- Wollseifen
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Wollseifen war eine Ortschaft auf der Dreiborner Hochfläche im heutigen Nationalpark Eifel. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges haben britische Streitkräfte das Dorf geräumt, um auf dem Gelände den Truppenübungsplatz Vogelsang anzulegen. Dieser wurde 1950 dem belgischen Militär übergeben. Seit Aufgabe dieses Truppenübungsplatzes am 31. Dezember 2005 ist das auf Landkarten des Eifelvereins als Wüstung bezeichnete Geisterdorf unweit der ehemaligen Ordensburg Vogelsang auf Wanderwegen wieder zugänglich.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Während das umliegende Urfttal Bodenfunden zufolge bereits römisch besiedelt war, wird das Dorf Wollseifen auf der Höhe (ca. 500 m) erst im 12. Jahrhundert urkundlich erwähnt als Wolf-Siefen, was soviel heißt wie ein Bachtal, in dem die im Mittelalter in der Eifel vorkommenden Wölfe tranken; gemeint können nur die Täler von Urft und Neffgesbach unterhalb der Hochfläche gewesen sein. Die ersten Siedler lebten in einfachen Hütten aus gegeneinander aufgestellten Baumstämmen mit Feuerstelle (Waasemshötten).
Der Vorläufer der Pfarrkirche St. Rochus war abseits des späteren Dorfes eine 799 der Heiligen Walburga geweihte Kapelle an einem karolingischen Königshof (Walberhof). 1145 wurde der Walberhof vom römisch-deutschen König Konrad III. dem Kloster Steinfeld geschenkt. Von Kaiser Friedrich Barbarossa wurde 1162 diese Schenkung bestätigt. Lehnsmäßig im Heiligen Römischen Reich mit dem Dorf Wollseifen verbunden, wurde der Walberhof 1933/34 Eigentum der Deutschen Arbeitsfront und später abgerissen; auf dem Gelände befindet sich heute der Wanderparkplatz an der Bundesstraße 266 am Kreisel „Vogelsang“.
Im Dorf selbst begann man im 15. Jahrhundert mit dem Bau einer Kapelle, die 1470 die Gottesdienste übernahm und 1635 zur Pfarrkirche erhoben wurde. Die Walburgiskapelle verfiel, und heute ist nichts mehr von ihr übrig. Wollseifen war ein eigenes Amt mit Siegel, das seit dem Mittelalter bis zur napoleonischen Eroberung verschiedenen Lehnsherrschaften unterstand, vom Herzogtum Monschau über Jülich, Kronenburg, Virneburg, Grafschaft Schleiden bis zum Freiherrn von Harff zu Burg Dreiborn.
Die Bevölkerung lebte bis ins 19. Jahrhundert hinein von bescheidenem Ackerbau, Schafzucht, Holzfällerei und Holzköhlerei. In den Jahren 1899 bis 1904 brachte auch der Bau der Urftsperrmauer Arbeitsplätze. Mit dem Fremdenverkehr ging vor dem Ersten Weltkrieg ein erster wirtschaftlicher Aufschwung einher. In der Zeit der Weimarer Republik bekam Wollseifen als erster Ort auf der Dreiborner Höhe eine elektrische Stromleitung und eine eigene Wasserleitung. Wollseifen unterhielt zu dieser Zeit ein reiches Vereinsleben (Jünglingsverein mit nicht mehr nachvollziehbarem Gründungsdatum, Musikverein von 1905, Gesangsverein von 1914).
Zusätzliche Arbeitsplätze versprachen sich die Bewohner in der Zeit des Nationalsozialismus vom Bau der Ordensburg Vogelsang, der Ausbildungsstätte des „Führernachwuchses“. Warum „selbst besonnene Männer von diesem Treiben begeistert“ waren, ist den Herausgebern der Publikation Wollseifen – Das tote Dorf (S.32) unerklärlich. Im Kampf um die Eifel in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges (September 1944 bis Januar 1945) wurde Wollseifen durch alliierten Artilleriebeschuss stark zerstört.
Die evakuierte Bevölkerung kehrte im Sommer 1945 in das unter britischer Administration stehende Wollseifen zurück.
Die Räumung zum 1. September 1946 und ihre Folgen
Am 13. August 1946 forderte die britische Militärverwaltung die etwa 120 Familien des Ortes Wollseifen (ca. 500 Einwohner) auf, das Dorf innerhalb von drei Wochen zu räumen, denn die Briten wollten das Gelände für einen Truppenübungsplatz haben. Der Ort gehörte bis dahin zur Gemeinde Dreiborn.
Die Aufforderung löste Bestürzung bei der unvorbereiteten Bevölkerung aus, die geglaubt hatte, nach Rückkehr aus dem Kriege und aus dem Exil durch notdürftigen Wiederaufbau ihrer Häuser und erste Bestellung ihrer Felder aus dem Gröbsten heraus zu sein.
Am 1. September 1946 wurde Wollseifen von den Briten zum Sperrgebiet erklärt. Die Getreideernte konnten die Bewohner vorher noch einbringen; für die Kartoffelernte erhielten sie an einem Wochenende im Oktober noch eine gesonderte Zugangsgenehmigung. Durch Schießübungen und Brände wurden in der Folgezeit die verlassenen Gebäude nach und nach zerstört und später mit Ausnahme eines unzerstört gebliebenen Trafohäuschens und der Ruinen der Kirche, des ehemaligen Schulgebäudes und einer am Dorfrand liegenden Kapelle abgetragen.
Die Wollseifener wurden zunächst in Notunterkünfte der umliegenden Ortschaften (Einruhr, Herhahn, Gemünd, Schleiden u.a.) verbracht. Sie erhielten drei Jahre später nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland von der Schleidener Kreisverwaltung nur teilweise Flüchtlingsstatus im Sinne des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vom 10. August 1949. Einmal jährlich zu Allerseelen durften sie mit Genehmigung der belgischen Militärverwaltung die Gräber ihrer Angehörigen besuchen. Als 1955 der Wollseifener Friedhof zu stark zerstört war, endete diese Tradition mit der Umbettung der Toten auf die Friedhöfe der umliegenden neuen Wohnorte der ehemaligen Bewohner.
Als nach 1955 fest stand, dass der Truppenübungsplatz eine Dauereinrichtung und eine Rückkehr der Wollseifener in ihre Heimat nicht möglich sein würde, begann die Bundesvermögensverwaltung das Grundvermögen aufzukaufen. Gestritten wurde um den Preis; viele Eigentümer fühlten sich benachteiligt. 1962 gründeten die nunmehr verstreut lebenden Dorfbewohner den Traditionsverein Wollseifen, der ihre Interessen auf Reparationszahlungen gegenüber dem Bund vertrat. Nachdem 1975 diese Forderungen vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zurückgewiesen worden waren, verlegte der Verein seine Aktivitäten auf Geschichtsschreibung, Mundartdichtung und Traditionspflege (Seniorentreffen, Totenehrung, Patronatsfest des Hl. Rochus am 17. August). Die Mitgliederzahlen des Vereins sind durch Zeitablauf bedingt rückläufig. Die Nachfahren der evakuierten Wollseifener haben ihr Leben anderweitig eingerichtet.
Neubauten
Auf dem Dorfgelände errichtete das belgische Militär zahlreiche Kulissenhäuser, um den Häuserkampf üben zu können. Beispielsweise wurde im Mai 2001 hier für den Kosovo-Einsatz trainiert.
Wollseifen im 21. Jahrhundert / Sanierungen
Seit Aufgabe des Truppenübungsplatzes zum 1. Januar 2006 ist Wollseifen auf neuen von der Nationalparkverwaltung eingerichteten Wanderrouten wieder zugänglich, die von Wochenendausflüglern und Feriengästen häufig genutzt werden. Die Spuren der militärischen Übungen sind vereinzelt noch in Form von herumliegenden Platzpatronen und Panzerspuren zu erkennen. Das Geisterdorf liegt im Kreuzungspunkt von vier markierten Strecken, nämlich
- von Osten (Infocenter Vogelsang) durch den Urwald des Neffgesbachtals (ca. 3 km),
- von Westen - Einruhr - (ca. 5 km),
- von Süden - Herhahn - über die Dreiborner Hochfläche (ca. 4 km) sowie
- von Norden, ausgehend von der Urftsperrmauer (ebenfalls knapp 4 km).
Besonders beliebt bei Wanderern ist die letztgenannte Route zur Zeit der Ginsterblüte auf der Dreiborner Hochfläche mit ihren weiten Ausblicken auf Burg Vogelsang, Herhahn, Urftsee und Kermeter. Durch die Uferrandwege entlang des Obersees sowie die Schifffahrt auf beiden Armen dieses Sees sind die Routen 2 und 4 auch als Rundwanderung kombinierbar.
Am 16. März 2006 wurde als zeitgenössische Alternative zum Traditionsverein Wollseifen der Förderverein Wollseifen e.V. gegründet, der Restaurierungsmaßnahmen vornahm und das Gelände zur Besinnungs- und Gedenkstätte ausbaute. Am 20. August 2006 fand in der Kirchenruine der erste Gottesdienst nach 60 Jahren statt; einen solchen gibt es seither alljährlich wieder an dem auf den Namenstag des Heiligen Rochus (16. August) folgenden Sonntag (Patronatsfest).
Die Kapelle am Ortsrand wurde 2007 saniert und eingesegnet. Neben ihr wurde der Steintrog des Wollseifener Brunnens, der zuvor in Herhahn aufbewahrt wurde, nahe an seinen ursprünglichen Platz zurück verbracht.
Das Kirchenschiff erhielt 2008 einen neuen Dachstuhl; dieser und der Kirchturm wurden mit Schiefer-Ziegeln gedeckt. 2009/2010 wurden weitere Restaurierungsarbeiten an der Kirche vollendet; das Mauerwerk wurde trockengelegt, Fenster und Türen eingesetzt und im Inneren ein Auferstehungskreuz und Kirchenbänke aufgestellt.
Die Ruine der Schule wurde gesichert, und seit März 2011 benennen neue Straßenschilder die einstigen Dorfgassen. Historische Fotografien, die in der Kirche, an der Schule und an der Infotafel im Ortszentrum angebracht wurden, dokumentieren das Dorfleben der Vorkriegszeit.
Literatur
- Traditionsverein Wollseifen (Hg.): Wollseifen – Das tote Dorf. Schleiden. (Selbstverlag)
Weblinks
Commons: Wollseifen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Förderverein-Wollseifen e.V.
- taz-Artikel: Die Heimatbauer
- top.Karte von 1894 (Wollseifen)
- Wollseifen-Seite
50.5795316.427002Koordinaten: 50° 34′ 46″ N, 6° 25′ 37″ OKategorien:- Schleiden
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