Demokedes

Demokedes

Demokedes (griechisch Δημοκήδης) war ein berühmter Arzt aus der griechischen Kolonie Kroton (heute Crotone in Kalabrien, Süditalien). Er lebte im späten 6. und frühen 5. Jahrhundert v. Chr. Der Geschichtsschreiber Herodot nannte ihn den besten Arzt seiner Zeit.[1] Auch in der Politik seiner Heimatstadt spielte Demokedes eine wichtige Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Quellenlage

Die Informationen über Demokedes' Tätigkeit als Arzt stammen aus dem Geschichtswerk Herodots, von dem die spätere Überlieferung abhängt. Die Glaubwürdigkeit Herodots ist stark umstritten. Sie wird in der Forschung hinsichtlich einzelner Elemente seines Berichts oder auch gesamthaft in Abrede gestellt. Eine radikale Position vertritt der Oxforder Altertumswissenschaftler Malcolm Davies. Er meint, Demokedes sei eine von Herodot erfundene Gestalt. Zur Begründung dieser Hypothese weist Davies auf Ungereimtheiten in Herodots Bericht und auf zahlreiche Übereinstimmungen mit Motiven der Volkssage (folk-tale) hin.[2]

Leben laut der Überlieferung

Für die Altertumswissenschaftler, welche die Darstellung Herodots für zumindest teilweise glaubwürdig halten, ergibt sich folgendes Bild. Demokedes' Vater Kalliphon war ebenfalls Arzt und soll auch Priester des Asklepios, des Gottes der Heilkunst, gewesen sein.[3] Kalliphon stammte angeblich aus der Hafenstadt Knidos an der Küste von Kleinasien und hatte seinen Wohnsitz nach Kroton verlegt; nach einer anderen Überlieferung war Kroton sein Geburtsort.[4] Jedenfalls wuchs Demokedes in Kroton auf. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater verließ Demokedes seine Heimat und ging nach Griechenland.[5] Einige Zeit war er in der Stadt Aigina auf der gleichnamigen griechischen Insel und anschließend in Athen als öffentlich besoldeter Arzt tätig. Sein Gehalt betrug in Aigina ein Talent, in Athen hundert Minen. Im vierten Jahr nach seiner Auswanderung aus Italien wurde er Leibarzt des Tyrannen Polykrates von Samos, der ein noch höheres Gehalt (zwei Talente) zahlte.

Nachdem Oroites, der persische Satrap (Statthalter) von Sardes (Lydien), Polykrates 522 v. Chr. durch eine List entmachtet hatte, kam Demokedes mit Oroites – angeblich als dessen Sklave – nach Susa, wo der Perserkönig Dareios I. residierte. Dareios machte ihn zu seinem Leibarzt, nachdem es Demokedes gelungen war, eine Fußgelenksverrenkung des Königs zu heilen. Die Heilung der Königin Atossa von einer Brusterkrankung (vermutlich Mastitis) steigerte sein Ansehen weiter.[6] Dadurch wurde der Einfluss der bisher am Hof dominierenden ägyptischen Ärzte zurückgedrängt.

Trotz dieser sehr ehrenvollen Stellung wollte er in seine Heimat zurückkehren. Es gelang ihm, aus dem Machtbereich des Königs zu entkommen und nach Italien zu gelangen. Angebliche Einzelheiten erzählt Herodot,[7] dessen märchenhaft wirkende Darstellung, welche die Flucht mit einer militärischen Erkundungsmission der Perser im Vorfeld der Perserkriege verbindet, jedoch unglaubwürdig ist. In Kroton heiratete Demokedes eine Tochter des Ringkämpfers Milon, des berühmtesten Leistungssportlers seiner Zeit. Angeblich ließ Demokedes dem König Dareios ausrichten, dass er nunmehr Schwiegersohn Milons war. Dies setzt voraus, dass – wie Herodot auch ausdrücklich behauptet – Milons Ruhm bereits bis zum persischen Hof gedrungen war. Auch wenn diese Erzählung nicht den Tatsachen entspricht, ist doch daraus zu ersehen, dass die Heirat mit der Tochter des Athleten als sozialer Aufstieg des Arztes gewertet wurde. Herodot bezeichnet diesen Aspekt sogar als ein Motiv für die Heirat.[8]

Demokedes war ein Zeitgenosse des Philosophen Pythagoras von Samos, der lange in Kroton lebte und dort die Gemeinschaft der Pythagoreer gründete. Dieser Gemeinschaft gehörte Demokedes an; schon sein Vater Kalliphon soll Pythagoreer gewesen sein.[9] Dadurch wurde Demokedes in eine heftige politische Auseinandersetzung um die Pythagoreer verwickelt, die nach dem Sieg über Sybaris (510 v. Chr.) in Kroton ausbrach, nachdem Pythagoras die Stadt verlassen hatte. Iamblichos berichtet, Demokedes habe zu den Gegnern der „Volkspartei“ (der dēmotikoí genannten Populisten oder Demokraten) gehört. Zusammen mit gleichgesinnten Pythagoreern habe er sich vergeblich einer Änderung der bisherigen Verfassung Krotons widersetzt. Durch Unruhen, welche die Agitatoren Kylon und Ninon anstifteten, sei Demokedes gezwungen worden, mit einer Schar von Jünglingen aus der Stadt zu fliehen. Darauf sei er von seinen Gegnern beschuldigt worden, eine Tyrannis einführen zu wollen und die Jugend in diesem Sinne aufzuhetzen, und eine Belohnung von drei Talenten sei auf seinen Kopf gesetzt worden. Es sei zu einem Gefecht gekommen, und danach sei die Belohnung an Theages, einen Anführer der dēmotikoí, ausgezahlt worden, da die von Demokedes ausgehende Gefahr beseitigt worden sei.[10] Demnach verloren die Anhänger des Demokedes den Kampf gegen eine von Theages befehligte Streitmacht, wobei er offenbar ums Leben kam. Jedenfalls verschwindet damit seine Spur.

In der Suda, einer byzantinischen Enzyklopädie des 10. Jahrhunderts, wird Demokedes als Autor eines Buchs über Heilkunst bezeichnet.[11]

Rezeption

In der Antike blieb die Erinnerung an Demokedes als bedeutenden Arzt lebendig; noch Cassius Dio nannte ihn neben Hippokrates.[12] Das Bild, das man sich von ihm machte, war maßgeblich von Herodots ausführlicher, literarisch ausgeschmückter Schilderung der Wechselfälle seines Lebens geprägt.

Der Schriftsteller Artur Swerr machte das Leben des Demokedes zum Thema eines 1961 erschienenen Romans.[13]

Quellenedition

  • Maria Timpanaro Cardini: Pitagorici. Testimonianze e frammenti, Bd. 1, La Nuova Italia, Firenze 1958, S. 106–113 [griechische Quellentexte mit italienischer Übersetzung]

Literatur

  • Bruno Centrone : Démocédès de Crotone. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 2, CNRS Éditions, Paris 1994, ISBN 2-271-05195-9, S. 643
  • Malcolm Davies: From rags to riches: Democedes of Croton and the credibility of Herodotus. In: Bulletin of the Institute of Classical Studies 53-2, 2010, S. 19–44
  • Alan Griffiths: Democedes of Croton: A Greek Doctor at the Court of Darius, in: Heleen Sancisi-Weerdenburg/Amélie Kuhrt (Hrsg.): Achaemenid History, Bd. 2: The Greek Sources, Nederlands Instituut voor het Nabije Oosten, Leiden 1987, ISBN 90-6258-402-0, S. 37–51 [sehr negative Einschätzung der Glaubwürdigkeit Herodots]
  • Markwart Michler: Demokedes von Kroton. In: Gesnerus 23, 1966, S. 213–229
  • Michelangelo Petruzzella: Attività politica ed esercizio della techne medica in Democede di Crotone: i modelli culturali pitagorici in Erodoto III 129–137. In: Erodoto e l’Occidente (= Supplementi a „Kókalos“ 15), Bretschneider, Rom 1999, ISBN 88-7689-171-4, S. 343–372

Anmerkungen

  1. Herodot 3,125.
  2. Malcolm Davies: From rags to riches: Democedes of Croton and the credibility of Herodotus. In: Bulletin of the Institute of Classical Studies 53-2, 2010, S. 19–44.
  3. Zu der aus der Suda stammenden Nachricht, er sei Asklepiospriester gewesen, äußert sich kritisch Fridolf Kudlien: Überlegungen zu einer Sozialgeschichte des frühgriechischen Arztes und seines Berufs. In: Hermes 114, 1986, S. 129–146, hier: 135. Anders urteilt Griffiths (1987) S. 48f.
  4. Leonid Zhmud: Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus, Berlin 1997, S. 229, 231.
  5. Herodot 3,131.
  6. Zhmud (1997) S. 231f. und Anm. 20; zur Art der Erkrankung Atossas siehe Philip Huyse: Die persische Medizin auf der Grundlage von Herodots Historien. In: Ancient Society 21, 1990, S. 141–148, hier: 143 und Anm. 9; vgl. Michler (1966) S. 226 und Anm. 51.
  7. Herodot 3, 132–138.
  8. Christian Mann: Athlet und Polis im archaischen und frühklassischen Griechenland, Göttingen 2001, S. 175; Domenico Musti: Le rivolte antipitagoriche e la concezione pitagorica del tempo. In: Quaderni Urbinati di cultura classica N.S. 36, 1990, S. 44.
  9. Zhmud (1997) S. 229.
  10. Iamblichos, De vita Pythagorica 257–261.
  11. Siehe dazu Jochen Althoff: Formen der Wissensvermittlung in der frühgriechischen Medizin. In: Wolfgang Kullmann und Jochen Althoff (Hrsg.): Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen 1993, S. 211f. Skeptisch äußert sich zur Glaubwürdigkeit der Nachricht Michler (1966) S. 214f.
  12. Siehe dazu Michler (1966) S. 229.
  13. Artur Swerr: Arzt der Tyrannen, München 1961.

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