artikeldrei

artikeldrei

Die Initiative artikeldrei (oder auch 3 +) ist eine Aktion des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland e. V., welche sich die Ergänzung des dritten Artikels des deutschen Grundgesetzes zum Ziel gesetzt hat. Sie wurde vom Lesben- und Schwulenverband zu dessen zentraler Forderung anlässlich der bundesweiten Veranstaltungen zum Christopher Street Day im Jahre 2009 erhoben und von einigen Veranstaltern übernommen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Initiative fordert die Aufnahme der sexuellen Identität in den dritten Absatz des dritten Artikels des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 3 GG). Das Grundgesetz klammert diesen Punkt im Gegensatz zu einigen anderen Merkmalen bisher aus, was als diskriminierend angesehen wird.

Die Initiative fordert folgende Ergänzung des Grundgesetzes:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seiner sexuellen Identität, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Die Initiative lenkt damit Aufmerksamkeit auf das Thema mit der Absicht, die Volksvertreter und eine breite Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung zu überzeugen. Da für eine Änderung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erreicht werden muss, werden insbesondere die großen Volksparteien angesprochen. Am 29. September 2009 reichten die Landesregierungen von Berlin, Bremen und Hamburg gemeinsam eine Bundesratsinitiative zur Ergänzung des Diskriminierungsverbots in Artikel 3 des Grundgesetzes ein. Der Beschluss der Hamburger Bürgerschaft erfolgte auch mit den Stimmen der Regierungsfraktion der CDU, die sich auf Bundesebene bisher nicht für eine Grundgesetzänderung ausgesprochen hat; im Februar 2011 votierte der Landtag des Saarland einstimmig für den Diskriminierungsschutz.[2] [3]

Nach Auffassung der Unterstützer der Initiative artikeldrei spricht für eine Änderung des Grundgesetzes, dass dieses in der bestehenden Form dem Gesetzgeber einen größeren Spielraum für die Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Identität belässt; einen größeren Spielraum, als es mit einem ausdrücklichen Diskriminierungsverbot der Fall wäre. Es wird an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1957[4] zum damaligen § 175 StGB erinnert, welche die Verfassungsmäßigkeit von § 175 ausdrücklich bestätigte. Das bis 1994 existierende Gesetz wäre im Rahmen eines erweiterten Artikels 3 nicht möglich gewesen. Ein solches Gesetz wäre demnach grundsätzlich bereits mit einfacher Mehrheit wieder beschließbar. Ein Diskriminierungsverbot würde nach Ansicht der Befürworter darüber hinaus ein Signal setzen, das zur Erhöhung der Akzeptanz der Betroffenen beitragen könne.[5]

Rezeption

Die Initiative wird von einigen Parteien und zahlreichen Prominenten aus der bundesdeutschen Politik, Kultur und Gesellschaft unterstützt und haben sich damit für eine entsprechende Änderung von Artikel 3 ausgesprochen.

Die Parteien Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die SPD unterstützen die Aktion [6]; innerhalb der CDU wird die Grundgesetzänderung bislang nur von Einzelpersonen der CDU, wie Heiner Geißler, der CDU des Landes Hamburg und der Parteiorganisation "LSU", befürwortet.[7]

Zu den Befürwortern einer Grundgesetzänderung gehört, neben der früheren Justizministerin Brigitte Zypries,[8] unter anderem auch die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt.[5] Zypries sieht eine über die Symbolik hinausgehende Wirkung der Änderung von Artikel 3. Diese würde den Gesetzgeber unter einen Rechtfertigungsdruck gegenüber der Verfassung bringen:

„[Man] könnte dann nicht mehr mit fadenscheinigen Argumenten verhindern, dass Ehepartner und Lebenspartner von Beamtinnen und Beamten gleichgestellt werden. Mit einer Verfassungsänderung ändert sich der Maßstab, an dem die einfachen Gesetze zu messen sind.[9]

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, befürwortet ebenfalls eine Aufnahme der sexuellen Identität in das Grundgesetz, sieht dies alleine aber als unzureichend an. Er fordert darüber hinaus ein Schutz von Minderheiten im Sinne eines Gruppenrechts und verweist darauf, dass die Väter des Grundgesetzes – unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Regimes – lediglich einen Individualschutz häufig diskriminierter Gruppen verankert hätten und somit ein Reformbedarf bestehe.[10]

Daneben haben sich Prominente wie Maybrit Illner, Frank Bsirske, Dirk Bach, Hape Kerkeling, Iris Berben, Charlotte Knobloch und Bischöfin Maria Jepsen für eine Grundgesetzänderung ausgesprochen. [11]

Über die Initiative gibt es eine breite Berichterstattung in den Tageszeitungen, wie zum Beispiel in der taz,[12] dem Tagesspiegel[13] und der Süddeutschen Zeitung[14], sowie in der Internet-Zeitung ngo-online.[15]

Petition an den Bundestag

Am 27. Dezember 2009 wurde im Deutschen Bundestag eine Petition für die Erweiterung des Art. 3 GG eingereicht, die auch online zur Mitzeichnung bereitgestellt war. Die Frist endete am 3. März 2010 und wurde mit 9749 Personen von einer vergleichsweise hohen Anzahl Wahlberechtigter unterschrieben. [16]

Ablehnung des Gesetzentwurfs durch den Bundestag

Am 30. Juni 2011 hat der Bundestag, gegen die Stimmen der Opposition, sämtliche Artikel 3 betreffenden Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien abgelehnt.[17]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. So z.B. der CSD in Hamburg und Koblenz
  2. lsvd.de Februar 2011: Saarländischer Landtag votiert einstimmig für die Änderung des Artikel 3
  3. Gemeinsame Bundesratsinitiative der Länder Berlin, Bremen und Hamburg zur Änderung des Artikels 3
  4. Urteil vom 10. Mai 1957, Az. 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389 = NJW 1957, 865.
  5. a b Argumentation der Initiative artikeldrei: Stimmen zu Grundgesetz Christine Hohmann-Dennhardt: Redebeitrag zur Änderung von Artikel 3. In: Fundamente der Freiheit stärken – 60 Jahre Grundgesetz (Kongressbericht). gruene-bundestag.de, 20. März 2009, abgerufen am 19. Juli 2009.
  6. Bundestag:Auch Linke wollen Merkmale der sexuellen Identität in das Grundgesetz aufnehmen
  7. Artikeldrei:Befürworter der Aktion, Verbände und Vereine
  8. Susanne Höll: Brigitte Zypries im Interview – „Zutiefst ungerecht“. Süddeutsche Zeitung, 25. Juni 2009, abgerufen am 2. Juli 2009.
  9. Sirko Salka, Andreas Hergeth: Letzte Lücken schließen – Gespräche mit Brigitte Zypries. In: Siegessäule 6/2009, Beilage Pride Extra. Siegessäule, S. 12, abgerufen am 19. Juli 2009 (PDF).
  10. Kenan Kolat: 60 Jahre Grundgesetz – Entwicklungen im Zuge der Migration. Türkische Gemeinde in Deutschland, 25. März 2009, abgerufen am 19. Juli 2009 (PDF).
  11. Artikeldrei:Befürworter der Aktion, Personen
  12. Jan Feddersen: Schwule und Lesben nicht gleichberechtigt. Christlich homophob. taz, 26. Juni 2009, abgerufen am 15. Juli 2009.
  13. Sabine Beikler/Lars von Törne: Sexuelle Identität soll im Grundgesetz geschützt werden. Der Tagesspiegel, 25. Juni 2009, abgerufen am 15. Juli 2009.
  14. Gleichgeschlechtliche Paare haben Pflichten, aber keine Rechte. Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2009, abgerufen am 15. Juli 2009.
  15. Diskriminierungsschutz. Lesben und Schwule verlangen Ergänzung des Grundgesetzes. ngo-online, 16. Dezember 2008, abgerufen am 15. Juli 2009.
  16. Petition vom 27. Dezember 2009 an den Deutschen Bundestag: „Grundgesetz - Berücksichtigung der sexuellen Identität in Artikel 3 GG“ – Mitzeichnungsfrist endete am 3. März 2010.
  17. bundestag.de Die Beschlüsse des Bundestages am 30. Juni und 1. Juli: Sexuelle Identität nicht ins Grundgesetz

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Lesben und Schwule in der Union — Logo Bundesvorsitzender Basisdaten Gründungsdatum: 1998 Vorsitzender: Alexander Vogt …   Deutsch Wikipedia

  • Bündnis 90/Die Grünen — Bündnis 90/Die Grünen …   Deutsch Wikipedia

  • Lesben und Schwule in der SPD — Schwuso Logo Die Lesben und Schwulen in der SPD (Schwusos) sind ein Arbeitskreis von sozialdemokratisch orientierten Homosexuellen, die sich in der SPD organisiert haben. Der Arbeitskreis wurde 1978 gegründet und hat heute 13 Landesverbände. In… …   Deutsch Wikipedia

  • Brigitte Zypries — (* 16. November 1953 in Kassel) ist eine deutsche Politikerin (SPD). Sie war von 2002 bis 2009 Bundesministerin der Justiz in den Kabinetten Schröder II und Merkel I und ist seit 2009 Justiziarin der SPD Bundestagsfraktion …   Deutsch Wikipedia

  • Gesetze zur Homosexualität — Status von gleichgeschlechtlichen Paaren in Europa ██ Gleichgeschlechtliche Ehe ██ Eingetragene Lebenspartnerschaft …   Deutsch Wikipedia

  • Gleichstellung (Homosexuelle) — Unter der Gleichstellung von Homosexuellen wird das Erreichen der Gleichberechtigung und der faktischen Chancengleichheit von homosexuellen und heterosexuellen Menschen verstanden. Themen Bei der Gleichstellung auf Grund der sexuellen Identität… …   Deutsch Wikipedia

  • Heiner Geißler — Heiner Geißler, 1978 …   Deutsch Wikipedia

  • Lesben- und Schwulenverband in Deutschland — (LSVD) Zweck: Stärkung gesellschaftlicher Akzeptanz von Lesben und Schwulen Vorsitz: 12 köpfiger Bundesvorstand[1] …   Deutsch Wikipedia

  • § 175 — Der linke Publizist Kurt Hiller veröffentlichte 1922 eine Aufsatzsammlung gegen den § 175. Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 175 StGB Deutschland) existierte vom 1. Januar 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”