Charlotte Wolff

Charlotte Wolff

Charlotte Wolff (* 30. September 1897 in Riesenburg, Westpreußen; † 12. September 1986 in London) war eine Ärztin, Sexualwissenschaftlerin und Schriftstellerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Charlotte Wolff wurde als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren und verlebte in Riesenburg und Danzig ihre Kindheit und Jugend. Im Jahr 1918 ging sie nach Freiburg im Breisgau, um Medizin zu studieren, belegte aber auch die Fächer Psychologie und Philosophie. In Berlin setzte sie ihr Studium fort und beendete es hier 1928 mit ihrer Dissertation. Schon in ihrer Studienzeit entdeckte sie ihre Vorliebe für Frauen. Wolff selbst verweigerte sich auch dem klassischen Frauenbild der damaligen Zeit und bevorzugte bequeme Männerkleidung.

Nach Abschluss ihres praktischen Jahres als Ärztin am Rudolf-Virchow-Krankenhaus (heute Charité) in Berlin wechselte sie als stellvertretende Direktorin an die Klinik für Familienplanung-, Schwangerschaftsfürsorge und Schwangerschaftsverhütung in Berlin. Diese Position musste Wolff aufgrund ihrer jüdischen Abstammung allerdings bald aufgeben. Bis zu ihrer endgültigen Entlassung im Jahr 1933 arbeitete sie noch im Institut für elektro-physikalische Therapie in Neukölln. Eine im Februar 1933 erlebte kurzzeitige Verhaftung durch die Gestapo, bei der sie als Spionin und des Tragens von Männerkleidung beschuldigt wurde, ließ sie im Mai 1933 nach Frankreich emigrieren.

Schon 1931 begann ihr Interesse für Chirologie, und sie absolvierte in Berlin einen Kurs bei Julius Spier. Durch die Ausbildung war es Charlotte Wolff möglich geworden, sich ihren Lebensunterhalt als Chirologin zu verdienen. Unter anderem tat sie es in Paris, wo sie Thomas Mann und Aldous Huxley begegnete. Ihre Arbeit inspirierte sie dazu, Methoden der Interpretation von Hand und Gestik weitergehend wissenschaftlich zu erforschen. In der Forschung kooperierte Wolff mit dem französischen Psychologen Henri Wallon (1879-1962).

Im Jahr 1936 flüchtete Charlotte Wolf - auf Veranlassung von Aldous und Maria Huxley - nach London, wo sie 1951 eine eigene psychiatrische Praxis eröffnete. Mit ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen erlangte sie schon bald in Fachkreisen hohe Aufmerksamkeit.

Im Jahr 1939 legte Charlotte Wolff ihre deutsche Staatsangehörigkeit ab. 1947 nahm sie die britische Staatsangehörigkeit an. Oft bezeichnete sich Charlotte Wolff in Folge als „internationale Jüdin mit einem britischen Paß“. 1978 betrat sie zum ersten Mal seit ihrer Vertreibung wieder deutschen Boden.

Forschungen

Chirologie

Charlotte Wolff arbeitete zwanzig Jahre lang - von 1932 bis 1952 - auf dem Gebiet der Chirologie, die sie von Julius Spier erlernt hatte. Sie führte psychologische Handdiagnosen durch, über die sie vier Bücher verfasste. Durch die Vermittlung von Aldous Huxley erhielt Wolff Zugang zu Pariser und Londoner Künstlerkreisen. In ihrer ersten Studie aus dem Jahr 1936 beschrieb sie unter anderem Handabdrücke von Marcel Duchamp, Max Ernst, Man Ray, Virginia Woolf und George Bernard Shaw.

In der surrealistischen Zeitschrift Minotaure publizierte Wolff den ersten Entwurf einer psychologischen Theorie der Hand.

Sexologie

Die sexualwissenschaftlichen Forschungen umfassten den Zeitraum von 1968 bis 1978. Für ihre erste empirischen Studie zur weiblichen Homosexualität hatte Wolff mit 108 homosexuellen Frauen Interviews durchgeführt und Fragebogen beantworten lassen. Die Ergebnisse veröffentlichte sie 1971 unter dem Titel Love between Women.

Für ihre zweite Studie zur Bisexualität interviewte Wolff insgesamt 150 Männer und Frauen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgte 1977. Mit beiden Werken erlangte Charlotte Wolff internationale Anerkennung.

Ihr letztes Werk, das sie kurz vor ihrem Tod fertigstellte, ist ein Porträt des Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld.

Mitgliedschaft

Charlotte Wolff war Mitglied der British Psychological Society, deren Ehrenmitglied sie wurde.

Veröffentlichungen

  • Studies in Handreading. Chatto & Windus, London 1936.
  • The Human Hand. Methuen, London 1942.
  • A Psychology of Gesture. Methuen, London 1945.
  • The Hand in Psychological Diagnosis. Methuen, London 1951.
  • On the Way to Myself. Communications to a Friend. Methuen, London 1969 ISBN 041612450X (Deutscher Titel: Innenwelt und Außenwelt. Autobiographie eines Bewußtseins. Aus dem Englischen von Christel Buschmann. Rogner & Bernhard, München 1971.)
  • Love Between Women. Duckworth, London 1971 ISBN 0715605798 (Deutscher Titel: Psychologie der Lesbischen Liebe. Eine empirische Studie der weiblichen Homosexualität. Aus dem Englischen von Christel Buschmann. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1973 ISBN 3-499-6804-08)
  • Bisexuality. A Study. Quartet, London 1977 ISBN 0704321440 (Deutscher Titel: Bisexualität. Aus dem Englischen von Brigitte Stein. Fischer, Frankfurt/Main 1981 ISBN 3596-2382-26)
  • Flickwerk. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Gerlinde Kowitzke. (Originaltitel: An Older Love.) Frauenoffensive, München 1977 ISBN 3-88104-025-0
  • Hindsight. Quartet, London 1980 (Deutscher Titel: Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit. Eine Autobiographie. Aus dem Englischen von Michaela Huber. Beltz, Weinheim/Basel 1983 ISBN 3407390033)
  • Die Hand als Spiegel der Psyche. Wissenschaftliche Handdeutung, O. W. Barth Verlag München, Neuausgabe 1983, ISBN 3502-6663-50
  • Magnus Hirschfeld. A Portrait of a Pioneer in Sexology. Quartet Books, London u. New York 1986 ISBN 0704325691
  • Ja, unsere Kreise berühren sich. Briefe. Mit Christa Wolf. Luchterhand Literaturverlag, Februar 2004, ISBN 3630-8718-28
  • Charlotte Wolff, Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit : Autobiographie / Charlotte Wolff. Aus dem Engl. von Michaela Huber, Kranichsteiner Literaturverlag, 2003, ISBN 978-3-929265-15-6

Literatur

  • Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Ch. W. in: Hans Erler u.a. Hg.: "Meinetwegen ist die Welt erschaffen" Das intellektuelle Vermächtnis des deutschsprachigen Judentums. 58 Portraits Campus, Frankfurt 1997 ISBN 3593358425 S. 212 -219
  • Claudia Rappold: Charlotte Wolff. Ärztin, Psychotherapeutin, Wissenschaftlerin und Schriftstellerin, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2005, ISBN 978-3-938485-13-2.

Quellen

  • Chirological Scientist [1]
  • Psychologie Heute 5/1981 [2]

Einzelnachweise


Weblinks


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