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Der österreichische Verfassungsgerichtshof (Abkürzung VfGH, in Deutschland bisweilen auch VerfGH) ist ein Gerichtshof des öffentlichen Rechts mit Sitz in Wien. Er ist als einzige in Österreich zur Ausübung der Verfassungsgerichtsbarkeit berufene Institution eine der wichtigsten Einrichtungen im Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung.
Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes werden im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) abschließend geregelt, die Organisation und das Verfahren dagegen nur in ihren Grundzügen. Nähere Regelungen enthalten das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und eine vom Verfassungsgerichtshof auf seiner Grundlage erlassene Geschäftsordnung.
Inhaltsverzeichnis
Historische Entwicklung
Der Verfassungsgerichtshof wurde mit Gesetz vom 25. Jänner 1919 gegründet und übernahm zunächst jene Kompetenzen, die in der Monarchie das Reichsgericht wahrgenommen hatte, sowie wenig später auch die Kompetenzen des ehemaligen Staatsgerichtshofes. Mit dem Bundes-Verfassungsgesetz 1920 wurden seine Kompetenzen bedeutend vermehrt, u.a. wurde er zur Normenkontrolle ermächtigt; maßgeblich an diesen Reformen war Hans Kelsen beteiligt. Im Zuge des Staatsstreiches von 1933 wurde auch der VfGH lahmgelegt, noch bevor er den neuen, autoritären Kurs der Regierung überprüfen konnte; die formelle Auflösung erfolgte mit Inkrafttreten der Maiverfassung 1934. Im Oktober 1945 wurde der Verfassungsgerichtshof wieder errichtet.
Organisation
Der Verfassungsgerichtshof besteht aus:
- einem Präsidenten (derzeit Gerhart Holzinger, seit 2008)[1][2]
- einem Vizepräsidenten (derzeit Brigitte Bierlein, seit 2003)
- zwölf weiteren Mitgliedern, und zwar derzeit:
- Karl Spielbüchler (seit 1976)
- Kurt Heller (seit 1979)
- Peter Oberndorfer (seit 1987)
- Lisbeth Lass (seit 1994)
- Helmut Hörtenhuber (seit 2008)[3]
- Willibald Liehr (seit 1996)
- Eleonore Berchtold-Ostermann (seit 1997)
- Rudolf Müller (seit 1998)
- Claudia Kahr (seit 1999)
- Hans Georg Ruppe (seit 1999)
- Herbert Haller (seit 2003)
- Christoph Grabenwarter (seit 2005)
- sechs Ersatzmitgliedern, derzeit:
- Gabriele Kucsko-Stadlmayer (seit 1995)
- Lilian Hofmeister (seit 1998)
- Heinz Schäffer (seit 1999)
- Robert Schick (seit 1999)
- Irmgard Griss (seit 2008)
- Johannes Hengstschläger (seit 2008)
Mitglied oder Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes kann nur werden, wer das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und mindestens zehn Jahre einen einschlägigen Beruf (z. B. Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Universitätsprofessor) ausgeübt hat. Die Ernennung erfolgt durch den Bundespräsidenten, wobei dieser an die Vorschläge bestimmter anderer Staatsorgane gebunden ist:
- Der Präsident, der Vizepräsident, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder werden von der Bundesregierung vorgeschlagen.
- Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder werden vom Nationalrat vorgeschlagen.
- Drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied werden vom Bundesrat vorgeschlagen.
Bestimmte (politische) Staatsfunktionen schließen eine Mitgliedschaft oder Ersatzmitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof aus (Inkompatibilität; siehe näher Artikel 147 B-VG).
Anders als die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes keine Berufsrichter, sondern üben ihre Funktion als "Nebenamt" aus, sind dabei aber an keine Weisungen gebunden. Die Mitglieder erhalten für die Ausübung ihrer Funktion monatliche Bezüge. Die Amtszeit der Mitglieder und Ersatzmitglieder endet mit Ablauf des Jahres, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendet haben.
Im Gegensatz zum deutschen Bundesverfassungsgericht entscheidet der Verfassungsgerichtshof immer im Plenum aller 14 Mitglieder (wobei in der Praxis allerdings nur selten alle Mitglieder anwesend sind). Für die Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden (also des Präsidenten oder Vizepräsidenten) und mindestens acht stimmführender Mitglieder erforderlich, in bestimmten Fällen (sogenannter „Kleiner Senat“) genügt auch die Anwesenheit von vier stimmführenden Mitgliedern. Beschlüsse werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, wobei der Vorsitzende grundsätzlich nicht mitstimmt; dieser gibt seine Stimme nur bei Stimmengleichheit ab und gibt dadurch den Ausschlag (sogenanntes Dirimierungsrecht).
Die Angelegenheiten der Justizverwaltung des Verfassungsgerichtshofes werden vom Präsidenten besorgt.
Präsidenten
- 1946: Ernst Durig
- 1946 - 1955: Ludwig Adamovich sen.
- 1956 - 1957: Gustav Zigeuner
- 1958 - 1977: Walter Antoniolli
- 1977 - 1983: Erwin Melichar
- 1984 - 2002: Ludwig Adamovich jun.
- 2002 - 2008: Karl Korinek
- 2008 - : Gerhart Holzinger
Kompetenzen
Dem Verfassungsgerichtshof kommen im Einzelnen folgende Kompetenzen zu:
Normenkontrolle
Die Normenkontrolle oder Verfassungsgerichtsbarkeit im engeren Sinne umfasst die:
- Gesetzesprüfung (Art. 140 B-VG)
- Verordnungsprüfung (Art. 139 B-VG)
- Staatsvertragsprüfung (Art. 140a B-VG)
- Wiederverlautbarungsprüfung (Art. 139a B-VG)
- Gliedstaatsvertragsprüfung sowie Streitigkeiten aus solchen Verträgen (Art. 138a B-VG)
Wahlgerichtsbarkeit
Gemäß Art. 141 B-VG in Verbindung mit §§ 67 bis 71a VerfassungsgerichtshofG entscheidet der VfGH über die Anfechtung bestimmter Wahlen wegen deren behaupteter Rechtswidrigkeit. Der VfGH hat einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn
- die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und
- auf das Wahlergebnis von Einfluss war.
Die Anfechtung muss sich auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Wahl gründen. Der Begriff der Rechtswidrigkeit umfasst:[4]
- gesetzwidrige Handlungen und Entscheidungen der Wahlbehörde (zB das Fehlen einer Wahlzelle). Die Bestimmungen der Wahlordnungen (zB der NRWO) sind streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; die Wahlbehörden sind durch die Formalvorschriften streng gebunden.[5] Auf diese Weise kann somit eine Verletzung von Wahlrechtsgrundsätzen geltend gemacht werden.
- Rechtswidrigkeiten der von den Behörden angewendeten Rechtsgrundlagen. So wurde etwa von der KPÖ die Nationalratswahl 2006 – im Ergebnis erfolglos – mit der Behauptung angefochten, die 4 %-Hürde (§§ 100, 107 NRWO) sei verfassungswidrig.[6]
Folgende Wahlen können angefochten werden (Art 141 Abs 1 B-VG):
- Wahl des Bundespräsidenten,
- Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern (Nationalrat, Bundesrat, Landtage, Gemeinderäte, Bezirksvertretungen in Wien),
- Wahlen zum Europäischen Parlament,
- Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen,
- Wahlen in die Landesregierung,
- Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (Buergermeister, Gemeindevorstand, Bezirksvorsteher, nicht aber Vorsitzender der Bezirksvertretung in Wien).
Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit
In Ausübung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 144 B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid
- in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder
- wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung,
- einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrag),
- eines verfassungswidrigen Gesetzes,
- eines rechtswidrigen Staatsvertrages
in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Wenn gegen einen Bescheid sowohl vor dem Verwaltungs- und dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde geführt wird, so entscheidet zuerst der Verfassungsgerichtshof. Hebt dieser den Bescheid nicht auf, so hat er gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Prüfung abzutreten.
Kompetenzgerichtsbarkeit und Kompetenzfeststellungen
- Entscheidung von Kompetenzkonflikten in der Vollziehung und zwar zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit und zwischen Bund und Ländern (Art. 138 Abs 1 B-VG)
- Entscheidung, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt (Art. 138 Abs 2 B-VG)
- Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes oder einer dem Rechnungshof gleichartigen Einrichtung eines Landes regeln (Art. 126a und Art. 127c B-VG)
- Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft oder eines Landesvolksanwalts regeln (Art. 148f und Vorlage:Art B-VG)
Sonstige Kompetenzen
- Kausalgerichtsbarkeit (Art. 137 B-VG) Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber Gebietskörperschaften, wenn dafür nicht die Kompetenz der ordentlichen Gerichte (z.B. Amtshaftung oder zivilrechtliche Ansprüche) oder einer Verwaltungsbehörde gegeben ist.
- Staatsgerichtsbarkeit (Art. 142 und Art. 143 B-VG) Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über die Anklage von obersten Organen des Bundes oder der Länder wegen Verletzung der Bundesverfassung. Die Möglichen Sanktionen reichen von einer Ermahnung bis hin zur Amtsenthebung und dem zeitlich befristeten Entzug der politischen Rechte. Wird durch die Verletzung der Bundesverfassung auch ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt, dann hat der VfGH auch über die strafrechtliche Verurteilung zu entscheiden.
- Völkerrechtsgerichtsbarkeit (diese in Art. 145 B-VG projektierte Kompetenz kann mangels entsprechendem Ausführungsgesetz nicht ausgeübt werden)
Verfahren
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und in der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes näher geregelt. Subsidiär (ersatzweise) kommt die Zivilprozeßordnung (ZPO) zur Anwendung.
Weblinks
Referenzen
- ↑ ORF: Korinek-Ablöse: Holzinger als VfGH-Präsident angelobt
- ↑ Der Standard: Holzinger als VfGH-Präsident angelobt
- ↑ Presseaussendung des VfGH
- ↑ Theo Öhlinger, Verfassungsrecht, 6. Auflage 2005, Rz 1043.
- ↑ VfGH Slg. 15.375/1998
- ↑ VfGH Slg. 18.036/2006
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