- Alterung der Bevölkerung
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Der demografische Begriff Alterung der Bevölkerung bezeichnet eine Erhöhung des Durchschnittsalters einer Bevölkerung. Eine Verschiebung des Durchschnittsalters hat Auswirkungen auf die betreffende Bevölkerung, insbesondere in Bezug auf ihre materielle Versorgungslage. Grafisch wird dies mit einer Alterspyramide veranschaulicht.
Es wird davon ausgegangen, dass Menschen ab einem bestimmten Alter, wegen abnehmender Fähigkeit zum eigenen Lebensunterhalt, zunehmend auf Transferleistungen von anderen Leistungserbringern angewiesen sind. Zum Lebensbedarf zählen in erster Linie die Befriedigung physischer Bedürfnisse, wie körperliche Gesundheit, Nahrung, Kleidung und Behausung. Darüber hinaus wird in der Regel der bis zur Minderung bzw. bis zum Wegfall der Leistungsfähigkeit erworbene Lebensstandard hinzu gezählt. Ist die Gesellschaft einer Bevölkerung nicht mehr in der Lage, die Bedürftigkeit ihrer in der Erwerbsfähigkeit beschränkten Bevölkerungsteile zu beheben, entsteht eine Versorgungslücke. Je nach Schweregrad wird diese als belastend für den Zusammenhalt der Bevölkerung angesehen, bis hin zu einer demografischen Katastrophe. Grundlage für den Austausch von altersbedingten Transferleistungen innerhalb einer Bevölkerung sind Generationenverträge.
Um befürchtete Versorgungslücken zu vermeiden, werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Sie reichen von der Förderung der Bereitstellung von transferfähigen Leistungserbringern durch erhöhte Geburtenraten zur Absenkung des Durchschnittsalters, die Aufnahme von Menschen aus anderen Bevölkerungen (Einwanderungspolitik), eine Erhöhung der Produktivität der Volkswirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts bis zu Änderungen am bestehenden Generationenvertrag in Bezug auf die Abgabenlast der Leistungserbringer oder den gesellschaftlich garantierten Lebensstandard im Alter.
Inhaltsverzeichnis
Ursachen
Es gibt zwei Hauptentwicklungen, die den Altersdurchschnitt einer Bevölkerungsgesamtheit anheben: die Erhöhung der allgemeinen Lebenserwartung und der anteilige Rückgang jüngerer Menschen durch einen Geburtenrückgang oder deren Abwanderung. Eine weitere, in der Regel weniger bedeutende Rolle spielt die Zuwanderung älterer Menschen.
Infolge verbesserter Medizinischer Versorgung, einem höheren allgemeinen Hygienestandard und aufgeklärterem Gesundheitsbewusstsein, erreichen immer mehr Menschen ein hohes Lebensalter. Dadurch steigt der Bedarf an finanziellen Transferleistungen für verrentete Menschen. Zum einen wird die zeitliche Spanne zwischen Verrentung und Tod eines Menschen immer größer. Da das Leben von Menschen zunehmend durch medizinische Maßnahmen künstlich verlängert wird, erhöhen sich zusätzlich die Kosten für die medizinische Versorgung. Dadurch und durch einen absoluten Rückgang an Leistungserbringern wird der Teil der Bevölkerung, der die Aufwendungen zur Einzahlung in die Renten- und Krankenversicherung erwirtschaften muss, kleiner.
Ursachen für den Rückgang des Nachwuchses an Leistungserbringern sind:
- eine bewusste Familienplanung, vor allem in modernen Industriestaaten. Dieser Effekt wurde bereits in der Phase der Industrialisierung, Ende des 19. Jahrhunderts bemerkbar. Einen großen Anteil daran hat die zunehmende Gleichberechtigung und materielle Unabhängigkeit von Männern und Frauen zueinander. Viele Menschen verzichten ganz oder teilweise auf Kinder, aus bewusster eigener Entscheidung (Selbstverwirklichung, Erbkrankheiten, Gebärstreik, Zeugungsstreik), beruflich bedingt oder wegen verminderter familiärer Bindungsfähigkeit oder -willigkeit. Die allgemeine Bereitschaft von Männern und Frauen, Familien mit Kindern zu gründen, nimmt ab.
- die zunehmende Verfügbarkeit moderner Verhütungsmittel. Die Einführung der Anti-Baby-Pille führte mit dem so genannten Pillenknick zu einem verstärkten Geburtenrückgang seit den 1960er Jahren.
- zunehmende Zukunftsangst durch die steigende Gefahr von Arbeitslosigkeit und Lohnrückgang wegen Rationalisierung durch den technischen Fortschritt und weltweite Konkurrenz durch die Globalisierung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten, die Gewaltentwicklung in der Gesellschaft und zunehmende Umweltprobleme.
- erschwerte Kinderbetreuungsmöglichkeiten: in Deutschland wird die Kinderbetreuung im Vergleich zu anderen Industrienationen staatlich weniger gefördert und ist daher schwieriger zu organisieren
- steigende Unterhaltspflichten. In Deutschland gelten im internationalen Vergleich die längsten und strengsten wechselseitigen Unterhaltspflichten zwischen Eltern und Kindern (ca. 20 Jahre bis zum Abschluss der Ausbildung) und zwischen ehemaligen Ehepartnern (bis zu 8 Jahre).
- Kinderlosigkeit durch eine zunehmende Zeugungsunfähigkeit bzw. Unfruchtbarkeit von Menschen aufgrund von Umwelteinflüssen.
- die Auswanderung von Fachkräften. In Deutschland verlassen jährlich 150 bis 200 Tausend Menschen das Land.
Lösungsansätze
In der Regel wird die Überalterung einer Gesellschaft als ein finanzielles Problem gesehen.
Zu seiner Lösung gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze der politische Einflussnahme:
- die Beeinflussung des Verhaltens der Bevölkerung zum Erhalt des bestehenden Finanzierungssystems
- die Anpassung des Finanzierungssystems an die gesellschaftliche Änderung
Verhaltensänderung
Ein Mittel zur Verbesserung der Altersstruktur ist die Förderung der Bereitstellung von transferfähigen Leistungserbringern. Dies wird ermöglicht durch erhöhte Geburtenraten zur Absenkung des Durchschnittsalters, die Aufnahme von Menschen aus anderen Bevölkerungen (Einwanderungspolitik) sowie die Erhöhung der Produktivität der Volkswirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts.
Diskutierte Einzelmaßnahmen sind:
- kulturelle Maßnahmen:
- die Beeinflussung der Haltung zur Familiengründung, z. B. in Schule und Medien,
- finanzielle Maßnahmen:
- die Förderung der Kinderbetreuung durch Abschreibungsmodelle im Rahmen der Familienpolitik, sowie eine staatliche Bezuschussung von Kindertagesstätten,
- ein höheres Kindergeld,
- die Einführung von Zwangsmechanismen, z.B. eine Kopplung der Rentenhöhe an die Zahl der aufgezogenen Kinder,
- kostenlose Ausbildung, z. B. keine Schulgelder oder Studiengebühren,
- die Umlegung von Schwangerschaftskosten auf alle Beschäftigten, um die Angst insbesondere kleiner Betriebe vor schwangerschaftsbedingten Arbeitsausfällen zu verringern,
- medizinische Maßnahmen:
- die Förderung der Reproduktionsmedizin,
- politische Maßnahmen:
- Politik zur Verringerung von Arbeitslosigkeit und der Angst davor,
- eine geeignete Einwanderungspolitik mit Blick auf leistungsfähige und jüngere Immigranten,
- ein Wahlrecht für Kinder, das bis zum Eintritt der Volljährigkeit durch die Eltern ausgeübt wird.
Änderung des Finanzierungssystems
Änderungen des Finanzierungssystem betreffen den geltenden Generationenvertrag in Bezug auf die Abgabenlast der Leistungserbringer oder den gesellschaftlich garantierten Lebensstandard der Leistungsempfänger.
Diskutierte Einzelmaßnahmen sind beispielsweise:
- die Verringerung der mikrokanonischen Unterhaltspflicht und Erhöhung des staatlichen Anteils am Unterhalt des Nachwuchses
- neue Formen von bedingungslosem Sozialtransfer wie z.B. Bürgergeld aus Vermögenssteuer
- eine Europäisierung der sozialen Kosten
- Eine Anhebung des Renteneintrittsalters
Gegenpositionen
Die Wirkungen einer Erhöhung des Durchschnittsalters einer Bevölkerung werden teilweise als überschätzt kritisiert oder sogar als Chance wahrgenommen:
- Der Begriff Überalterung ist nicht allgemein anerkannt definiert.
- Eine Gesellschaft könne nicht überaltern, sondern allenfalls altern, argumentiert der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup.
- Der Begriff sei für sich schon bewertend und damit beständig in Gefahr, zur Agitation eingesetzt zu werden. So wird in der aktuellen Diskussion das Problem der Überalterung in der Rentendiskussion thematisiert, obwohl es bei der Rentenfinanzierung keine Probleme gäbe, wenn für alle Einwohner in der Bundesrepublik im erwerbsfähigen Alter ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehen würde.
- Auch in einer überalterten Gesellschaft kann es zu einem Überhang an arbeitsfähigen Menschen kommen, deren Arbeitsleistung aufgrund eines hohen allgemeinen Produktivitätsstandards nicht benötigt wird. Dadurch kann es zusätzlich zu einer Überlastung der erwerbstätigen Bevölkerung kommen, die zusätzlich für den arbeitslosen Bevölkerungsanteil aufkommen muss.
- Eine sinkende Geburtenrate wirke entlastend, denn Arbeitsleistungen für nicht geborene Menschen müssten nicht bereitgestellt werden. Allein die Existenz eines Kindes führe nicht automatisch zu einem wirtschaftlichen Nettogewinn für die Gesellschaft. Ein Kind erzeuge zunächst gesellschaftliche Kosten, die erst durch Aufnahme einer Tätigkeit mit wirtschaftlicher Wertschöpfung aufgewogen werden. Allerdings gebe es keine Garantie dafür, dass alle Menschen einen transferfähigen Status erreichen. Für diese müssten dann zusätzlich dauerhaft Transferleistungen gezahlt werden.
- Ein pauschales Kindergeld müsse mit einer qualifizierenden schulischen und beruflichen Ausbildung einhergehen.
- Während der Anteil der nicht produktiven Bevölkerung steigt, nehme in einer fortschrittlichen Industriegesellschaft die wirtschaftliche Produktivität durch den technischen Fortschritt zu, was den zahlenmäßigen Rückgang an Leistungserbringern ausgleiche.
- Der Bevölkerungsrückgang in den Industrienationen wirkt einer Bevölkerungszunahme in den Nicht-Industrienationen entgegen, was sich durch eine Öffnung der Bevölkerungsgrenzen ausgleichen ließe.
- Eine einseitige Orientierung auf die Herabsenkung des Durchschnittsalters einer Bevölkerung durch eine Erhöhung der Zahl an jüngeren Menschen durch ein Bevölkerungswachstum beschleunigt die Gefahr einer Überbevölkerung.
- Die Wirtschaft könne die zunehmende Marktnachfrage als zusätzlichen Absatzmarkt (Silbermarkt) nutzen, was auch entlastend auf den Arbeitsmarkt wirke.
Situation in Deutschland
Deutschland hat inzwischen eine der ältesten Bevölkerungen der Welt. Im Jahr 2009 war jeder fünfte Mensch in Deutschland 65 Jahre und älter, 1950 waren es nur jeder zehnte. Gleichzeitig war die Zahl der Neugeborenen in Deutschland im Jahr 2009 mit 665000 so niedrig wie nie zuvor und hat sich gegenüber 1950 nahezu halbiert.[1] Im Jahr 2010 waren nur noch 16,5% der Bevölkerung in Deutschland jünger als 18 Jahre, 2000 betrug der Anteil der unter 18-Jährigen noch 18,8%.[2]
Die Fertilitätsrate lag im Jahr 2007 in Deutschland im Westen bei 1,375 und im Osten bei 1,366 Kindern je Frau. Im internationalen Vergleich ist dieser Wert für Deutschland, wie auch in Österreich, Griechenland, Italien und Spanien, weit unter dem Ersatzniveau für eine stabile Bevölkerungszahl. Der aktuelle demographische Wert für eine konstante Bevölkerungszahl (ohne Berücksichtigung von Zu- und Abwanderung) liegt mittlerweile durch zivilisatorische Fortschritte bei 2,1. Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten werden sehr viel weniger Kinder geboren. 1850 lag die Fertilitätsrate beispielsweise bei 5.
In der demografischen Analyse der Überalterung wird häufig der Altenquotient als Maßzahl verwendet. Er ist definiert als das Verhältnis der 65-Jährigen und Älteren zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Die Kommission zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme unter Vorsitz von Professor Bert Rürup beziffert diesen Faktor auf das Jahr 2000 mit 24,2 %, auf das Jahr 2030 mit 34,9 % und auf das Jahr 2040 auf 52,6 %.
Literatur
- Meinhard Miegel (2002): Die deformierte Gesellschaft, ISBN 3548364403
- Frank Schirrmacher (2004): Das Methusalem-Komplott, ISBN 3896672258
- Nicholas Strange: Keine Angst vor Methusalem! Warum wir mit dem Altern unserer Bevölkerung gut leben können. zu Klampen Verlag, Springe 2006, ISBN 978-3-934920-90-3.
- Albrecht Müller (2004): Die Reformlüge. 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren, ISBN 3426273446 - zur Kritik des Mythos "Wir werden immer älter" die Seiten 115ff.
- Franz-Xaver Kaufmann (2005): Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, ISBN 3518124064
- Mirjam Mohr: Statistiken - Die Mär von den aussterbenden Deutschen. In Der Spiegel vom 23. August 2006, online
Siehe auch
Weblinks
- Verweigerung des demografischen Auftrags, bei Telepolis, 21. Oktober 2005
- Demografische Entwicklung - kein Anlass zur Dramatik (PDF) Aufsatz von Gerd Bosbach, Januar 2004 (183 kB)
Belege
- ↑ Statistisches Bundesamt: 60. Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs erschienen. Pressemitteilung Nr.368 vom 5. Oktober 2011 (Zugriff am 5. Oktober 2011)
- ↑ Statistisches Bundesamt: Wie leben Kinder in Deutschland? Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 3. August 2011 in Berlin (PDF) (Zugriff am 5. Oktober 2011)
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