Katrin Hattenhauer

Katrin Hattenhauer

Katrin Hattenhauer (* 10. November 1968 in Nordhausen, Thüringen) ist eine deutsche Malerin und Bürgerrechtlerin. Sie gehörte Ende der 80er Jahre der DDR-Opposition an und demonstrierte am 4. September 1989 in Leipzig „Für ein offenes Land mit freien Menschen“. Das war die Initialzündung der anschwellenden Montagsdemonstrationen, die entscheidend zum Ende des SED-Staats beitrugen.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Katrin Hattenhauer durfte kein Abitur ablegen und war nach ihrer Schulzeit in Nordhausen am dortigen Theater als Puppenspielerin tätig. Sie arbeitete dann im kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und absolvierte ein Praktikum in der Zionsgemeinde Dresden. 1988 begann sie ein Studium am Theologischen Seminar in Leipzig, musste es jedoch nach einem halben Jahr auf staatlichen Druck hin beenden, weil sie zunehmend politisch aktiv geworden war - z. B. hatte sie im Januar 1989 Flugblätter für eine Demonstration verteilt.[1] Sie engagierte sich im Arbeitskreis Gerechtigkeit, einer Leipziger unabhängigen Oppositionsgruppe im Netzwerk der Initiative Frieden und Menschenrechte, und beteiligte sich aktiv an den montäglichen Friedensgebeten in der Nikolaikirche, die von Pfarrer Christoph Wonneberger koordiniert wurden.

Neben dem damaligen Liedermacher und heutigen Rechtsanwalt Jochen Lässig, der sein Theologiestudium ebenfalls aus politischern Gründen hatte abbrechen müssen, organisierte maßgeblich sie das staatlicherseits nicht genehmigte 1. Straßenmusikfestival am 10. Juni 1989, bei dem sie und zahlreiche Mitwirkende, Besucher und Passanten verhaftet wurden.[2]

Der Staatssicherheitsdienst führte gegen Katrin Hattenhauer die Operative Personenkontrolle (OPK) „Meise“.[3] Häufige Stasi-Verhöre und ein fast lückenloses Erwerbstätigkeitsverbot hielten die 20-Jährige nicht davon ab, zunächst mit einem Hungerstreik in der Thomaskirche für politische Veränderungen in der DDR einzutreten. In einer Erklärung der Fastenaktion im August 1989 kritisierte sie unverklausuliert die in der DDR-Verfassung verankerte Führungsrolle der SED und rief unter Bezug auf Václav Havel die „Leibeigenen“ im „System der Bevormundung“ zur „Abkehr von der Resignation in unserer Gesellschaft“ auf: „Wir beten um Weisheit und Mut, damit wieder Heimat werde, was vielen nur noch Enge und Gefängnis ist.“[4]

Am 4. September 1989, einem Messemontag, an dem bundesdeutsche Journalisten aus Leipzig berichten durften, initiierte sie gemeinsam mit Gesine Oltmanns[5] und anderen Oppositionellen im Anschluss an das Friedensgebet eine Demonstration vor der Nikolaikirche.[6] Die beiden Frauen hatten vier Transparente vorbereitet, diese - unterstützt durch Frank Sellentin und Uwe Schwabe - an ihren Verfolgern von der Staatssicherheit vorbei in die Kirche geschmuggelt und die richtungsweisende Losung „Für ein offenes Land mit freien Menschen" gezeigt.[7] Ihnen angeschlossen hatten sich etwa 50 Basisgruppenaktivisten sowie ca. 250 Ausresewillige, auf deren Ruf "Wir wollen raus!" hin andere Demonstranten "Wir bleiben hier!" skandierten.[8] Stasi-Kommandos rissen brutal die Transparente herunter, verhafteten aber angesichts laufender West-Kameras diesmal niemand.[9] Am folgenden Montag, dem 11. September 1989 wurde Katrin Hattenhauer neben anderen Demonstranten auf dem Nikolaikirchhof gezielt verhaftet und bis zum 13. Oktober 1989 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in der Leipziger Beethovenstraße gefangen gehalten.[10] Jeden Montag war es in Leipzig zu immer größeren Demonstrationen und weiteren Verhaftungen gekommen. Regelmäßige Fürbittgottesdienste und Mahnwachen in verschiedenen Städten der DDR für die Freilassung der zu Unrecht Inhaftierten folgten. Damit entstanden wie in der Berliner Gethsemanekirche Kristallisationspunkte für Proteste, die die demokratische Revolution beschleunigten. Katrin Hattenhauer war durch ihr Engagement den oppositionellen und kirchlichen Gruppen in der DDR bekannt, so hatte sie sich an der Ökumenischen Versammlung (Arbeitsgruppe Osteuropa) sowie an überregionalen Ökologie-Seminaren beteiligt und verfügte über Kontakte zur Umwelt-Bibliothek in Ost-Berlin.

1991 baute sie das Archiv Bürgerbewegung Leipzig mit auf. Am 9. Oktober 2009 eröffnete sie u.a. mit dem Bürgerrechtler Jochen Lässig das Lichtfest zur Erinnerung an den Tag der Entscheidung von 1989.[11] Am 9. November 2009 war sie mit dem Bürgerrechtler Roland Jahn Rednerin beim "Fest der Freiheit"[12] am Brandenburger Tor. Ihre Botschaft an die vielen jungen Leute lautete: "Nehmt euch die Freiheit, lebt eure Träume".[13] In einer 2009 erstellten Wanderausstellung "Revolution ist weiblich" des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e.V. wird ihr Engagement und das anderer Frauen während der Friedlichen Revolution gewürdigt.[14]

Dem Thema „Freiheit“ widmet sie sich auch in ihrem künstlerischen Werk. Die Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär ordnet ihr Wirken treffend ein: „Hattenhauers Kunst ist nicht DDR-Kunst, ist nicht Kunst in der DDR, sie ist eine Antwort auf die DDR, sie ist das DENNOCH einer Kunst, die JA zur Freiheit sagt.“[15] Ihre erste Ausstellung „Magisches Theater“ eröffnete sie am 9. Dezember 1989 im Treppenhaus vor ihrer Wohnung in der Meißner Straße im Leipziger Osten. Seitdem komponiert sie farbenbewegte Bilder aus Acryl, Jute, Sperrholz, Strick und Fundstücken. Freya von Moltke schrieb über sie: „In der Zeit vor und in der Wende in Leipzig 1989 hat Katrin Hattenhauer gewagt, Freiheit einzufordern und erfahren, was das für den eigenen Lebensweg bedeuten kann. Aus der Kraft dieser Erfahrung strahlen ihre farbenfrohen Bilder großen Lebensmut und Freude aus.“[16] Hervorzuheben sind kontinuierlich fortgeführte Projekte mit Jugendlichen zur Rezeption der Friedlichen Revolution, u.a. in Zusammenhang mit ihrer Ausstellung „Freiheit wagen" in Krzyżowa/Kreisau zusammen mit der Stiftung und der Gedenkstätte Kreisau, 2002. Katrin Hattenhauer lebt mit ihrer Familie in Berlin und Pella (Italien).

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1999: Ausstellung „Rückkehr in die Freiheit" im Rahmen von „Leipzig erinnert an den Herbst 89", Nikolaikirche, Leipzig.
  • 2000: Liebespaarprojekt und Ausstellung, Gotha.
  • 2000: Projekt „Kunst und Kinder" zusammen mit der Bürgerstiftung Herten.
  • 2002: Licht-Raum-Projekt „Drachenflug", Marktkirche, Goslar.
  • 2002: Ausstellung „Freiheit wagen" zusammen mit der Stiftung und der Gedenkstätte Kreisau, Krzyżowa/Kreisau.
  • 2003: Kunstworkshops mit Jugendlichen aus Litauen, Polen und Deutschland gemeinsam mit der Flickstiftung.
  • 2005: Ausstellung „Inno alla Libertà“ in Zusammenarbeit mit dem Istituto di Cultura Germanica, der Stadt Leipzig, der Stadt Bologna und der Associazione Cultura e Arte del ’700, Villa Aldrovandi Mazzacorati, Bologna.
  • 2006: Ausstellung, Workshop und Vortag: I Diritti Civili nell’ex Germania dell’Est – „Inno alla Libertà“, Quartiere Savena, Bologna.
  • Juli 2009: Ausstellung „Paradies-Stücke" Zionskirche, Berlin.
  • September 2009: Ausstellung „Pezzi di Paradiso“, Chiesa Luterana, Florenz.
  • Oktober 2009: Lichtraumprojekt und Ausstellung im Rahmen der Feierlichkeiten „20 Jahre Friedliche Revolution in Leipzig", Nikolaikirche, Leipzig.
  • Februar 2010: Ausstellung in Houston, Texas.

Kataloge

  • Katrin Hattenhauer: Freiheit wagen (Ausstellungskatalog). Mit einem Grußwort von Freya von Moltke. Krzyżowa/ Kreisau 2002.
  • Katrin Hattenhauer: Paradiesstücke (Ausstellungskatalog). Mit Beiträgen von Matteo Deichmann, Joachim Daniel Jaeger, Eva-Maria Menard, Dr. Ellen Ueberschär, Dr. Kazimierz Wóycicki. Nordhausen 2009.

Literatur

  • Steffen Lieberwirth: „wer eynen spielmann zv Tode schlaegt ...“ Ein mittelalterliches Zeitdokument anno 1989. Edition Peters, Leipzig 1990. ISBN 978-3-369-00272-4
  • Grit Hartmann: Der Leipziger Herbst war „draußen“. Interview mit Katrin Hattenhauer. In: Neues Forum Leipzig (Hrsg.): Jetzt oder nie – Demokratie! Leipziger Herbst `89. Forum Verlag, Leipzig 1990. S. 296-301. ISBN 978-3-570-06935-6.
  • Uwe Schwabe: „Für ein offenes Land mit freien Menschen.“ Geschichte einer Losung. In: Lindner, Bernd (Hg.): Zum Herbst ’89. Demokratische Bewegung in der DDR. Forum Verlag, Leipzig 1994. S. 9-10. ISBN 978-3-86151-062-8
  • Christian Dietrich, Uwe Schwabe (Hg.): Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1994. ISBN 978-3-374-01551-1. im Netz
  • Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989. Ch. Links, Berlin 1998. ISBN 978-3-861-53163-0
  • Uwe Schwabe, Rainer Eckert (Hg.): Von Deutschland Ost nach Deutschland West: Oppositionelle oder Verräter? Forum Verlag, Leipzig 2003. ISBN 3-931801-38-1.
  • Bärbel Bohley, Gerald Praschl, Rüdiger Rosenthal: Gesine Oltmanns – „Bleib erschütterbar und widersteh“. In: dies.: Mut. Frauen in der DDR. Herbig, München 2005. ISBN 978-3-7766-2434-2. S. 194-220.
  • Martin Jankowski: Der Tag, der Deutschland veränderte - 9. Oktober 1989. Essay. Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasiunterlangen Nr. 7, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2007. ISBN 978-3-374-02506-0.
  • Gerold Hildebrand: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“. Eine Leipzigerin über Befreiung und Freiheit. In: Gerbergasse 18, 13. Jg., Nr. 48 (1/2008). S. 29-31. im Netz
  • Niels Beckenbach (Hg.): Fremde Brüder. Der schwierige Weg zur deutschen Einheit. Duncker & Humblot, Berlin 2008. ISBN 978-3-428-12727-6.
  • Thomas Mayer: Helden der Friedlichen Revolution. 18 Porträts von Wegbereitern aus Leipzig. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2009. ISBN 978-3-374-02712-5.
  • Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989. Rowohlt, Berlin 2009. ISBN 978-3-87134-573-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.mdr.de/mdr-figaro/journal/6770040.html
  2. Steffen Lieberwirth: „wer eynen spielmann zv Tode schlaegt ...“ Ein mittelalterliches Zeitdokument anno 1989. Edition Peters, Leipzig 1990. ISBN 978-3-369-00272-4
  3. Daniel Sturm: Ich will Täterin bleiben. Leipzig: Kreuzer, November 1999
  4. Katrin Hattenhauer/ Jens Koch: Erklärung. Leipzig, 27. August 1989. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft: Matthias-Domaschk-Archiv, Berlin
  5. Bärbel Bohley, Gerald Praschl, Rüdiger Rosenthal: Gesine Oltmanns – „Bleib erschütterbar und widersteh“. In: dies.: Mut. Frauen in der DDR. Herbig, München 2005. S. 194-220, hier S. 216-218. ISBN 978-3-7766-2434-2.
  6. Niels Beckenbach (Hg.): Fremde Brüder. Der schwierige Weg zur deutschen Einheit. Duncker & Humblot, Berlin 2008. ISBN 978-3-428-12727-6.
  7. Uwe Schwabe: „Für ein offenes Land mit freien Menschen.“ Geschichte einer Losung. In: Lindner, Bernd (Hg.): Zum Herbst ’89. Demokratische Bewegung in der DDR. Forum Verlag, Leipzig 1994. S. 9-10. ISBN 978-3-86151-062-8
  8. Martin Jankowski: Der Tag, der Deutschland veränderte - 9. Oktober 1989. Essay. Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasiunterlangen Nr. 7, Leipzig 2007. ISBN 978-3-374-02506-0. S. 59.
  9. Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989. Rowohlt, Berlin 2009, ISBN 978-3-87134-573-9. S. 80.
  10. "Schieß doch, Du Arsch!"
  11. Ralf Julke: Lichtfest Leipzig: 100.000? 200.000? - Die größte Party der „Heldenstadt“, Leipziger Internet Zeitung, 10. Oktober 2009
  12. [1] 20 Jahre Mauerfall - so feierte Berlin. In: Welt Online, 9. November 2009.
  13. Sabine Höher: Kopfnoten. Wenn sich einer die Freiheit nimmt: Katrin Hattenhauer, Die Welt, 11. November 2009
  14. Annika Ross: Heldinnen der friedlichen Revolution. In: EMMA, Nr. 295 (2/2010). S. 64-68.
  15. Ellen Ueberschär: Rede zur Vernissage von „Pezzi di Paradiso“, Florenz 19. September 2009, in: Katrin Hattenhauer: Paradiesstücke (Ausstellungskatalog). Nordhausen 2009, S. 24
  16. Freya von Moltke: Grußwort. In: Katrin Hattenhauer: Freiheit wagen (Ausstellungskatalog). Krzyżowa/Kreisau 2002, S. 5

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