Wirtschaftliche Integration

Wirtschaftliche Integration

Unter wirtschaftlicher Integration oder Marktintegration werden Prozesse verstanden, die mehrere Märkte (z. B. den deutschen und den französischen Stahlmarkt) zu einem größeren Markt (z. B. einem europäischen Stahlmarkt) zusammenführen (Integration als Prozess). Der Begriff wird aber auch verwendet, um das Ausmaß zu charakterisieren, in dem diese Einheit hergestellt ist (Integration als Zustand), ferner als Ziel (Integration als Ziel). Integration, je nach Sichtweise, als Prozess, Zustand und Ziel zu verstehen, verdeutlicht die große Ambivalenz dieses Begriffes.

Wirtschaftsintegration stellt einen wirtschaftlichen Zusammenschluss mehrerer Länder zur Förderung des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs dar. Sie ist eine internationale Ordnungspolitik; deutlichstes Kennzeichen dieses Zusammenschlusses stellt die Schaffung einer (internationalen) Organisation mit eigenen Organen dar. Ausgangspunkt ist stets ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten. Im Idealfall übertragen die Akteure (Mitgliedstaaten) in dem Vertrag die für den betreffenden Integrationsschritt benötigten Kompetenzen (Themen, Aufgabenbereiche = sog. Politiken) auf die neuen Organe.

Wirtschaftsintegration kann global oder regional (bezogen auf eine benachbarte Staatengruppe) ausgerichtet sein. Die EU gilt weltweit als das erfolgreichste Modell regionaler Wirtschaftsintegration. Ab Gründung der Montanunion (EGKS) am 18. April 1951 hat die heutige EU seitdem verschiedene wirtschaftliche Integrationsstufen, beginnend als Freihandelszone, sodann ab 1. Juli 1968 Zollunion, nachfolgend Gemeinsamer Markt, später Binnenmarkt, danach in Teilen Wirtschaftsunion bis hin zur Währungsunion durchlaufen.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

1. Wirtschaftliche Ziele: Förderung des Wirtschaftswachstums basierend auf internationaler Arbeitsteilung. Im Vordergrund steht die Theorie der komparativen Kostenvorteile nach David Ricardo, wobei sich die Staaten auf die Produktion der Produkte konzentrieren, bei deren Produktionsprozess sie den (vergleichsweise, aber nicht notwendig absolut) größten Kostenvorteil haben. Im Gegenzug tauschen sie diese Produkte gegen Güter, bei denen sie vergleichsweise die größten Nachteile haben.

2. Nicht-wirtschaftliche Ziele: Im Mittelpunkt steht die Sicherung des (internationalen) Friedens, die allerdings zunehmend von Bemühungen der Schaffung unauflöslicher (vor)bundesstaatlicher Verbindungen (Politische Union) überlagert wird.

Stufen der Integration

Wirtschaftliche Integrationsprozesse werden typischerweise in mehrere Abstufungen eingeteilt, die aber bei Integrationsprozessen nicht zwangsläufig der Reihe nach durchlaufen werden[1]:

  1. In einer Freihandelszone auf Basis eines Freihandelsabkommen werden im Innenverhältnis die Zölle und tarifäre Handelshemmnisse der beteiligten Länder abgeschafft, jedoch nur für innerhalb der Freihandelszone erstellte Güter. Im Handel mit Drittländern legen die Länder weiterhin selbstständig die Zölle fest. Um Missbrauch zu verhindern, werden die Waren mit Ursprungszeugnissen ausgestattet, so dass Länder mit hohem Zollsatz nachvollziehen können, woher die Ware stammt. Dies ermöglicht eine Nachverzollung, bedeutet aber, dass Grenzkontrollen weiter nötig sind. Beispiele: Europäische Freihandelsassoziation, Nordamerikanisches Freihandelsabkommen
  2. In einer Zollunion wird zusätzlich eine gemeinsame Zollpolitik gegenüber Drittländern umgesetzt. Ursprungszeugnisse entfallen. Beispiele: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Mercosur
  3. In einem Gemeinsamen Markt werden zusätzlich zur Zollunion nichttarifäre Handelshemmnisse (z.B. Normen, Gesetze) abgebaut, so dass auf der Outputseite ein gemeinsamer Gütermarkt entsteht. Auf der Inputseite des gemeinsamen Marktes werden die Hemmnisse bei Dienstleistungen, Arbeitskräften und Kapital beseitigt. Beispiel: Europäischer Binnenmarkt
  4. In einer Wirtschaftsunion wird darüber hinaus zum einen die sektorale Wirtschaftspolitik (zum Beispiel in der Landwirtschaft) koordiniert oder gar vereinheitlicht. Beispiel: Gemeinsame Agrarpolitik der EU.
  5. In einer Währungsunion werden dauerhaft die Wechselkurse fixiert, bei gleichzeitiger vollständiger Konvertibilität oder Einführung einer gemeinsamen Währung. Beispiel: Europäische Währungsunion

Diese einzelnen Schritte wurden in der EU durch die gemeinsame Festlegung auf Politiken gegangen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gibt im Dritten Teil: Die internen Politiken und Maßnahmen der Union mit den Art. 26-197 AEUV ein aktuell umfangreiches Abbild dieser Politiken ab, genannt seien hier nur:

  • Titel I. Der Binnenmarkt, Art. 26-27
  • Titel II. Der freie Warenverkehr, Art. 28-37
 * Kapitel 1. Die Zollunion, Art. 28-32
 * Kapitel 2. Zusammenarbeit im Zollwesen, Art. 33
 * Kapitel 3. Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten, Art. 34-37
  • Titel III. Die Landwirtschaft und die Fischerei, Art. 38-44
  • Titel IV. Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, Art. 45-66
 Kapitel 1. Die Arbeitskräfte, Art. 45-48
 Kapitel 2. Das Niederlassungsrecht, Art. 49-55
 Kapitel 3. Dienstleistungen, Art. 56-62
 Kapitel 4. Der Kapital- und Zahlungsverkehr, Art. 63-66
  • Titel V. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Art. 67-89
  • Titel VI. Der Verkehr, Art. 90-100
  • Titel VII. Gemeinsame Regeln betreffend Wettberwerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften, Art. 101-118
 Kapitel 1. Wettbewerbsregeln, Art. 101-109
    Abschnitt 1. Vorschriften für Unternehmen, Art. 101-106
    Abschnitt 2. Staatliche Beihilfen, Art. 107-109
 Kapitel 2. Steuerliche Vorschriften, Art. 110-113
 Kapitel 3. Angleichung der Rechtsvorschriften, Art. 114-118
  • Titel VIII. Die Wirtschafts- und Währungspolitik, Art. 119-144
 Kapitel 1. Die Wirtschaftspolitik, Art. 120-126
 Kapitel 2. Die Währungspolitik, Art. 127-133
 Kapitel 3. Institutionelle Bestimmungen, Art. 134-135
 Kapitel 4. Besondere Bestimmungen für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, Art. 136-138
 Kapitel 5. Übergangsbestimmungen, Art. 139-144
  • Titel IX. Beschäftigung, Art. 145-150
  • Titel X. Sozialpolitik, Art. 151-161
  • Titel XI. Der Europäische Sozialfond, Art. 162-164
  • Titel XII. Allgemeine und berufiche Bildung, Jugend und Sport, Art. 165-166
  • Titel XIII. Kultur, Art. 167
  • Titel XIV. Gesundheitswesen, Art. 168
  • Titel XV. Verbraucherschutz, Art. 169
  • Titel XVI. Transeuropäische Netze, Art. 170-172
  • Titel XVII. Industrie, Art. 173
  • Titel XVIII. Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt, Art. 174-178
  • Titel XIX. Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt, Art. 179-190
  • Titel XX. Umwelt, Art. 191-193
  • Titel XXI. Energie, Art. 194
  • Titel XXII. Tourismus, Art. 195
  • Titel XXIII. Katastrophenschutz, Art. 196
  • Titel XXIV. Verwaltungszusammenarbeit, Art. 197

Diese Aufstellung verdeutlicht die nahezu 60 Jahre lang anhaltende thematische Ausfüllung der Schrittfolge der Stufen der Integration. Was bei der Montanunion (EGKS) als Gemeinsamer Markt für Kohle und Stahl begann, setzte sich mit der EWG ab 1958 als Gemeinsamer Markt für alle Industriewaren und landwirtschaftlichen Produkte fort. Zunächst stand die realwirtschaftliche Integration mit dem Ziel einer möglichst hohen Konvergenz der einzelnen Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten im Vordergrund, ab Mitte der 80er- Jahre kamen die Bemühungen zu einer monetären Integration mit dem Ziel einer EWWU hinzu.

Andere Arten der Integration

Grundsätzlich kann man zwischen der funktionellen und institutionellen Methode der Wirtschaftsintegration unterscheiden.

  • In einer Präferenzzone werden die Zölle für bestimmte Güter abgebaut. Dies kann auch einseitig geschehen. Ein Beispiel bilden die Präferenzzölle der EU für die Afrikanisch-Karibisch-Pazifische Staatengruppe (ehem. Kolonialstaaten von EU-Staaten)
  • In einer gemeinsamen Marktordnung werden sektorspezifisch einheitliche ökonomische Rahmenbedingungen geschaffen (z. B. EU-Agrarmarkt)

Literatur

  • Jürgen E. Blank, Hartmut Clausen und Holger Wacker: Internationale ökonomische Integration: von der Freihandelszone zur Wirtschafts- und Währungsunion. München 1998, ISBN 3-8006-2199-1
  • Wolfgang Eibner: Internationale wirtschaftliche Integration: Ausgewählte Internationale Organisationen und die Europäische Union. München/Wien 2008, ISBN 978-3-486-58473-8
  • Wulfdiether Zippel (Hrsg.): Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration – Eine Einführung in ausgewählte Teilbereiche der Gemeinschaftspolitiken. München 1993, ISBN 3-8006-1731-5

Einzelnachweise

  1. WU Wien: 3 Regionalismus und Globalisierung in Wirtschaftsgeschichte, Globaler Kapitalismus, von Ingo Andruchowitz

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Integration — Der Begriff Integration (die, von lateinisch integrare, wiederherstellen; deutsch Herstellung eines Ganzen) bezeichnet: Integration (Sprache), in der Sprachwissenschaft sowie Sprachphilosophie das konstruktive Arbeiten an einem treffenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Integration — die Integration, en (Mittelstufe) Prozess, der zur Vereinigung führt Synonyme: Einbeziehung, Eingliederung Beispiel: Die Osterweiterung bedeutet eine neue Ära in der europäischen Integration. Kollokation: wirtschaftliche Integration …   Extremes Deutsch

  • Integration: Wirtschaftsintegration —   Entsprechend ihres Integrationsgrades können mehrere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unterschieden werden: die ökonomische Zusammenarbeit, die Freihandelszone, die Zollunion, der gemeinsame Markt und letztlich, die höchste Stufe der… …   Universal-Lexikon

  • Europäische Integration — Flagge der Europäischen Union Die Europäische Integration steht begrifflich für einen „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ (1. Erwägungsgrund der Präambel des AEUV). Offiziell wurde dieser Begriff erstmals 1954 bei der Gründung …   Deutsch Wikipedia

  • Central American Bank for Economic Integration — Logo der Organisition Die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration (span. Banco Centroamericano de Integración Económica, kurz BCIE; engl. Central American Bank for Economic Integration, CABEI) wurde 1960 gegründet, um die… …   Deutsch Wikipedia

  • europäische Integration — europäische Integration,   die Bemühungen um eine gemeinsame, in sich verbundene wirtschaftliche, soziale und politische Struktur der europäischen Staaten.   Die Vorstellungen von einem einheitlichen Europa (Europagedanke) standen bis ins 20.… …   Universal-Lexikon

  • Europäische Union: Die Weiterentwicklung der Integration —   Das seit 1979 von den Bürgern der Mitgliedsstaaten direkt gewählte Europäische Parlament versuchte der drohenden Stagnation mit einem großen Wurf, der Gründung eines europäischen Bundesstaats, zu begegnen. Zu diesem Zweck legte es 1984 den… …   Universal-Lexikon

  • Geschichte der europäischen Integration — Entwicklung der Europäischen Union Die Geschichte der europäischen Integration ist bislang durch ein Geflecht konkurrierender Motive und Entwicklungstendenzen charakterisiert, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils richtunggebend auf die… …   Deutsch Wikipedia

  • Europa: Integration als Antwort auf die östliche Herausforderung —   Das westliche Europa gewann durch die Teilung des Kontinents noch an Motiven für einen engeren Zusammenschluss. Der wirtschaftliche Fortschritt Europas war nicht zuletzt vom Abbau innereuropäischer Handelshemmnisse abhängig, der politische… …   Universal-Lexikon

  • Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung — Staatliche Ebene Bund Stellung der Behörde Oberste Bundesbehörde als Bundesministerium Gründung 1961 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”