Arthur Läwen

Arthur Läwen

Arthur Läwen, eigentlich Georg Arthur Läwen, (* 6. Februar 1876 in Waldheim in Sachsen; † 30. Januar 1958 in Lüneburg), war ein deutscher Chirurg und Wegbereiter der heutigen Anästhesiologie.[1][2][3][4]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Läwen (am Fußende mit verschränkten Armen) und Trendelenburg (links vor Läwen) bei einer Operation um 1909[1]

Seine Eltern waren der königlich-sächsische Verwaltungsbeamte Gustav Adolf Läwen und dessen Frau Ernestine Clara geb. Guth. Arthur studierte von 1895 bis 1900 in Rostock, Freiburg im Breisgau, München und Leipzig Medizin. 1900 erhielt er die ärztliche Approbation und wurde mit einer bakteriologischen Dissertation zum Dr.med. promoviert. Anschließend begann er in dem von dem Privatdozenten Heinrich Braun geleiteten Diakonissenkrankenhaus Leipzig eine chirurgische Ausbildung, die er von 1904 bis 1911 in der von Friedrich Trendelenburg geleiteten Chirurgischen Universitätsklinik Leipzig fortsetzte. 1908 habilitierte er sich. 1911 wurde er chirurgischer Chefarzt des Krankenhauses Sankt Georg in Leipzig. Im selben Jahr heiratete er Kathrine Hubert, mit der er fünf Kinder hatte. Im Ersten Weltkrieg Sanitätsoffizier, kehrte er 1918 an das Krankenhaus Sankt Georg zurück, folgte aber 1919 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Chirurgie der Universität Marburg. 1928 wechselte er auf den Lehrstuhl für Chirurgie der Universität Königsberg, den er bis 1945 innehatte. Im Zweiten Weltkrieg war er Beratender Chirurg des Heeres auf vielen Kriegsschauplätzen und operierte in vielen Lazaretten. 1939 wurde er selbst durch einen Durchschuss der rechten Hand verwundet. 1941 bis 1943 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und leitete als solcher 1943 den letzten Kongress der Gesellschaft während des Zweiten Weltkriegs in Dresden.

Im November 1944 war seine Frau auf das Gut Severloh im Landkreis Celle gezogen. Am 31. Januar 1945 verließ Läwen Königsberg mit einem Lazarettschiff und arbeitete in Lazaretten, bis er Anfang 1946 ebenfalls nach Severloh gelangte. 1948 zog die Familie nach Hermannsburg, Landkreis Celle. Anfang der 1950er Jahre wurde der Beginn von Demenz deutlich. 1954 brachte ihn die Familie in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg unter. Dort ist er gestorben.

Werk

Läwen hat etwa 200 wissenschaftliche Arbeiten – Aufsätze oder Bücher – publiziert.[2] Gemäß seinen Erfahrungen in den beiden Weltkriegen sind darunter Titel wie Erfahrungen über Bauchschußverletzungen und ihre Frühoperation im Feldlazarett (1915), Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg (1922), Frühoperation bei schweren Verbrennungen (1936), Grundsätzliches in der Kriegschirurgie (1940), Über die Offenhaltung von Kriegsschußwunden durch behelfsmäßig hergestellte Wundspreizen (1943) und Über die Teilresektion des Hüftgelenkes bei Eiterungen nach Kriegsschußverletzungen (1943). Darunter sind außerdem allgemein-chirurgische Titel wie Über Lungenkomplikationen nach Bauchoperationen (1906), Zur praktischen Anwendung der instrumentellen künstlichen Respiration (1910), Über die periarterielle Sympathektomie bei der Extremitätentuberkulose (1924) und Chirurgie bei Störungen des vegetativen Nervensystems (1927).[1][2] Herausragend aber sind seine Beiträge zur Lokalanästhesie; und genial war sein Vorschlag zum Gebrauch von Curare, dem Prototyp der Muskelrelaxantien, bei Operationen.

Lokalanästhesie

Nach der Einführung des Cocains als Lokalanästhetikum 1884 gab es viele Versuche, ein weniger toxisches Mittel zu finden. Zum Erfolg führte schließlich die Synthese des Procains durch Alfred Einhorn, seine medizinische Prüfung durch Heinrich Braun und Läwen in Leipzig sowie Brauns fundamentale Erkenntnis, dass Zusatz des damals eben entdeckten Adrenalins (= Suprarenins) zur Lösung des Procains erstens dessen Wirkung am Injektionsort verstärkte und verlängerte und zweitens seine "systemische" Wirkung, also die Wirkung außerhalb der Injektionsstelle, abschwächte.[5][6] Die Farbwerke Hoechst AG brachten 1905 das Procain als Novocain in den Handel. Es ist viele Jahrzehnte das Standard-Lokalanästhetikum geblieben.

1899 hatte Heinrich Braun die Leitung der Chirurgie des Leipziger Diakonissenhauses übernommen, 1900 stieß Läwen zu ihm. Für beide wurde die Lokalanästhesie ein lebenslanges Thema. Aus demselben Jahr 1905 wie Brauns erste Mitteilung über Novocain stammt eine erste ausführliche Untersuchung von Heineke und Läwen.[7]

Nicht nur an der Einführung des Standard-Lokalanästhetikums, sondern auch an der Entwicklung der vielen Techniken der Lokalanästhesie, etwa der Spinalanästhesie und der Periduralanästhesie, hat Läwen mitgewirkt.

Brauns Buch Die Lokalanästhesie – ihre wissenschaftlichen Grundlagen und praktische Anwendung, 1. Auflage 1905, von der 5. Auflage an umbenannt in Die örtliche Betäubung – ihre wissenschaftlichen Grundlagen und praktische Anwendung, hat Läwen in der 8. Auflage 1933 und der 9. Auflage 1951 mit herausgegeben.

Pharmakologische Ergänzungen

Sowohl Braun als auch Heineke und Läwen berichteten 1905 im Wesentlichen über Beobachtungen an Menschen, darunter viele Selbstversuche.

Läwen besuchte aber in seiner Leipziger Zeit bei Heinrich Braun und Friedrich Trendelenburg oft das von Rudolf Boehm geleitete Pharmakologische Institut Leipzig. Hier entstand parallel zu den klinischen Arbeiten tierexperimentelle Grundlagenforschung. 1907 hat Laewen zum ersten Mal Procain, Cocain und andere Lokalanästhetika an einem isolierten Nerven, dem Nervus ischiadicus des Frosches, verglichen.[8]

Adrenalin verstärkt die örtliche und vermindert die "systemische" Wirkung von Procain durch Kontraktion der Blutgefäße am Injektionsort, also Vasokonstriktion und damit Verzögerung des Abtransports des Procains durch den Blutstrom. Läwen dehnte seine Grundlagenforschung auf die Vasokonstriktion durch Adrenalin aus. Er verwendete Blutgefäße von Fröschen und führte dazu eine Methode ein, die später von dem Pharmakologen Paul Trendelenburg weiterentwickelt und als Laewen-Trendelenburgsches Froschpräparat bekannt wurde.[9]

Läwen beobachtete, dass die Blutgefäße Adrenalin aus der umgebenden Flüssigkeit beseitigten, und sprach von "einer starken selektiven Aufnahmefähigkeit" der Blutgefäßzellen für Adrenalin – eine Beobachtung, die ein halbes Jahrhundert später durch die Identifizierung der Transportproteine bestätigt wurde.[10][11]

Curare

Rudolf Boehm und sein Pharmakologisches Institut in Leipzig waren führend in der Erforschung des Curare und seiner Inhaltsstoffe. Schon wiederholt hatte man versucht, Wundstarrkrampf-Patienten mit Curare zu behandeln, ohne viel Erfolg. Trotzdem griff Läwen, ermutigt durch Friedrich Trendelenburg, das Thema auf, zunächst, 1906, tierexperimentell. Später in Marburg behandelte er die Patienten kombiniert mit einem Sedativum, einem Curarepräparat und künstlicher Beatmung – auch heute noch Grundlage der Behandlung.

Muskelrelaxation bei Operationen – Idee, Verwirklichung, Vergessen und Erinnerung

1912 veröffentliche Läwen einen Aufsatz Ueber die Verbindung der Lokalanästhesie mit der Narkose, über hohe Extraduralanästhesie und epidurale Injektionen anästhesierender Lösungen bei tabischen Magenkrisen. Die Formulierung zeigt die Breite von Läwens chirurgischem Denken, versteckt aber geradezu die geniale Idee und ihre Verwirklichung, die erst gegen Ende auf gut einer der 22 Seiten eher beiläufig beschrieben werden:

"Ein großer Uebelstand bei oberflächlicher Narkose ist der, daß die Kranken namentlich bei der Bauchdeckennaht die Bauchmuskulatur übermäßig anspannen, so daß eine ordnungsgemäße Schichtnaht sehr erschwert wird. Gerade diese Bauchdeckenspannung ist schuld daran, daß im letzten Stadium der Operation noch oft tief narkotisiert wird. Hierdurch wird wieder die Gefahr der Ueberdosierung in die Nähe gerückt. Ich habe nun Versuche angestellt, diese Anspannung der Bauchmuskulatur auf andere Weise zu verhindern. Ich habe hierzu C u r a r i n benutzt, die von B o e h m aus den Curare-Präparaten hergestellte wirksame Substanz. Das Curarin hat vor den Curaredrogen der großen Vorzug, ein exakt dosierbares Präparat zu sein, bei dem mit absoluter Zuverlässigkeit der gleichen Dosis immer die gleiche Wirkung entspricht. Mit den gewöhnlichen Curarepräparaten würde ich es nie gewagt haben, am Menschen Versuche anzustellen.

Meine Absicht war, daß sich Narkose und Curarinwirkung gewissermaßen entgegenkommen sollten. Erstere bedingt eine Abschwächung des motorischen Innervationsimpulses. Letztere bewirkt durch Einschiebung eines Blocs zwischen motorische Nervenendigung und quergestreifter Muskulatur, daß der schwächere Innervationsreiz gewissermaßen an eine Barriere kommt und eine Muskelkontraktion überhaupt nicht mehr oder doch nur in geringem Maße fertig bringt. Die Wirkung bei der Bauchdeckennaht war sehr deutlich und angenehm. Leider ist zurzeit die Curaredroge in genügender Menge nicht zu beschaffen.“[12]

In Problemstellung, Lösungsidee, wissenschaftlicher Korrektheit und Verständlichkeit der Sprache ist dies ein vorbildlicher Text, dem dennoch Vergessen beschieden war, wohl aus dem von Läwen angegebenen Grund. Weltweit aufgegriffen wurde erst 30 Jahre später der Bericht The use of curare in general anesthesia der kanadischen Ärzte Harold Randall Griffith und G. Enid Johnson.[13]Curarepräparate waren jetzt beliebig verfügbar, andere Muskelrelaxantien folgten, Milliarden von Menschen haben seither von diesen Hilfsstoffen bei Operationen profitiert, aber Griffith und Johnson wussten anscheinend nichts mehr von Läwens Pioniertat.

Wiederentdeckt wurde die Tat von dem britischen Anästhesisten Cyril F. Scurr, der 1951 schrieb: "Such enlightened observations unfortunately attracted little notice at the time, and owing to shortage of supplies of the drug Laewen's work was curtailed."[14] Scurr wiederum fand 1969 Eingang in das populärwissenschaftliche Curare-Buch von Philipp Smith Arrows of Mercy, in dem Läwen als Beispiel dient: "Medical history if full of examples of discoveries being made before their time – that is, before the world was ready for them." Trotzdem fehlt Läwen 1989 in einer kleinen historischen Abhandlung des kanadischen Anästhesisten R. L. Knill über Curare.[15] Darauf hingewiesen durch den Hamburger Anästhesisten Michael Goerig,[16] antworteten Knill und sein deutschsprachiger Student Brueggemann:[17] "His (Läwens) 1912 article is fascinating, not only with respect to the suggested usefulness of curare during anesthesia. ... Laewen seems to have been a highly inquisitive and innovative surgical registrar who saw solutions to important anesthetic problems many years before they were thought of again and introduced into practice. He was decades ahead of his time."

Würdigungen

1920 wurde Läwen Mitglied der Gesellschaft zur Förderung der gesamten Naturwissenschaften in Marburg, 1940 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 1948 Ehrenmitglied der Vereinigung Niederrheinisch-westfälischer Chirurgen, 1950 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Gesellschaft der Chirurgen Wiens.[2]

Den Sätzen von Knill und Brueggemann kann man ein Urteil des Heidelberger Chirurgen Karl Heinrich Bauer von 1955 anschließen, das Läwens Hamburger Biographen Goerig und Schulte am Esch 1993 zustimmend zitieren:[1] "Kein Zweifel, der junge L ä w e n hatte mit der Curarisierung, Intubation und künstlichen Beatmung alle Schlüssel der heutigen Anästhesie bereits 1910 in der Hand."[18]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d M. Goerig und J. Schulte am Esch: Arthur Läwen – ein Wegbereiter moderner Anästhesieverfahren. In: Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie 1993; 28:315–325.
  2. a b c d Grit Groth: Arthur Läwen – ein Pionier der deutschen Anästhesie. Medizinische Dissertation, Rostock 1996.
  3. Internetseite der Universität Leipzig http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Laewen_434.html
  4. Internetseite des Klinikums St. Georg Leipzig http://www.sanktgeorg.de/1658.html?&F=0
  5. H. Braun: Ueber den Einfluss der Vitalität der Gewebe auf die örtlichen und allgemeinen Giftwirkungen localanästhesirender Mittel und über die Bedeutung des Adrenalins für die Localanästhesie. In: Archiv für klinische Chirurgie 1903: 69:541–591.
  6. H. Braun: Ueber einige neue örtliche Anaesthetica (Stovain, Alypin, Novocain). In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 1905; 31:1667–1671
  7. H. Heineke und A. Läwen: Experimentelle Untersuchungen und klinische Erfahrungen über die Verwertbarbeit von Novokain für die örtliche Anästhesie. In: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1905; 80:180–198.
  8. A. Läwen: Vergleichende Untersuchungen über die örtliche Wirkung von Kokain, Novokain, Alypin und Stovain auf motorische Nervenstämme. In: Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1907; 56:138–160.
  9. Leopold Ther: Pharmakologische Methoden. Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1949, Seite 191.
  10. A.Läwen: Quantitative Untersuchungen über die Gefässwirkung von Suprarenin. In: Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1904; 51:415–441
  11. Klaus Starke: A history of Naunyn-Schmiedeberg’s Archives of Pharmacology 1998; 358:1–109, hier Seite 36
  12. A. Läwen: Ueber die Verbindung der Lokalanästhesie mit der Narkose, über hohe Extraduralanästhesie und epidurale Injektionen anästhesierender Lösungen bei tabischen Magenkrisen. In Beiträge zur klinischen Chirurgie 1912; 80:168–189; mit kleinen Kürzungen zitiert
  13. Harold R. Griffith und G. Enid Johnson: The use of curare in general anesthesia. In: Anesthesiology 1942; 3:418–420
  14. Cyril F. Scurr: A comparative review of the relaxants. In: British Journal of Anaesthesia 1951; 23:103–116
  15. R.L. Knill: D–tubocurarine and upper airway obstruction: a historical perspective. In: Anesthesiology 1989; 71:480
  16. Michael Goerig: Pioneering curare in anesthesia. In: Anesthesiology 1990; 73:189–190
  17. R.L. Knill und H. Brueggemann: In reply. In: Anesthesiology 1990; 73:190
  18. K.H. Bauer: Die Wandlungen des Anaesthesie vom Standpunkt des Operateurs. In: Langenbecks Archiv für klinische Chirurgie 1955; 282:163–177

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