Sultanat von Delhi

Sultanat von Delhi
Das Qutb Minar in der Moschee Quwwat-ul-Islam – Siegeszeichen des Sultans Aibak in Delhi, frühes 13. Jh.

Sultanat von Delhi ist die Bezeichnung für ein bedeutendes islamisches Reich in Nordindien, das von 1206 bis 1526 existierte und durch das Mogulreich abgelöst wurde. Die Hauptstadt war Delhi, das zu einer Metropole aufstieg. Das Sultanat war innerlich nicht sonderlich stabil, Revolten der Statthalter und unterworfener Fürsten (meist Hindus) sowie Umsturzversuche bei Hofe füllten seine Geschichte aus. Trotzdem dient es zusammen mit dem Mogulreich als historische Legitimation des Staates Pakistan.

Inhaltsverzeichnis

Staatsbildung und -konsolidierung

Die „Sklavendynastie“ (1206–1290)

Das Sultanat entstand aus der Konkursmasse des Ghuridenreiches. Der General Qutb ad-Din Aibak übernahm nach der Ermordung Muizz ad-Din Muhammads von Ghur am Indus 1206 die Regierung im Land und gründete (als Mamluk) die sogenannte „Sklavendynastie“. Er starb nach vier Jahren Herrschaft an einem Unfall beim Polospiel.

Aibaks Schwiegersohn Iltutmisch folgte als Sultan und musste Nordindien in einem langen Ringen (gut 17 Jahre andauernd) neu erobern. Zu dem Zweck ließ er sich 1229 auch vom Kalifen in Bagdad als Sultan legitimieren. Seine Regierung war religiös weitgehend tolerant. Er wurde deswegen einmal von einem Mullah kritisiert und antwortete, dass er andernfalls seinen Thron verlieren würde. Nach Iltumischs Tod 1236 versuchte man eine Art Erbfolge einzuführen, und seine Lieblingstochter Radiyya Begum bestieg den Thron. Damit war sie eine der wenigen Königinnen in der Geschichte des Islams. Radiyya wurde (wegen einer Affäre mit einem abessinischen Sklaven) von ihren Mamluken abgesetzt und bei ihrer missglückten Rückkehr ermordet.

Danach wechselten sich mehrere von Iltutischs Söhnen ab. Von 1242 bis 1246 regierte so Masud, ein schwacher Sultan, unter dessen Regierung die Provinzen Sindh, Multan, der obere Punjab, Bengalen und Bihar wieder durch Aufstände verloren gingen. Danach kam Delhi an Masuds Bruder Nasir ad-Din Mahmud (1246–1265), einen frommen Mann, der sich aber nur mit Hilfe seines Schwiegervaters, des einstigen Mongolensklaven Balban, an der Macht hielt. Denn der „Rat der Vierzig“, d. h. die Mamluken, hatten das Sagen in Delhi. Balban wurde so zwar kurzzeitig verbannt, musste aber zurückgeholt werden.

Nach dem Mahmuds Tod wurde Balban (reg. 1265–1287) selbst Sultan. Er unterdrückte jeden Aufruhr unter den nun verfolgten Mamluken, den muslimischen Statthaltern und den Hindufürsten (z. B. Rajputen) mit nie gekannter Härte. Kaum hatte er Lahore zurückgewonnen, sicherte er auch das Sultanat gegen die ständigen Raubzüge der Mongolen ab, indem er die Grenzfestungen verstärken ließ und Truppen entsandte. Der Statthalter von Bengalen revoltierte erfolglos 1280/82. Balban war jedoch außerstande, die Nachfolge zu regeln, denn sein Sohn Muhammed, der begabte Thronfolger, wurde 1285 in einem Hinterhalt von Mongolen getötet. Balbans Enkel Kaikobad war ein Lüstling und wurde 1290 ermordet.

Machthöhepunkt unter Ala ad-Din Chaldschi und Muhammad Tughluq

Die Chaldschi-Dynastie (1290–1320)

Der milde Armeebefehlshaber Dschalal ad-Din usurpierte für einige Jahre den Thron, erlebte 1292 die Mongolen vor Delhi und wurde von seinem Neffen und Schwiegersohn Ala ad-Din Chaldschi 1297 ermordet. Ala ad-Din Chaldschi führte das Sultanat zu seinem Machthöhepunkt und wehrte 1299 und 1303 persönlich die (Tschagatai-)Mongolen vor Delhi ab. Im gleichen Zeitraum fielen die Festungen der Rajputen (z.B. Chitor 1303) in seine Hände, so dass sein Eunuchen-General Malik Kafur in den Dekkan vordringen konnte. In einem beispiellosen Feldzug 1307–1311 gelang diesem die formelle Unterwerfung der dortigen Hindustaaten (z.B. der Hoysala) und der Raub immenser Reichtümer.

Innenpolitisch regierte Ala ad-Din Chaldschi mit einer Härte, die diejenige Balbans noch übertraf. Die Abwehr der Mongolen erforderte den Aufbau einer riesigen Reiterarmee, die bis zu einer halben Million Mann gezählt haben soll. Das erforderte sehr hohe Steuern, die Bauern (meist Hindus) zahlten die Hälfte der Ernte dafür und wurden so auf das absolute Existenzminimum gedrückt. (Allerdings wurden im Gegenzug zusätzliche Steuern verboten.) Die Lehen wurden beschlagnahmt und gegen feste Gehälter bei Hofe eingetauscht. Heiraten und Beziehungen zwischen den Adelsfamilien unterlagen strikter Kontrolle. Gold in Privathand wurde beschlagnahmt und Alkohol verboten.

Allerdings wurde der alte Ala ad-Din Chaldschi von Malik Kafur abhängig, welcher 1316 einen Anschlag auf seine Rivalen inszenierte, als der Sultan im Sterbebett lag. Ein verkommener Sohn Ala ad-Dins bestieg den Thron und wurde ebenfalls von einem Günstling umgebracht.

Die Tughluq-Dynastie (1320–1413)

Größte Ausdehnung des Delhi-Sultanats zu Beginn der Tughluq-Dynastie

1320 übernahm der Statthalter des Panjab, Ghiyath ad-Din Tughluq die Regierung, senkte die Steuern und förderte die Landwirtschaft, bis er samt seinem Thronfolger von einem einstürzenden Pavillon erschlagen wurde. Der Attentäter, sein eigner Sohn Muhammad ibn Tughluq (1325–1351) – hochgebildet, aber wirklichkeitsfremder Theoretiker –, wurde nun Sultan.

Muhammad Tughluqs Freigebigkeit und seine Blutvergießen werden von dem Reisenden Ibn Battuta eindringlich beschrieben. Muhammad besetzte schließlich fast ganz Indien (ohne Kaschmir, Orissa und die Südspitze des Kontinents), führte das Sultanat zum letzten Machthöhepunkt und verursachte mit seinen Fehlentscheidungen auch dessen Niedergang. So verlegte er 1327 die Hauptstadt von Delhi nach Deogir („Daulatabad“, 230 km nordöstlich von Bombay), das zwar zentral gelegen, aber kein natürliches Machtzentrum war. Die Bevölkerung Delhis wurde umgesiedelt, aber die neue Hauptstadt nach wenigen Jahren schon wieder aufgegeben. Ein Feldzug nach Tibet endete in einer Katastrophe, die Armee ging im Hochgebirge zugrunde. Als drittes wurde die Einführung einer Kupferwährung ein finanzielles Desaster. Die Währung wurde nicht kontrolliert, so dass sich jedes Haus in eine Münzstätte verwandelte.

Aufstände brachen aus und führten zur Selbständigkeit bestehender bzw. zur Bildung neuer Königreiche (z.B. 1334 Selbständigkeit von Madurai und 1338 Loslösung des Sultanats Bengalen, 1336/46 Gründung von Vijayanagar und 1345 Bildung des Bahmani-Sultanats).

Niedergang und Verfall

Auf Muhammad Tughluq folgte sein Vetter Firuz-Schah (1351–1388), der im Sinne des Islams regierte und eine Autobiographie hinterließ. Er fand sich mit der Unabhängigkeit des Dekhans ab, unternahm aber Kriegszüge gegen Bengalen, Orissa und Gudscharat/Sindh (wo der Sultan 1362 beinahe verschwunden wäre). Als Bauherr ließ Firuz-Schah Moscheen, Festungen, Kanäle und sogar eine neue Hauptstadt namens Firuzabad erbauen. Die Folter wurde abgeschafft. Die religiösen Steuern für Hindus (Dschisja) wurden nun auch von Brahmanen erhoben. Sogar die Opfer seines Vorgängers wurden nach Möglichkeit entschädigt.

Auf Firuz-Schah folgten schwache Sultane, die sich in der Hauptstadt bekämpften, bis Timur Lenk 1398 Delhi eroberte. Nach dem Massaker und den Plünderungen Timurs in Delhi erklärten auch die letzten Provinzen ihre Unabhängigkeit, sodass die Sultane nur noch die Umgebung der Großstadt kontrollierten.

Die Sayyid-Dynastie (1414–1451)

Emir Timur setzte ein neues Herrscherhaus ein, die Sayyiden.

Die Lodi-Dynastie (1451–1526)

1451 folgten die afghanischen Stammesfürsten der Lodi. Ein Wiederaufstieg des Sultanats war damit aber nicht verbunden, nur eine gewisse Stabilisierung der Verwaltung, auf der später die ersten Großmoguln aufbauen konnten.

Zuletzt verhalfen Feuerwaffen (Musketen und Kanonen) und die Überlegenheit seiner Reiterei dem Timuriden Babur in der Ersten Schlacht bei Panipat 1526 zum Sieg über Sultan Ibrahim Lodi. Babur besetzte Delhi und Agra und wurde so zum Gründer des Mogulreiches.

Siehe auch

Literatur

  • Dietmar Rothermund: Geschichte Indiens Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C.H. Beck, ISBN 3-406-47994-4.
  • Fernand Braudel: The Perspective of the World, Ausgabe III of Civilization and Capitalism. Harper & Row, 1984.
  • Elliot und Dowson: The History of India as told by its own Historians, Neu-Delhi) Neuauflage, 1990.
  • Peter Jackson: The Delhi Sultanate. A Political and Military History. Cambridge 1999.
  • R. C. Majumdar: The History and Culture of the Indian People, Volume VI, The Delhi Sultanate, Bombay 1960; Ausgabe VII, The Mughal Empire, Bombay 1973.
  • Khaliq Ahmad Nizami: Some Aspects of Religion and Politics in India in the Thirteenth Century, Neu Delhi 1961 (Überarbeitete Ausgabe, Neu-Delhi, 2002).
  • Hermann Kulke: Indische Geschichte bis 1750 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte). München 2005, ISBN 3-486-55741-6.

Weblinks


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