Wilhelm Friedemann Bach

Wilhelm Friedemann Bach
Medaillon mit Porträt von Wilhelm Friedemann Bach

Wilhelm Friedemann Bach (* 22. November 1710 in Weimar; † 1. Juli 1784 in Berlin) war ein deutscher Komponist aus der Familie Bach.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gedenktafel am Haus Markt 18, in Weimar

Wilhelm Friedemann war der älteste Sohn Johann Sebastian Bachs. Aus seinem Geburtsort Weimar kam er 1717 mit seiner Familie nach Köthen, wo er die Lateinschule besuchte. Ab Juni 1723 besuchte er die Leipziger Thomasschule, nahm 1727 Violinunterricht bei Johann Gottlieb Graun, wurde 1729 als Jurastudent an der Universität Leipzig immatrikuliert und studierte außer den Rechten auch Philosophie und Mathematik. 1733 wurde er Organist an der Sophienkirche in Dresden. Hier gehörte Johann Gottlieb Goldberg zu seinen Schülern. Im April 1746 wurde er Musikdirektor und Organist an der Marienkirche in Halle (Saale). Daher wird er auch als der Hallesche Bach bezeichnet. Hier unterrichtete er u. a. Friedrich Wilhelm Rust. Außerdem leitete er den Stadtsingechor zu Halle. In den Jahren 1752 bis 1757 bekam er zusammen mit seiner ersten Frau Dorothea Elisabeth Georgi (ca. 1725 - 1791) drei Kinder, Wilhelm Adolf (der aber im selben Jahr verstarb), Gotthilf Wilhelm (gest. 1756) und Friederica Sophia (oder Friederike Sophie), die als einziges von seinen Kindern das Erwachsenenalter erlebte. 1763 wurde er zum Hessen-Darmstädtischen Kapellmeister ernannt. Die Stelle in Hessen-Darmstadt in der Nachfolge von Christoph Graupner trat er nicht an, den Titel durfte er jedoch führen.

1764 gab er sein Amt in Halle auf. Seither lebte er ohne feste Anstellung und versuchte, durch Konzerte, Unterricht und Kompositionen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 1770 zog er nach Braunschweig, im Frühjahr 1774 nach Berlin. Im Jahrzehnt zwischen 1764 und 1774 unternahm er zahlreiche Reisen, unter anderem nach Göttingen (zu Forkel), die jedoch ebenso wenig eine feste Anstellung nach sich zogen wie seine Bewerbungen als Organist in Braunschweig und Wolfenbüttel. In Berlin gab er mehrere erfolgreiche Orgelkonzerte, die ihm die Unterstützung Prinzessin Anna Amalias, der Schwester Friedrichs II., eintrugen. 1778 oder 1779 entzog sie ihm ihre Gunst, nachdem ihm der (ungeklärte) Vorwurf gemacht wurde, gegen Anna Amalias Kompositionslehrer, den preußischen Kapellmeister Johann Philipp Kirnberger, intrigiert zu haben.

Wilhelm Friedemann Bach (Authenzität des Portraits umstritten).

Wilhelm Friedemann Bach starb 1784 in ärmlichen Verhältnissen in Berlin. Er wurde auf dem Luisenstädtischen Kirchhof neben der Luisenstädtischen Kirche beigesetzt. Der Kirchhof wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingeebnet. Heute erinnert eine Stele mit einem Porträt von Bach an den Künstler und das verlorene Grabmal.

Künstlerische Entwicklung

Wilhelm Friedemann Bach war einer der Ersten, die als freischaffender Musiker zu leben versuchten, nicht aus freier Entscheidung, sondern weil seine (wenigen) Anläufe, eine neue Anstellung zu finden, scheiterten. Für ein freies Künstlertum waren die sozialen Voraussetzungen in der neubürgerlichen Gesellschaft Deutschlands erst im Entstehen begriffen. So geriet Bach immer mehr in wirtschaftliche Not. Von der mächtigen musikalischen Erblast seines Vaters konnte er sich nur schwer und langsam lösen. Bis heute ist nicht geklärt, ob er wissentlich Fälschungen beim Verkauf von Kompositionen aus dem Nachlass J. S. Bachs unternommen hat.

Seine einzige Berliner Schülerin war Sara Itzig, später verheiratete Levy (1761-1854), eine Großtante von Felix Mendelssohn Bartholdy. Indem Bach versuchte, den musikalisch konservativen Geschmack der ihn zunächst protegierenden preußischen Prinzessin zu treffen, verfehlte er denjenigen seiner übrigen Zeitgenossen. Dies trug ihm zusammen mit einer gewissen Ungeschmeidigkeit des alternden, verarmenden Mannes die Gegnerschaft von Musikern wie Johann Friedrich Reichardt oder Carl Friedrich Zelter ein. Letzterer schrieb am 6. April 1829 rückblickend an Goethe: „Er wurde für eigensinnig gehalten, wenn er nicht jedem aufspielen wollte; gegen uns junge Leute war er’s nicht und spielte stundenlang. Als Komponist hatte er den tic douloureux, original zu sein, sich vom Vater und den Brüdern zu entfernen, und geriet darüber ins Pritzelhafte, Kleinliche, Unfruchtbare...“

Bachs innere Spannungen und Widersprüche, die sein Leben bestimmten, meint man auch in seinen Werken feststellen zu können. In seiner Instrumentalmusik kündigte sich der neue, empfindsam erregte Stilwille der Geniezeit (Sturm und Drang) an, der in den acht Polonaisen zum an die Frühromantik gemahnenden Charakterstück und in den Klaviersonaten in die Nähe des Wiener Klassizismus vorstieß.

Als Organist und Klavierspieler war Bach wegen seiner Kunst der Improvisation berühmt. „Unstrittig der größte Organist der Welt! Er ist ein Sohn des weltberühmten Sebastian Bachs, und hat seinen Vater im Orgelspiel erreicht, wo nicht übertroffen“, schwärmte Christian Friedrich Daniel Schubart 1806 in seinen „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“. Und von seinem Bruder Carl Philipp Emanuel ist durch Johann Nikolaus Forkel der Satz überliefert: „Er konnte unsern Vater eher ersetzen, als wir alle zusammengenommen.“

Um das Leben des zwiespältigen Originalgenies im Sinne seiner Zeit legte sich bald nach seinem Tod ein Kranz romantischer Legenden. So werden ihm „sein roher Sinn, sein starrer Künstlerstolz, seine ungeheure Zerstreutheit und sein mürrisches zanksüchtiges Wesen, das im Trunke, dem er ergeben war, alle Rechte jeder Bürgerlichkeit und Ordnung verletzt“[1] nachgesagt. Dieses Bild spiegelt sich auch in Albert Emil Brachvogels Roman Wilhelm Friedemann Bach von 1858 und noch in Paul Graeners gleichnamiger Oper von 1931.

Wilhelm Friedemann und sein Bruder Carl Philipp Emanuel waren die beiden wichtigsten Quellen für Johann Nikolaus Forkels Biografie ihres Vaters Johann Sebastian.

Verfilmung

Die Verfilmung des Lebens von Friedemann Bach mit dem Titel Friedemann Bach aus dem Jahre 1941 unter der Regie von Traugott Müller mit Gustaf Gründgens in der Titelrolle beruht im Wesentlichen auf der historisch ungenauen Romandarstellung Brachvogels.

Werk

Viele seiner Werke galten lange als verschollen. Seit den 1990er-Jahren liegen zunehmend mehr Einspielungen vor. Der Harvard-Professor Christoph Wolff trug 1999 mit seiner Entdeckung umfangreicher bis dahin verschollener Bestände des Archivs der Singakademie Berlin in Kiew zu einer Erweiterung der Anzahl der bekannten Noten Bachs bei. Im Jubiläumsjahr 2010 veröffentlichte das Bach-Archiv Leipzig eine elfbändige Gesamtdokumentation mit Unterstützung des Packard Humanities Institute in Los Altos, Kalifornien. Im selben Jahr begann eine CD-Ausgabe der vollständigen Werke des Komponisten unter Verwendung des wiederentdeckten Materials aus dem Archiv.[2]

Museum

Die Stadt Halle eröffnete im Jahre 2010 ein Museum mit der Bezeichnung "Wilhelm-Friedemann-Bach-Haus".

Werke (Auswahl)

  • Sinfonia F-Dur (Dissonant)
  • Sinfonia F-Dur zur Pfingstkantate „Ertönet, ihr seligen Völker“
  • Sinfonia D-Dur zur Pfingstkantate „Dies ist der Tag“
  • Sinfonia d-moll für 2 Querflöten, Streicher und Basso continuo
  • Sinfonia D-Dur zur Himmelfahrtskantate „Wo gehet die Lebensreise hin“
  • Sinfonia G-Dur zur Weihnachtskantate „O Wunder“

Diskographie

  • Claviermusik I, Léon Berben, Cembalo, Carus 83 346 (Note 1), 2010
  • Kantaten I und II, u.a. Rastatter Hofkapelle, Leitung: Jürgen Ochs, Carus Records 83362 und 83352 (Note 1), 2010

Literatur

  • Martin Falck: Wilhelm Friedemann Bach; Leipzig 1913; Nachdruck: Hildesheim: Olms, 2003
  • Percy M.Young: Die Bachs 1500–1850; Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik, 1978; Kapitel 9
  • Michael Heinemann, Jörg Strodthoff (Hrsg.): Wilhelm Friedemann Bach. Der streitbare Sohn; Schriftenreihe der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“; Dresden 2005
  • Heinrich Bellermann: Bach, Friedemann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 1, Duncker & Humblot, Leipzig 1875, S. 743 f.
  • Friedrich Wilhelm Bautz: BACH, Wilhelm Friedemann. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Hamm 1975, Sp. 323–324.
  • Albert Emil Brachvogel: Friedemann Bach. Wilhelmshaven 1983, ISBN 3-7959-0375-0.
  • Ulrich Kahmann: Wilhelm Friedemann Bach. Der unterschätzte Sohn; Bielefeld: Aisthesis, 2010, ISBN 978-3-89528-828-9
  • Ulrich Kahmann: Ein falsches Bild von Wilhelm Friedemann Bach; in: Die Tonkunst, Nr. 4, Jg. 4 (2010), S. 535-539
  • Daniel Hensel: Wilhelm Friedemann Bach. Epigone oder Originalgenie, verquere Erscheinung oder großer Komponist?; Stuttgart: ibidem, 2011, ISBN 978-3-8382-0178-8

Weblinks

Quellen

  1. Gustav Schilling: Encyclopädie der gesamten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst; Stuttgart 1835; S. 379
  2. FAZ vom 6. November 2010, Seite 40: Papa lässt grüßen

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