Wilfried de Beauclair

Wilfried de Beauclair

Wilfried de Beauclair (* 4. April 1912 in Ascona) ist ein deutscher Ingenieur und Informatiker. Durch seine Arbeiten an der automatisierten Rechentechnik gehört er zu den Computerpionieren der ersten Generation.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

De Beauclair wurde als zweiter Sohn von Alexander Wilhelm de Beauclair und Friederike de Beauclair geb. Krüger geboren und wuchs mit seinem Bruder Gotthard de Beauclair auf dem Monte Verità (Ascona, Schweiz) auf. 1920 übersiedelte die Mutter mit den beiden Kindern nach Darmstadt, woher die Familie stammte. Von 1921 bis 1930 ging er in Darmstadt zur Schule.

Im Jahre 1930 nahm de Beauclair das Studium des Allgemeinen Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Darmstadt auf. Nach dem Studium wurde er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Assistent an das von Alwin Walther geleitete Institut für Praktische Mathematik (IPM) übernommen. Dort war er am Bau eines Rechenautomaten mit Lochstreifen-Programmierung beteiligt, der bei der Zerbombung Darmstadts wie das ganze IPM zerstört wurde. Auch arbeitete er an der Entwicklung von Geräten zur Fourieranalyse. Ab 1939 entwickelte er zusammen mit Hans-Joachim Dreyer, beide vom IPM zur Firma OTT in Kempten entsendet, eine neuartige elektromechanische Schneidenrad-Integrieranlage[2] zum Lösen von Differentialgleichungen, die DGM-IPM-Ott[3], von der sich noch Baugruppen im Bestand des Deutschen Museums München befinden.

1942 kam er in Berlin mit Konrad Zuse zusammen, der ihm die Rechenanlage Z3 vorführte. Als Leiter der feinmechanischen Werkstatt des IPM unterstützte de Beauclair anschließend Zuse bei den Arbeiten an der Z4: das IPM lieferte unter anderem Stanzgeräte für Lochstreifen, die zur Steuerung des Programmablaufs und zur Speicherung von Zwischenergebnissen dienten. Zuse und de Beauclair wurden Freunde. Im Januar 1945 wurde de Beauclair an der TU Darmstadt bei Alwin Walther mit einer Arbeit über mehrdimensionale Fouriersynthese zum Dr.-Ing. promoviert.

Im April 1945 wurde er, während der Fahrt ins Allgäu zu seiner Familie, wie viele Männer von französischem Militär ohne konkreten Grund interniert und ins Elsass gebracht. Im Dezember 1945 wurde sein Zivilisten-Status anerkannt und de Beauclair aus der Internierung entlassen. Er war jedoch schwer an Tuberkulose erkrankt, war arbeitsunfähig und musste von 1946 bis 1950 stationär behandelt werden. 1949 konnte die Doktorarbeit publiziert werden.

Nach der Entlassung aus dem Lazarett zog die Familie Ende 1950 nach Stuttgart. Zunächst arbeitete de Beauclair für die Firma PHYWE (Göttingen) im Vertrieb, dann ab 1955 als Entwicklungsingenieur und Laborleiter bei SEL, wo bereits Dr.-Ing. Dreyer tätig war. Dort wirkte er an der Entwicklung des Elektronenrechners ER 56 sowie passender Peripheriegeräte mit. Nach der Auflösung des SEL-Informatik-Werks 1960 wechselte er zur Deutschen Bundespost, wo er beim Posttechnischen Zentralamt in Darmstadt als Referatsleiter an der Computerisierung der Postscheck- und Sparkassendienste arbeitete, wobei er insbesondere für die Programmierung der EDV-Anlagen zuständig war.

1968 erschien sein Buch Rechnen mit Maschinen, eine Bildgeschichte der Rechentechnik von ihren Ursprüngen bis 1964, das vielfach, u.a. von der FAZ rezensiert[4] und 2005 vom Springer-Verlag nachgedruckt wurde. 1976 wurde er als Leitender Oberpostdirektor pensioniert. Von 1986 bis 2001 lebte er in Freiburg im Breisgau, seit 2001 lebt Wilfried de Beauclair bei Ulm.

Im Mai 2002 wurde ihm im Deutschen Museum in München der Prochorov-Orden der International Informatization Academy (Moskau) verliehen.[5] Im April 2004 erhielt er für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Informatik von der renommierten Moskauer Technischen Universität MIREA (Moskauer Institut für Radiotechnik, Elektronik und Automatisierung) den Titel eines Professors ehrenhalber.[6]

Schriften

Monographien

  • Verfahren und Geräte zur mehrdimensionalen Fouriersynthese. Akademie-Verlag, Berlin (DDR) 1949.
  • Mit Ko-Autor: Ulrich Sigonowitz: Phasenfaktorentafel zur kristallographischen zweidimensionalen Fouriersynthese in Punkten eines Achtundvierzigstel-Netzes. Akademie-Verlag, Berlin (DDR) 1949.
  • Rechnen mit Maschinen. Eine Bildgeschichte der Rechentechnik. Friedrich Vieweg u. Sohn, Braunschweig, 1968; Faksimile-Ausg. Springer Verlag, Berlin [u.a.] 2005, ISBN 3-540-24179-5. (Online bei books.google.com)
  • Schriftgutverfilmung. Verlag für Informationstechnik, Herne 1971.
  • Vom Zahnrad zum Chip: eine Bildgeschichte der Datenverarbeitung. W. de Beauclair/F. Genser, 3 Bde., Superbrain-Verlag, Balje 2005, ISBN 3-00-013791-2.

Wissenschaftliche Aufsätze

De Beauclair hat zwischen 1954 und 1981 rund 210 wissenschaftlichen Aufsätze publiziert, unter anderem zur optischen Zahlen- und Buchstabenerkennung und Entwicklung von OCR-A Schriften, zur Informationsverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, zur Rationalisierung von Dokumentation und Betriebsabläufen mit technischen Hilfsmitteln oder zur Geschichte der Rechentechnik:

  • „Rationalisierung des technischen Rechnens. Voraussetzung für die automatische Fertigung“, in: Industrie-Anzeiger, Mai 1956, S. 517–524.
  • „Das Sortieren von Magnetband-Daten in einfachen Buchungsanlagen“, in: Elektronische Rechenanlagen 3.2, April 1961, S. 75–82.
  • „Befehlscode für lochstreifengesteuerte Werkzeugmaschinen“, in: Werkstatt und Betrieb 94.7, 1961, S. 478–481.
  • „Grundlagen der Informationsverarbeitung“, in: Forum der Technik, Bd. 4: Zeitbild der Technik, Zürich: Metz, 1967, S. 223–237.
  • „Grundsätzliches zur Regelung von Betriebsabläufen mit elektronischen DV-Anlagen“, in: Werkstatttechnik, 56.5, 1966, S. 218–221.
  • „Datenverarbeitung, Objekt und Werkzeug der Rationalisierung“, in: Industrie-Anzeiger 90.18, März 1968, S. 330–334.
  • „Wege zum rationellen Zahlungsverkehr“, in: Druck Print 4, 1972, S. 242–248.

Literatur

  • Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender. 9. Ausgabe, 1961, ISSN 0341-8049, S. 86.
  • Stefanie Streif: „Vom Zahnrad zum Chip“. In: Badische Zeitung (Freiburg), 3. April 2004.
  • Johannes Jänike: „Wilfried de Beauclair“. In: Die Vergangenheit der Zukunft. Deutsche Computerpioniere, hrsg. von Friedrich Genser, 2. erweiterte Auflage. Düsseldorf: Friedrich Genser / Johannes Jänike, 1995.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stefanie Streif bezeichnet ihn als „Pionier in Sachen Datenverarbeitung“ und als „Computerpionier der ersten Stunde“, in: „Vom Zahnrad zum Chip“, Badische Zeitung, 3. April 2004.
  2. Vgl. Friedrich L. Bauer, „Kurzer Abriß der Geschichte der Informatik 1890–1990“, in: Dokumente zur Geschichte der Mathematik, im Auftrag der Deutschen Mathematiker Vereinigung herausgegeben von Winfried Scharlau, Band 6: Ein Jahrhundert Mathematik, 1890–1990: Festschrift zum Jubiläum der DMV, hrsg. von Gerd Fischer, Braunschweig: Vieweg, 1990, S. 113–147, hier S. 126.
  3. DGM steht für „Differenzialgleichungsmaschine“, IPM und Ott für die beiden beteiligten Institutionen.
  4. Die FAZ schreibt am 12. November 1968: „Der Band ragt aus der Fülle von Publikationen über Rechenmaschinen durch die Gewissenhaftigkeit seiner Darstellung und seiner Ausstattung hervor“.
  5. In seiner Laudatio nennt Hermann Bottenbruch (Deutsches Museum München, 2. Mai 2002) W. de Beauclairs „Verdienste um die Entwicklung des Computers [und] um die Erfassung der Geschichte des Computers“ als Gründe für die Verleihung.
  6. Das Ernennungsdokument beinhaltet die Formulierung „Honorary Professor“. Dieser Titel ist nicht mit einer Lehrverpflichtung verbunden, sondern wird für besondere wissenschaftliche Verdienste verliehen.

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