- Autoritarismus
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Autoritarismus (französisch autoritaire ‚befehlerisch‘, ‚herrisch‘; lateinisch auctoritas ‚Einfluss‘, ‚Geltung‘, ‚Macht‘) gilt in der Politikwissenschaft als Systemtyp sui generis, der sich grundlegend von der Demokratie, aber auch vom Totalitarismus unterscheidet. Aus der Abgrenzung von diesen Systemtypen ergeben sich nach Juan J. Linz (1985) drei zentrale Definitionsmerkmale:
- begrenzter Pluralismus
- keine umfassend formulierte Ideologie
- weder extensive noch intensive Mobilisierung.
Der begrenzte Pluralismus ist als zentrales Abgrenzungsmerkmal zu sehen. Der Handlungsspielraum von politischen und gesellschaftlichen Akteuren hängt weitgehend von der autoritären Staatsführung ab.
In Abgrenzung zum Totalitarismus ist für den Autoritarismus zutreffender von Mentalitäten zu sprechen als von (politischen) Ideologien und Weltanschauungen. Mentalität ist nach T. Geiger (1932) „subjektive Ideologie“, aber „objektiver Geist“. Mentalitäten sind psychische Prädispositionen und funktionieren formlos.
Das Fehlen einer klaren Ideologie bewirkt einen Verlust der Mobilisierungsfähigkeit, der Bevölkerung fehlt eine emotionale Bindung an das System. Daher greifen autoritäre Regime auf als allgemeingültig angenommene Wertvorstellungen wie Patriotismus, Nationalismus, Modernisierung, Ordnung usw. zurück. Diese erlauben ihnen eine pragmatische Orientierung in der Politikformulierung.
Soziale und politische Basis autoritärer Systeme
Autoritäre Systeme werden von bestimmten sozialen Kräften einer Gesellschaft getragen. Diese bilden gegebenenfalls ihre oligarchische Machtbasis. Diese sozialen Kräfte können in z. B. zivile und militärische Kräfte unterteilt werden. Das heißt, autoritäre Staaten können zivil, militärisch, tribal, religiös oder bürokratisch usw. gestützt sein.
Legitimationsmuster autoritärer Systeme
Max Weber beschreibt drei Formen der Legitimation: traditionelle, charismatische und rationale Legitimität. In Bezug auf autoritäre Systeme sind nur die traditionelle und charismatische Legitimität von Bedeutung. Traditionell bedeutet nach Max Weber: „die Autorität des ewig Gestrigen: der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligter Sitten“ - dieses Legitimationsmuster trifft vor allem auf autoritäre Staaten zu, in denen die Religion als Legitimation für den Herrschenden gilt und das Politische nicht vom Sakralen getrennt ist. Beispiele hierfür sind Saudi-Arabien und der Iran, wobei Anklänge an dieses Muster auch in Teilen der westlichen Welt (z. B. Bible Belt), wenn auch mit beschränktem Einfluss, vorzufinden sind. Charismatisch bedeutet nach Max Weber: „aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene, gläubige, ganz persönliche Hingabe“ - dieses Legitimationsmuster trifft vor allem auf Länder zu, in denen ein politischer Führer Anerkennung in der Bevölkerung erworben und seine Herrschaft in einem autoritären System verankert hat. Als ein Beispiel hierfür kann Kuba unter Fidel Castro angesehen werden.
Strukturmuster der politischen Macht
In autoritären Systemen ist die Macht in der Regel zentralisiert. Eine horizontale Gewaltenteilung besteht oberflächlich betrachtet allerhöchstens formal. Vergleicht man Industrie- und Entwicklungsländer, kann ein höheres Maß an Personalisierung des Politischen festgestellt werden. Als personalistisch bezeichnet man eine Führung dann, wenn sie in einer Person konzentriert ist.
Beziehung zwischen Machthabern und Herrschaftsunterworfenen
Das wesentliche Element im Verhältnis von Machthabern und Machtunterworfenen ist die Gewalt „von oben“. Staatliche und parastaatliche Repressionsorgane dienen dazu, bei Bedarf Gewalt auszuüben, um Kritik und jegliche Form der Opposition zu unterdrücken. Die politische Partizipation wird von den Machthabern entweder unterbunden oder gesteuert.
Modelle autoritärer Regime
Diese Modelle wurden von Juan J. Linz entwickelt. Sie sind idealtypisch und nur selten deckungsgleich mit real existierenden Regimen.
Bürokratisch-militärischer Typus
Merkmale:
- keine mobilisierungsfähige Partei
- Führung: a-charismatische Militärs
- Mentalität pragmatisch
Dieser Typ folgt meist auf ein liberal-demokratisches System, das über keine Systemloyalitäten oder keine stabile Regierung verfügte.
Beispiele:
- Militärdiktaturen in Lateinamerika 1960er bis 1990er
- Union Myanmar
Autoritärer Korporativismus
Merkmale:
- vom Staat verfügte Prozedur der Interessenrepräsentation
- zwangsadministrative Begrenzung innergesellschaftlicher Konflikte
Ideologische Alternative für Gesellschaften, die infolge ihrer ökonomischen und sozialen Komplexität nicht allein mit technokratisch-autoritären Mitteln regiert werden können.
Beispiele:
- Austrofaschismus in Österreich (1934–1938)
- Estado Novo in Portugal (1928–1974)
- Horthy-Ungarn (1918–1944)
Mobilisierende autoritäre Regime
Merkmale:
- emotionale Legitimationsformen durch eine affektive Identifikation mit der Regierung
- plebiszitäre Beteiligungsformen sollen dabei helfen, die Unterstützung zu sichern.
Beispiele:
- Franco-Spanien (1939–1976)
- Erste Slowakische Republik (1938–1945)
Nachkoloniale mobilisierende Regimes
Merkmale:
- begrenzter Pluralismus
- relative Autonomie der Gesellschaft
- Heterogene politische Tendenzen und Kräfte
Vor allem im nachkolonialen Afrika ließen soziale und ökonomische Disparitäten, ethnische, linguistische und religiöse Unterschiede der Bevölkerung und eine schwache Bürokratie viele Staatsführer glauben, dass nur ein autoritär geführter Staat Erfolg verheißen würde. Die meisten dieser Regime sind Militärputschen oder der Umwandlung in rein persönliche Herrschaften zum Opfer gefallen.
Beispiele:
Neopatrimoniale Regime
Unter Neopatrimonialismus wird ein, besonders häufig in Afrika anzutreffender Herrschaftstyp bezeichnet, der als eine Mischform aus klassisch-patrimonialer und legal-rationaler Herrschaft angesehen werden kann. Als Regimetyp ist er zwischen Autokratie und Demokratie anzusiedeln. Kennzeichnende Bestandteile des Neopatrimonialismus sind Klientelismus und politische Patronage.
Beispiele:
Rassen- und ethnische „Demokratien“
Merkmale:
- bestimmte ethnische Gruppen werden von der pol. Partizipation ausgeschlossen und besitzen keine demokratischen Rechte
Es wird nicht nur Druck auf die diskriminierte, in den historischen Beispielfällen nicht-weiße Bevölkerung ausgeübt, sondern auch auf Dissidenten aus der privilegierten Schicht (historisch: Weiße), die die Trennungspolitik bekämpfen und in Frage stellen.
Beispiele:
- Südafrika (bis 1994)
- Rhodesien (1980)
- Südstaaten der USA bis in die späten 1960er Jahre
Unvollständige totalitäre und prätotalitäre Regime
Merkmale:
- Entwicklungstendenzen zum Totalitarismus gestoppt oder verzögert
Der Prätotalitarismus bezeichnet die Übergangsphase zum Totalitarismus
Beispiel:
- Spanien nach dem Bürgerkrieg (1939)
- Deutsches Reich kurz nach der Machtübernahme (1933)
Posttotalitäre autoritäre Regime
Bezeichnet vor allem die osteuropäischen Staaten nach der Entstalinisierung. Diese Kategorie enthält noch weitere Subtypen.
Beispiele für autoritäre Staaten
Beispiele für autoritäre Systeme waren oder sind
- Griechenland unter der Militärdiktatur 1967 bis 1974
- Haiti unter François Duvalier („Papa Doc“) und seinem Sohn 1957 bis 1986
- Präsident Suharto in Indonesien von 1965 bis 1998
- Bokassa im Zentralafrikanischen Kaiserreich 1967 bis 1970
- Guatemala unter der Militärjunta 1957 bis 1996
- Tunesien unter Zine el-Abidine Ben Ali 1987 bis 2011
- Nordvietnam/Vietnam seit 1954/1976
- Südvietnam 1954 bis 1975
- Myanmar unter der Militärdiktatur seit 1962
- Singapur seit 1965
- Ägypten unter Muhammad Husni Mubarak 1981 bis 2011
- Aserbaidschan seit 1993
- Weißrussland seit 1994
- Kasachstan seit 1991
- Turkmenistan seit 1992
- Usbekistan seit 1992
- Gambia seit 1996
- Pakistan unter der Militärjunta von 1999 bis 2008
- Russland unter der gelenkten Demokratie seit 2000
- VR China seit 1976[1]
Merkmale ihrer Herrschaft sind die Zensur der Presse, die Verfolgung der politischen Gegner und die Inhaftierung von Missliebigen.
Autoritarismus in der Sozialpsychologie
Der Autoritarismus wird sozialpsychologisch als eine Einstellung, häufig auch als eine Persönlichkeitseigenschaft aufgefasst (autoritäre Persönlichkeit bzw. autoritärer Charakter) oder dient als Oberbegriff für faschistoide und antidemokratische Einstellungen. Psychologisch ist der Begriff doppeldeutig, denn er beschreibt einerseits ein extrem dominantes Verhalten, andererseits die Bereitschaft zur Unterwerfung unter Ranghöhere. Insofern hängen Autoritarismus und Gehorsam zusammen. In ihren bekannten und viel diskutierten Experimenten haben Stanley Milgram (Milgram-Experiment) und Philip Zimbardo (Stanford-Prison-Experiment) das beobachtete Gehorsamkeitsverhalten unter simulierten, für die Teilnehmer realistisch wirkenden Bedingungen untersucht und nach Zusammenhängen mit anderen sozialen Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen gefragt.
Autoritarismus im psychologischen Experiment
In seinen Schlussfolgerungen aus dem Stanford Prison Experiment, einer psychologischen Studie über das menschliche Verhalten in Gefangenschaft, schreibt Philip Zimbardo: "The only link between personality and prison behavior was a finding that prisoners with a high degree of authoritarianism endured our authoritarian prison environment longer than did other prisoners." (Die einzige Verbindung zwischen Persönlichkeit und Gefängnisverhalten war der Befund, dass Gefangene mit einem hohen Grad an Autoritarismus unsere autoritäre Gefängnisumgebung länger ertrugen als andere Gefangene.)
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Hartmann: Vergleichende Regierungslehre und Systemvergleich. In: Dirk Berg-Schlosser, Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.): Vergleichende Politikwissenschaft. 4. Aufl., Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1997, S. 31 ff., ISBN 978-3-8100-3860-9.
- Werner Herkner: Lehrbuch der Sozialpsychologie. 6. Aufl., Huber, Bern 2001, ISBN 3-456-81989-7.
- Juan J. Linz: Autoritäre Regime. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik, München 1996, S. 40–43.
- Juan J. Linz: Totalitäre und autoritäre Regime, Potsdamer Textbücher, Berlin 2000, ISBN 3-931703-43-6.
- Dieter Nohlen: Autoritäre Systeme. In: Peter Waldmann, Klaus Ziemer (Hrsg.): Die östlichen und südliche Länder (Lexikon der Politik, Bd. 4), München 1997, S. 67–74.
- Susanne Rippl, Christian Seipel, Angela Kindervater (Hrsg.): Autoritarismus. Kontroversen und Ansätze der aktuellen Autoritarismusforschung. Leske und Budrich, Opladen 2000, ISBN 3-8100-2634-4.
- Bernd Six: Generalisierte Einstellungen. In: Manfred Amelang (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie. Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Bd. 3. Hogrefe, Göttingen 1966, S. 1–50, ISBN 978-3-8017-0553-4.
Weblinks
- Autoritarismus und Ausländerfeindlichkeit von Christoph Lüscher, Universität Zürich, 1997
Fußnoten
- ↑ Heilmann, Sebastian: Das politische System der Volksrepublik China. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004
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