Niederländisches Palais

Niederländisches Palais
Das Niederländische Palais am 1. Mai 1946. Links die Oranische Gasse. Die aufbaufähige aber vernachlässigte Ruine des Palais musste vier Jahre später bis auf das Erdgeschoss abgetragen werden.

Das Niederländische Palais gehörte zur spätfriederizianischen Bebauung der Straße Unter den Linden im Berliner Ortsteil Mitte. Es lag an der Ecke der schmalen Oranischen Gasse und hatte die Hausnummer 36. Das Gebäude war von 1803 bis 1882 im Besitz des niederländischen Herrscherhauses Oranien-Nassau, wovon sich der Name ableitete.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das vermutlich zwischen 1753 und 1758 fertiggestellte dreigeschossige Gebäude mit neun Fensterachsen ist wie auch sein Nachbarhaus Nr. 35, das Palais Hesse, von Friedrich Wilhelm Diterichs entworfen und von Andreas Krüger errichtet worden.[1] Die frühe Bau- und Besitzgeschichte sind unklar.[2] Nachdem der Minister Friedrich Wilhelm von Görne das Haus 1775 erworben hatte, ließ er es durch Michael Philipp Boumann mit einem Vestibül samt neuem Treppenhaus, modernisiertem Fassadenschmuck und einem Portikus versehen. Damit war im Jahre 1777 eines der vornehmsten Stadthäuser Berlins im Übergangsstil von Rokoko zum Zopfstil entstanden.

Görne hatte sich als Direktor der Seehandlung Unlauterkeiten erlaubt und so musste sein Vermögen 1782 zugunsten der Geschädigten konfisziert werden, worauf das Haus 1786 in den Besitz des Königs Friedrich Wilhelm II. überging. Dieser übereignete es seiner zur Gräfin Lichtenau aufgestiegen Geliebten zugunsten der mit ihr gezeugten Tochter Marianne von der Mark.[3] Er veranlasste 1787–1794 Umbauten durch Boumann und Carl Gotthard Langhans, der einen über zwei Stockwerke reichenden ovalen Saal einbaute. Ein zweiter Binnenhof, an dem ein Privattheater entstand, erweiterte das Gebäude mit Einbeziehung des rückwärtig benachbarten Grundstücks an der Behrenstraße. Das Palais war nun als Berliner Residenz der Gräfin Lichtenau einer der Schauplätze des skandalträchtigen Treibens um Friedrich Wilhelm.[4] Sein Tod hatte den Sturz der Madame Rietz und die Einziehung ihres Vermögens durch den preußischen Staat zur Folge. Das Palais kam in den Besitz der Armendirektion,[5] die es an die britische Gesandtschaft vermietete.

Der niederländische Erbprinz Wilhelm, der mit seiner Frau Friederike Luise, einer Schwester des Königs Friedrich Wilhelm III., seit 1796 in Berlin im Exil in einer Wohnung im Stadtschloss gelebt hatte, war 1802 ‚Fürst von Fulda‘ geworden. Beim Erwerb einer standesgemäßen Bleibe in der preußischen Hauptstadt unterstützte ihn der König, sein Schwager, im Jahre 1803 durch einen Befehl an die Armendirektion, das Palais auf Raten an Wilhelm zu verkaufen.[6] Mit einigen durch die Teilnahmen an den Kriegsereignissen von 1806/1807 und 1809 verursachten Unterbrechungen lebte der Erbprinz mit seiner Familie bis zur Jahreswende 1813/1814 im nun Niederländischen Palais. Wilhelm wurde 1815 zum ersten König der Niederlande gekrönt. Wegen der engen familiären Verbindungen zum Hohenzollernhaus hielt sich Wilhelm in den nächsten Jahren oft im Palais Unter den Linden auf. Nach seiner Abdankung im Jahre 1840 wählte Wilhelm zum zweiten mal Berlin zum Ort des Exils. Das Niederländische Palais diente ihm nun bis zu seinem Lebensende 1843 als Wohnsitz. Sein zweiter Sohn Prinz Friedrich erbte das Haus und bewohnte es bei seinen Besuchen in Berlin mit seiner Frau Luise von Preußen.

Nach dem Tode Luises 1870 fiel das Palais durch Erbgang an das Haus Hohenzollern, jedoch benutzte Prinz Friedrich es wie bisher. Allerdings überließ er es der Tochter des Kaisers Wilhelm, der Großherzogin Luise von Baden, und ihrem Gemahl Friedrich anlässlich ihrer häufigen Besuche in Berlin. Nach Friedrichs Tod 1881 erwarb zunächst die Königliche Bibliothek im Jahre 1883 das Palais für ihre Karten- und Musikalienabteilung, aber noch im gleichen Jahr gelangte sein vorderer Teil durch einen Grundstücktausch an Kaisers Wilhelm, während der Grundstückteil an der Behrenstraße bei der Bibliothek verblieb. Wilhelm verband das Palais, das seinen Namen behielt, mit seinem benachbarten Kaiser-Wilhelm-Palais durch eine verglaste Überbrückung der Oranischen Gasse. Es war nun als Gästehaus und Wohnhaus für die Familien der kaiserlichen Dienerschaft ein Nebengebäude seiner Residenz.

Beide Gebäude gehörten auch nach dem teilweisen Übergang des Hohenzollernvermögens an den Staat 1926 zum Besitz der Familie. Im Haus, dessen erste Etage die Kaiserin Hermine als Berliner Quartier nutzte, amtierte die Generalverwaltung des Hauses Hohenzollern unter dem Generalbevollmächtigten Wilhelm von Dommes.[7] Im Zweiten Weltkrieg erlitt der vordere Teil des Niederländischen Palais starke Beschädigungen. Der Dachstuhl und Teile der Decken der obersten Geschosse, auch der Saal, stürzten ein. Einige Räume des ersten Stockwerks und der rückwärtigen Bebauung, das Treppenhaus und das Erdgeschoss blieben weiterhin benutzbar. Gut erhalten waren der Portikus und die Außenmauern mitsamt der Bauplastik.

Das Niederländische Palais wurde 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht entschädigungslos enteignet, was die Tätigkeit Dommes' im Hause jedoch genauso wenig beeinträchtigte wie der Kriegsschaden. Erst 1948 sah er sich gezwungen, seinen Sitz nach West-Berlin zu verlegen. In die Teilruine des Palais zogen nun Ost-Berliner Dienststellen ein. Um 1950 wurde das Gebäude aufgegeben und bis auf Teile des Erdgeschosses und den Portikus abgetragen. Zunächst war die Wiederherstellung des Niederländischen Palais beabsichtigt.[8]

Im Jahre 1963 wurden die Reste des Palais jedoch abgerissen, um Platz für einen Stahlbeton-Skelettbau unter Verwendung des 1963 abgenommenen Fassadenschmucks vom 1967 gesprengten Gouverneurshaus zu schaffen. Der fertig gestellte Neubau überbaute die Oranische Gasse und wird zusammen mit dem damals wiederaufgebauten Alten Palais von der gegenüberliegenden Humboldt-Universität genutzt.

Literatur

  • Bert Becker: Das Niederländische Palais: Zur Geschichte des Hauses und seiner Bewohner in: Vorstand der Deutsch-Niederländischen Gesellschaft e. V. (Hrsg.): Auf den Spuren der Niederländer zwischen Thüringer Wald und Ostsee, II. Symposium, als Manuskript gedruckt, Berlin 1994
  • Götz Eckardt (Hrsg): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg. Eine Dokumentation der Schäden und Totalverluste auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Band 1. Berlin - Hauptstadt der DDR, Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/ Oder, Cottbus, Magdeburg, Henschel, Berlin 1980, S. 31, mit Abbildungen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karlheinz Gerlach (Hrsg.): Friedrich Nicolai. „Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin“. Eine Auswahl, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1987, S. 172f.
  2. Siehe dazu Rolf-Herbert Krüger: Friedrich Wilhelm Diterichs. Architekt, Ingenieur und Baubeamter im Preußen des 18. Jahrhunderts, Potsdamer Verlagsbuchhandlung, Potsdam 1994, S. 256
  3. Hermann Schmitz: Berliner Baumeister vom Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts, Verlag Ernst Wasmuth, Berlin 1925, S. 327, Abbildungen S. 144–147
  4. Winfried Löschburg: Unter den Linden. Gesichter und Geschichten einer berühmten Straße, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1980, S. 78f.
  5. Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hrsg.)Dieter Hildebrandt, Hans-Werner Klünner, Jost Hansen (Texte): Unter der Linden – Historische Photographien, Nicolai Verlag, Berlin 2001, S. 62, mit Abbildung
  6. Hierzu und zum folgenden siehe Bert Becker: Das Niederländische Palais: Zur Geschichte des Hauses und seiner Bewohner in: Vorstand der Deutsch-Niederländischen Gesellschaft e. V. (Hrsg.): Auf den Spuren der Niederländer zwischen Thüringer Wald und Ostsee, II. Symposium, als Manuskript gedruckt, Berlin 1994 (hier zitiert als ‚Becker‘), S. 103–123, hier S. 108
  7. Zur Tätigkeit Dommes': Becker, S. 115
  8. Hans Müther: Berlins Bautradition. Kleine Einführung, Das Neue Berlin, Berlin 1956, S. 88

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