Paul Kayser

Paul Kayser

Paul Kayser (* 9. August 1845 in Oels; † 13. Februar 1898 in Leipzig) war ein deutscher Jurist und Beamter. Er war Leiter der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt und später Senatspräsident am Reichsgericht. Er wurde von Otto von Bismarck protegiert, hat aber 1890 als Vertrauter von Wilhelm II. zum Sturz des Kanzlers beigetragen. Er verfolgte in seiner Zeit in der Kolonialabteilung einen imperialistischen Kurs. Wegen seiner jüdischen Herkunft war er antisemitischen Angriffen ausgesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Kayser stammte aus einer jüdischen Familie. Er selbst ist zum Protestantismus konvertiert.

Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er Rechtswissenschaften in Breslau und Berlin. Er promovierte 1868 mit einer Arbeit zum lübischen Recht, verfasst in lateinischer Sprache, zum Dr. jur.

Danach trat er in den preußischen Justizdienst ein. Er wechselte 1873 als Gerichtsassessor in den Justizdienst im Reichsland Elsaß-Lothringen. Er war dort am Landgericht in Straßburg beschäftigt. Im 1875 kehrte er in den preußischen Justizdienst zurück und war am Stadtgericht in Berlin tätig. Er wurde 1879 Richter am Landgericht Berlin I.

Eine wichtige Rolle für seine weitere Karriere bildete die Tatsache, dass er in seiner Zeit in Straßburg als Repetitor die Söhne von Reichskanzler Otto von Bismarck Herbert und Wilhelm auf das juristische Staatsexamen vorbereitete. Auch seine Beziehung zu Philipp zu Eulenburg und anderen Persönlichkeiten gründete auf dieser Tätigkeit.

Aufstieg im Staatsdienst

Im Jahr 1880 wurde er Regierungsrat im Reichsjustizamt. Dort hat er unter anderem maßgeblich an der Erarbeitung eines ersten Entwurfes für ein Aktiengesetz[1] und des Genossenschaftsgesetzes teilgenommen.[2] Seit 1884 war er vortragender Rat in der Reichskanzlei und geheimer Regierungsrat im Reichsversicherungsamt. Durch seine Beziehungen zu Bismarck wechselte er 1885 in das Auswärtige Amt. Bismarck schätzte ihn als „wandelndes juristisches Nachschlagewerk“ und Kayser wurde daher der neuen Rechtsabteilung zugeordnet. Zusammen mit dem späteren ersten Leiter der Kolonialabteilung Richard Krauel, war Kayser obwohl hierarchisch erst in einer mittleren Position maßgeblich an der frühen Kolonialgesetzgebung beteiligt.[3] Im Jahr 1888 wurde Kayser zum geheimen Legationsrat ernannt. Zugleich war er Kommissar der Landesverwaltung von Elsaß-Lothringen beim Bundesrat. Im Sommer 1889 war er mit der vertretungsweisen Leitung der Reichskanzlei und im Februar 1890 mit der Stellvertretung des Staatssekretärs des Staatsrates beauftragt.

Rolle bei der Ablösung Bismarcks

Kayser stand seit 1888 dem Kreis um Wilhelm II. insbesondere Friedrich von Holstein und Philipp Graf Eulenburg nahe und hatte auch Zugang zum Kaiser selbst. Während des Konflikts zwischen dem Kaiser und Bismarck, der schließlich zur Entlassung des Reichskanzlers führte, hat Kayser Wilhelm II. unterstützt, weil er wie viele andere hochrangige Beamte auch glaubten, dass Bismarck das System der Kartellparteien sprengen und durch eine katholisch-konservatives Bündnis ersetzten wollte.[4]

Eulenburg bat Kayser auf dem Höhepunkt des Konflikts mit Bismarck darum für Wilhelm eine Ausarbeitung zur Arbeiterfrage anzufertigen. Der Kaiser hat den Entwurf Kaysers wortwörtlich abgeschrieben und das Programm Kaysers als „Ausarbeitung S.M. des Kaisers zur Arbeiterfrage“ ausgegeben. Später wurden daraus umgearbeitet die Februarerlasse. Kayser – der im inneren Kreis um Wilhelm II. zur Unterscheidung zu Wilhelm „der kleine Kayser“ genannt wurde - hat den Kurs Wilhelm auch den folgenden Intrigen, die zum Sturz Bismarcks führten, unterstützt.[5] Wilhelm ernannte Kayser zum Sekretär und persönlichen Berichterstatter bei der internationalen Arbeiterschutzkonferenz.[6]

Der erzkonservative General Alfred von Waldersee machte den ehemaligen Erzieher von Wilhelm II. Georg Ernst Hinzpeter und Kayser für die Linkswendung des Kaisers verantwortlich. Ähnlich dachten auch andere hohe Militärs und vermuteten dahinter unbekannte Einflüsse. Auch der Reichskanzler Leo von Caprivi sah ihn Kayser eine Gefahr. Mit dessen Ernennung zum Chef der Kolonialabteilung verband Caprivi auch die Hoffnung Kayser dadurch, „teilweise unschädlich zu machen“[7]

Direktor der Kolonialabteilung

Nach der Entlassung Bismarcks erfuhr die Kolonialpolitik eine stärkere Aufmerksamkeit. Bereits am 1. April 1890 wurde unter Leitung von Krauel im Auswärtigen Amt eine Abteilung für Kolonialfragen eingerichtet, ohne das sich an der geringen personellen Ausstattung und untergeordneten Bedeutung etwas änderte. Erst als im Juni 1890 eine reguläre Kolonialabteilung als Abteilung IV des Auswärtigen Amtes unter Leitung von Kayser gegründet wurde, kam es zur Aufwertung der Kolonialverwaltung. Kayser hatte zunächst den Rang eines Dirigenten und seit 1894 eines Direktors der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt. Gleichzeitig war er stellvertretender preußischer Bevollmächtigter beim Bundesrat.

Die Abteilung blieb zwar de jure Teil des Auswärtigen Amtes, aber Kayser hatte das Recht zum Immediatvortrag beim Reichskanzler und konnte über ein eigenes Budget verfügen. Allerdings blieb seit tatsächlicher Einfluss weiterhin begrenzt. Auch wenn in seine Zeit die Gründung der sogenannten Schutztruppe fiel, unterstand diese und andere Einheiten in Übersee bis 1896 dem Marineministerium. Da Kolonialpolitik meist auch Außenpolitik war, spielten die anderen Abteilungen des Auswärtigen Amtes im Zweifelsfall eine stärkere Rolle als die Kolonialabteilung.[8]

In seine Amtszeit in der Kolonialabteilung fielen neben dem Aufbau der Schutztruppe im Inneren der Kolonie eine Reihe weiterer bedeutender Entscheidung. Dazu gehörte die Errichtung des Kolonialrates und der Aufbau von Stationen in entlegeneren Gebieten der Kolonien zur stärken verwaltungsmäßigen Durchdringung. Um Kapital anzulocken wurden in Deutsch-Südwestafrika Landkonzessionen an Gesellschaften vergeben. In seine Amtszeit fielen auch die Angriffe gegen Carl Peters und dessen unehrenhafte Entlassung aus dem Staatsdienst.

Krügerdepesche

Um 1894 plädierte Kayser für eine aktivere Kolonialpolitik. Dabei sollte sich Deutschland in die Streitigkeiten der anderen Kolonialmächte einmischen und je nach eigenem Interesse Partei nehmen oder vermitteln. Ungeachtet der Gefahr, dass man mit einer solchen Politik ständig in Konflikt mit Großbritannien stehen würde, hat Wilhelm II. diese Idee aufgenommen. Tatsächlich führte das kolonialpolitische Engagement zu Konflikten in Übersee.[9] In diesem Zusammenhang gehörte auch 1896 die Krügerdepesche, deren Text Kayser für Wilhelm II. formulierte und mit der dieser Paul Kruger zum Sieg der Südafrikanischen Republik im sogenannten Jameson Raid gegen die Briten beglückwünschte. Dies führte zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien.[10]

Im Oktober 1896 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Stattdessen wurde er Senatspräsident beim Reichsgericht.

Antisemitische Anfeindungen

Kayser war einer der ganz wenigen Personen aus jüdischer Familie in höchsten Staatsämtern des Kaiserreichs aufstiegen. Ohne Protektion Bismarcks hätte er gegen die antijüdischen Vorbehalte keine Karriere machen können. Er traf dabei auf heftige antisemitische Angriffe.[11] Insbesondere der Radauantisemit Hermann Ahlwardt spielte dabei eine Rolle. Etwas verbittert schrieb er bereits 1891: „alle Mühe erfolgt, um beschimpft zu werden und dem zukünftigen arischen Nachfolger einen bequemen Sitz zu bieten.“[12] Der dem Nationalsozialismus zuneigende Historiker Walter Frank hat dies in einem Aufsatz von 1943 noch einmal bekräftigt. Danach sei Kayser „ein Glied in der Gesamtfront gewesen, in der Front jenes durch Taufe getarnten assimilierten Judentums, das sich langsam und zäh in die führenden Positionen des kaiserlichen Staates hineinschob, um eines Tages dem ganzen Stamm die Tore zu öffnen. Er wusste, dass er ein Glied im Aufmarsch seiner Rasse war.[13] Kayser wurde in dem Kolonialfilm "Carl Peters" als Feind deutscher Überseepolitik dargestellt, ebenso ein journalistisch tätiger Bruder. Die beiden tragen im Film die Vornamen Leo bzw. Julius. Für diesen angeblichen Bruder im Film dürfte Max Kayser das Vorbild gewesen sein, über dessen Verwandtschaft mit Kayser (Vetter?) nichts bekannt ist.

Sein Nachlass befindet sich heute im Bundesarchiv.

Einzelnachweise

  1. Werner Schubert/Peter Hommelhoff (Hrsg.): Hundert Jahre modernes Aktienrecht. Berlin/New York, 1985 S.22
  2. Institut für Genossenschaftswesen (Hrsg.): 100 Jahre Genossenschaftsgesetz. Tübingen, 1989 S.30
  3. Marc Grohmann: Exotische Verfassung. Die Kompetenzen des Reichstages für die deutschen Kolonien in Gesetzgebung und Staatsrechtswissenschaft des Kaiserreichs (1884-1914). Tübingen, 2001 S.22
  4. Röhl, Wilhelm II., S. 280
  5. Röhl, Wilhelm II., S. 307, S.328
  6. Röhl, Wilhelm II., S.333
  7. Röhl, Wilhelm II.. S459,S.462
  8. Jutta Bückendorf: "Schwarz-weiß-rot über Ostafrika." Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität. Berlin u.a., 1997 S.443
  9. Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866-1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches. München, 2007. S.269
  10. Robert K. Massie: Die Schalen des Zorns. Großbritannien und Deutschland und das Heraufziehen des Ersten Weltkrieges, Frankfurt, 1998. S.239f.
  11. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849–1914. München 1995, ISBN 3-406-32490-8. S.1027
  12. zit. nach: John C.G. Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik. München, 2007 S.151
  13. Walter Frank: Der geheime Rat Paul Kayser: neues Material aus seinem Nachlass. In: HZ 168/1943 S.563 zit. nach: Fritz Bauer Institut (Hrsg.). "Beseitigung des jüdischen Einflusses..." Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus. Frankfurt, 1998 S.33

Literatur

  • John C.G. Röhl: Wilhelm II. Bd.2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie. München, 2001 ISBN 978-3-406-48229-8
  • Kayser, Paul. in: Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. Leipzig, 1920 Digitalisat (Eintrag muss mit Suchfunktion ermittelt werden).

Weblinks


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