Seymour Hersh

Seymour Hersh
Seymour Hersh 2008

Seymour Myron Hersh (* 8. April 1937 in Chicago), Spitzname Sy, ist ein US-amerikanischer Investigativjournalist jüdischer Herkunft und bekannter Muckraker.

Seymour Hersh wurde 1969 weltbekannt, als er während des Vietnamkriegs das Massaker von My Lai aufdeckte. 2004 sorgte er erneut für Aufsehen, als er maßgeblich den Folter-Skandal im irakischen Abu-Ghuraib-Gefängnis bekannt machte.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Hersh wuchs in Chicago auf. Seine Eltern waren aus Litauen und Polen in die USA eingewandert, sprachen jiddisch und führten in einem ärmlichen Quartier der Chicago South Side ein Geschäft für chemische Reinigung. 1958 machte Hersh seinen Abschluss als Historiker an der University of Chicago. Dort lernte er auch seine Frau, die heutige Psychoanalytikerin Elizabeth Sarah Klein, kennen.

Nach seinem Abschluss an der Universität Chicago begann er 1959 seine journalistische Karriere als Polizeireporter. Während seines Militärdiensts fungierte er als Information Officer in Fort Riley, Kansas.

1961 kehrte er nach Chicago zurück und gründete dort eine Stadtteilzeitung, was aber missglückte. Für ein Jahr arbeitete er dann bei United Press International (UPI) in South Dakota. Ab 1963 war er bei Associated Press (AP), die ihn von Chicago nach Washington, D.C. schickte, wo er ab 1966 als Pentagon-Korrespondent arbeitete.

Pentagon-Korrespondent

Im Pentagon erwarb er sich schnell den Ruf, dass er sich lieber mit seinen Quellen in der Offiziers-Cafeteria trifft, anstatt auf Pressekonferenzen zu erscheinen. Er baute sich seitdem ein riesiges Netz an Informanten auf, was seinen investigativen Arbeitsstil prägen sollte. Hierbei bediente er sich der Hausmitteilungen von Regierungsbehörden, um heraus zu bekommen, welche Beamten in den Ruhestand versetzt wurden oder durch Nonkonformismus aufgefallen waren.

Das zahlte sich erstmals aus, als er aufdecken konnte, dass die US-Army im Ausland Giftgas lagert. Allerdings kürzte AP 80 % seines Berichtes und schrieb ihn um, sodass Hersh den Job quittierte und sich 1968 für die Nominierung des demokratischen Senators Eugene McCarthy zum Präsidentschaftskandidaten engagierte. Er erhoffte sich von ihm ein Ende des Vietnamkriegs. Nach diesem kurzen Ausflug in die Politik wandte er sich schnell wieder dem Journalismus zu.

Freelancer

Sy Hersh arbeitete als Freelancer für die New York Times mit dem Schwerpunkt chemische und biologische Waffen. Dies führte 1969 zur Herausgabe seines ersten Buchs Chemical and Biological Warfare: America's Hidden Arsenal. Unter anderem schilderte er dort den konkreten Einsatz dieser Waffen in Vietnam.

Der Kritiker David Rubien schrieb im Jahr 2000 rückblickend, dass dieses Buch bereits die typischen Charakterzüge von Hershs Werk repräsentierte. Auf der positiven Seite stehen, laut Rubien, die äußerst penible Recherche und das vollständige Durchdringen des Themas, wie es sich in Quellenapparat und Fußnoten manifestiere. Auf der negativen Seite verbuchte Rubien einen Schreibstil, der alles andere als einen neutralen Standpunkt einnähme, sodass Hersh sich selber ohne Not dem Vorwurf der Befangenheit aussetze. Dennoch meinte Rubien, dass Hershs Werk wegen der positiven Aspekte „überlebt”. [1]

My Lai

Im selben Jahr erlebte Hersh seinen Durchbruch auf internationaler Ebene. Einer seiner Informanten im Pentagon gab ihm einen Tipp bezüglich eines US-Offiziers, der wegen Mordes an Zivilisten in Vietnam angeklagt war. Dieser Leutnant namens William Calley war Kommandant einer Einheit, die 1968 im vietnamesischen Ort Son My (in der Sprache der US-Soldaten My Lai 4) ein Massaker an über 500 Männern, Frauen und Kindern verübt und so den gesamten Ort ausradiert hatte. Hersh besuchte Calley, und Calley ließ sich - angeblich nach reichlich Bier - zu einer vollständigen Aussage Hersh gegenüber hinreißen. Das markierte in der Folge nicht nur Hershs Ruhm, sondern auch den endgültigen Stimmungsumschwung in Amerika in puncto Vietnamkrieg.

Seymour Hersh schrieb seine Story nieder und bot sie diversen Zeitungen an. Alle lehnten ab. Sie wollten mit der Sache nichts zu tun haben. Ein Freund von ihm, der den linken Nachrichtendienst Dispatch News Service betrieb, brachte die Geschichte vom Massaker von My Lai dann heraus. Plötzlich kauften drei Dutzend renommierte Zeitungen den Artikel, und das Fernsehen ließ nicht lange auf sich warten. In der Folge interviewte Hersh weitere Teilnehmer der an dem Massaker beteiligten Kompanie.

Hersh wurde wegen dieser Enthüllung scharf angegriffen und als Lügner bezeichnet. Davor gab es in der Öffentlichkeit immer nur verhaltene Kritik an bestimmten Aspekten der Kriegsführung, aber niemals die in der breiten Öffentlichkeit vorgetragene Anschuldigung, dass Kriegsverbrechen systematisch befohlen worden seien.

1970 legte Hersh mit seinem detaillierten Buch My Lai 4: A Report on the Massacre and Its Aftermath nach. Im selben Jahr bekam er für seine Arbeit den Pulitzer-Preis für internationale Berichterstattung und den begehrten George Polk Award.

Hersh begleitete den Prozess gegen Calley und beschrieb die Ermittlungen 1972 im Buch Cover-Up: The Army's Secret Investigation of the Massacre at My Lai. Das Buch verkaufte sich schlecht und Hersh machte dafür eine Stimmung verantwortlich, in der sich angesichts der nahenden Niederlage der USA keiner mehr für das Thema Vietnam interessiere.

Weitere Enthüllungen

Im selben Jahr wurde er bei der New York Times als Washington-Korrespondent fest angestellt, damit sie einen eigenen Journalisten hatte, der der Watergate-Affäre nachspüren konnte. Das allerdings tat bereits das Hausblatt der Hauptstadt, die Washington Post besser mit Hershs ewigem Konkurrenten Robert Woodward, sodass der Erfolg mäßig blieb. Dennoch folgten für Hersh bei der New York Times gute Zeiten, und er fügte der CIA und Henry Kissinger herbe publizistische Schläge zu.

1972 deckte Hersh in einem Leitartikel der Washington Post auf, dass die CIA versucht hatte, ein Buch des Historikers Alfred W. McCoy über umfangreiche Aktivitäten der CIA im Drogenhandel während des Vietnamkriegs zu zensieren.

1973 beschäftigte er sich zum Beispiel mit den geheimen Bombardierungen Kambodschas und der Rolle der CIA beim chilenischen Staatsstreich.

1974 war sein Thema die Bespitzelung von Vietnamkriegsgegnern durch die CIA im Inland unter dem Codenamen Operation CHAOS. Hershs Enthüllungen waren ein wesentlicher Anlass für die Einrichtung des Church Committees des US-Senats, das erstmals systematisch die Aktivitäten der US-Nachrichtendienste untersuchte. Im selben Jahr recherchierte Hersh die Umstände des Azorian-Projekts, in dem die CIA 1974 ein sechs Jahre zuvor gesunkenes sowjetisches U-Boot, die K-129, unter voller Geheimhaltung mit der Hughes Glomar Explorer gehoben hatten. Im März 1975 veröffentliche die New York Times Hershs Artikel zum Thema; dies war die erste ausführliche Darstellung der Geschehnissen.

1981 arbeitete er an pikanten Details über Libyen und 1986 zu Manuel Noriega.

Bereits 1983 wurde sein Buch The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House ein Bestseller. Es war der Höhepunkt der Anti-Kissinger-Arbeit von Hersh. Seine Gegnerschaft zu Kissinger begründete er mit dessen Befehlen zur Bombardierung von Zivilisten in Vietnam und Kambodscha. Hersh kommentierte dieses Engagement mit drastischen Worten:

When the rest of us can't sleep we count sheep, and this guy [Kissinger] has to count burned and maimed Cambodian and Vietnamese babies until the end of his life.
Übersetzung:
Wenn der Rest von uns nicht einschlafen kann, zählen wir Schafe, und dieser Kerl [Kissinger] muss bis zum Ende seiner Tage verbrannte und verstümmelte kambodschanische und vietnamesische Babys zählen.

Als er 1991 in The Samson Option das geheime Atomwaffenprogramm Israels aufdeckte, erntete er hingegen meist Desinteresse. Dort bezeichnete er zum Beispiel den Pressetycoon Robert Maxwell und dessen Mitarbeiter Nicholas Davies als Mossad-Agenten. Hersh wurde wegen Verleumdung angezeigt, aber die beiden verloren den anschließenden Prozess.

1997 versuchte er mit der Kennedy-Biografie The Dark Side of Camelot ein Comeback, was sich aber in das Gegenteil verkehrt. Sein Ruf galt nun endgültig als ruiniert. Dennoch wurde das Buch zum Bestseller und die Reaktionen waren weit umfangreicher als das Buch selbst.

2000 veröffentlichte er im Magazin The New Yorker, dass im zweiten Golfkrieg eine von dem Zwei-Sterne-General Barry McCaffrey geführte amerikanische Einheit an mehreren Massakern an irakischen Einheiten, die bereits kapituliert hatten, und an Zivilisten beteiligt war. McCaffrey wehrte sich öffentlich gegen die Vorwürfe, die allerdings durch eine große Zahl an von Hersh geführten Interviews untermauert waren. Hersh zeigte in seinem 32seitigen Artikel auch, dass mehrere frühere Untersuchungen des Militärs zu den Vorwürfen unzureichend und einseitig waren.

Im selben Jahr erschien sein Buch über das Golfkriegssyndrom, in dem er den Kampf der von mysteriösen Krankheitssymptomen betroffenen Kriegsveteranen des zweiten Golfkriegs gegen die Bürokratie des US-Militärs beschrieb.

Abu Ghuraib

Nach dem 11. September 2001 bekam Hersh wieder Auftrieb, indem er über Hintergründe und Schlampereien rund um das Attentat auf das World Trade Center schrieb.

2004 schließlich erlebte er seinen „zweiten Frühling”, indem er den Folterskandal im US-Gefängnis Abu Ghuraib aufdeckte. Am 10. Mai schrieb Hersh im New Yorker:

Keine entschuldigenden Aussagen oder politischer Spin konnten letzte Woche die Tatsache vertuschen, dass Präsident Bush und seine Chefberater seit den Anschlägen vom 11. September in einen Krieg gegen den Terrorismus verwickelt sind, in dem die alten Regeln nicht mehr gelten.

Libanonkrieg 2006

Am 14. August 2006 erschien in der Onlineausgabe des Magazins The New Yorker ein Artikel[2], in dem Hersh der offiziellen Darstellung des israelischen Angriffs auf den Libanon im Juli 2006 widersprach. Er zitierte darin zahlreiche anonyme amerikanische und israelische Quellen aus regierungsnahen Kreisen, denen zufolge Israel den Krieg bereits Monate vorher geplant habe. Außerdem sei auch die US-Regierung von Israel Monate vorher konsultiert worden. Diese Darstellung widersprach eklatant der offiziellen Version, nach der der israelische Angriff quasi als spontane Reaktion auf die Entführung zweier israelischer Soldaten erfolgt sei. Weiterhin berichtete Hersh, dass die US-Regierung den Feldzug gegen die Hisbollah als Testfall für einen amerikanischen Angriff auf den Iran gesehen und gefördert habe, der noch vor dem Ende der Amtszeit von Präsident George W. Bush geplant gewesen sei. Das offizielle Dementi der US-Regierung zu seinen Kernaussagen hatte Hersh dabei bereits vorab eingeholt und in seinen Artikel eingebaut.

Im September 2007 erhielt Seymour Hersh den Demokratiepreis der Blätter für deutsche und internationale Politik[3]. (Für die von Hersh bei der Verleihung gehaltene Rede – laut Zeit[4] „Eine Anklage“ – s. u. Weblinks.)

Auszeichnungen (Auswahl)

  • 1970 Pulitzer-Preis für internationale Berichterstattung
  • 1970 George Polk Award
  • 2005 "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig
  • 2007 Demokratiepreis der Blätter für deutsche und internationale Politik

Zitate über Hersh

  • Hersh heult wieder auf. Klingt wie Musik. (David Rubien 2000 nach Hershs Buch zum Golfkriegssyndrom)
  • Seymour Hersh ist ein Lügner. (George W. Bush nach dem 11. September 2001 zu Robert Woodward)
  • Hersh ist im amerikanischen Journalismus das, was einem Terroristen am Nächsten kommt. („closest thing American journalism has to a terrorist.”) [5] (Richard Perle 2003 nach der Invasion in den Irak. Perle konnte zwar einschlägige juristische Konsequenzen aus den Enthüllungen Hershs über seine nicht nur in diesem Fall fragwürdigen Geschäftskontakte abwehren, musste aber im März 2003 vom Amt des Vorsitzenden des Defense Policy Board zurücktreten.)

Zitate von Hersh

  • Es gab noch nie einen Präsidenten, der mich leiden konnte. Ich nehme es als Kompliment.” sagte Hersh in einem Interview.[6]
  • Auf die Frage im Februar 2008: “What do you think of Bush's legacy to the world?” antwortete Hersh: “He's done more to terrify the world than anybody I know. The world is so much more dangerous.[7]

Werke (Auswahl)

  • Chemical and Biological Warfare: America's Hidden Arsenal. Anchor Books, Garden City, 1969
  • My Lai 4: A Report on the Massacre and Its Aftermath. Random House, 1970 ISBN 0394437373
  • Cover-Up: The Army's Secret Investigation of the Massacre at My Lai. Random House, 1973
  • The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House. 1983
  • Atommacht Israel. Das geheime Vernichtungspotential im Nahen Osten, Droemer Knaur, 2000 (Samson Option: Israel, America and the Bomb, 1991)
  • Kennedy: das Ende einer Legende 3. Aufl., Hamburg 1999 (The Dark Side of Camelot, 1998)
  • Against All Enemies: Gulf War Syndrome, the War Between America's Ailing Veterans and Their Government. 2000
  • Vorwort in: See No Evil: The True Story of a Ground Soldier in the CIA's War on Terrorism. 2003
  • Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib. Reinbek: Rowohlt, 2004 (Rezension)
  • Scott Ritter, Seymour Hersh: Iraq Confidential: The Untold Story of the Intelligence Conspiracy to Undermine the UN and Overthrow Saddam Hussein. Nation Books, 2005. - ISBN 1-56025-852-7
  • Der Report des Generals. Wie Antonio Taguba, der den Abu-Ghraib-Skandal untersuchte, eines seiner Opfer wurde. Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2007

Weblinks

Quellenangaben

  1. David Rubien: Seymour Hersh. salon.com, 18. Januar 2000
  2. Seymour Hersh: Watching Lebanon. Washington’s interests in Israel’s war. The New Yorker online, 14. August 2006
  3. "Blätter"-Demokratiepreis 2007 an den Journalisten Seymour Myron Hersh
  4. „»Wir haben ein Problem« von Seymour M. Hersh – Die Bush-Regierung hat sich von ihrem Volk und der Welt abgekoppelt. Eine Anklage.“ in Die Zeit, 27. September 2007
  5. CNN.com - Transcripts
  6. Interview: Vietnam, Irak – und morgen Iran? - Kultur - Tagesspiegel
  7. Al Jazeera: “Interview: Seymour Hersh”, 7. Februar 2008
  8. TP: CIA: Keine Hinweise auf iranisches Atomwaffenprogramm
  9. Libanon-Krieg: Bushs Blaupause für Angriff auf Iran - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik
  10. tagesanzeiger.ch: Nichts verpassen

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