Elbgermanen

Elbgermanen
Das Einzugsgebiet der Elbe

Als Elbgermanen bezeichnet man nach archäologischen Funden germanische Stämme, deren Siedlungsgebiet sich von der Elbmündung beiderseits des Flusses bis nach Böhmen und Mähren erstreckte, wobei es im Zuge der Völkerwanderung zu einer Migration vom Nordwesten elbaufwärts kam, bis die einzelnen Gruppen dort an den römischen Donaulimes stießen. Zu den Elbgermanen zählt man die Semnonen, Hermunduren, Quaden, Markomannen und Langobarden.[1] Historisch sind sie bei allen Vorbehalten am ehesten mit den suebischen Stämmen gleichzusetzen. Nach früherer Kategorisierung gehörten sie zu den Westgermanen.

Im Unterschied zu den Siedlungsgebieten der Nordsee-, Oder-Weichsel- und Rhein-Weser-Germanen (aus denen später die Franken hervorgingen) kam es im elbgermanischen Siedlungsgebiet zu einer relativ einheitlichen Entwicklung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich. Dies zeigt sich vor allem an deutlichen Übereinstimmungen in der materiellen und geistigen Kultur (Keramik-, Geräte-, Waffen- und Schmuckformen, religiöse Bräuche u. Ä.). Ursache dafür waren intensive Kontakte sowohl der elbgermanischen Stämme untereinander, als auch zu entfernteren germanischen Stammesverbänden.

Jüngere germanische Stämme, wie die Alamannen, Thuringi und die Bajuwaren, die sich zum Großteil aus kleineren elbgermanischen Gruppen gebildet haben, werden aus linguistischen Gründen und archäologischen Indizien ebenfalls zu den Elbgermanen gezählt.[2]

Archäologisches

Siedlungsgebiet der germanischen Stämme, 50 n. Chr.

Die Elbgermanen lassen sich in der Archäologie durch typische Funde identifizieren, die sie von benachbarten Gruppen unterscheiden. Als ihre Vorgängerkultur bis um die Zeitenwende wird gemeinhin die Jastorfkultur angesehen. In der älteren römischen Kaiserzeit dann, sind es besondere Keramikformen, die die elbgermanischen Funde auszeichnen, vor allem glänzend polierte Gefäße wie Situlen und Terrinen, die mit Mäandern verziert sind. Die Muster wurden dabei mit Rollrädchen aufgetragen. Um die Zeit um Christi Geburt kommt es auch kurzzeitig zu einer politischen Vereinigung elbgermanischer Stämme unter Marbod, die uns aus römischen Quellen bekannt ist. In der jüngeren Kaiserzeit verschiebt sich das archäologische Bild zu Schalenurnen und einfachen Kümpfen, die auch als "swebische Töpfe" bezeichnet werden. Weiters gibt es spezielle elbgermanische Formen bei Fibeln und Gürtelschnallen. Daneben sind es vor allem die Bestattungsformen, die die Elbgermanen von ihren Nachbarn unterscheiden. Es herrscht die Urnenbestattung vor, selten sind daneben auch Leichenbrandhäufchen zu finden. Körpergräber gibt es nur vereinzelt. Diese Urnengräber sind jedoch reich mit Grabbeigaben versehen, neben Trachtenbestandteilen wurden Männern Waffen mit ins Grab gelegt und Frauen Schmuckstücke. Im Gegensatz dazu sind bei rheinwesergermanischen und nordseeküstengermanischen Gräbern diese Beigaben selten zu finden. Bei den östlichen Nachbargruppen sind jedoch Brandgruben und Brandschüttungsgräber zahlreicher und auch durch andere Formen von Grabbeigaben unterscheidbar. Daneben ist bei den Elbgermanen teilweise auch eine getrennte Bestattung von Männern (bzw. Kriegern) und Frauen (bzw. Nichtkriegern) auf separaten Friedhöfen oder Friedhofsteilen erkennbar, insbesondere bei den nördlichen Elbgermanen.

In der jüngeren römischen Kaiserzeit werden Grabbeigaben dann seltener, vor allem Waffen werden nicht mehr so oft mit ins Grab gelegt. Durch Unterschiede in den Funden und durch fundleere Zonen lassen sich die verschiedenen Siedlungsgebiete der Elbgermanen unterscheiden. So gibt es eine nördliche Gruppe um die Elbmündung und in Mecklenburg-Vorpommern, eine mittlere Gruppe in Mitteldeutschland, die bis an die Oder reicht, und eine südliche Gruppe in Böhmen, ein Gebiet das in der römischen Kaiserzeit durchwegs elbgermanisch ist. Ebenfalls elbgermanisch sind Funde in Mähren bis an die slowakisch-niederösterreichische Grenze, die jedoch auch Elemente der Przeworsk-Kultur enthalten. Darunter glaubt man die Markomannen und Quaden archäologisch erkennen zu können. Elbgermanische Funde gibt es in der älteren römischen Kaiserzeit weiters auch vertstreut im Südwesten Deutschlands. Man nimmt jedoch an, dass diese durch die Nähe zum Obergermanisch-Raetischen Limes allmählich romanisiert wurden. Andere archäologische Fundgruppen am unteren Main und am Rhein, die eventuell mit den Thüringern ident sein könnten, gehen in der rheinwesergermanischen Kultur auf.[3]

Eine genaue archäologische Zuordnung einzelner Funde zu bestimmten aus römischen schriftlichen Quellen namentlich bekannten Germanenstämmen ist jedoch bis heute schwierig und problematisch. Nur dort wo Elbgermanen direkt mit den Römern in Kontakt oder Konflikt getreten sind und dies durch schriftliche Quellen gut überliefert ist, lassen sich solche Gleichsetzungen anstellen. Dies gilt etwa ansatzweise für die Alamannen, die im 3. Jahrhundert den Limes überschreiten und die Römer aus den Agri decumates vertreiben, sowie für die Markomannen, die mit den Römern im 2. Jahrhundert am pannonischen Donaulimes im Konflikt sind. Andere aus römischen Quellen namentlich bekannte Stämme lassen sich bis dato nicht eindeutig archäologischen Fundgruppen zuordnen. Archäologisch erkennbar ist jedoch, dass jene Gebiete die von elbgermanischen Gruppen durch ihre Wanderungsbewegungen aufgegeben werden, etwa in Ostmitteldeutschland und in Böhmen, ab dem 6. und 7. Jahrhundert von Slawen besiedelt werden.

Elbgermanische Funde lassen sich ab dem 4. Jahrhundert auch bei römischen Kastellen und Legionslagern in Raetia und Noricum nachweisen, weshalb vermutet wird, dass die Römer dort elbgermanische Krieger als Hilfstruppen ihrer Armee anwerben konnten. Dadurch standen sich in dieser Zeit auf beiden Seiten des Limes elbgermanische Gruppen gegenüber, was der bayerische Archäologe Erwin Keller etwas dramatisch als "Bruderkrieg an der Grenze" bezeichnete.[4]

Begriffsgeschichte

Der Begriff "Elbgermanen" wurde erstmals 1868 von Paul Gustav Wislicenus[5] in dessen Doktorarbeit verwendet, wurde in der Wissenschaft aber erst häufiger benutzt, seit ihn der deutsche Prähistoriker Walther Matthes[6] im Jahr 1931 aufgriff.[7] Der Terminus beruhte zunächst auf teilweise spekulativen Ableitungen aus antiken römischen Quellen. So versuchte man die vor Christus bei Julius Cäsar erwähnten Sueben sowie die im 1. Jahrhundert nach Christus bei Tacitus, Plinius dem Älteren und Pomponius Mela erwähnten Herminonen (Irmionen) mit in der Spätantike am Donaulimes des römischen Reiches auftauchenden Germanenstämmen in Verbindung zu bringen. Später versuchte die Wissenschaft mit Hilfe von linguistischen Methoden bessere Erkenntnisse zu gewinnen, darunter als einer der ersten der Sprachwissenschaftler Friedrich Maurer im Jahr 1942. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde vermehrt auch auf die Archäologie zurückgegriffen, wodurch sich eine dritte Informationsquelle erschloss. Dadurch ergaben sich immer wieder neue Erkenntnisse, die bis in jüngste Zeit zu neuen Interpretationen und abgeänderten Theorien führen.[8] Im Jahr 1963 griff der tschechische Archäologe Bedřich Svoboda den Begriff auf und postulierte eine elbgermanische Gemeinsamkeit zwischen Funden in Böhmen und Bayern, die sich später bestätigten ließ.[9]

Einzelnachweise

  1. Walter Pohl: Die Germanen; Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2004, ISBN 9783486567557
  2. Heinrich Beck: Germanenprobleme in heutiger Sicht; Walter de Gruyter, 1999, ISBN 9783110164381
  3. Johannes Hoops, Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer: Reallexikon der germanischen Altertumskunde: Band 7; Walter de Gruyter, 1989, ISBN 9783110114454 (S. 108-110)
  4. Max Spindler, Andreas Kraus: Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band 2-3, C.H.Beck, 2001, ISBN 9783406394522 (Seite 104)
  5. wislicenus.info: Paul Gustav Wislicenus
  6. Walther Matthes: Die nördlichen Elbgermanen in spätrömischer Zeit - Untersuchungen über ihre Kulturhinterlassenschaft und ihr Siedlungsgebiet unter besonderer Berücksichtigung brandenburgischer Urnenfriedhöfe, Kabitzsch-Verlag, Leipzig, 1931
  7. Johannes Hoops, Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer: Reallexikon der germanischen Altertumskunde: Band 7; Walter de Gruyter, 1989, ISBN 9783110114454
  8. Max Spindler, Andreas Kraus: Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band 2-3, C.H.Beck, 2001, ISBN 9783406394522
  9. Thomas S. Burns: Barbarians within the gates of Rome: a study of Roman military policy and the barbarians, ca. 375-425 A.D, Indiana University Press, 1994, ISBN 9780253312884 (Englisch)

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