- Von dem Fischer und seiner Frau
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Vom Fischer und seiner Frau (Von dem Fischer un syner Fru, Von den Fischer und siine Fru) ist ein niederdeutsches Märchen (Typ 555 nach Aarne und Thompson) der Brüder Grimm (KHM 19).
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Ein Fischer, der mit seiner Frau in einer armseligen Hütte (Pissputt) lebt, fängt im Meer oder See einen Butt, der als verwunschener Prinz um sein Leben bittet; der Fischer lässt ihn wieder frei. Als Ilsebill, die Frau des Fischers, das hört, fragt sie ihn, ob er sich denn im Tausch gegen die Freiheit nichts gewünscht habe. Sie drängt ihren Mann, den Butt erneut zu rufen, um sich ein richtiges Haus zu wünschen. Diesen Wunsch erfüllt ihm der Zauberfisch. Doch Ilsebill ist damit nicht zufrieden. Immer wieder verlangt sie von ihrem Mann, den Butt an Land zu rufen und immer größere Wünsche von ihm einzufordern.
Der bekannt gewordene Refrain mit des Fischers Ruf an den Butt lautet jedes Mal:
- Manntje, Manntje, Timpe Te,
- Buttje, Buttje in der See,
- myne Fru de Ilsebill
- will nich so, as ik wol will:
Der Fischer teilt die Wünsche seiner Frau nicht und beugt sich ihnen nur widerwillig, unternimmt aber nichts, um seine Haltung durchzusetzen. Je maßloser Ilsebills Wünsche werden, desto ärger verschlechtert sich das Wetter. Die See wird erst grün, dann blauviolett, dann schwarz, und immer heftiger wird der Sturm. Ilsebill will zuerst einen Königspalast haben, dann Königin, Kaiserin und schließlich Papst werden.
Doch als sie fordert, der liebe Gott zu werden, versetzt sie der Butt zur Strafe zurück in die armselige Hütte wie am Anfang (Ga man hen. Se sitt all weder in’n Pissputt).
Quelle und Rezeption
- Die Gestalt des Butt dürfte in früherer Zeit eine Meeresgottheit gewesen sein. So wird die These gestützt, dass es sich bei Märchen um abgesunkene Mythen handeln kann, vgl. auch „Frau Holle“.
- Die Brüder Grimm erhielten eine Fassung in vorpommerischer Mundart von Philipp Otto Runge. Er hat die Handlung im Bereich seiner Heimat Wolgast, möglicherweise am Achterwasser angesiedelt.
- In Warthe (Lieper Winkel) ist ein entsprechendes touristisches Arrangement aufgebaut.
- In der Stadt Stade befindet sich ein Brunnen, der die Szene des Anglers am Wasser mit dem Butt zeigt.
- Vordergründig ist es eine moralisierende Parabel über die Volksweisheit, dass Maßlosigkeit damit bestraft wird, alles zu verlieren.
- Zeitgenossen deuteten das Märchen als Satire auf Napoleon und seine Verwandtschaft.
- Aktualität gewinnt das Märchen heute für Umgang des Menschen mit den Kräften der Natur: Wo er diese zu sehr ausbeutet, verliert er am Ende alles.
- Der Psychoanalytiker Otto Gross begreift das Verhalten der Protagonisten als Ausdruck des der patriarchalischen Gesellschaft innewohnenden Machtwillens und verweist auf die Erkenntnis des Märchens, dass „Gott allein vor jedem fremden Eingriff in das Innerste gesichert ist“ (vgl. Otto Gross: Zum Solidaritätsproblem im Klassenkampf).
Adaptionen
- Das Märchen ist auf diversen deutschen Theaterbühnen gespielt worden. Diese Bühnenadaptionen haben zeitgenössische psychosoziale Interpretationen der Beziehung zwischen Mann und Frau angeregt: Wenn der Mann die Wünsche seiner Frau einfach wörtlich erfüllt, um Auseinandersetzungen mit ihr (nicht mit dem Butt) aus dem Weg zu gehen, ohne diese Wünsche ernster zu nehmen und sich ihren Beweggründen zuzuwenden, so impliziere dies eine psychische Vernachlässigung und Indifferenz gegenüber der Partnerin, die ihre innere Unruhe, Unzufriedenheit und Maßlosigkeit nur verstärken müsse. Andererseits: Dass sie so fühllos ist, ihren Partner dauernd zu zwingen, sich aus Rücksicht auf sie etwas Unbezahlbares bezahlen zu lassen und dabei seine Selbstachtung zu Grunde richten muss, wird damit umgangen, könnte aber die ursprüngliche Zielrichtung des Märchens eher treffen.
- Der Komponist Friedrich Klose schuf 1902 die Oper Ilsebill. Das Märchen vom Fischer und seiner Frau.
- Vom Fischer und seiner Frau (Fernsehproduktion der Augsburger Puppenkiste, s/w, 1958)
- Im Jahre 1962 entstand unter der Regie von August Everding ein Hörspiel für Kinder, in dem Hans Cossy, Edith Schultze-Westrum, Robert Graf und Benno Sterzenbach die Hauptrollen sprachen.
- Vom Fischer und seiner Frau (Fernsehproduktion der Augsburger Puppenkiste, ital., s/w, 1966)
- Die Geschichte vom Fischer und seiner Frau (DEFA-Trickfilm, DDR 1976, Regie: Werner Krauße, ca. 13 min.)
- Das Märchen wurde für Günter Grass zum Ausgangspunkt seines Romans Der Butt (1977). Grass wendet dort als Feminist in mehreren Episoden von der Steinzeit über die Romantik bis zur Gegenwart die Schuldfrage neu und entlastet Ilsebill, die Frau als solche.
- Die Filmemacherin und Autorin Doris Dörrie ließ sich 2004 von diesem Märchen zu dem Film Der Fischer und seine Frau inspirieren.
- Der Komponist Georg Katzer schrieb „Vom Fischer un sin Fru...“, ein modernes Märchen für Solostimmen und / oder Chor a capella
- Feridun Zaimoglu schuf 2008 eine Neufassung des Märchens, zu der der Künstler Hans-Ruprecht Leiß 30 Lithografien paraphrasierte.[1]
Einzelbelege
Siehe auch
Literatur
- Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. S. 40–41, S. 449–450. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
- Kast, Verena: Mann und Frau im Märchen. Eine psychologische Deutung. 2. Auflage, München 1988. S. 12–35. (dtv; ISBN 3-530-42101-4)
Weblinks
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