Marbod

Marbod

Marbod, lateinisch Maroboduus, (* um 30 v. Chr.; † 37 n. Chr. in Ravenna) war der bedeutendste markomannische Herrscher. Im Jahre 8 v. Chr. wurde Marbod König der Markomannen, eines suebischen Volksstammes der Germanen, der im Maingebiet siedelte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre

Marbod stammte aus einer vornehmen Familie der Markomannen und wird als kräftig und mutig beschrieben.[1] In seiner Jugendzeit soll er lange in Rom gelebt haben und sich der Gunst des Kaisers Augustus erfreut haben.[2] Man kommt bei der Suche nach den Gründen für seinen Aufenthalt in Rom (etwa Vergeiselung, Gefangennahme im Krieg oder Beschäftigung als Leibgardist) ebenso wenig über Spekulationen hinaus wie bei der Feststellung seiner von Augustus erhaltenen Huldbezeugungen (Freilassung, Verleihung des Bürgerrechts usw.).

Das Marbodreich in Böhmen

Jedenfalls durfte Marbod mit römischer Genehmigung nach Germanien heimkehren. Die Markomannen waren 10 v. Chr. von den von Drusus angeführten Römern vernichtend besiegt und 8 v. Chr. vom späteren Kaiser Tiberius zur Kapitulation gezwungen worden. Marbod übernahm etwa zu dieser Zeit aus eigener Initiative und wohl ohne römische Zustimmung,[3] vielleicht ein durch die Kriege gegen Rom entstandenes Machtvakuum ausnützend, als Dux die Regierung des Stammes und führte ihn aus der drohenden römischen Umklammerung im Maingebiet ostwärts in das von den Boiern verlassene Böhmen und nördliche Mähren.[4] Mit dieser Maßnahme festigte er seine Herrschaft und bewahrte die Markomannen vor dem Ende ihrer politischen Selbständigkeit – denn Tiberius führte gerade damals Zwangsumsiedlungen zur Vernichtung der Macht der Suebenstämme durch. Außerdem wurde durch diese Abwanderung die Bildung einer eigenständigen Stammesidentität der Markomannen sehr gefördert.

Im relativ dünn besiedelten Böhmen machte sich Marbod die dort lebenden Reste der Kelten und die schon früher eingewanderten Germanen friedlich zu Untertanen. Er nahm den Königstitel an[5] und scharte um die Markomannen, teils durch kriegerische Aktivitäten gegen Nachbarvölker, einen von ihm beherrschten mächtigen Stammesbund, dem u. a. Hermunduren, Semnonen und Lugier, in späterer Zeit auch die Langobarden angehörten.[6] Sein Einflussbereich grenzte also im Süden an die Donau, im Osten an die römische Provinz Pannonien und die Weichsel, im Norden an die Ostsee und im Westen an die Elbe.

König Marbod, der erstmals in der germanischen Geschichte einen größeren, ansatzweise zentralistisch geführten Herrschaftskomplex errichtet hatte, gebot über ein angeblich nach römischer Taktik und Disziplin geschultes Heer mit einem Maximalaufgebot von 70.000 Mann Infanterie und 4000 Mann Kavallerie.[7] Nach römischem Vorbild ließ er sich einen befestigten Königssitz namens Marobudum bauen,[8] der bis heute nicht genau lokalisiert werden konnte. Die römischen Quellen stellen freilich entsprechend der damaligen Propaganda die Stärke und Diszipliniertheit von Marbods Truppen übertrieben dar und behaupten, dass von ihnen eine Invasionsgefahr drohte.[9] Damit sollte der spätere Angriffsplan des Augustus auf das Markomannenreich legitimiert werden.

Römisch-Germanischer Krieg

Anfänglich waren also die Beziehungen zwischen Rom und dem Marbodreich eher gespannt. Es gab zunächst diplomatische Drohungen und flüchtige Aufständische fanden bei den Markomannen Zuflucht. Schließlich versammelten sich 5 n. Chr. elbgermanische, von Marbod abhängige Truppen am östlichen Ufer der Elbe, so dass Tiberius deren Widerstandskraft nicht brechen konnte.[10]

Daher plante Augustus 6 n. Chr., das Marbodreich als den letzten großen Machtblock in Germanien zu unterwerfen und zu diesem Zweck zwölf Legionen unter dem Oberbefehl des Tiberius zu entsenden. Zwölf Legionen hatten eine Sollstärke von 72.000 Mann. Das Markomannenreich sollte in die Zange genommen werden. Es war beabsichtigt, dass Gaius Sentius Saturninus vom Rhein aus mit sechs Legionen ostwärts ins Marbodreich vorstieß und Tiberius selbst von Carnuntum aus angriff.[11] Nach der Ansicht des Historikers Peter Kehne[12] konnten die Streitkräfte des Tiberius aber – entgegen dem prorömisch gefärbten Bericht von Velleius Paterculus – gar nicht tatsächlich ihre Angriffspläne in die Realität umsetzen, da in ihrem Rücken, ausgehend von Pannonien und Dalmatien, der Pannonische Aufstand ausbrach. Er griff auf ganz Illyrien über und gefährdete Makedonien und Italien.[13]

Bündnispolitik mit den Römern

In dieser bedrohlichen Situation musste Tiberius mit den Markomannen einen Friedensvertrag schließen, in dem die Römer den Status Quo und den Königstitel von Marbod anerkannten.[14] Dieser dürfte über den Ausgleich froh gewesen sein, den er auch durch nach Rom geschickte Gesandtschaften und Präsente unterstützte.[15] Offenbar intensivierten sich in der Folge auch die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Reichen, wie archäologische Funde zeigen. Die Römer behaupteten aber, sie hätten Marbod zum Frieden gezwungen.[16]

Die vom geplanten Kriegsschauplatz des Marbodreiches abgezogenen Streitkräfte der Donautruppen schickte Tiberius nun gegen die Aufständischen in Illyrien. Diese Kämpfe dauerten bis in das Jahr 9, womit jede Offensive in Germanien zum Stehen kam. Trotz der angespannten Lage an der Donau blieb es in Germanien vorerst ruhig.

Arminius bot Marbod nach der Varusschlacht 9 n. Chr. ein Bündnis gegen die Römer an und sandte ihm daher das Haupt des Publius Quinctilius Varus, das der Markomannenherrscher jedoch Augustus ausliefern ließ und somit eine germanische Koalition ausschlug.[17] Trotzdem erkannte Rom Marbod nie als offiziell verbündeten Klientelherrscher an. Zur Rache für die desaströse Niederlage der Römer führten Tiberius und Germanicus in den nächsten Jahren in Germanien Krieg gegen die Koalition des Arminius, in dem sich Marbod neutral verhielt. Deshalb versagte ihm Rom militärische Unterstützung nach seinem 17 n. Chr. geführten Krieg gegen die Cherusker unter Arminius.[18]

Germanische Entscheidungsschlacht

Dieser 17 n. Chr. ausgebrochene innergermanische Konflikt sollte entscheiden, welcher der beiden Machtblöcke künftig den elbgermanischen Raum beherrschen würde. Aus der von römischen Moralvorstellungen geprägten Darstellung des Tacitus[19] geht nicht klar hervor, welche Seite als Aggressor auftrat. Nachdem Germanicus mit seinen Legionen aus Germanien abberufen worden war, sei Arminius gegen eine zu starke Ausdehnung des Reiches von Marbod aufgetreten. Dass der Cheruskerfürst den Marbod als „Vaterlandsverräter“, der sich den Römern anbiedere, geschmäht habe, dürfte mit der ihm damit unterstellten national-patriotischen Einstellung kaum der historischen Wahrheit entsprechen. So bleiben die tatsächlichen Motive der Kontrahenten im Dunkeln. Tacitus[20] malt Arminius als den strahlenden Kämpfer für die Freiheit und stellt ihm Marbod als Verkörperung von Willkürherrschaft gegenüber; diese Charakteristik gibt eher innenpolitische römische Vorstellungen des Senates über Freiheit gegen die Tyrannei eines Einzelnen wider als reale Verhältnisse bei germanischen Stämmen.[21]

Vor der Entscheidungsschlacht zwischen den gegnerischen germanischen Machtblöcken wurde die Streitmacht des Arminius durch den Zuzug von Semnonen und Langobarden verstärkt, die von Marbod abgefallen waren. Mit diesen hätte Arminius das Übergewicht besessen, wenn nicht sein Onkel Inguiomer mit seiner Gefolgschaft zu Marbod übergelaufen wäre und so wieder in etwa ein Gleichgewicht der Stärke der feindlichen Heere hergestellt hätte.[22] Auch wenn also die Streitmacht des Marbod nicht mehr die alte Höchststärke ausmachte, so wird sie ohne Zweifel mehrere zehntausend Mann stark gewesen sein. Die natürlich recht vage Schätzung von 50.000 Mann erscheint realistisch. Zwar konnte die Schlacht von keiner Seite als Sieg betrachtet werden, doch scheute sich Marbod davor, den Kampf zu erneuern.[23] Damit setzte er sich dem Vorwurf aus, dem Gegner das Feld überlassen zu haben. Arminius verstärkte den Eindruck einer gegnerischen Niederlage wohl noch propagandistisch; jedenfalls musste Marbod wegen der Schwächung seiner Heeresstärke durch zahlreiche Desertionen in sein Kernland zurückkehren.[24]

Zerfall des Marbodreichs und Exil

Der erfolglose Kampf gegen Arminius, subversive römische Interventionen – Kaiser Tiberius suchte die Germanenstämme durch Förderung innerer Zwistigkeiten zu schwächen - und die Opposition des Sippenadels führten zum Zerfall des Stammesbundes und zum Sturz Marbods im Jahre 18 n. Chr. Ein vom Markomannenkönig einst vertriebener Adliger, Catualda, der zu den Gotonen (Goten?) geflüchtet war, kam jetzt mit einem größeren Truppenaufgebot zurück und gewann andere markomannische Adlige durch Bestechung für seine Unterstützung. So konnte Catualda den Königssitz und die Festung von Marbod erobern. Dieser suchte sein Heil in der Flucht über die Donau nach Noricum zu den Römern, doch wurde er von Tiberius nicht für eine Rückkehr militärisch unterstützt. Stattdessen bezeichnete der Monarch Marbod in einer Senatsrede als größere Bedrohung als einst Pyrrhos und Antiochos III. für Rom, solange der Markomanne noch über sein Volk geherrscht hatte. Mit dieser übermäßigen Aufbauschung von dessen Gefährlichkeit wollte Tiberius wohl Marbods Sturz als einen Erfolg seiner nichtmilitärischen Germanenpolitik verkaufen. Der Kaiser war aber zum Angebot eines sicheren Geleit zur Grenze zurück oder eines würdigen Asyls in Italien bereit. Marbod entschied sich für letzteres und wurde in Ravenna festgesetzt, wo er 18 Jahre später starb.[25] Eine Gedenktafel für Marbod fand Aufnahme in die Walhalla bei Regensburg.

Quellenlage

Aufgrund der zeitgenössischen Berichte des Geographen Strabo (7, 1, 3 p. 290C) und des römischen Historikers Velleius Paterculus (2, 108-110; 2, 129) sowie späteren Darstellungen insbesondere des römischen Annalisten Tacitus (Annalen 2, 44-46; 2, 62-63; 2, 88) stellt sich die Quellenlage zur Erstellung einer biographischen Skizze von Marbod relativ gut dar.

Beurteilung in der Forschung

Manche moderne Forscher sehen in Marbod gemäß Tacitus’ Vorwurf der „Verräterei“ anachronistisch einen untätigen Herrscher bei der Befreiung Germaniens, weil er Arminius nach der Varusschlacht nicht unterstützt habe. Dabei stellt sich freilich die Frage, wie Marbod von einem solchen Bündnis mit den Cheruskern hätte profitieren können. Auf der anderen Seite stilisieren ihn manche Historiker zu einer Integrationsfigur der Germanen und werten seinen Sturz als Ende einer ersten „Staatenbildung“ dieses Volkes. Der Realität näher kommt seine Charakterisierung als pragmatischer Politiker, der die Markomannen zuerst durch seinen Entschluss zum Abzug aus dem römischen Einflussbereich vor der Auflösung bewahrte und später durch kluge Taktik eine erneute Unterjochung seines Volkes verhinderte. Mit diesem begrenzten und konsequent verfolgten Ziel hatte er lange Zeit Erfolg.[26]

Literatur

  • Josef Dobiáš: King Maroboduus as a Politician. In: Klio, Band 38 (1960), S. 155–166.
  • Ralf G. Jahn: Der Römisch-Germanische Krieg (9–16 n. Chr.). Diss. Bonn 2001.
  • Arthur Stein: Maroboduus. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XIV,2, Stuttgart 1930, Sp. 1907–1910.
  • Peter KehneMarbod. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 19, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, S. 258–262.
  • Peter Kehne, Vladimir Salač: König Marbod. In: 2000 Jahre Varusschlacht. Imperium – Konflikt – Mythos. Herausgegeben vom LWL-Römermuseum / Museum und Park Kalkriese / Landesverband Lippe. Band 3, Theiss, Stuttgart 2009, S. 114ff.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Velleius 2, 108, 2
  2. Strabo 7, 1, 3, p. 290C
  3. so P. Kehne (2001), S. 258f.; anders Stein (s. Lit), Sp. 1908
  4. Strabo 7, 1, 3f.; Velleius 2, 108, 1f.
  5. Strabo 7, 1, 3; Velleius 2, 108; Tacitus, Annalen 2, 44; 2, 63; u. a.
  6. Strabo 7, 1, 3; Velleius 2, 108, 2; 2, 109, 2f.; Tacitus, Annalen 2, 45, 1
  7. Velleius 2, 109, 2
  8. Strabo 7, 1, 3; Tacitus 2, 62, 2; Claudius Ptolemäus 2, 11, 14
  9. Velleius 2, 109; u. a.
  10. Velleius 2, 107; 2, 109, 1f.
  11. Velleius 2, 109, 5
  12. Kehne (2001), S. 260
  13. Velleius 2, 110; Cassius Dio 55, 28, 7 – 30, 1
  14. Cassius Dio 55, 28, 6f.; Tacitus, Annalen 2, 45, 3
  15. Tacitus, Annalen 2, 45, 3; 2, 46, 2
  16. Tacitus, Annalen 2, 26, 3
  17. Velleius 2, 119, 5
  18. Tacitus, Annalen 2, 44, 2; 2, 46, 5
  19. Tacitus, Annalen 2, 44ff.
  20. Tacitus, Annalen 2, 44, 2
  21. Kehne (2001), S. 260f.
  22. Tacitus, Annalen 2, 45, 1
  23. Tacitus, Annalen 2, 46, 4
  24. Tacitus, Annalen 2, 46, 5
  25. Tacitus, Annalen 2, 62, 1 – 63, 4; Velleius 2, 129, 3; u. a.
  26. Kehne (2001), S. 261f.

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