Tunnel 57

Tunnel 57
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Gedenktafel am Haus Strelitzer Straße 55, in Berlin-Mitte
Lagemarkierung bei Gedenkstätte Berliner Mauer, im Hintergrund die Bernauer Straße

Tunnel 57 war ein Fluchttunnel in Berlin, der vom Keller einer leerstehenden Bäckerei auf der Westseite der Bernauer Straße 97 unter der Berliner Mauer hindurch zu einem Toilettenhaus im Hof der Strelitzer Straße 55 im Osten führte. Mit einer Länge von 145 Metern und einer Tiefe von 12 Metern war er der längste, tiefste und teuerste Fluchttunnel, der in Berlin gebaut wurde. Von April bis Oktober 1964 gruben 34 Menschen um den Fluchthelfer Wolfgang Fuchs an dem Tunnel, durch den am 3. und 4. Oktober 1964 insgesamt 57 Personen – die Anzahl der Flüchtlinge war namensgebend – aus der DDR fliehen konnten.

Entgegen der Planung endete der Tunnel nicht im Keller des Hauses in der Strelitzer Straße, sondern in einem nicht mehr genutzten Toilettenhaus im Hof. Die 57 Flüchtlinge wurden von Kurieren kontaktiert und verdeckt zum Tunneleingang geführt. Am Hofeingang nahm Reinhard Furrer die Flüchtlinge in Empfang. Unter den 120 eingeplanten Flüchtlingen befand sich auch ein Inoffizieller Mitarbeiter des Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Zwei zivilgekleidete Mitarbeiter des MfS fanden den Tunnel gegen Mitternacht am 4. Oktober und gaben sich gegenüber Furrer als Flüchtlinge aus, die noch einen Freund hinzuholen wollten. Stattdessen holten sie Soldaten der Grenztruppen. Beim Rückzug der Fluchthelfer im Angesicht der bewaffneten Soldaten schoss Christian Zobel mehrmals in Richtung der Soldaten und traf Egon Schultz an der Schulter. Egon Schultz ging zu Boden und wurde beim Versuch, wieder aufzustehen, von einer Salve aus der AK-47 eines Kameraden versehentlich erschossen.

Die DDR-Presse berichtete am nächsten Tag, dass „West-Berliner Terroristen“ einen Grenzsoldaten ermordet hätten. Erst nach der Deutschen Wiedervereinigung konnte der genaue Ablauf mit Hilfe von MfS-Akten rekonstruiert werden, so dass Christian Zobel bis zu seinem Tod in den 1980ern dachte, er hätte Schultz erschossen. Auch in der westlichen Presse fand der Tunnel Aufmerksamkeit. Der Stern berichtete über den Tunnel, distanzierte sich aber von den Geschehnissen, obwohl er den Tunnelbau mitfinanziert hatte. Die beteiligten Fluchthelfer gingen nach dem Vorfall unterschiedliche Wege. Während sich die meisten aus der Fluchthilfe zurückzogen, wurde Wolfgang Fuchs zu einem kommerziellen Fluchthelfer, wie auch Hasso Herschel.

Finanziert wurde der Tunnel teilweise durch den Verkauf der Film- und Bildrechte an die nationale und internationale Presse und an Nachrichtenagenturen. Der größte Einzelbetrag von etwa 30.000 DM – nach heutiger Kaufkraft etwa 56.500 Euro – kam aber von Personen, die der CDU nahe standen. Hinter diesen Personen stand ein Geheimfonds des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen, den die Bundesregierung zur Unterstützung der Fluchthilfe nutzte. Als Gegenleistung für diese Unterstützung durfte die CDU im Osten verbliebene Mitglieder durch den Tunnel schleusen.

Die 2001 erstellte Dokumentation Heldentod – Der Tunnel und die Lüge von Britta Wauer beleuchtet die Fluchtaktion des Tunnel 57 aus dem Oktober 1964 und den tödlichen Schusswechsel. Der Dokumentarfilm, der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, lief erstmals am 8. August 2001 auf Arte.

Literatur

  • Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961–1989. Siedler Verlag, München 2005, ISBN 3-88680-834-3, S. 155–158. 
  • Lee Hall und Rudolph Chelminski: Berlin: The Great Tunnel Thriller. In: „LIFE“, 16. Oktober 1964, S. 55–61. (Fotoreportage, engl.)
  • Dietmar Arnold, Sven-Felix Kellerhoff: Die Fluchttunnel von Berlin. 2. Auflage. Propyläen Verlag/List Taschenbuch, Berlin 2011, ISBN 978-3-548-60934-8, S. 117ff. 

Weblinks


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