Margit Schlachta

Margit Schlachta

Margit Schlachta, auch Margit Slachta (* 18. September 1884 im ungarischen Kassa (heute Košice, Slowakei); † 6. Januar 1974 in Buffalo, New York), war eine ungarische Ordensgründerin und als katholische Politikerin die erste in das ungarische Parlament gewählte Frau. Während der deutschen Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht (März 1944 bis April 1945) rettete sie vielen Juden das Leben. Postum wurde sie 1985 als Gerechte unter den Völkern geehrt und 1995 vom ungarischen Staat für ihren Mut ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Ausbildung

Die Eltern von Margit Schlachta hatten adelige Wurzeln. Ihr Vater Kálmán Schlachta (1857–1936) hatte Vorfahren im polnischen Adel, ihre Mutter Borbála Saárossy von Sáros (1855–1936) war Tochter eines Grundbesitzers. Margit war das zweite von sechs Mädchen aus der Ehe ihrer Eltern. Ihr Vater leitete ab 1907 die Sparkasse von Kassa. Aufgrund seiner Geschäftspolitik musste sie Insolvenz anmelden. 1908 wanderte er mit seiner Frau und drei jungen Kindern in die Vereinigten Staaten aus.

Margit Schlachta besuchte von 1901 bis 1903 das Volksschullehrer-Seminar ihrer Heimatstadt, anschließend bis 1906 das Lehrerseminar der Missionsschwestern Unserer Lieben Frau in Kalocsa. Dort schloss sie ihre Ausbildung zur Realschullehrerin mit den Fächern Deutsch, Französisch und Geschichte ab. Bereits während ihrer Ausbildung ließ sich Schlachta von der organisierten katholischen Sozialarbeit (Caritas) inspirieren, die in Ungarn um die Jahrhundertwende Fuß fasste. Sie schloss sich der Szociális Missziótársulat (Sozialmissionsgesellschaft) an, einem katholischen Orden, dem weltliche Aktivitäten erlaubt waren. Nachdem sie 1908 eine Studienreise nach Berlin unternommen und dort einen Lehrgang an der Sozialen Frauenschule absolviert hatte, gab sie ihren Beruf als Lehrerin auf, um sich ganz der Sozialarbeit zu widmen.[1]

Sozialarbeit, Publizistik, Politik

Ihre Aktivitäten konzentrierten sich zunächst auf Jugendarbeit und Gefängnisseelsorge. Zugleich betätigte Schlachta sich publizistisch in Zeitschriften katholischer Organisationen und solchen der Sozialarbeit. Ab 1915 gab sie die Zeitschrift A Keresztény Nö (Die christliche Frau) heraus, von 1918 bis 1920 Magyar Nö (Ungarische Frau). Parallel zu ihren publizistischen Aktivitäten entwickelte sie Trainingsprogramme für Sozialarbeiterinnen.

Mit der Einführung von Frauenwahlrechten in Ungarn nach Ende des Ersten Weltkrieges begann die politische Karriere von Margit Schlachta. Sie führte die Keresztény Nöi Tábor (Liga Christlicher Frauen) an, die weibliche Sektion der Christlich Demokratischen Partei. Bei den Nachwahlen zum ungarischen Parlament errang sie 1920 mit deutlicher Mehrheit ein Mandat als Kandidatin der anschließend regierenden Partei Keresztény Nemzeti Egyesülés Pártja (Partei der Christlichen Nationalen Vereinigung). Schlachta war damit die erste Frau, die in Ungarn einen Parlamentssitz erringen konnte. Das Mandat hatte sie bis 1922 inne und konzentrierte sich in ihrer Parlamentsarbeit auf soziale Fragen und Frauenrechte. Aufgrund interner Differenzen innerhalb der Sozialmissionsgesellschaft über die Notwendigkeit politisch-parlamentarischer Arbeit erhielt sie von ihrem Orden nicht die Erlaubnis, erneut zu Parlamentswahlen anzutreten. Am 5. Mai 1923 schied Schlachta zusammen mit weiteren Schwestern, die ebenfalls als zu radikal galten, aus der Sozialmissionsgesellschaft aus.[2]

Ordensgründung und Judenrettung

Bereits am 23. Mai 1923 gründete Schlachta den Szociális Testvérek Társasága (Orden der Gesellschaft der Sozialen Schwestern)[3]. Das Amt der Oberin dieser Gemeinschaft übte sie bis 1963 aus. Sie bereiste zwischen November 1924 und Dezember 1926 die USA und Kanada und hielt dort Vorlesungen in ungarischer Geschichte. In den 1930er Jahren setzte sie in Ungarn die Ausbildung von Sozialarbeiterinnen fort und gab die Zeitschriften A Lélek Szava (Die Stimme des Geistes, 1938–1944) und A Dolgozó Nö (Arbeitende Frau, 1939–1944) heraus. Zudem wandte sie sich erneut der Politik zu – 1933 gründete sie die Partei Szentlélek Szövetséget (Liga des Heiligen Geistes).[4]

In den 1930er Jahren profilierte sich Margit Schlachta als eine entschiedene Gegnerin faschistischer und antisemitischer Strömungen. Sie war beispielsweise eine der wenigen Stimmen, die sich 1938 und 1939 gegen die Verabschiedung der ungarischen Judengesetze erhoben.[5] Im Sommer 1941 protestierte sie vehement gegen die Deportation „fremder“ Juden aus Ungarn nach Galizien, die von der ungarischen Fremdenpolizei vorangetrieben wurden und in das Massaker von Kamenez-Podolsk mündeten. Schlachta bildete zusammen mit Károly Pakocs[6] Imre Szabó[7] György Apponyi[8] und Erzsébet Szapáry ein Untersuchungsteam, das versuchte, nach Kamenez-Podolsk zu kommen, um die Aussagen über das Massaker zu prüfen. Bis auf Szabó wurde ihnen jedoch der Zugang zur Region untersagt.[9]

1942 machte sich Schlachta in Bratislava selbst ein Bild von der zunehmenden Diskriminierung und Verfolgung sowie den beginnenden Deportationen slowakischer Juden. Anschließend forderte sie erfolglos in Briefen an hohe Würdenträger der katholischen Kirche in Ungarn und an Persönlichkeiten des weltlichen Lebens eine Intervention zugunsten der slowakischen Juden. Zwischen März 1942 und März 1943 wurden rund 58.000 slowakische Juden in die Vernichtungslager deportiert. Juden, die sich aus der Slowakei nach Ungarn retten konnten, bot Schlachta zusammen mit ihren Ordensschwestern Unterkunft und Versteck. Als die Deportation der verbliebenen, rund 25.000 überwiegend getauften slowakischen Juden absehbar war, bemühte sich Schlachta erneut um ein Einschreiten. Aufgrund ihrer guten Verbindungen in liberalen und konservativen Kreisen gelang es ihr, eine Audienz bei Papst Pius XII. zu erhalten. Dieser forderte die sieben slowakischen Bischöfe schließlich auf, einen gemeinsamen, weitere Deportationen verurteilenden Hirtenbrief zu verfassen und in allen Kirchen der Slowakei verlesen zu lassen. Diese Verlautbarung vom 21. März 1943 stoppte zusammen mit weiteren Faktoren die Deportationen bis auf weiteres.[10]

In Ungarn protestierte Schlachta nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion (Ende Juni 1941) gegen die vieltausendfache Zwangsrekrutierung von Juden für den sogenannten Arbeitsdienst in der ungarischen Armee. Juden waren dort zu Arbeiten gezwungen, die mit einem hohen Verletzungs- und Todesrisiko verbunden waren.[4]

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn (19. März 1944) entwickelten sich die Einrichtungen des Ordens der Gesellschaft der Sozialen Schwestern für Juden zu Zufluchtsorten. Bereits kurz nach dem Einmarsch hatte Schlachta die Schwestern ihrer Gemeinschaft darauf eingeschworen, den bedrohten Juden beizustehen. Nach Schätzungen half der Orden rund 900 bis 1000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern in Budapest und auf dem Lande, sich den drohenden Deportationen durch Verstecke oder Beschaffung falscher Papiere zu entziehen.[11]

Nachkriegszeit und Exil

1945, nach Ende der deutschen Besatzung, erhielt Schlachta als unabhängige Kandidatin auf der Liste der Polgári Demokrata Párt (Zivile Demokratische Partei) ein Parlamentsmandat. 1947 gelang ihr die Wiederwahl, diesmal als Kandidatin der Keresztény Nöi Tábor (Liga Christlicher Frauen). Auch in der Nachkriegszeit rückte sie nicht von ihren christlichen Überzeugungen ab. Aufgrund ihres antisowjetischen und antikommunistischen Standpunktes wurde sie von vielen Parlamentariern als Repräsentantin einer untergegangenen Epoche abqualifiziert. Ihre Parlamentsreden wurden häufig unterbrochen, nicht selten mit verächtlichen und vulgären Zwischenrufen. Am 16. Juni 1948 hielt sie ihre letzte Rede im Parlament. Sie sprach sich gegen die geplante Verstaatlichung der kirchlichen Schulen aus. Aus Protest gegen die Parlamentsentscheidung blieb sie sitzen, als zum Ende der Sitzung die Nationalhymne angestimmt wurde. Dieses Verhalten wurde mit einem einjährigen Ausschluss von allen parlamentarischen Sitzungen quittiert.[4]

1949 verweigerten ihr die Behörden, erneut für das ungarische Parlament zu kandidieren. Aus Furcht vor einer Verhaftung flüchtete sie in ein Kloster der Dominikaner. Trotz der drohenden Inhaftierung erschien sie am 15. Mai 1949 an der Wahlurne, verließ jedoch am 22. Juni 1949 das Land. Sie reiste unter dem Namen Etelka Tóth in die Vereinigten Staaten ein.[4]

Schlachta arbeitete im amerikanischen Exil mit dem Pseudonym Borbála Nemes für Radio Free Europe und nutzte aus Angst vor den ungarischen Behörden in ihrer Korrespondenz den Decknamen Margit Nemes. 1951 ging sie nach Wien in der Hoffnung, sie könne nach Ungarn einreisen. Als sich diese Hoffnungen zerschlugen, kehrte sie am 5. Mai 1953 in die USA zurück, diesmal unter ihrem richtigen Namen.[4]

Ehrungen

Für ihren Einsatz für bedrohte Juden wurde Margit Schlachta 1985 als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet. Zehn Jahre darauf ehrte sie der ungarische Staat für ihre Tapferkeit.[4]

Literatur

  • Maria Schmidt: Margit Slachta’s Activities in Support of Slovakian Jewry 1942–1943. In: Holocaust Genocide Studies. Band 5, 1990, Heft 1, S. 67–72.
  • Ilona Mona: Slachta Margit. Corvinus Kiado, Budapest 1997.
  • Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974). In: Francisca de Haan, Krassimira Daskalova, Anna Loutfi (Hrsg.): Biographical dictionary of women’s movements and feminisms. Central, Eastern, and South Eastern Europe. 19th and 20th centuries. CEU Press, Budapest [u.a.] 2006, ISBN 963-7326-39-1, S. 521–525.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zu Schlachtas Herkunft und Ausbildung siehe Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974).
  2. Zu Schlachtas sozialen, publizistischen und politischen Aktivitäten vergleiche Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974).
  3. Lat. Societas Sororum Socialium.
  4. a b c d e f Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974).
  5. Jessica A. Sheetz: Margit Slachta and the early rescue of Jewish families, 1939–42; Randolph L. Braham: The politics of genocide. The Holocaust in Hungary, 2 Bde., Columbia University Press, New York 1981, ISBN 0-231-05208-1; hier Band 2, S. 1030.
  6. Domherr von Sathmar.
  7. Szabó wurde 1951 Bischof von Esztergom. Zu Szabós biografischen Daten siehe die tabellarischen Ausführungen auf catholic-hierarchy.org.
  8. Zu Apponyis Lebensdaten siehe Akten des Volksgerichtsprozesses gegen Franz A. Basch, Volksgruppenführer der Deutschen in Ungarn, Budapest 1945/46. Unter Berücksichtigung der Arbeiten von Friedrich Spiegel-Schmidt und Loránt Tilkovszky. Hrsg. von Gerhard Seewann und Norbert Spannenberger, Oldenbourg, München 1999, S. 42 f, Fußnote 51, ISBN 3-486-56485-4.
  9. Siehe Tamás Majsai: The Deportation of Jews from Csikszeresa and Margit Slachta's Intervention on Their Behalf; in: Randolph L. Braham (Hrsg.): Studies on the Holocaust in Hungary, Columbia University Press, New York 1990, S. 113–163, hier S. 153–155, ISBN 0-88033-198-4. Siehe auch Jessica A. Sheetz: Margit Slachta and the early rescue of Jewish families, 1939–42.
  10. Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974); Maria Schmidt: Margit Slachta's Activities in Support of Slovakian Jewry 1942–1943, S. 69 f.
  11. Margit Balogh, Ilona Mona: Slachta, Margit (1884–1974); Mordecai Paldiel: Churches And The Holocaust: Unholy Teaching, Good Samaritans And Reconciliation, Ktav Publishing House, Jersey City 2006, S. 291–293, ISBN 0-88125-908-X.

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