- Chiliasmus
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Millenarismus (v. lat.: millennium „Jahrtausend“) oder Chiliasmus (v. griech.: χιλία chilia „tausend“, adj. „chiliastisch“) im ursprünglichen Sinn bezeichnet den Glauben an die Wiederkunft Jesu Christi und das Aufrichten seines tausend Jahre währenden Reichs, manchmal mit Israel als politisch und religiös dominierender Weltmacht. Der Begriff wird auch allgemeiner als Bezeichnung für den Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt, manchmal verbunden mit der Erschaffung eines irdischen Paradieses, oder für einen apokalyptischen Fatalismus im Zusammenhang mit einer Jahrtausendwende verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Messianismus und Chiliasmus
Einen eschatologischen Messianismus als erweiterter Begriff des Millenarismus gibt es sowohl im Christentum, wie auch im Judentum, im Islam und im Zoroastrismus und kleineren Gruppen.
Einige christliche Gruppen wie die Mormonen vertreten die Sichtweise, dass ihr eigenes Auftreten mit dem Kommen des Millenniums gleichzusetzen ist oder durch das Kommen des Millenniums begründet wird. Für die Christen der Bibelforscherbewegung beginnt das Millennium nach Harmagedon und ist gleichzusetzen mit dem Jüngsten Gericht.
Es gibt auch einen säkularen Millenarismus. In der Soziologie wird dafür eher der Begriff Chiliasmus verwendet (vgl. Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus), und es wird vermutet, dass alle Kulturen (auch Stammeskulturen) in schweren sozialen Krisen zu chiliastischen Innovationen neigen.
Christliche theologische Begriffe im Zusammenhang mit Millenarismus
- Prämillenarismus: Dieser Begriff betont, dass Christus vor dem Millennium sichtbar wieder kommen wird (lat. prae „vor“), verbunden mit einer Herrschaft Israels (Messiasreich). Prämillenarismus bezieht sich auf Offenbarung des Johannes 20,1-10.
- Postmillenarismus, realisierter Millenarismus: Postmillenaristen glauben, dass das Reich Gottes durch christliche Predigt und Lehre erreicht wird, die zu einer besseren Welt führt. Christus kommt nach (lat. post „nach“) dem Millennium und tritt dann erst seine Herrschaft an, d. h. das Millennium ist schon angebrochen.
- Amillenarismus: Amillenaristen sehen die Zahl 1000 symbolisch und glauben, dass das Reich Gottes heute in der Welt gegenwärtig ist, da der siegreiche Christus seine Kirche durch Wort und Geist regiert. Die Abgrenzung zum Postmillenarismus ist oft fließend.
- Dispensationalismus: In dem Heilsplan des Dispensationalismus wird das Millennium als eigenständiger Äon betrachtet. Hier wird meist Prämillenarismus vertreten.
Geschichte
Der Heilige Irenäus von Lyon rechnete den Chiliasmus zu den kirchlichen Glaubensbekenntnissen und alle Nichtchiliasten zu „Ketzern“. Auch Kirchenväter wie Tertullian und Cyprian haben den Chiliasmus verkündet.
Ab Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Chiliasmus auch innerhalb der katholischen Kirche bekämpft. Die Erwartung eines irdischen Gottesreiches wurde nun überflüssig, denn der katholischen Kirche ging es materiell zunehmend besser und der politische Einfluss stieg. Dies interpretierte man als Zeichen, dass das Reich bereits begonnen hatte. Man betonte die angebliche „Endlosigkeit“ des Reichs Christi und erklärte die gegenteilige – auch durch Paulus vertretene – Anschauung von einem befristeten (äonischen) Messiasreich offiziell zur Häresie. Die Kirche bemühte sich, das chiliastische Schrifttum in seiner Bedeutung in den Hintergrund treten zu lassen.
Augustinus verwarf den Millenarismus nach anfänglicher Befürwortung zugunsten eines Konzeptes, das den Anbruch des Millenniums bereits mit dem ersten Erscheinen Jesu Christi gleichsetzte (Amillenarismus). Als 1000 n. Chr. Christus jedoch nicht erschien, wurde es für die Anhänger des Amillenarismus notwendig, auch die Dauer der 1000 Jahre allegorisch aufzufassen. Jetzt sollten die 1000 Jahre für einen unbestimmten Zeitraum zwischen den beiden Kommen Christi stehen. Satan sei zwar gebunden, aber noch nicht ganz – das gegenwärtige Zeitalter sei, nach Augustinus, als Kampf zwischen Gemeinde und Welt, zwischen „Stadt Christi“ und „Stadt des Teufels“ zu sehen (Augustinus, De civitate dei 20,11). Diese allegorische Sicht setzte sich weithin im Christentum durch.
Joachim von Fiore hat sich des Themas im 12. Jahrhundert jedoch wieder angenommen und es ausgebaut. Danach gibt es - analog zur Lehre der Dreifaltigkeit - drei Reiche: das erste bis zum Erscheinen des Messias Jesus Christus, das zweite als das christliche Reich nach Christus und das dritte Reich als Reich des Heiligen Geistes. Es gibt jedoch unterschiedliche religiöse Interpretationen dieses Begriffs.
Im 16. Jahrhundert lebte der Prämillenarismus bei den Täufern und Taboriten wieder auf. Wohl vor allem um sich aus politischen Gründen von den Täuferbewegungen zu distanzieren, verwarfen reformatorische Bekenntnisse (Confessio Augustana 17; Confessio Helvetica posterior 11) den Chiliasmus als Irrlehre.
Erneut lebendig wurde der Chiliasmus im 17. Jahrhundert bei verfolgten Gemeinden in England und den Niederlanden, etwa bei den Quäkern, an der Wende zum 18. Jahrhundert auch im radikalen Pietismus und später in der aus ihm hervorgegangenen Inspirationsbewegung. In der Lutherischen Kirche hat es ebenfalls Strömungen des Chiliasmus gegeben. Die „Einigungssätze zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche“, die 1947 erarbeitet wurden und in denen nur die Differenzpunkte zwischen beiden Kirchen behoben wurden, haben einen Abschnitt „Von den letzten Dingen“ (IV), in dem das Problem des Chiliasmus eine wichtige Rolle spielt. Anfang des 19. Jahrhunderts förderte der Chiliasmus die Auswanderung nach Bessarabien, weil die Sehnsucht der Anhänger in Südrussland und vor allem in Kaukasien einen "Bergungsort" sah. Vor allem 1817 war ein großer Chiliastenzug mit 14 Harmonien zu jeweils etwa 400 Personen zu verzeichnen, der sich auf der Donau auf Ulmer Schachteln einschiffte. In Bessarabien entstand aus den Auswanderern die Bevölkerungsgruppe der Bessarabiendeutschen.
Im 20. Jahrhundert griffen die Nationalsozialisten Begriffe wie „Drittes Reich“ oder „Tausendjährigen Reiches“ für ihre Propaganda auf, durch dessen Schaffung sie die „historische Mission“ des deutschen Volkes zu „erfüllen“ beanspruchten. Dabei übertrugen sie ihrer Herrschaft die quasi-religiöse Aura einer „historischen Mission“.
Heutige Akzeptanz
Die Katholische Kirche, lutherische und reformierten Kirchen allegorisieren und spiritualisieren heutzutage allerdings Bibelstellen, die zur Begründung des Prämillenarismus herangezogen werden und vertreten in der Praxis eine Mischung aus Postmillenarismus und Amillenarismus, was von anderen als willkürlich abgelehnt wird.
Wird die Bibel dagegen eher wörtlich ausgelegt, wie bei Adventisten, Baptisten, der Bibelforscherbewegung, der Neuapostolischen Kirche und anderen Freikirchen, erwarten diese Christen ein Millennium. Auch der so genannte christliche Zionismus ist chiliastisch ausgerichtet.
Siehe auch
- Vier-Reiche-Lehre
- Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts
Literatur
- Jacob Taubes / Abendländische Eschatologie. Bern 1947 (zuletzt München 1991, ISBN 3-88221-256-X, italienische Ausgabe 1997, ungarische 2004)
- Norman Cohn: Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen (Aus dem Englischen The Pursuit of the Millennium) Francke, Bern 1961. - Mit Nachwort und Änderungen: Das neue irdische Paradies. Revolutionärer Millenarismus und mystischer Anarchismus im mittelalterlichen Europa Rowohlt, Reinbek 1988: ISBN 3499554720 - Wieder: Die Sehnsucht nach dem Millennium. Apokalyptiker, Chiliasten und Propheten im Mittelalter Herder, 1998: ISBN 3451046385 - Wieder: Apokalyptiker und Propheten im Mittelalter Hohe, Erftstadt 2007 ISBN 3867560323
- Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft (Hg.): Wachtturm vom 15. 1. S. 4, 1980: „Was ist unter dem Tausendjährigen Reich zu verstehen?“
- Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft (Hg.): Die Offenbarung – Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe!, S. 286 - 295. 2006 (Zeugen Jehovas)
- Hering, Karl Fr.: Die biblische Schau – Gottes Plan für dieses Zeitalter und die Stellung und Aufgabe der Gemeinde darin im Unterschied von Israel und den Völkern, Verlag R. Brockhaus, Wuppertal-Elberfeld, 1947
- Emanuel Sarkisyanz: Russland und der Messianismus des Orients: Sendungs-Bewusstsein und politischer Chiliasmus des Ostens J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1955 ISBN 3-16-819871-4
- Mühling, Markus.: Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, 198–220
- Prolingheuer, Wilhelm: Israel: Ein Heiliger Überrest – und wir Konkordanter Verlag, Pforzheim 1992
- Schumacher, Heinz: Der Plan der Zeitalter (Äonen) Gottes, Paulus Vlg. Karl Geyer, Heilbronn 1984
- Claude Carozzi: Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter 1996 ISBN 3-596-60113-4
- Samuel E. Waldron: The End Times Made Simple 2003 ISBN 1-879737-50-7
- Kuhnle, Till R.: Das Fortschrittstrauma. Vier Studien zur Pathogenese literarischer Diskurse Tübingen 2005. ISBN 3-86057-162-1(insbesondere II, Kapitel 5 und 6: „Der Millenarismus: eine politische Theologie der zweiten Chance“ und „Die Beharrlichkeit des Millenarismus“)
- Claus Bernet: Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit, Mainz: Zabern 2007. ISBN ISBN 978-3-8053-3706-9.
Weblinks
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