Supranaturalismus

Supranaturalismus

Supranaturalismus (von lat. supra „über“; natura „Natur“) ist die Annahme einer Existenz von Übernatürlichem, das heißt von Strukturen oder Objekten, die nicht Teil der sichtbaren Welt der Dinge sind, sondern dieser zugrunde liegen oder sie überschreiten. In etwa diesem Sinne hat neben anderen auch Immanuel Kant den Ausdruck prominent verwendet, meint damit spezifisch aber vor allem, dass die genannte Voraussetzung ein erkenntnistheoretisches Fundament darstellt. Im (protestantischen) Christentum wird mit Supranaturalismus im engeren Sinne die Annahme einer göttlichen Offenbarung gemeint, deren Gehalt nicht durch natürliche Vernunft einsichtig ist.

Inhaltsverzeichnis

Christlicher Supranaturalismus

In der Protestantischen Theologie nach Julius Wegscheider ist Supranaturalismus „die Denkart, nach welcher man eine von Gott unmittelbar und übernatürlich mitgeteilte Erkenntnis glaubt, die als solche schlechthin über die Vernunft erhaben ist“, wozu auch der Glaube an eine übernatürliche Offenbarung gehört. In der Begründung wird an dieser Stelle dann gern auf Immanuel Kant verwiesen, der der menschlichen Vernunft die Möglichkeit abspricht, bezüglich der Mitteilung Gottes zu Erkenntnissen zu gelangen. Christus wird hiernach als der Garant der göttlichen Autorität der Schrift gesehen, die aber dennoch im rationalistischen Sinn ausgelegt wird.

Geschichtlich hat der (protestantische) Supranaturalismus seine Wurzeln in Württemberg, wo die Universität Tübingen nahezu frei von Rationalismus bleibt. Die ältere supranaturalistische Tübinger Schule ist mit dem Namen Gottlob Christian Storr (1746–1805) verbunden. Weitere Tübinger Vertreter sind die Brüder Johann Friedrich Flatt und Carl Christian von Flatt, Nathanael Friedrich von Köstlin, Friedrich Gottlieb Süskind und Friedrich Steudel. In Norddeutschland ist der Dresdner Oberhofprediger Franz Volkmar Reinhard (1753–1812) zu nennen. Zur Norddeutschen Gruppe gehören auch Georg Christian Knapp, Johann August Heinrich Tittmann, Johann Friedrich Kleuker und Ernst Sartorius.

Rationalistischer Supranaturalismus

Zwischen Rationalismus und Supranaturalismus vermittelnd steht der so genannte rationalistische Supranaturalismus (auch: supranaturalistischer Rationalismus), mit dem die trotz gegenseitiger Polemik enge Verwandtschaft zwischen Supranaturalismus und Rationalismus explizit wird – zumal die eigentlichen Gegensätze im Supranaturalismus vs. Naturalismus und im Rationalismus vs. Irrationalismus zu liegen hätten. Das Christentum gilt dabei zunächst als Vernunftreligion. Ihr Ursprung aber liegt in der unmittelbaren göttlichen Offenbarung, deren Sinn erzieherisch verstanden wird. Der rationale Supranaturalismus zieht so konservative Kräfte an und trägt maßgeblich zur Überwindung des Rationalismus bei.

Diese Position wird vor allem von Gottlieb Jacob Planck (1751–1833) und Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) (später in Göttingen) vertreten. Weitere Vertreter sind neben anderen Karl Friedrich Stäudlin, Ernst Gottlieb Bengel, Christoph Friedrich Ammon, Karl Ludwig Nitzsch, Heinrich Gottlieb Tzschirner und Karl Gottlieb Bretschneider.

Siehe auch

Literatur

  • s.v., in: H. Kuhn, S. Otto und H. Fries (Hgg.): Handbuch theologischer Grundbegriffe, München 1962–63, 2:211–21
  • Art. Natur und Gnade, in: Lexikon für Theologie und Kirche
  • Abrams, Meyer Howard. Natural Supernaturalism: Tradition and Revolution in Romantic Literature, New York: Norton, 1971.
  • Beauchesne, Richard J: The supernatural existential as desire : Karl Rahner and Emmanuel Levinas revisited, in: Église et théolgoie (Ottawa) 23 (1992), S. 221–239
  • Deneffe, A.: Geschichte des Wortes ,supernaturalis‘: Zeitschrift für Katholische Theologie 46 (1922) 337–360
  • Denzinger-Hünermann: 3004b, 3005
  • Figura, Michael: Artikel Übernatürlich, I. Begriffsgeschichte", in: Lexikon für Theologie und Kirche 3. A., Bd. 10, 336–338
  • Forrest, Peter: God without the Supernatural: A Defense of Scientific Theism. Cornell Studies in the Philosophy of Religion. Ithaca, New York: Cornell University Press, 1996.
  • Griffin, David Ray: Reenchantment Without Supernaturalism: A Process Philosophy of Religion, Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 2001.
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  • Kenny, J.P.: Reflections on human nature and the supernatural, in: Theological studies 14 (1953), S. 280–287
  • Kremer, K: Art. hyperphysisch, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie
  • Lonergan, Bernard J.: De ente supernaturali
  • Lubac, Henri de: Remarques sur l’histoire du mot surnaturel, Nouvelle revue théolgique 61 (1934) 225–49, 350–70
  • Lubac, Henri de: Le Mystère du Surnaturel. Paris: Editions Montaigne, 1965. Übers.: The Mystery of the Supernatural, übers. Rosemary Sheed. New York: Crossroad, 1998.
  • Lubac, Henri de: Surnaturel: Etudes Historiques. Paris: Aubier, 1946.
  • Nicolas, J.-H.: Les rapports entre la nature et le surnaturel dans les debats contemporains, in: Revue Thom. 95 (1995) 399–416
  • Peters, F. H.: Neurophenomenology of the supernatural sense in religion, in: Method and theory in the study of religion 16 (2004) 122–148;
  • Rahner, Karl: Schriften zur Theologie, Einsiedeln 1954ff, Bd. 1, 347–75
  • Riplinger, T.: The Psychology of Natural and Supernatural Knowledge According to St. Thomas Aquinas, Tübingen 2003
  • Saler, Benson: Supernatural as a Western Category, in: Ethos 5/1 (1977), 31–53.
  • Stebbins, J. Michael: Bernard Lonergan's early theology of grace : A commentary on "De ente supernaturali", Boston College Ph.D. 1990
  • Vanneste, A.: Nature et grace dans la theologie occidentale, Leuven 1996, 161-183.
  • Ward, Graham: Art. Supernaturalism, in: Encyclopedia of Science and Religion, 846–848
  • Joachim Weinhardt: Supranaturalismus. In: TRE. 32, 2001, S. 467–472 ([1]).

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