Chemische Fabrik v. Heyden

Chemische Fabrik v. Heyden
Chemische Fabrik v. Heyden, 1898
Chemische Fabrik v. Heyden, Gittertor, 2008

Die Chemische Fabrik v. Heyden in Radebeul war die weltweit erste Arzneimittelfabrik, die in industriellem Maßstab die Produktion eines Arzneimittelstoffes, der Salicylsäure, durchführte.[1] Ab 1897 wurde das Derivat Acetylsalicylsäure, erst unter dem chemischen Namen und später unter dem Handelsnamen Acetylin, als Heilmittel vertrieben.[2]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Chemiker Friedrich von Heyden promovierte 1873 bei Rudolf Schmitt in Chemie am Polytechnikum Dresden. Dort lernte er den Chemiker Hermann Kolbe kennen, der 1859 die Struktur der Salicylsäure sowie die Kolbe-Synthese (später zur Kolbe-Schmitt-Reaktion weiterentwickelt) erarbeitet hatte.

Um seine Vermutungen zu antiseptischen Eigenschaften der Salicylsäure untersuchen zu können, richtete sich von Heyden auf Anregung seines Professors Schmitt in der Remise seiner Villa Adolpha in der Leipziger Vorstadt ein Labor ein. Gleichzeitig entwickelte er ein Verfahren, um Salicylsäure, den Ausgangsstoff für Aspirin, chemisch rein in industriellem Rahmen herstellen zu können.

Um dem steigenden Bedarf nachkommen zu können, gründete von Heyden 1874 eine Fabrik in Dresden, die sich jedoch schon im ersten Produktionsjahr als zu klein herausstellte. Daher gründete er im gleichen Jahr in Radebeul in der Meißner Straße 35 eine größere Fabrik, die 1875 als Salicylsäure-Fabrik Dr. F. v. Heyden in das Handelsregister eingetragen wurde. Hermann Kolbe wurde durch die Einbringung seiner Kolbe-Synthese Teilhaber der Fabrik, die weltweit erstmals Arzneimittelsynthese im industriellen Maßstab betrieb. Der Aufbau dieser Fabrik, die sich zu einem der bedeutendsten Chemieunternehmen Sachsens entwickelte, war gleichzeitig der Beginn der Industrialisierung Radebeuls. Nach dem Tod Hermann Kolbes übernahm Rudolf Schmitt 1884 die wissenschaftliche Leitung des Unternehmens.

1885 zog sich von Heyden aus der Geschäftsleitung des Unternehmens zurück, er verkaufte es an Kolbes Sohn Carl Kolbe, ebenfalls ein Chemiker, der bereit 1884 die Leitung übernommen hatte, sowie an den Kaufmann Carl Rentsch, verblieb jedoch bis 1919 als Vorsitzender des Aufsichtsrats dem Unternehmen verbunden. Die jetzt Salicylsäure-Fabrik Dr. F. v. Heyden Nachfolger genannte Firma wurde 1896 zur GmbH und 1899 zur Aktiengesellschaft umfirmiert. Carl Kolbe förderte die Wohlfahrt, unter anderem durch die 1899 mit 25.000 Mark erfolgte Einrichtung der v. Heyden-Stiftung. Bis 1907 blieb er der Generaldirektor der Chemischen Fabrik v. Heyden. Im gleichen Jahr 1907 begann der Chemiker Ernst Kegel, der spätere langjährige Leiter des Kontroll-Labors und weltweit erste Dr.-Ing. für Chemie, für das Unternehmen zu arbeiten.

Rudolf Schmitts Sohn Hermann Schmitt, der später vom 29. Oktober 1923 bis 31. Oktober 1923 als Reichskommissar amtierender sächsischer Innenminister war, wurde Aufsichtsratsvorsitzender der Chemischen Fabrik v. Heyden.[3]

Bereits im Jahr 1885 wurde der Chemiker Richard Seifert, ebenfalls ein Schüler von Rudolf Schmitt, eingestellt. Durch seine enormen Fähigkeiten, die ihm den Beinamen „Chemiker von Gottes Gnaden“[4] einbrachten, steigerten sich Produktion und Produktpalette auf weitere Salicylabkömmlinge wie Acetylsalicylsäure (Acetylin) oder auch Salicylsäurephenylester (Salol), aber auch Produkte zur aseptischen Wundbehandlung oder Süßstoffe (Zuckerin). Nebenher erforschte Seifert die Rezeptur eines Mundwassers, das er 1891/92 nach mehrjähriger Forschungsarbeit seinem Freund Karl August Lingner zur Vermarktung überließ, das dieser als „Odol“ verkaufte. Ab 1907 wurde Seifert Generaldirektor und Nachfolger Kolbes in der Chemischen Fabrik v. Heyden.

Gemeinsam mit dem Mediziner und Mikrobiologen Walther Hesse arbeitete das Unternehmen an der industriellen Herstellung von Agar-Agar.

Durch die Erweiterung auf weitere Produkte wie Grundstoffe für die chemische Industrie und weitere Pharmazeutika wuchs das Unternehmen von 200 Mitarbeitern in 1895 über 1500 Mitarbeiter 1914 bis auf 3000 in 1923. Tochterfirmen entstanden in Nünchritz, in Garfield in New Jersey sowie Hirschfelde bei Zittau und in Weißig. Um 1920 war der Chemiker Wilhelm Lax Direktor und Vorstandsmitglied der Chemischen Fabrik von Heyden AG, zugleich seit 1919 Vizepräsident der Heyden Chemical Corp., New York.[5] Richard Wilhelm Lax ließ sich 1934 in der Radebeuler Riesestraße 2 ein heute denkmalgeschütztes Vierfamilienhaus errichten.

Im Jahr 1922 erwarb die Chemische Fabrik eine Teilfläche des Waldparks Radebeul-Ost, um ihn gewerblich zu nutzen. So entstand 1924 unter der Adresse Meißner Straße 30 ein Aufenthaltsgebäude für „Beamte“, das 1934 durch ein Casino erweitert wurde. 1939 entstand auf dem Areal der betriebseigene Sportplatz.

Ab 1933 arbeitete der Chemiker Richard Müller im Unternehmen. Während seiner Forschungen gelang ihm 1941 die technische Herstellung von Methylchlorsilanen, die das Ausgangsprodukt für die Herstellung der Silikone sind. Da es ihm zeitgleich mit dem US-amerikanischen Chemiker Eugene G. Rochow gelang, wird dieses Verfahren heute Müller-Rochow-Synthese genannt.

Lichtreklame in den 1950er Jahren

Während des Zweiten Weltkriegs blieb das Unternehmen von Zerstörungen verschont, jedoch wurde das Radebeuler Werk von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und demontiert. Bereits 1946 lief eine erneute Produktion in Radebeul wieder an, was maßgeblich durch Richard Müller befördert wurde. 1948 wurde das Unternehmen enteignet und in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. Die Gesellschafterversammlung verlegte daraufhin den Firmensitz nach München.

In den enteigneten ostdeutschen Unternehmensteilen wurde Müller 1952 Leiter des VEB Silikon-Chemie in Nünchritz, 1953 wissenschaftlicher Leiter des Gesamtbetriebs neben seiner Tätigkeit als Leiter eines Instituts für Silikon- und Flourcarbonchemie. 1951 erhielt er den Nationalpreis der DDR. Am 17. Juni 1953 machte er sich zum Wortführer der Arbeiterproteste im VEB Chemische Fabrik v. Heyden.

Im Jahr 1955 errichtete die Chemische Fabrik auf der nördlichen Seite der Meißner Straße, an der Ecke zur Forststraße, die Ausbildungsstätte Freie Jugend, ein firmeneigenes Schulungszentrum.

1958 musste das Unternehmen aus juristischen Gründen in VEB Chemische Werke Radebeul umbenannt werden. Am 1. Januar 1961 wurden die VEB Chemischen Werke Radebeul in den VEB Arzneimittelwerk Dresden eingegliedert.

Die nach München verlegte Chemische Fabrik von Heyden wurde 1969 als Squibb-von Heyden GmbH Teil der Squibb Corporation.[6]

2006 wurde die Arzneimittelproduktion der AWD.pharma an die italienische Menarini-Gruppe verkauft, die für ihr Werk in Dresden den historischen Namen von Heyden wieder nutzt.[7]

Denkmalgeschützte Werksgebäude

Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße 35, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße 37, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße, Ecke Forststraße, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Forststraße, 2008

Das Werksgelände ging von der heutigen Hausnummer Meißner Straße 35 aus, belegt jedoch ein großes Areal zwischen Meißner Straße, Forststraße, Sidonienstraße und Kiefernstraße. An der Meißner Straße liegen auch auf der gegenüberliegenden, nördlichen Straßenseite Gebäude der Fabrik.

Fabrikations- und Verwaltungsgebäude Meißner Straße 35

Das unter Denkmalschutz[8] stehende, viergeschossige Fabrikations- und Verwaltungsgebäude (51° 5′ 49″ N, 13° 41′ 35″ O51.09686111111113.693072222222) steht direkt links des Haupteingangs, eine langgestreckte Straßenfront direkt zur Meißner Straße. Das Gebäude hat Eckrisalite sowie ein Plattformdach. Die Putzfassade ist im Erdgeschoss mit Nutungen versehen.

Drei Geschosse des Gebäudes stammen aus dem Jahr 1900, 1912 wurde der Bau auf die heutige Höhe aufgestockt.

Laboratoriumsgebäude Meißner Straße 37

Das ebenfalls denkmalgeschützte Laboratoriumsgebäude[8] (51° 5′ 50″ N, 13° 41′ 32″ O51.09722222222213.692361111111) rechts vom Haupteingang wurde um das Jahr 1910 erbaut oder umgebaut. Der stattliche zweigeschossige Bau steht leicht von der Straße nach hinten versetzt, die Straßenansicht zeigt mittig einen breiten, dreigeschossigen Mittelrisaliten, in dem sich ein segmentbogiger Erker über dem ehemaligen Eingangsportal befindet. Über dem Portal befindet sich eine korbbogige Verdachung mit einer getriebenen Blende, in welcher sich wiederum ein Medaillon mit dem Motiv eines Destillationskolbens befindet.

Der schlichte Putzbau zeigt Ecklisenen sowie Stichbogenfenster, obenauf befindet sich ein stark ausgebautes Mansarddach. Das Mansarddach wird von zahlreichen Gauben und Hechtgauben geprägt sowie von den wie Mauerscheiben angeordneten Schornsteinen und Entlüftungen.

Zur Straße hin wird dieser Grundstücksteil durch einen Lanzettzaun mit einem barockisierenden Torgitter abgeschlossen.

Werksgebäude Meißner Straße, Ecke Forststraße

Das denkmalgeschützte Werksgebäude[8] (51° 5′ 45″ N, 13° 41′ 39″ O51.09597222222213.694166666667) an der Ecke Meißner Straße, Forststraße ist ein dreigeschossiger Putzbau mit zwei Gebäudeflügeln. An den Flügelecken befinden sich flache Risalite, die Mitte des Gebäudes ist abgefast, dort befindet sich der Eingang. Das um 1900 erbaute Gebäude trägt ein flach geneigtes Walmdach. Über den stichbogigen Fenster befinden sich jeweils Schlusssteine, im ersten Obergeschoss tragen die Fenster in den Risaliten gerade Verdachungen. Der Bau ist durch Gesimse gegliedert, Der Putz im Erdgeschoss durch Nutungen verziert.

Heute ist das Gebäude aus dem Fabrikgelände ausgegliedert. Es beherbergt ein Motorradgeschäft für die Marken Harley-Davidson und Buell.

Fabrikationsgebäude Forststraße

Das denkmalgeschützte Fabrikationsgebäude[9] an der Forststraße (51° 5′ 44″ N, 13° 41′ 33″ O51.09541666666713.6925) ist ein zweigeschossiger, „bemerkenswerter“[9] Klinkerbau im Stil der Moderne. Das kubische Gebäude mit Flachdach stammt möglicherweise von dem Dresdner Architekten Curt Herfurth[10] aus dem Jahr 1934. Es ist horizontal durch Klinkerbänder gegliedert, unter anderem zwischen den Fenstern im Obergeschoss, sowie vertikal durch die vorstehenden Treppenhäuser.

Büro- und Aufenthaltsgebäude Meißner Straße 30

Das unter Denkmalschutz[8] stehende Büro- und Aufenthaltsgebäude (51° 5′ 50″ N, 13° 41′ 38″ O51.09722222222213.693888888889) für „Beamte“ der Chemischen Fabrik v. Heyden entstand 1924 auf der nördlichen Seite der Meißner Straße. Das Dresdner Architekturbüro Lossow & Kühne entwarf 1934 auf der rechten Seite einen eingeschossigen Saalbau als Erweiterung.

Die Baugruppe besteht aus zwei giebelständig zur Meißner Straße ausgerichteten Baukörpern mit einem eingeschossigen Verbindungsbau als Eingang mit einer Balustrade obenauf. Der auf der linken Seite stehende zweigeschossige Baukörper hat ein Satteldach mit Schleppgauben, die Fenster der Giebelseite sind vertikal betont, der Giebel darüber ist abgesetzt. In der linken Seitenansicht steht ein polygonaler Treppenhausturm mit einem geschweiften Abschluss.

Der stilistisch spätere, eingeschossige Erweiterungsbau des Casinos auf der rechten Seite hat ein flaches Walmdach mit Fledermausgauben, dazu breite Ecklisenen und hohe Rechteckfenster.

Ausbildungsstätte „Freie Jugend“

Das denkmalgeschützte, ehemalige Schulungszentrum[9] an der Forststraße 22/22a/22b/22c/22d (51° 5′ 47″ N, 13° 41′ 41″ O51.09638888888913.694791666667) wurde 1955 durch den VEB Chemische Fabrik v. Heyden für eigene Zwecke errichtet. In jüngster Zeit erfolgte eine Umnutzung des privatisierten Gebäudes zu Wohnzwecken.

Der im Stil traditionalistischer Architektur der Nachkriegszeit errichtete, L-förmige Putzbau ist ein eingeschossiges Gebäude mit ausgebautem Satteldach und Hechtgauben, das als Schulungsgebäude auch Labore beherbergte. Im Giebel des Gebäudes befindet sich der stichbogige Haupteingang mit einer Freitreppe.

Albertschlösschen

Chemische Fabrik „Pyrgos“ im Albertschlösschen

Von 1922 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs betrieb das Unternehmen im Albertschlösschen (51° 6′ 16″ N, 13° 39′ 57″ O51.10430555555613.665833333333) im Stadtteil Serkowitz die Tochtergesellschaft Chemische Fabrik „Pyrgos“.

Siehe auch

Literatur

  • Frank Andert (Redaktion); Große Kreisstadt Radebeul. Stadtarchiv Radebeul (Hrsg.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz. 2. Auflage. Stadtarchiv, Radebeul 2006, ISBN 3-938460-05-9. 
  • Volker Helas (Bearb.); Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Radebeul (Hrsg.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen: Stadt Radebeul. SAX-Verlag, Beucha 2007, ISBN 978-3-86729-004-3. 
  • Central-Organ für Chemiker, Techniker, Fabrikanten, Apotheker, Ingenieure, Jahrgang IX. Herausgeber und verantwortlicher Redacteur: Dr. G. Krause in Cöthen. 4. März 1885
  • Andreas Schuhmann, Bernhard Sorms; AWD.pharma GmbH & Co. KG (Hrsg.): Geschichte des Arneimittelwerkes Dresden. Dresden 2002.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Frank Andert (Redaktion); Große Kreisstadt Radebeul. Stadtarchiv Radebeul (Hrsg.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz. 2. Auflage. Stadtarchiv, Radebeul 2006, ISBN 3-938460-05-9, S. 34. 
  2. Andreas Schuhmann, Bernhard Sorms; AWD.pharma GmbH & Co. KG (Hrsg.): Geschichte des Arneimittelwerkes Dresden. Dresden 2002, S. 31 f.
  3. Die Innenminister des Königreiches und Freistaates Sachsen 1831 – 1945
  4. Frank Andert (Redaktion); Große Kreisstadt Radebeul. Stadtarchiv Radebeul (Hrsg.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz. 2. Auflage. Stadtarchiv, Radebeul 2006, ISBN 3-938460-05-9, S. 181. 
  5. 40. Auktion historischer Wertpapiere am 26. Januar 2009: Chemische Fabrik von Heyden AG; 5% Teilschuldv. 1.000 Mark, Nr. 19691; Radebeul, 30.11.1920 (Zwei Originalsignaturen, u. a. des Direktors Wilhelm Lax)
  6. Geschichte Bristol-Myers Squibb
  7. Menarini von Heyden
  8. a b c d Verzeichnis der Kulturdenkmale der Stadt Radebeul. Große Kreisstadt Radebeul, 17. April 2008, S. 17, abgerufen am 17. August 2009 (PDF).
  9. a b c Verzeichnis der Kulturdenkmale der Stadt Radebeul. Große Kreisstadt Radebeul, 17. April 2008, S. 9, abgerufen am 17. August 2009 (PDF).
  10. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Radebeul (Hrsg.): Stadt Radebeul. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen, SAX-Verlag, Beucha 2007, S. 205 f.
51.09686111111113.693072222222

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