Tschagatai-Khanat

Tschagatai-Khanat
Das Tschagatai-Khanat um 1310

Tschagatai-Khanat war der Name eines zentralasiatischen Herrschaftsgebietes zwischen dem 13. und 16. Jahrhunderts, in dem eine Abstammungslinie der Dschingiskhaniden herrschte. Der regierende Khan hatte seine Residenz in der Stadt Almalyq, dem heutigen Kuldscha.

Dieses Gebiet war auch unter den Bezeichnungen Khanat Cayatai und Tschagatai-Ulus bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Umfang und Bevölkerung

Dieses von den Mongolen gegründete Khanat umfasste im Wesentlichen die mittelasiatischen Staaten Usbekistan und Kirgisistan im Westen und im Osten die chinesische Region Xinjiang (anfangs ohne das Gebiet der Dsungarei) und den Norden Afghanistans. Insgesamt umfasste dieses Khanat in seiner größten Ausdehnung rund 6,2 Millionen km².

Die Bevölkerung des Khanates wurde aus verschiedenen Völkern gebildet, die vor allem aus sesshaften iranischen Oasenbauern und der damals überwiegend persischsprachigen Stadtbevölkerung (Tadschiken) auf der einen und den nomadisierenden Clans diverser Turkvölker bestand. So siedelten im Osten die Karluken, Naimanen, Kirgisen und Uiguren. In der Mitte lebten die Volksstämme der Tschigil, Kimek und Türgiş. Die Steppengebiete im Westen wurden von oghusischen Clans gebildet. Auch lebten dort noch Reste der Seldschuken. Die Bevölkerung im Süden wurde aus iranischen Afghanen, Perser und Kaschmiris gebildet.

Eine Besonderheit bildeten Teile der Karakalpaken, die um den Aralsee siedelten. Im Bereich des Tschagatai-Khanates bildeten sie eine sesshafte turksprachliche Minderheit, da sie Fischer und Ackerbauern und keine Nomaden wie die sprachverwandten „Kasak-Tataren“ waren.

Geschichte

Das Khanat entstand um 1229, als der „Ulus Tschagatai“ von Tschagatai, einem Sohn Dschingis Khans begründet wurde. Diesem wurden im gleichen Jahr auf der mongolischen Fürstenversammlung große Teile der ursprünglich seinem Bruder Jochi zugesicherten Gebiete der ehemaligen „Khanate der Westlande“ an den Flüssen Syrdarja und Amudarja zugesprochen. Im Mongolischen Großreich bestand das Khanat formal als dessen Bestandteil bis 1368. Doch agierten die Fürsten in diesem äußerst autonom, die die Oberherrschaft des Groß-Khans alter Nomadentraditionen entsprechend nur lose war.

Um etwa 1346 verloren die Tschagataikhaniden die westlichen Landesteile und deren Herrschaft wurde auf den Osten beschränkt. Dieser trug nun den Namen „Moghulistan“ (Land der Mongolen). Als einheitliche Verwaltungsform bestand dieses Restkhanat noch bis etwa 1514. Im Laufe des frühen 16. Jahrhundert löste sich das Tschagatai-Khanat in einzelne Territorien auf, die jeweils ein Khan vorstand.

Das Mongolische Großreich (13./14. Jahrhundert)

Nach dem Tod Tschagatais zirka 1242 kam es unter Einmischung der jeweiligen Großkhane zu mehreren Regierungswechseln. So setzte Gujuk Khan, der Großchan (reg. 1246–1248), den Qara Hulagu ab und stattdessen seinen persönlichen Freund Yesun Möngke ein; Gujuks Rivale und Nachfolger Möngke Khan (Großchan von 1251–1259) machte es folglich umgekehrt. Arigkbugha Khan (reg. 1260–1264) setzte dann Qara Hulagus Witwe Orghina ab und Algui ein, und Kubilai Khan (reg. 1260–1294) bestätigte zwar Algui, ließ aber dessen Nachfolger Mubarak Schah durch Boraq ersetzen.

Boraq geriet jedoch in Streit mit dem Großchan (Verwaltungsfragen) und stand dann allein gegen seine Rivalen, allen voran Möngke Timur von der Goldenen Horde und Qaidu, die ihn gegen 1269 auf Mittelasien beschränkten. Boraq musste sich laut Raschid ad-Din 1269 im Kuriltai am Talas-Fluss mit Qaidu vergleichen: er schloss ein Bündnis mit ihm, das sich gegen Kubilai Khan und den Ilchan richtete und für die Politik der nächsten vierzig Jahre wegweisend sein sollte.

Mit Boraqs Tod 1271 waren die „Ögedäjiden“ unter dem Enkel Ögedäjs, Qaidu († zirka 1303) schließlich zu den wahren Herrschern des Khanates aufgestiegen. Qaidu war in dieser Zeit der Seniorpartner des Tschagatai-Khans Du'a (Sohn Boraqs, reg. 1282–1307) und ein Gegenspieler Kublai Khans. Erst 1309/10 waren die Tschagatai-Prinzen wieder die alleinigen Herren ihres Landes, nachdem Qaidus Sohn Capar (reg. 1303–1309) von Du’a und danach von Du'as Sohn Kebek mit Hilfe des Mongolenkaisers Timur (reg. 1294–1307) entmachtet wurde (1306 und 1309).

Im 14. Jh. entspannte sich auch die Beziehung zum Mongolenkaiser, nur Ayurparibhadra (reg. 1311–1320) griff 1315/16 noch einmal ein, dabei im Bündnis mit dem Ilchanat stehend. Der Khan Esen Bugha (der energische Kebek war 1310 zugunsten seines älteren Bruder abgedankt) erlitt einige schwere Niederlagen, die aber letztlich nur eine Episode blieben.

Du'as Söhne Kebek und Tarmaschirin versuchten den Staat zu festigen. Kebek (reg. 1309, 1318–1326, ermordet) berücksichtigte die Nomaden und die (von sehr hohen Steuern belasteten) Sesshaften gleichermaßen, war islamfreundlich und gründete mit Karschi eine neue Hauptstadt südwestlich von Samarkand. Er teilte das Land in territoriale Verwaltungsbezirke ein, die mit ihren Steuern den Unterhalt ansässiger Truppen finanzieren sollten. Mit diesen Maßnahmen erregte er aber bereits den Unwillen der traditionellen Mongolen, die um ihre Ungebundenheit fürchteten.

Kebeks Nachfolger Tarmaschirin (reg. 1327/31–1334) war zum Ärger der Traditionalisten ein eifriger Moslem, setzte die Jassa zugunsten der Schari'a außer Kraft und residierte ständig in Transoxanien, wohin ihm wegen der Lehenvergabe viele Mongolen folgten. Im Jahr 1334 wurde er in einem Aufstand von den Traditionalisten des Ostens (Ili-Gebiet, alte Hauptstadt Almalyq) abgesetzt und hingerichtet.

Die Folge war ein langer Bürgerkrieg mit mehreren schnellen und undurchsichtigen Machtwechseln, der das Land spaltete. Zuletzt versuchte sich Kazan, ein Enkel Du'as durch Gewaltmaßnahmen an der Macht zu halten, wurde aber 1346 durch den (Qaraunas-)Emir Kazagan besiegt und getötet. Durch die Machtübernahme des Kazagan (reg. 1346–1357) im Westteil (Buchara, Samarkand, Karschi) wurde das Tschagatai-Khanat geteilt. Die Herrschaft des Tschagatai-Klans war unter Kazagan und nachfolgenden Emiren einschließlich Timur Lenks nur noch formal, d.h. sie diente lediglich zur Legitimation dieser Emire.

Die späteren Khane in Mogulistan (14.-17. Jh.)

Die Nachfahren Tschagatais konnten sich nach 1346/47 nur im Ostteil, im sogenannten Moghulistan (Gebiet der Flüsse Ili und Tschu, Tianshan, Tarimbecken) an der Macht halten. Dort brachte die Dughlat-Familie den Prinzen Tughluk Timur (reg. 1347–1363) an die Macht, der zum Islam übertrat und das Khanat um 1360 sogar für einige Jahre wiedervereinigen konnte.

Aber auch in Mogulistan gerieten die Tschagatai durch den Aufstieg Timur Lenks (reg. 1365/70–1405) bald unter Druck: Ilias Hoja wurde um 1365 von Timur Lenk besiegt und bald darauf von den Dughlat ermordet, deren Vertreter dann noch in sämtlichen Machtkämpfen zwischen dem 14. und dem 16. Jh. eine herausragende Rolle spielen sollten. Khizr Hoja lebte bis zu seiner Machtübernahme in Verstecken bzw. auf der Flucht. Erst im Verlauf des 15. Jh. konnte sich das Tschagatai-Khanat in Mogulistan wieder stabilisieren: insbesondere Yunus Khan (reg. 1462–1487, mütterlicherseits Großvater von Babur) gilt als kultivierter und überwiegend erfolgreicher Herrscher.

Mit dem Tod von Yunus Khan spaltete sich Moghulistan in zwei Herrschaftsgebiete seiner Söhne, die aber eng miteinander verbündet blieben. Schon 1503 brachte ein Sieg Mohammed Scheibanis die Gefangennahme von Yunus Söhnen: sie gewannen ihre vorherige Machtstellung nie wieder. Die Erben des Tschagatai-Khanats wurden im 16. Jh. sukzessive die Usbeken, Kasachen und auch die Kirgisen. Trotzdem tauchen bis ins 17. Jh. hinein gelegentlich noch einige Khane aus der Nachkommenschaft des jüngeren Sohns Ahmad (gest. 1503/4 an Paralyse) auf. Der letzte ernstzunehmende Khan, Abdur Raschid, starb um 1565.

Ein gewisser Isma'il versuchte zirka 1678 die praktische Herrschaft über Kaschgarien (die in die Hände einer Familie von Hodschas gefallen war) wiederherzustellen, wurde jedoch von dem Dschungaren-Fürsten Galdan zugunsten der Hodschas abgesetzt.

Fürstenliste

  • Tschagatei († 1242)
  • Qara Hulagu (1242–1246, 1251)
  • Yesun Möngke (1246–1251)
  • Regentin Orghina (1251–1260)
  • Algui (1260–1264/6)
  • Mubarak Schah (1264/6)
  • Boraq (1266–1271)
  • Negübei, Buqa Timur unter anderem
  • Du'a (1282[1]–1307)
  • Köntschek, Taliqu
  • Kebek (1309, 1318–1326)
  • Esen Bugha (1310–1318)
  • Tarmaschirin (1327–1334)
  • Buzan (1334)
  • Dschenkschi (1334–1338)
  • Yesun Timur (1338–1340)
  • Ali Sultan[2]; Muhammed
  • Kazan (1330er/1343–1346)
  • [Bayan Kuli (1348-58) und andere Marionettenherrscher]

ab 1346/47 nur in Moghulistan:

  • Tughluk Timur (1347–1363)
  • Ilias Hoja (1363 – zirka 1369)
  • [Prätendent: Qamar ad-Din (zirka 1369–1390, Dughlat-Familie)]
  • Khizr Hoja (1389–1399)
  • Shams-i Jahan (zirka 1399–1408)
  • Muhammed Khan (1408-1416)
  • Naksh-i Jahan (1416-1418)
  • Vais Khan (1418–1428)
  • Satuq Khan, ein Marionettenherrscher Ulugh Begs (1428-1434)
  • Esen Bugha (1428/34–1462)
  • Dost Muhammad (1462-1469)
  • Yunus (1462–1487)
  • Ahmad (–1503, in Aksu) und Mahmud (–1508, in Taschkent)
  • Mansur Khan (zirka 1503–1514 bzw. –1543/5 Teilherrscher in Ili-Region)
  • Said Khan (zirka 1514–1533, Teilherrscher in Kaschgar)
  • Abdur Raschid (zirka 1533–1565, Teilherrscher in Kaschgar)
  • diverse unbedeutende Herrscher bis Ende des 17. Jh.

Anmerkungen

  1. Du'a wurde nach den Angaben bei Biran: Qaidu, S. 33,41 um 1282 als Khan eingesetzt.
  2. Ali Sultan (reg. um 1340) stammte Abulghazi zufolge aus dem Haus Ögedeis.

Literatur

  • Fischer Weltgeschichte. Bd. 16: Zentralasien.
  • Rene Grousset: Die Steppenvölker. Essen 1975.
  • Tilman Nagel: Timur der Eroberer und die islamische Welt des späten Mittelalters. München 1993, ISBN 3-406-37171-X.
  • The Chagatai Khanate. In: The Islamic World to 1600. The Applied History Research Group, University of Calgary, abgerufen am 1. Februar 2010.
  • Michael Biran: Qaidu and the Rise of the Independent Mongol State in Central Asia. The Curzon Press, 1997, ISBN 0-7007-0631-3.
  • Raschid ed Din: The successors of Genghis Khan. New York 1971 (übersetzt von John Andrew Boyle).
  • Klaus Lech: Das mongolische Weltreich, Al-'Umari's Darstellung der mongolischen Reiche. Wiesbaden 1968, ISBN 3-447-00119-4.
  • Weiers, Michael: Geschichte der Mongolen, Stuttgart 2004

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