Sperrung von Internetseiten in Deutschland

Sperrung von Internetseiten in Deutschland
Stoppschild, das beim Aufruf gesperrter Seiten angezeigt werden soll

Zur Sperrung von Internetseiten in Deutschland verpflichteten sich zunächst am 17. April 2009 fünf große Internetprovider freiwillig dazu, kinderpornographische Inhalte nach einer täglich aktualisierten Liste des Bundeskriminalamts (BKA) zu blockieren und stattdessen ein Stoppschild mit weiteren Hinweisen anzuzeigen. Die Sperrungen erfolgen, indem zu sperrende DNS-Namen auf spezielle IP-Adressen der Provider oder des BKA umgeleitet werden.

Zu den Vertragsunterzeichnern gehören die Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Telefonica/O2, Kabel Deutschland und Hansenet/Alice. Die Unternehmen decken zusammen insgesamt 75 Prozent des Internetmarktes in Deutschland ab. Andere Provider wie zum Beispiel 1&1 lehnten die außergesetzliche Regelung zunächst wegen rechtlicher Bedenken ab.[1] Der Internetprovider Manitu boykottierte die Verträge ebenfalls und kündigte an bei einem entsprechenden Gesetz mit Berufung auf Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes bis zum Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen.[2]

Die Verträge mit der Bundesregierung und dem BKA sind bis Ende 2010 befristet. Die unterzeichnenden Unternehmen haben eine dreimonatige Kündigungsfrist. Die Haftung für möglicherweise zu Unrecht gesperrte Seiten soll das BKA tragen.[3]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Januar 2009 gab Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt, dass sie in Zusammenarbeit mit dem BKA und den großen deutschen Internetprovidern kinderpornographische Inhalte filtern lassen will. In mehreren anderen Ländern existierten bereits ähnliche Sperrlisten. Das BKA soll hierbei eine Liste mit zu filternden Seiten erstellen und an die Provider übermitteln, die dann für die Sperrung sorgen.

Unterzeichnet wurden die Verträge am 17. April 2009 gegen 9 Uhr im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.
Zeitgleich fanden sich vor dem Gebäude mehrere hundert Personen zu einer Mahnwache ein. Zu der Aktion hatten unter anderem der Chaos Computer Club, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der Verein MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren (MOGIS) aufgerufen.[4][5][6][7]

In einem zweiten Schritt sollen mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen alle Provider in Deutschland verpflichtet werden, die vom BKA vorgegebenen Seiten zu sperren. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am Mittwoch, dem 22. April 2009 vom Bundeskabinett gebilligt.[8]

Die Umsetzung des vollautomatischen Sperrverfahrens soll voraussichtlich im Oktober 2009 erfolgen.[9]
Gegen das Sperrgesetz wurde am 4. Mai 2009 beim Bundestag eine Online-Petition eingereicht die bereits nach wenigen Stunden mehrere tausend Unterstützer fand.[10][11]

Gesetzentwurf

Für das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen sollen Teile des Telemediengesetzes und des Telekommunikationsgesetzes geändert werden.
Der Gesetzentwurf beinhaltet zudem einen Eingriff in vier Grundrechte:[12]

  1. Fernmeldegeheimnis
  2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung
  3. Informationsfreiheit
  4. Berufsfreiheit (des Providers)

Die Internetanbieter sollen laut dem Gesetz verpflichtet werden die vom BKA erstellten Sperrlisten geheim zu halten. Entsprechend einer nachträglichen Änderung des Gesetzentwurfs unter Justizministerin Brigitte Zypries sollen Zugriffsversuche auf diese Seiten auch zeitgleich protokolliert und zu Strafverfolgungszwecken genutzt werden können.[13] Gesperrt werden sollen zusätzlich zu den Seiten mit kinderpornographischen Inhalten auch Seiten die auf solche verweisen. Zudem sind die Provider verpflichtet dem BKA wöchentliche Statistiken über die Zugriffsversuche auf die gesperrten Seiten zukommen zu lassen. Eine unabhängige Überprüfung der Sperrlisten durch Richter, Kontrollkommissionen oder ähnliches ist in dem Gesetz nicht vorgesehen.

Kritik

Kritiker während der Vertragsunterzeichnung zur Internetsperre

Bürgerrechtler und Netzaktivisten sehen in dem Vorgehen einen eine Zensur-Maßnahme[14] und kritisieren vor allem die dazu geschaffene Infrastruktur,[15] welche eine Kontrolle unliebsamer Inhalte ermögliche, die erwogene „Echtzeitüberwachung“[16] und nicht vorhandene Zweckbindung. Mit Skepsis wird dabei vor allem die nicht öffentliche, das heißt nicht unabhängig prüfbare Sperrliste des BKA betrachtet,[17] die von nicht näher bestimmten Polizeibeamten ohne juristische oder Gremienkontrolle erstellt werden soll. Die Absicht, auch Seiten zu sperren, die auf eine an die Öffentlichkeit gelangte Sperrliste verlinken (beispielsweise Wikileaks), würde es dem BKA ermöglichen eine Überprüfung seiner Tätigkeit zu unterbinden.[18][19]

Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags sieht rechtliche Probleme, da die in der Verfassung garantierte Kommunikationsfreiheit in Gefahr sei, wenn Provider aus Angst vor Geldbußen wegen ungenügender Sperrungen auch unproblematische Inhalte sperren.[20]

Missbrauchsopfer sehen sich von Frau von der Leyen für eine Kampagne instrumentalisiert, durch die Missbrauch nicht bekämpft, sondern lediglich ignoriert wird.[21] Umstritten ist zudem die Ernsthaftigkeit des Vorgehens, da laut einer statistischen Auswertung der Filterlisten aus der Schweiz, Dänemark, Finnland und Schweden über 96 Prozent der dort gesperrten Seiten in westlichen Ländern wie Australien, Kanada, den Niederlanden und der USA gehostet seien und demzufolge mittels polizeilicher Kooperation effektiv entfernt und die Betreiber jener kinderpornografischer Inhalte strafrechtlich belangt werden könnten. Statt effektiv gegen dokumentierte Straftaten vorzugehen würden hierbei lediglich der Zugang geringfügig erschwert.[22] Zudem seien die Voraussetzungen, mit denen Frau von der Leyen für die Sperrung warb, zweifelhaft, da die vorgeblich millionenschwere Kinderpornografie-Industrie tatsächlich nicht existieren würde,[23] weswegen der Nutzen der Sperrung, und damit die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf das verfassungsmäßige Recht auf freie Informationen, in Frage gestellt wurde.[24]

Eine Online-Petition gegen das Gesetzgebungsvorhaben, mit der sich interessierte Bürgerinnen und Bürger gegen Websperren aussprechen können, wurde am 22. April 2009 eingereicht.[25]

Technische Probleme

Die technische Umsetzung der Sperrung ist nicht dazu geeignet, den Zugang zu den indizierten Seiten vollständig zu unterbinden, da sich die entsprechenden Seiten mit einfachsten Mitteln umgehen lassen, beispielsweise durch die Nutzung unzensierter DNS-Server, wie sie beispielsweise von dem Verein FoeBuD als Reaktion auf die Sperren in Deutschland eingerichtet wurden.[26] Neben dem manuellen Eintragen alternativer DNS-Server ist auch das automatische Eintragen per Script oder Registry-Datei möglich.

Eine weitere Möglichkeit, die gesperrten Seiten aufzurufen, besteht darin, sie nicht mehr über den DNS-Namen, sondern die entsprechenden IP-Adressen zu kontaktieren. Die Adressierung über IP-Adressen hat jedoch den Nachteil einer geringeren Langzeitkonstanz (wenn ein Server eine andere IP-Adresse bekommt, gibt es keinen "Nachzugsservice" mehr) und schlecht einprägsamer Adressen durch Zahlen statt sprechender Namen, was jedoch durch Suchmaschinen und Linksetzungen kein größeres Problem darstellt.

Siehe auch

Quellen

  1. Internetanbieter sagen Sperre von Webseiten zu, Tagesschau vom 17. April 2009
  2. Statement
  3. Stoppschild gegen Kinderpornos im Web, Stern vom 17. April 2009
  4. Analyse: Proteste begleiten Kinderporno-Sperren, Stern vom 17. April 2009
  5. Rund 250 Bürger demonstrieren gegen "Scheuklappen fürs Internet", heise online vom 17. April 2009
  6. Chaos Computer Club geht "Zensursula" besuchen, golem.de vom 15. April 2009
  7. MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren
  8. heise online: Bundeskabinett beschließt Gesetzesentwurf zu Kinderporno-Sperren, 22. April 2009.
  9. focus.de: Kriminalität – Surf-Sperre für Kinderporno-Seiten verzögert sich. 26. April 2009.
  10. Petition beim Bundestag
  11. Petition gegen Filtergesetz gestartet Spiegel vom 4. Mai 2009
  12. Telemedicus: Netzsperren: Der neue Entwurf und seine Rechtsmäßigkeit. 24. April 2009.
  13. Strafe bei versuchtem Zugriff auf Kinderporno-Seiten gefordert 24. April 2009
  14. Warum es um Zensur geht Netzpolitik vom 25. April 2009
  15. Lutz Donnerhacke: Woher wissen Sie, was Sie tun? 5. Mai 2009
  16. heise online: Kinderporno-Sperren: Regierung erwägt Echtzeitüberwachung der Stoppschild-Zugriffe. 25. April 2009
  17. Verschleierungstaktik – Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere, c’t 9/09
  18. gulli.de: Internet-Sperrgesetz – Entwurf verfassungsrechtlich bedenklich, 24. April 2009
  19. Keine Allmacht für das BKA Die Zeit vom 22. April 2009
  20. Internetsperren: Fünf Provider unterschreiben freiwillig, golem.de vom 17. April 2009]
  21. Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren Die Zeit vom 16. April 2009
  22. Internet-Sperren für Kinderpornos Süddeutsche Zeitung vom 15. April 2009
  23. Die Legende von der Kinderpornoindustrie law blog vom 25. März 2009
  24. Harte Kritik an geplanter Sperrung kinderpornografischer Webseiten heute.de vom 24. April 2009
  25. Deutscher Bundestag: Petition: Internet - Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009. Eingesehen am 4. Mai 2005.
  26. Gegen Internetsperren in einer freien Gesellschaft: FoeBuD richtet Anti-Zensur-DNS-Server ein FoeBuD e.V. vom 17. April 2009

Literatur

  • Netzsperren sind vermeidbar, 15.04.2009 - In seiner Analyse belegt Rochus Wessels anhand von Zahlen und deren Quellen die Möglichkeit der Beseitigung kinderpornographischer Angebote am Serverstandort. (PDF-Datei; 93 kB)

Weblinks


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