Kärntner Ortstafelkonflikt

Kärntner Ortstafelkonflikt
Zweisprachige Ortstafel in Kärnten

Als Ortstafelstreit wird umgangssprachlich eine andauernde jahrzehntelange Kontroverse um zweisprachige (Deutsch/Slowenisch) topographische Aufschriften (Ortstafeln und Wegweiser) in einem Teil des österreichischen Bundeslandes Kärnten bezeichnet. Die betreffenden Ortstafeln sind der slowenischen Minderheit verfassungsmäßig garantiert, wurden und werden aber von Kärntner Abwehrkämpferbund und Regionalpolitikern wie dem verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider unter Berufung auf den angeblichen Mehrheitswillen verhindert.

Inhaltsverzeichnis

Historische Entwicklung

Gebiete mit slowenischer Bevölkerung (1971):[1]
██ 5-10%
██ 10-20%
██ 20-30%
██ >30%

Die Zweisprachigkeit Kärntens geht historisch auf die Zeit der Völkerwanderung zurück. Ab dem 7. Jahrhundert drängten Franken und Baiern die im Alpenraum (Westgrenze: Toblacher Feld, Traunviertel) ansässigen Slawen nach Südkärnten zurück. Noch nach dem Ersten Weltkrieg war dort mehr als die Hälfte der Bevölkerung slowenischsprachig. (Genaueres: siehe Geschichte Kärntens)

Dieses Neben- und Miteinander zweier unterschiedlicher Sprachen verlief weitgehend problemfrei bis zum Aufkommen des Nationalismus. So liegt die Wurzel des Ortstafelstreits im Zerfall Österreich-Ungarns nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Die Südslawen schlossen sich zum sogenannten SHS-Staat (Königreich der Slowenen, Kroaten und Serben) zusammen, während Kärnten Bundesland der neuerstandenen Republik Österreich blieb. Mit dem Verweis auf die slowenischsprachige Bevölkerungsmehrheit im Süden Kärntens besetzten SHS-Truppen diese Landesteile mit dem Ziel sie dem SHS-Staat anzugliedern. Bei den folgenden Grenzkämpfen („Kärntner Abwehrkampf“ aus deutsch-österreichischer, „Kampf um die Nordgrenze“ aus slowenisch-jugoslawischer Sicht) lieferten sich bewaffnete Freiwillige unter der Führung des später hochrangigen Nationalsozialisten Hans Steinacher („Sieg in deutscher Nacht“) blutige Kämpfe mit slowenischen Freiwilligenverbänden und SHS-Truppen. Diese Kämpfe zogen schließlich die Aufmerksamkeit der Siegermächte auf sich, welche zur friedlichen Klärung der Situation eine Volksabstimmung durchführen ließen. Die Abstimmung wurde am 10. Oktober 1920 durchgeführt und endete trotz einer slowenischsprachigen Bevölkerungsmehrheit im Abstimmungsgebiet Zone A mit einem mehrheitlichen Votum (ca. 60 %) gegen eine Teilung Kärntens und für einen Verbleib bei der Republik Österreich. Zuvor hatte die Kärntner Landesregierung den slowenischsprachigen Kärntnern zahlreiche Versprechungen gemacht, um sie für eine Abstimmung Pro-Österreich zu animieren (siehe Volksabstimmung 1920 in Kärnten).

Das Zusammenleben der beiden Sprachgruppen verlief danach auch in der Zwischenkriegszeit weitgehend unproblematisch. Erst im Zuge des Zweiten Weltkrieges kam es wieder zu Spannungen. So sah die Arisierungspolitik der Nationalsozialisten einen Bevölkerungsaustausch vor. Es war geplant, die Kärntner Slowenen nach Süden abzusiedeln und im Gegenzug Volksdeutsche aus Jugoslawien anzusiedeln. Folglich wurden im April 1942 auf Himmlers Befehl, unter der Leitung von Alois Maier-Kaibitsch 1.097 Kärntner Slowenen (221 Familien) ins Deutsche Reich deportiert. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges waren es dann vor allem Vergeltungsaktionen der in Kärnten besonders aktiven Partisanen, welche zu Misstrauen bei der deutschsprachigen Bevölkerung führten. So wurden zahlreiche deutschsprachige Kärntner in den letzten Kriegstagen und auch noch in den Monaten danach von Partisanen verschleppt und ermordet. Weiters versuchten jugoslawische Truppen erneut, die slowenischsprachigen Teile Kärntens für Jugoslawien zu beanspruchen und besetzten unter anderem kurzfristig auch wieder die Landeshauptstadt Klagenfurt. Sie mussten dann aber vor allem unter Druck der Briten, welche Kärnten als Besatzungsmacht verwalteten, abziehen.

Doch auch trotz dieser problematischen Zäsur waren die folgenden 50er und 60er Jahre weitgehend konfliktfrei. Einerseits konzentrierten sich beide Sprachgruppen in erster Linie auf den Wiederaufbau, andererseits wurden aber auch viele für die slowenischsprachige Minderheit wichtige Vorhaben umgesetzt (zahlreiche zweisprachige Kindergärten und Volksschulen, zweisprachiges Gymnasium, slowenischsprachige Radio- und TV-Sendungen usw.). Nur das Ortstafelthema blieb weitgehend ausgespart.

Das Klima verschärfte sich erst in den 1970er Jahren, vor allem vor den 50-Jahr-Feiern zur Kärntner Volksabstimmung fanden wiederholt Aktionen gegen deutschsprachige Ortstafeln statt. Teilweise wurden die deutschsprachigen Bezeichnungen überschmiert oder durch die slowenische Bezeichnung ergänzt (so zum Beispiel in Klagenfurt und Hermagor). Am 6. Juli 1972 beschloss der Nationalrat gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ, das „Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen über die Anbringung von zweisprachigen topographischen Bezeichnungen und Aufschriften in den Gebieten Kärntens mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung getroffen werden.“ Am 20. September 1972 ließ Bundeskanzler Bruno Kreisky die ersten von insgesamt 205 zweisprachigen Ortstafeln aufstellen. Im Laufe des so genannten Ortstafelsturms wurden dann teilweise vor laufender Kamera und in einigen Fällen auch in Anwesenheit der Polizei über ganz Südkärnten zweisprachige Aufschriften abmontiert oder zerstört. Die heftige Reaktion von Teilen der Bevölkerung führte zum Rücktritt des damaligen Landeshauptmannes Hans Sima und zur Gründung der so genannten Ortstafelkommission.

Im Juli 1976 verabschiedete der Nationalrat das Volksgruppengesetz und die Novelle zum Volkszählungsgesetz, wodurch die Voraussetzungen für die geheime Erhebung der Muttersprache geschaffen wurden. Diese (teilweise umstrittene) Volkszählung, die von vielen Kärntner Slowenen boykottiert wurde, fand am 14. November 1976 statt. In verschiedenen Gemeinden wurde die Durchführung erheblich behindert. Dazu gehörten Besetzung von Wahlzellen, Raub und Verbrennung der Wahlurne in der Gemeinde Zell. Trotzdem lag die Beteiligung bei ca. 87%. Um den teilweisen Boykott der Erhebung auszugleichen, wurden „Ungültige“, „Andere“ und „nicht abgegebene Stimmen“ auf Basis der durchschnittlichen Beteiligung zum Teil der slowenischen Minderheit zugerechnet.

In der Folge schlugen die Kärntner Parteien vor, in 10 Gemeinden (inklusive der Gemeinde Zell (ohne Ergebnis)) zweisprachige Ortstafeln anzubringen, was in der Topographieverordnung von 1977 so vorgesehen wurde. Von den sich daraus ergebenden 91 Ortstafeln sind bisher 77 errichtet.

Auch die Definition des windischen Dialekts (laut Volkszählung 2001: 567) sorgt immer wieder für Konflikte. So sehen slowenischsprachige Kärntner das Windische lediglich als slowenischen Dialekt und zählen die Windischsprachigen zu ihrer Sprachgruppe hinzu, während die Windischsprachigen bei den Volkszählungen bewusst „windisch“ und nicht „slowenisch“ als Umgangssprache angeben, um nicht als slowenischsprachige Kärntner gezählt zu werden.

21. Jahrhundert

Am 29. April 2005 verkündete der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ein Zwischenergebnis der fünften Konsenskonferenz zur Beilegung des Streites: Die 20 seit 1977 ausständigen Ortstafeln sollen bis zum 26. Oktober 2005 angebracht werden. Landeshauptmann Jörg Haider wies den Wunsch nach etwa 150 weiteren Ortstafeln (in Orten mit über 10% Slowenenanteil) mit Hinweis auf die „Interessen der Mehrheit“ zurück.

Die Kärntner FPÖ bezeichnet bereits Haiders Zustimmung in der Konsenskonferenz als „Verrat an der Kärntner Bevölkerung“.

Während Bundespräsident Heinz Fischer die zweisprachigen Ortstafeln als Zeichen sieht, dass hier eine respektierte Minderheit lebt, wollte Jörg Haider diese Ortstafeln nur nach einer geheimen Volkszählung mit Erhebung der Muttersprache aufstellen.

Am 12. Mai 2005 wurden, noch rechtzeitig vor dem 50. Jubiläum des Staatsvertrages am 15. Mai 2005 und teilweise unter Anwesenheit ranghoher Politiker (Bundeskanzler Schüssel, Landeshauptmann Haider u. a.), seit langer Zeit wieder fünf zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufgestellt, wobei in einem Ort Proteste angesagt wurden, so dass man auf Feierlichkeiten verzichtete. In der darauffolgenden Nacht wurden zwei installierte Ortstafeln beschädigt. Folgende zweisprachige Ortstafeln wurden aufgestellt:

  • Schwabegg (Žvabek) in der Gemeinde Neuhaus (Suha) – nach Protesten fand hier keine Feier statt. Diese zweisprachige Tafel wurde im November 2006 wieder abmontiert.
  • Windisch Bleiberg (Slovenji Plajberk) in der Gemeinde Ferlach (Borovlje)
  • Bach (Potok), Edling (Kajzaze) und Niederdörfl (Spodnja Vesca) in der Gemeinde Ludmannsdorf (Bilčovs)

Nachdem in Gesprächen über weitere Tafeln zwischen den betroffenen Volksgruppen keine Einigung getroffen werden konnte, haben der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider und sein damaliger Stellvertreter Peter Ambrozy (SPÖ) im Juni 2005 die Entscheidung wieder an die Bundesregierung delegiert. Die Bundesregierung kann eine neue Topographieverordnung nur einstimmig beschließen; allgemein wurde angenommen, dass die BZÖ-Minister einer Topographieverordnung, in der mehr zweisprachige Ortstafeln als bisher verordnet würden, nicht zustimmen würden.

Im Jänner 2006 erklärte Landeshauptmann Haider in einem ORF-Interview, um den Spruch des Verfassungsgerichtshofes nicht umsetzen zu müssen, die betroffenen Ortstafeln um einige Meter versetzen zu wollen und damit das Erkenntnis unwirksam und obsolet werden zu lassen. Dieses Vorhaben wurde am 8. Februar 2006 unter großer Medienpräsenz tatsächlich umgesetzt. Haider begründete seine Vorgehensweise damit, dass seiner Auffassung nach der Verfassungsgerichtshof seine Kompetenzen überschritten habe. Außerdem erklärte er den Widerstand gegen zweisprachige Ortstafeln als Reaktion auf den „ständigen Versuch der Slowenen in den letzten Jahrzehnten, sich […] einen Teil Kärntens einzuverleiben.“ Die Republik Slowenien wies den Vorwurf, territoriale Ansprüche auf Unterkärnten geltend zu machen, zurück. Das Versetzen der Ortstafel wurde mit einem Erkenntnis des VfGH vom 26. Juni 2006 für rechtswidrig erklärt. Haider erklärte in einer ersten Reaktion darauf, in diesen Orten überhaupt keine Ortstafeln mehr setzen zu wollen.

Am 11. Mai 2006 wurde eine Verordnung in Begutachtung geschickt, welche ab 1. Juli 2006 in Kraft treten soll und die Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln bis Ende 2009 vorsieht.

Konkret erklärte der Verfassungsgerichtshof am 26. Juni 2006 einsprachige Ortstafeln in Bleiburg (Pliberk) und Bleiburg-Ebersdorf für verfassungswidrig.[2] Daraufhin kündigte Jörg Haider an, in diesen Ortschaften die Ortstafeln komplett abmontieren und durch 50km/h-Geschwindigkeitsbeschränkungsschilder ersetzen zu wollen. Verschiedene Verfassungsrechtler erklärten eine solche Vorgehensweise für ungesetzlich, da durch Ortstafeln nicht nur Geschwindigkeitsbegrenzungen geregelt sind.

Am 29. Juni 2006 gab Landeshauptmann Haider bekannt, dass die Regierungsparteien BZÖ und ÖVP in der Ortstafelfrage eine Einigung erzielen konnten: Demnach sollten bis 2009 zweisprachige Ortstafeln in Ortschaften mit mehr als 10 % slowenischsprachiger Bevölkerung angebracht werden, die in Gemeinden mit mehr als 15 % slowenischsprachiger Bevölkerung liegen. Insgesamt sollte es dann in 141 Kärntner Orten zweisprachige Ortstafeln geben. Um diese Einigung auch verfassungsrechtlich abzusichern, war die Zustimmung der SPÖ notwendig. Die SPÖ hatte ihre Zustimmung von der Zustimmung des „Zentralverbandes der Kärntner Slowenen“ abhängig gemacht. Dieser hatte der ursprünglichen Fassung des Ortstafelkompromisses (im Gegensatz zum „Zentralrat der Kärntner Slowenen“) auch zugestimmt. Diese Initiative scheiterte schließlich an der sogenannten „Öffnungsklausel“ welche die Regelungen für weitere über die im Kompromiss festgeschriebenen Ortstafeln enthielt. Landeshauptmann Haider hatte diese Öffnungsklausel umändern lassen, die SPÖ sowie der Zentralrat der Kärntner Slowenen wollte jedoch lediglich der ursprünglichen Fassung zustimmen.

Ab dem 25. August 2006 gab es eine neue Entwicklung im Ortstafelstreit. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider begann unter großem Medieninteresse [3] alle zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten wieder in einsprachige zu verwandeln. Das Volksgruppengesetz soll durch slowenischsprachige Zusatztafeln wesentlich kleineren Formates, die unter die eigentliche Ortstafel gehängt werden, erfüllt werden. Allerdings ist die Schrift auf diesen Zusatztafeln kleiner als auf den „normalen“ deutschsprachigen Ortstafeln und sie haben nicht das übliche Layout einer Ortstafel, da ihnen die blaue Umrandung fehlt. Als Grund für diese „Kompromisslösung“ führte Haider an, dass die StVO keine „verwirrenden oder überfüllten Bezeichnungen“ auf den Ortstafeln dulde. O-Ton Haider: „Ich denke, dass die Mehrheitsbevölkerung gut damit leben kann, ich denke, dass vor allem der Autofahrer damit gut leben kann, dass er auch in Kärnten eine einheitliche Beschilderung vorfindet. Ich denke, dass die Volksgruppe damit leben kann, dass sie ein Extraschildchen bekommt, das sozusagen auch ihre Bedeutung unterstreicht.“

Das Bundeskanzleramt ist hingegen nach einer ersten Prüfung zu der Einschätzung gekommen, dass die neue Form der Ortstafeln nicht korrekt sei, da das Volksgruppengesetz zur Aufstellung zweisprachiger topographischer Bezeichnungen verpflichte, wobei dies in „einer gleichrangigen, nicht-diskriminierenden Form zum Ausdruck gebracht werden muss“ (Siehe dazu auch das Bild aus der vierten Quelle). [4] Diese Gleichrangigkeit ergäbe sich auch aus der Topographieverordnung-Kärnten.

Auch der Verfassungsgerichtshof äußerte sich kritisch zu Haiders Aktion: „Diese Vorgangsweise spricht für sich selbst und wird daher vom VfGH nicht kommentiert“, ließ VfGH-Sprecher Christian Neuwirth Kritik durchblicken.

Von den anderen Parteien wurde der Vorstoß Haiders allgemein abgelehnt und als „Wahlkampfgag“ bezeichnet.[5] Die Reaktionen reichten von „Bocksprünge des Landeshauptmanns“ (SPÖ) und „Fasching im August“ (FPÖ) über „einen neuen Ortstafelsturm“ (ÖVP) bis zu einem „Es reicht einmal, Politiker müssen sich an Gesetze halten“ (Grüne). Auch die Vertreter der slowenischen Minderheit kritisierten das Vorgehen Haiders scharf. Sie sprachen von einem Verstoß gegen die europäischen Minderheitenstandards, der den sozialen Frieden gefährde, und forderten die Staatsanwaltschaft auf gegen Haider und Dörfler wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauchs zu ermitteln.

Verfassungsrechtler bezeichneten die Begründung Haiders, dass zweisprachige Ortstafeln laut Straßenverkehrsordnung (StVO) „verwirrend“ oder „überfüllt“ seien, als „Unsinn“. Außerdem sei der Staatsvertrag, also die Bundesregierung, maßgeblich für die Ausgestaltung der Ortsschilder, wenn diese Minderheitenrechte betreffe, da die StVO nur die Frage regle, wo die Ortstafeln aufzustellen seien, sich jedoch nicht ausdrücklich zu sprachlichen Regelungen äußere. Deswegen hätte die Bundesregierung in diesem Fall die Kompetenz, über die Gestaltung der Ortstafeln zu entscheiden, und entsprechend müsse sich das Land Kärnten danach richten.

Anfang Februar 2007 leitete die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Vorerhebungen gegen den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs ein[6]. Am 22. Februar 2007 wurden die Ortstafeln in Bleiburg und Ebersdorf wieder umgestaltet. Die kleinen Zusatzschilder mit der slowenischen Bezeichnung der Orte wurden abmontiert und auf der Ortstafel selbst in deren unteren Hälfte innerhalb der blauen Umrandung aufmontiert[7].

Bundeskanzler Gusenbauer ließ Mitte 2007 mit seiner Aussage „… entweder gibt es bis 28. Juni 2007 eine Lösung … sonst nimmt der Rechtsstaat seinen Lauf …“ aufhorchen. Er verkündete, dass er zwar einen breiten Konsens anstrebe, eine Zustimmung des Kärntner Landeshauptmannes sei aber nicht notwendig [8]. Eine Lösung dieses Konflikts war allerdings auch zu genanntem Termin nicht greifbar. Vielmehr soll im Herbst 2007 dieses Thema neu aufgewärmt werden. Gibt es dann auch keinen Konsens, dann wird der unrechtmäßige Zustand, zumindest bis Neuwahlen auf Landes- bzw. Bundesebene andere politische Konstellationen ermöglichen, beibehalten.[9].

Rechtliche Aspekte

Der Anspruch der slowenischen und kroatischen Minderheit auf zweisprachige Ortstafeln sowie Schulunterricht in der Muttersprache ergibt sich völkerrechtlich verbindlich aus Artikel 7 Ziffer 2 und 3 des Österreichischen Staatsvertrages. Die genannten Ziffern 2 und 3 sind neben der Ziffer 4 Bestandteil österreichischen Verfassungsrechts und damit für die innerstaatliche Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens der Minderheitenpolitik verbindlich.

Die für die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln relevante Ziffer 3 des Artikel 7 („Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten“) lautet wie folgt:

Art. 7 (Recht der slowenischen und kroatischen Minderheiten)
3. In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt.

Im Jahr 1976 wurde vom österreichischen Nationalrat das Volksgruppengesetz verabschiedet. Der relevante Paragraph 2, Absatz 1, Ziffer 2 lautete folgendermaßen:

§ 2. (1) Durch Verordnungen der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates sind nach Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung festzulegen:
  1. (...)
  2. Die Gebietsteile, in denen wegen der verhältnismäßig beträchtlichen Zahl (ein Viertel) der dort wohnhaften Volksgruppenangehörigen topographische Bezeichnungen zweisprachig anzubringen sind.
  3. (...)

Dieses Gesetz sah also die Aufstellung von zweisprachigen topographischen Aufschriften für jene Gemeinden bzw. Ortsteile vor, in denen sich zumindest 25% der Bevölkerung zur slowenischsprachigen Volksgruppe bekennen. In einer 1977 erlassenen Verordnung (so genannte Topographieverordnung für Kärnten) wurden das Volksgruppengesetz näher ausgeführt und die Gemeinden bzw. Gemeindeteile näher bestimmt, in denen zweisprachige topographische Aufschriften angebracht werden müssen. In einer weiteren Verordnung (Verordnung über slowenische Ortsbezeichnungen) wurden die slowenischen Bezeichnungen der Ortschaften offiziell festgelegt.

Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs

Der Verfassungsgerichtshof sah in seinen 2001 und Ende 2005 ergangenen Erkenntnissen den im Volksgruppengesetz festgelegten Anteil von 25% als zu hoch und damit als verfassungswidrig an, da er Art 7 Abs. 3 des Staatsvertrages nicht entspreche. In der Begründung der Erkenntnisse beriefen sich die Verfassungsrichter mittels historischer Gesetzesinterpretation auf die Entstehungsgeschichte des Staatsvertrags und auf die "gängige österreichische Justizpraxis", derzufolge eine gemischte Bevölkerung einem „nicht ganz unbedeutenden (Minderheiten)-Prozentsatz“ entspreche und legten einen Anteil von ungefähr 10% slowenisch sprechender Einwohner einer Gemeinde als hinreichendes Kriterium für die Aufstellung zweisprachiger topographischer Aufschriften fest [10]. Ende 2005 waren in dieser Frage noch weitere 20 Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig.

Der Auslöser der Behandlung der Rechtsfrage durch den Verfassungsgerichtshof war eine (absichtlich herbeigeführte) Geschwindigkeitsübertretung (65 km/h anstatt der erlaubten 50 km/h) des Volksgruppenangehörigen und in der Volksgruppenpolitik aktiven Rechtsanwalts Rudolf Vouk in St. Kanzian am Klopeiner See. Um eine diesbezügliche juristische Auseinandersetzung zu erreichen und damit die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zu ermöglichen, erstattete er eine Selbstanzeige, woraufhin das Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet wurde. Gegen den Strafbescheid berief Rudolf Vouk und erhob in letzter Konsequenz Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, da der Beginn des Ortsgebiets durch die einsprachige Ortstafel von St. Kanzian, auf der die slowenische Ortsbezeichnung fehlte, seiner Ansicht nach nicht ordnungsgemäß kundgemacht war. Aus diesem Grund gelte auch nicht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung behauptete der Beschwerdeführer Rudolf Vouk nicht, dass er die rein deutschsprachige Aufschrift der Ortstafel nicht hätte lesen können. Dies wäre für die Geltung der Geschwindigkeitsbegrenzung auch irrelevant gewesen. Auch wurde die Beschwerde selbst vom Verfassungsgerichtshof abgewiesen, da es laut dem VfGH kein subjektives Recht der Volksgruppenangehörigen auf zweisprachige Ortstafeln gibt [11]. Die vom Verfassungsgerichtshof als gesetzeswidrig aufgehobene einsprachige Ortstafel von St. Kanzian am Klopeiner See wurde von der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt per Bescheid - wiederum einsprachig, jedoch um einige Meter versetzt - wieder aufgestellt.

Der Verfassungsgerichtshof hob Teile des Volksgruppengesetzes 1976 und der Topographieverordnung 1977 auf und nannte einen mindestens etwa zehnprozentigen Anteil slowenischsprachiger Bevölkerung als Voraussetzung für die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln nach den Bestimmungen des Österreichischen Staatsvertrages. Als weiterer Streitpunkt erwies sich die Formulierung des VfGH, dass die geforderten zehn Prozent Slowenischsprachiger über einen "längeren Zeitraum" existieren müssten. Da der Anteil der slowenischsprachigen Kärntner aufgrund der anhaltenden Assimilierung im letzten Jahrhundert ständig gesunken ist (1971: 20.972; 2001: 14.010), versuchen hier beide Seiten diese Forderung möglichst zu ihren Gunsten auszulegen.

Karner-Papier

Als "Karner-Papier" wird seit 2005 ein Kompromiss-Vorschlag von Stefan Karner bezeichnet, der im Ortstafelstreit eine breite Unterstützung in der Kärntner Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern findet. Das "Karner-Papier" sieht 50 Jahre nach dem Österreichischen Staatsvertrag die etappenweise Anbringung von insgesamt 158 zweisprachigen Aufschriften in insgesamt 158 Orten Kärntens bis 2010 vor, sowie eine "Öffnungsklausel", die nach 2010 unter bestimmten Bedingungen auf basisdemokratischem Wege die Einbeziehung zusätzlicher Orte ermöglichen sollte. Grundgelegt sollte dem Moratorium eine breite Informationskampagne in Kärnten werden. Das "Karner-Papier" war die Grundlage der von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel 2005 und 2006 durchgeführten Konsenskonferenzen sowie der parlamentarischen Gesetzesvorlagen und Regierungsverordnungen 2005 und 2006.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Volkszählung 1971
  2. Presseaussendung des VfGH
  3. Bericht des ORF vom 25. August 2006
  4. Bericht des ORF vom 25. August 2006 zu der Reaktion des Bundeskanzleramtes
  5. Bericht des ORF vom 25. August 2006 zu den Reaktionen der übrigen Beteiligten
  6. Bericht des Kuriers zu den Vorerhebungen gegen Haider
  7. Bericht des Kuriers zu der neuerlichen Ummontage der Ortstafeln in Bleiburg und Ebersdorf
  8. Der Standard, 14. Juni 2007: Gusenbauer: Lösung „jetzt oder gar nicht“
  9. ORF, 3. Juli 2007: Koalition scheitert in Ortstafelfrage
  10. Erkenntnis samt Begründung des VfGH in der Causa Ortstafeln
  11. Erkenntnis samt Begründung des VfGH in der Causa Rudolf Vouk

Literatur

  • Amt der Kärntner Landesregierung - Volksgruppenbüro (Hrsg.): Die Ortstafelfrage aus Expertensicht. Eine kritische Beleuchtung. In: Kärnten Dokumentation. Sonderband 1, Verlag Land Kärnten, Klagenfurt 2006, ISBN 3-901258-08-6 (PDF). 
  • Martin Pandel (Hrsg.): Ortstafelkonflikt in Kärnten - Krise oder Chance? Braumüller, Wien 2004, ISBN 3-7003-1479-5
  • Vida Obid, Mirko Messner, Andrej Leben: Haiders Exerzierfeld. Kärntens SlowenInnen in der deutschen Volksgemeinschaft. Promedia, Wien 2002, ISBN 3-85371-174-X
  • Gero Fischer (Hrsg.): „Am Kärntner Wesen könnte diese Republik genesen“: An den rechten Rand Europas: Jörg Haiders „Erneuerungspolitik“. Drava, Klagenfurt 1990, ISBN 3-85435-119-4
  • Peter Gstettner: Zwanghaft deutsch? Über falschen Abwehrkampf und verkehrten Heimatdienst: ein friedenspädagogisches Handbuch für interkulturelle Praxis im „Grenzland“. Drava, Klagenfurt 1988, ISBN 3-85435-104-6
  • Hanns Haas, Karl Stuhlpfarrer: Österreich und seine Slowenen. Löcker & Wögenstein, Wien 1977, ISBN 3-85392-014-4
  • Stefan Karner: „Die Bemühungen zur Lösung der Kärntner Ortstafelfrage“ 2006, in: Österr. Jb. f. Politik 2006. Wien 2007, S. 359-374.
  • Josef Feldner und Marjan Sturm: Kärnten neu denken. Zwei Kontrahenten im Dialog. Drava Verlag und Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt/Celovec 2007. ISBN 978-3-85435-525-0

Film

  • Thomas Korschil und Eva Simmler: Artikel 7 Unser Recht! - Pravica Naša! člen 7. 2005 (Website des Films)

Weblinks

Allgemeine Informationen
Zum Ortstafelsturm von 1972
Positionen im Ortstafelstreit
Umfragen

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