN 3-89753-171-2 (Repr. d. Ausg. Halle 1807).
  • Thomas Sowell: Say's Law: An Historical Analysis. Princeton University Press, 1972, ISBN 978-0691041667.
  • Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand. Ökonomisches Denken gestern und heute. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-25235-5, S. 96–98.

Einzelnachweise

  1. University of Utah - James Mill
  2. z.B. bei Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand. Ökonomisches Denken gestern und heute. 3. Aufl. 2005, ISBN 3540252355, S. 104f.
  3. Diese Zusammenfassung stammt von John Maynard Keynes. "Supply creates its own demand", In: The General Theory of Employment, Interest and Money (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, John Maynard Keynes, Chapter 2, Section VII. Inhaltlich sehr ähnliche Formulierungen des Theorems existieren unter anderem in den Schriften von James Mill und John Stuart Mill (auf den sich Keynes bei seiner Kritik bezieht).
  4. Jean Baptiste Say: A treatise on political economy: or The production distribution and consumption of wealth. Translated from the fourth edition of the French. Batoche Books Kitchener 2001, S. 57
  5. a b Karl Mai: Historisch-kritische Anmerkungen zum "Sayschen Gesetz", Januar 1999, S. 2-3
  6. a b Jan A. Kregel: Die Erneuerung der Politischen Ökonomie ISBN 3-926570-03-2 , S. 19
  7. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/saysches-theorem.html
  8. a b Vgl. Jean-Baptiste Say: Traité d'économie politique. 6. Aufl, Hrsg.: Say, H. Paris 1841, S. 138 ff.
  9. neuere Veröffentlichungen der Keynes-Gesellschaft
  10. T. Hildebrandt: Keynes Gleichgewicht
  11. DIW: Wirtschaftspolitische Ueberlegungen Sparen als Voraussetzung zum Investieren?
  12. Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. Bd. II, MEW 26.2. S. 495ff
  13. Michio Morishima: Ricardo's Economics. A general equilibrium theory of distribution and growth. Cambridge University Press 1989. ISBN 0-521-36630-5. S. 11

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