Volksreligiosität

Volksreligiosität
Heiligenverehrung in Noto (San Corrado)

Volksfrömmigkeit (manchmal auch Volksreligion) bezeichnet einen regional gewachsenen Glauben oder eine Glaubenspraxis. Sie ist dabei meist von der Religionsgemeinschaft akzeptiert, integriert oder geduldet (im Gegensatz zum Aberglauben und der Häresie), wird jedoch nicht zentral initiiert. Im Unterschied zum weitgehend gleichbedeutendem Begriff Volksglauben besitzt Volksfrömmigkeit immer eine religiöse Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

Elemente, die zur Entstehung führen

Die Volksfrömmigkeit entsteht oft durch den praktischen Umgang gläubiger Laien mit ihrem Glauben. Ihnen ist häufig die Tradition der intellektuellen Diskussion innerhalb des Glaubens (z.B. der Theologie) nicht oder nur in Ausschnitten bekannt. Hierbei kann auch Eigenes und Neues in der Glaubensausübung entstehen.

Regionale Einflüsse, Einflüsse aus anderen Religionen (Synkretismus) und Riten, sowie der Zeitgeist erweitern den Glaubensalltag, Feste und Bräuche. Damit bieten sie einen wertvollen Beitrag für das Verständnis einer regionalen Kultur.

Die Herausbildung eines Volksglaubens kommt in allen großen Religionen vor und ist letztlich auch die Konsequenz daraus, dass jeder Glaube inidividuell ist und nicht nur durch Dogmen bestimmt werden kann.

Glaubenspraxis und Annahme durch eine Institution

Die Volksfrömmigkeit kann durchaus in Opposition zum offiziellen Glauben stehen. Die Übergänge sind fließend und teilweise willkürlich oder nicht leicht nachvollziehbar. Ein Beispiel sind Fürbitt-Gebete in Italien. So ist es der kirchlichen Lehre nach richtig, für Regen zu beten, nicht jedoch für das Ende einer Regenperiode. - Trotzdem gibt es auch regionale Bräuche, in denen dieses passiert.

Eine andere Qualität besitzen Glaubensabweichungen, die zur Verfolgung durch die Inquisition führten.

Sehr hoch geschätzt wird die Volksfrömmigkeit dagegen in der Befreiungstheologie.

Kritik, Aufklärung und Gefühlsbetontheit

In Europa steht die Volksfrömmigkeit seit der Aufklärung unter besonderer Kritik, da in dieser Art der Glaubenspraxis die Vernunft eine untergeordnete Rolle spielt und Gefühle und das Gemüt betont werden. Wie die traditionelle Religiosität insgesamt befindet sich auch die Volksfrömmigkeit im Rahmen der traditionellen christlichen Kirchen im westlichen Kulturkreis im Rückgang.

Einige Kulturwissenschaftler sehen das Vakuum, das sie hinterlasse, von medial vermittelten Bildern etwa aus der Werbung besetzt. Eine weitere These ist, dass hier kein Rückgang, sondern eine Verlagerung stattfindet. z.B. auf neureligiöse Gemeinschaften oder auf den Bereich der Esoterik.

Die Frage, inwieweit Gefühl und Vernunft vereinbar und Teil einer Religion sind, wird im europäischem Christentum seit einigen Jahrzehnten diskutiert, seitdem sich Elemente der Aufklärung in den Lehren der Kirchen wiederfinden und sich langsam durchsetzen.

Christentum

Im europäischen Christentum ist Volksfrömmigkeit auch ein teilweise polemischer Sammelbegriff für religiöse Vorstellungen und Andachtsformen, die eine andere ästhetische und intellektuelle Ausprägung als die geltende klerikale Lehre haben, jedoch das Gefühls- und Alltagsleben Einzelner bestimmen.

  • Im Katholizismus hat sich eine Vielfalt volkstümlicher Frömmigkeitsformen entwickelt, vor allem im Bereich der Herz-Jesu-, der Marien-, Engel- und Heiligenverehrung. Die offizielle Liturgie gab der Volksfrömmigkeit Raum und blieb in Kontakt mit ihr. Einseitigkeiten und Auswüchse wurden und werden jedoch vom Lehramt kritisiert und teilweise als Häresie verfolgt.
  • Der Protestantismus, der eine Rückbesinnung auf die Schrift forderte, stand der Volksfrömmigkeit von Anfang an skeptisch gegenüber. In geringerem Maß haben aber auch in seinem Bereich bildliche und rituelle Ausdrucksformen Raum gefunden und sich regionale Besonderheiten entwickelt.

Islam

In zahlreichen islamischen Ländern stehen Hochislam und Volksislam einander gegenüber, wobei der strengere Hochislam die Volksreligion teilweise scharf als synkretistisch kritisiert. Auf dem afrikanischen Kontinent hat sich der Volksislam besonders in den subsaharischen Gebieten verbreitet.

Im Islam sind die Heiligen meist Sufis (islamische Mystiker), deren Gräber aber nicht nur von den Anhängern des Sufismus, sondern auch von der breiten Bevölkerung besucht werden. Meist sind die islamischen Heiligen spirituelle Führer (Sheikh) oder sogar die Gründer (Pir) eines Derwisch-Ordens (Tariqa).

Vom orthodoxen Islam wird diese Form der Heiligenverehrung strikt abgelehnt.

Literatur

  • Karl Hoheisel, Susanne Galley, Andreas Merkt, Hans-Dieter Döpmann: Volksfrömmigkeit. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 35, de Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-017781-1, S. 214–248.
  • Martin Scharfe: Über die Religion. Glaube und Zweifel in der Volkskultur. Böhlau, Köln u.a. 2004, ISBN 3-412-07504-3 (Inhaltsverzeichnis).
  • Jun Shimoda: Volksreligiosität und Obrigkeit im neuzeitlichen Deutschland. Wallfahrten oder Deutschkatholizismus. Ozorasha, Tokyo 2004, ISBN 4-283-00146-5.
  • Sekretariat der Dt. Bischofskonferenz (Hrsg.): Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie. Grundsätze und Orientierungen; 17. Dezember 2001. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 160. Bonn 2003.
  • Hans-Jürgen Prien: Volksfrömmigkeit in Amerika: Überlegungen von der Kirchengeschichte her. In: ders.: Das Evangelium im Abendland und in der Neuen Welt. Studien zu Theologie, Gesellschaft und Geschichte. Herausgegeben von Hans-Martin Barth. Acta Coloniensia 5. Vervuert, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-89354-195-0.

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