Stammfunktion

Stammfunktion

Eine Stammfunktion oder ein unbestimmtes Integral (außerhalb fachwissenschaftlicher Publikationen gelegentlich auch Aufleitung) ist eine mathematische Funktion, die man in der Differentialrechnung, einem Teilgebiet der Analysis, untersucht.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Unter einer Stammfunktion einer reellen Funktion f versteht man eine differenzierbare Funktion F, deren Ableitungsfunktion F\!\,' mit f übereinstimmt. Ist also f auf einem Intervall I definiert, so muss F auf I definiert und differenzierbar sein, und es muss für beliebige Werte x aus I gelten:

F\!\,'(x)=f(x).

Existenz und Eindeutigkeit

Jede auf einem Intervall stetige Funktion f\colon[a,b]\to\R besitzt eine Stammfunktion. Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ist f nämlich integrierbar und die Integralfunktion

I_a(x) = \int_a^x f(t)\,\mathrm{d}t

ist eine Stammfunktion von f.

Ist f auf [a,b] integrierbar, aber nicht überall stetig, dann existiert zwar die Integralfunktion, sie braucht jedoch an den Stellen, an denen f nicht stetig ist, nicht differenzierbar zu sein, ist also im Allgemeinen keine Stammfunktion.

Besitzt eine Funktion f eine Stammfunktion, so besitzt sie sogar unendlich viele. Ist nämlich F eine Stammfunktion von f, so ist für jede beliebige reelle Zahl C auch die durch G(x) = F(x) + C definierte Funktion G eine Stammfunktion von f. Ist der Definitionsbereich von f ein Intervall, so erhält man auf diese Art alle Stammfunktionen: Sind F und G zwei Stammfunktionen von f, so ist GF konstant. Ist der Definitionsbereich von f kein Intervall, so ist die Differenz zweier Stammfunktionen von f nicht notwendigerweise konstant, aber lokal konstant, das heißt, konstant auf jeder zusammenhängenden Teilmenge des Definitionsbereichs.

Unbestimmtes Integral

Der Begriff des unbestimmten Integrals wird in der Fachliteratur nicht einheitlich verwendet. Zum einen wird das unbestimmte Integral \textstyle \int f(x)\,\mathrm{d}x von f als Synonym für eine Stammfunktion verstanden.[1] Das Problem dieser Definition ist, dass der Ausdruck f \mapsto \textstyle \int f(x) \mathrm{d} x widersinnig ist. Denn in diesem Fall ist das unbestimmte Integral keine Abbildung, weil nicht klar ist auf welche der unendlich vielen Stammfunktionen die Funktion f abgebildet werden soll. Da die Konstante, um die sich alle Stammfunktionen unterscheiden, oftmals aber keine Rolle spielt, ist diese Definition des unbestimmten Integrals nur wenig problematisch.

Eine andere Möglichkeit, das unbestimmte Integral zu verstehen, ist es den Ausdruck \textstyle \int f(x)\,\mathrm{d}x als die Gesamtheit aller Stammfunktionen zu definieren.[2] Diese Definition hat den Vorteil, dass das unbestimmte Integral analog zum bestimmten Integral eine lineare, wenn auch mehrwertige Abbildung ist.

Eine etwas weniger geläufige Methode das unbestimmte Integral zu definieren, ist es, es als Parameterintegral

\int_a^x f(t) \mathrm{d} t

aufzufassen.[3] Aufgrund des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung ist ergibt dieser Ausdruck für jede stetige Funktion f eine Stammfunktion von f. Erweitert man diese Definition noch auf Lebesgue-Integrale über beliebigen Maßräumen, so ist das unbestimmte Integral im Allgemeinen keine Stammfunktion mehr.[4]

Beispiele

  • Eine Stammfunktion der Polynomfunktion x3 + 5x + 6 ist \tfrac{1}{4} x^4 + \tfrac{5}{2} x^2 + 6x + 3. Die Konstante 3 wurde dabei frei gewählt, in diesem Fall konnte diese Stammfunktion durch Umkehrung elementarer Ableitungsregeln gewonnen werden.
  • Betrachtet man die Funktion
    
\operatorname{sign}(x) = \begin{cases} -1 & x < 0 \\ 1 & x \geq 0, \end{cases}
    dann gilt \textstyle \int_0^x \operatorname{sign}(t) \mathrm{d} t = |x| - 1. Jedoch ist | x | − 1 keine Stammfunktion von \operatorname{sign}, denn | x | − 1 ist für x = 0 nicht differenzierbar.

Anwendung

Ist f eine auf dem kompakten, also endlichen und abgeschlossenen Intervall [a,b] stetige (oder allgemeiner Riemann-integrierbare[5]) Funktion, so lässt sich mit Hilfe einer beliebigen Stammfunktion F von f das bestimmte Integral von f über [a,b] berechnen:

\int_a^b f(x)\,\mathrm dx = F(b)-F(a).

Stammfunktionen werden daher für verschiedene Berechnungen benötigt, z. B.:

Abgeschlossenheit/Integrationsregeln

Für das Differenzieren gibt es einfache Regeln. Dagegen ist die Situation beim unbestimmten Integrieren ganz anders, da die Operation des unbestimmten Integrierens zu einer Erweiterung vorgegebener Funktionensklassen führt, z. B. ist das Integrieren innerhalb der Klasse der rationalen Funktionen nicht abgeschlossen und führt auf die Funktionen ln  und arctan . Auch die Klasse der so genannten elementaren Funktionen ist nicht abgeschlossen. So hat Joseph Liouville bewiesen, dass die einfache Funktion f(x) = e^{-x^2} keine elementare Stammfunktion besitzt. Auch die einfache Funktion f(x) = \tfrac1{\ln x} besitzt keine elementare Stammfunktion. Dagegen ist \int\tfrac{\ln x}{x}\,\mathrm dx = \tfrac12\ln^2 x. Die Technik des Integrierens basiert auf folgenden Integrationsregeln:

Da es keine allgemeine Regel zur Bestimmung von Stammfunktionen gibt, werden Stammfunktionen in sogenannten Integraltafeln tabelliert. Computeralgebrasysteme (CAS) sind heute in der Lage, fast alle bisher tabellierten Integrale zu berechnen.

Stammfunktionen für komplexwertige Funktionen

Der Begriff der Stammfunktion lässt sich auch für komplexe Funktionen formulieren. Hier reicht es jedoch nicht mehr aus, dass die Funktion f stetig ist, sie muss zudem auf einem einfach zusammenhängenden Gebiet D, d. h. auf einer offenen, einfach zusammenhängenden Teilmenge des Grundraumes (in diesem Fall \C ) definiert und dort holomorph sein. Sind diese Forderungen erfüllt, gelten folgende äquivalente Aussagen:

  1. Die Funktion f hat eine Stammfunktion F auf ganz D, das heißt, F ist holomorph und f ist die komplexe Ableitung von F.
  2. Wegintegrale über f hängen nur von den Endpunkten des Weges ab.
  3. Wegintegrale über geschlossene Wege (Anfangspunkt = Endpunkt) liefern als Ergebnis immer 0.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6, Kap. 76.
  2. *Konrad Königsberger: Analysis 2. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, 2000, ISBN 3-540-43580-8, S. 201
  3. Otto Forster: Analysis Band 1: Differential- und Integralrechnung einer Veränderlichen. Vieweg-Verlag, 7. Aufl. 2006, ISBN 3-528-67224-2, S. 201.
  4. I. P. Natnson: Theorie der Funktionen einer reellen Veränderlichen. Verlag Harry Deutscher Thun, 1981 Frankfurt am Main, ISBN 387-144-217-8, S. 408.
  5. Fritz Reinhardt, Heinrich Soeder: dtv-Atlas zur Mathematik. Band 2, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1977, ISBN 3-423-03008-9, S. 333.

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