Berthold Epstein

Berthold Epstein

Berthold Epstein (* 1. April 1890 in Pilsen; † 9. Juni 1962 in Prag) war ein tschechoslowakischer Kinderarzt. Er wurde 1942 in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, wo ihn Josef Mengele als Häftlingsarzt ins „Zigeunerlager“ Auschwitz verlegen ließ. Mengele zwang Epstein, ihm bei seinen Menschenversuchen zu assistieren.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Studium und Karriere

Epstein war ein Sohn des Prager Kinderarztes Alois Epstein (1849–1918), der eine über Prag hinaus wirksame pädiatrische Schule begründete, zu der etwa Adalbert Czerny, Leopold Moll und Rudolf Fischl zu rechnen sind. Berthold Epstein studierte Medizin von 1908 bis 1914 in Prag und Wien und promovierte 1914 in Prag. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er ab 1919 zunächst an der Berliner Universitäts-Kinderklinik bei Adalbert Czerny, dann seit 1920 an der II. Kinderklinik in der böhmischen Landes-Findelanstalt in Prag bei Rudolf Fischl, wo er sich 1924 auch habilitierte. Dabei untersuchte er die sogenannte „Soorkrankheit“. Anhand von Tier- und Laborversuchen und Untersuchungen an hunderten Müttern, Ammen und Kindern identifizierte er horizontale Infektketten, die er auf Hefepilze in den Mündern der Mütter zurückführte.[1]. 1932 wurde er stellvertretender Direktor der Klinik und fünf Jahre später ihr Direktor und Ordinarius an der Deutschen Universität Prag. Die Schwerpunkte von Epsteins Forschungen waren die Tuberkulose des Kindesalters, Säuglingsernährung, congenitale Lues und soziale Pädiatrie.

Epstein war Mitglied des pädiatrischen Studienausschusses der Internationalen Krankenhausgesellschaft und wurde 1937 Mitglied des Beirates für Heil- und Humanitätsanstalten beim tschechischen Gesundheitsministerium. Der deutschnational eingestellte Epstein distanzierte sich allerdings von seinen tschechischen Kollegen und gehörte 1937 zu den Gründern der Deutschen Pädiatrischen Gesellschaft in der Tschechoslowakei, einer unabhängigen Vereinigung der deutschen Kinderärzte, deren erster Präsident er zugleich wurde. Im selben Jahr amtierte er auch als Präsident der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in Prag.

Versuch der Emigration und Deportation

Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei wurde Epstein zum 1. Februar 1939 als Direktor entlassen. Er versuchte im April 1939 vergeblich, nach England zu emigrieren. Am 18. Oktober 1939 erhielt er jedoch eine Aufenthaltsgenehmigung für Norwegen und wurde zugleich aufgefordert, sich als Direktor Universitäts-Kinderklinik Oslo zu bewerben.

Nach der deutschen Besetzung Norwegens forschte Epstein für das Oslo Council of Health zur Tuberkulose. Er wurde am 25. Oktober 1942 durch Norwegische Staatspolizei auf Anordnung der Gestapo verhaftet und am 27. Oktober in das KZ Berg bei Tønsberg verbracht. Auf Intervention des Roten Kreuzes wurde ihm hier gestattet, im Krankenraum zu behandeln. Am 27. November wurde auch seine Ehefrau Ottilie verhaftet. Am 28. November 1942 wurden die Epsteins mit dem Dampfer „Donau“ nach Stettin gebracht und von dort nach Auschwitz deportiert.

Häftlingsarzt im KZ Auschwitz

Bald nach ihrer Ankunft wurde Epsteins Ehefrau ermordet. Er selbst wurde zunächst im Nebenlager Monowitz inhaftiert. Es gab von verschiedener Seite Bemühungen, etwa vom Czech Refugee Trust Fund in England, ihn frei zu bekommen. Am 19. August 1943 etwa intervenierte Prinz Karl von Schweden persönlich über das Schwedische und das Deutsche Rote Kreuz.

Im August 1943 holte ihn Josef Mengele eigens als Häftlingsarzt in das „Zigeunerlager“ Auschwitz, wo sich vor allem unter den dort internierten Kindern die Mangelerkrankung Noma ausgebreitet hatte. Epstein beaufsichtigte auf Anordnung Mengeles die Kranken in gesonderten Baracken und untersuchte gemeinsam mit anderen Häftlingsärzten in Mengeles Auftrag Verlauf, Ursachen und Behandlung der Noma. Mengele zog Epstein und andere Häftlingsärzte auch zur wissenschaftlichen Bearbeitung seiner weiteren medizinischen Experimente auf den Gebieten der Zwillingsforschung und der angeborenen Missbildungen heran und ernannte Epstein zum Leiter seines Experimentallabors.[2] Der Häftlingsschreiber Tadeusz Joachimowski sagte aus, dass Mengele im Mai 1944 Epstein auch gezwungen habe, für ihn eine Selektion von eintausend Juden zur Vergasung in Birkenau durchzuführen, weil er eine neu eingetroffene Gruppe von dreißig „Zigeunern“ im Lager habe aufnehmen wollen.[3]

Nach der Befreiung

Im Januar 1945 wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Epstein trat als Sanitätsoffizier in die Tschechische Armee ein und versuchte vergeblich, nach England zu gelangen. Bis zu seinem Tode leitete er die Kinderabteilung des Krankenhauses Bulovka in Prag.

Veröffentlichungen

  • Prognose und Verlaufsformen der Säuglingstuberkulose Urban & Schwarzenberg, Berlin, Wien 1924. (= Medizinische Klinik / Beihefte 20)
  • mit Ernst Slawik: Richtige Ernährung und Ernährungsfehler im Schulalter. Dt. Arbeitsgemeinschaft f. Volksgesundheit, Prag [1934?]
  • Richtlinien für die Ernährung des Säuglings Prag-Smichov [1937?].

Literatur

  • Eduard Seidler: Jüdische Kinderärzte 1933-1945. Entrechtet, geflohen, ermordet. 2. Aufl., Karger, Freiburg i. Br. 2007.
  • Ludmila Hlaváčková, Petr Svobodný: Biographisches Lexikon der Deutschen Medizinischen Fakultät in Prag 1883-1945 Verlag Karolinum, Prag 1998, ISBN 9788071845218.

Einzelnachweise

  1. Werner Mendling: Vaginose, Vaginitis, Zervizitis und Salpingitis. 2. Aufl., Heidelberg 2006, S. 65.
  2. Helena Kubica: Dr. Mengele und seine Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. In: Hefte von Auschwitz. Band 20, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau 1997, ISSN 0440-5897, S. 379f.
  3. Ulrich Völklein: Josef Mengele. Der Arzt von Auschwitz. Göttingen 1999, ISBN 3-88243-685-9, S. 135.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Berthold Epstein — (1 April 1897 1962) was a Czech pediatrician, professor, and scientist.Born into a Jewish family, Epstein was a professor and director at a Kinderklinik ( Children s Clinic ) affiliated with the German Hospital in Prague prior to the war. Fleeing …   Wikipedia

  • Epstein — ist der Familienname folgender Personen: Alek Epstein (* 1975), russisch israelischer Wissenschaftler, Soziologe, Politologe und Historiker Berthold Epstein (1890−1962), tschechoslowakischer Kinderarzt und Auschwitzüberlebender Brian Epstein… …   Deutsch Wikipedia

  • Pelta Moses Epstein — (* 1745 in Offenbach am Main; † 1821 in Bruchsal) war Landesrabbiner im Hochstift Speyer mit Sitz in Bruchsal. Epstein nannte sich bis 1809, als die Juden in Baden erbliche Familiennamen annehmen mussten, Moses Liebhold. Während seiner Ausbildung …   Deutsch Wikipedia

  • List of World War II topics (B) — # B 17 Flying Fortress (video game) # B 17 Flying Fortress # B 17, Queen of the Skies # B 24 Liberator # B 29 Superfortress # B Reactor # Błyskawica radiostation # Błyskawica submachine gun # Børge Mathiesen # BA 10 # BA 11 # BA 20 # BA 21 # BA… …   Wikipedia

  • Josef Mengele — (1956) Josef Mengele (* 16. März 1911 in Günzburg; † 7. Februar 1979 in Bertioga, Brasilien) war ein deutscher Arzt. Als Lagerarzt im Konzentrations und Vernichtungslager Auschwitz nahm er …   Deutsch Wikipedia

  • Josef Mengele — Mengele redirects here. It is not to be confused with Mengler (disambiguation). Josef Mengele …   Wikipedia

  • Berg concentration camp — Berg was a concentration camp near Tønsberg in Norway that served as an internment and transit center for political prisoners and Jews during the Nazi occupation of Norway. EstablishmentThe camp at Berg was founded upon an initiative in the fall… …   Wikipedia

  • List of Holocaust survivors — There are many famous Holocaust survivors who survived the Nazi genocides in Europe and went on to achievements of great fame and notability. Those listed here were, at the very least, residents of the parts of Europe occupied by the Axis powers… …   Wikipedia

  • Noma (disease) — Classification and external resources Noma (1836) ICD 10 A69.0 …   Wikipedia

  • Jewish deportees from Norway during World War II — See Shoah in Norway During the Nazi occupation of Norway, German authorities deported about 768 individuals of Jewish background to concentration camps outside of Norway. 28 of these survived. Because the Norwegian police and German authorities… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”