- Elisabeth Käsemann
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Elisabeth Käsemann (* 11. Mai 1947 in Gelsenkirchen; † 24. Mai 1977 in Argentinien) ist eines der bekanntesten deutschen Opfer der argentinischen Militärdiktatur. Sie war während ihres Soziologiestudiums an der Freien Universität Berlin als Auslandspraktikantin in Bolivien und anschließend als Entwicklungshelferin in Argentinien tätig. Sie leistete zuletzt Sozialarbeit in den Armenvierteln (Villas Miserias) von Buenos Aires. Käsemann wurde – wie zehntausende von argentinischen Opfern der Diktatur – als vermeintliche Widerstandskämpferin 1977 von Angehörigen argentinischer Sicherheitskräfte verhaftet und an einem geheim gehaltenen Ort versteckt, gefoltert und wahrscheinlich hingerichtet. Deutschen Behörden wird vorgeworfen, sich zu wenig für Käsemanns Freilassung eingesetzt zu haben.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Elisabeth Käsemann, Tochter des evangelischen Theologen Ernst Käsemann, war von 1954 bis 1966 Schülerin in Göttingen und Tübingen. Schon damals war sie stark politisch interessiert und engagiert. Sie machte ihr Abitur und studierte Soziologie und Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Ende September 1968 reiste sie für ein Praktikum nach Bolivien. Sie wollte in Lateinamerika bleiben, um gegen die Armut und Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Seit 1971 lebte sie in Buenos Aires. Elisabeth Käsemann arbeitete als Übersetzerin und war gemeinsam mit der Theologiestudentin Diana Austin in einem Sozialprojekt in den Slums von Buenos Aires in der Nähe des Bahnhofs Retiro tätig. Ab 1974 studierte sie zudem Volkswirtschaft.
Sie wurde als „Mitglied einer politischen oppositionellen Gruppe“ während der damaligen argentinischen Militärdiktatur in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1977 verhaftet und gefoltert. Nach einigen Wochen gaben die argentinischen Behörden ihren Tod bekannt, der angeblich am 24. Mai 1977 bei einem Gefecht durch vier Schüsse in den Rücken eingetreten war. Die Umstände und die anschließende Untersuchung deuteten jedoch stark auf eine Hinrichtung hin. Ihre Beisetzung erfolgte am 16. Juni 1977 in Tübingen-Lustnau. Dort machten die Eltern folgende Aussage: „Wir haben heute unsere Tochter Elisabeth auf dem Lustnauer Friedhof bestattet. Am 11. Mai 1947 geboren, am 24. Mai 1977 von Organen der Militärdiktatur in Buenos Aires ermordet, gab sie ihr Leben für Freiheit und mehr Gerechtigkeit in einem von ihr geliebten Lande. Ungebrochen im Wollen mit ihr einig, tragen wir unsern Schmerz aus der Kraft Christi und vergessen nicht durch sie empfangene Güte und Freude.“[1]
Ermittlungen und Prozess
Die darauf folgenden Ermittlungen wurden am 4. Februar 1980 von der Staatsanwaltschaft Tübingen mit dem Grund eingestellt, dass „weitere Ermittlungsmöglichkeiten angesichts der ablehnenden Haltung der argentinischen Behörden nicht bestehen“. Überlebende Folteropfer der argentinischen Diktatur wie Elena Alfaro und Ana Maria di Salvo berichteten, dass Elisabeth Käsemann im geheimen Folterzentrum „El Vesubio“ gefangen gehalten und später zusammen mit 15 anderen Gefangenen nach Monte Grande gebracht und dort hingerichtet wurde. Die gerichtsmedizinische Untersuchung in Tübingen ergab, dass Elisabeth Käsemann durch vier Schüsse von hinten getötet wurde, was auf eine typische Exekution hinweist.
Im Auftrag der Koalition gegen Straflosigkeit in Argentinien erstattete der Rechtsanwalt Roland Beckert abermals am 25. Februar 1999 Strafanzeige im Fall Käsemann. Das Amtsgericht Nürnberg hat am 11. Juli 2001 gegen den früheren argentinischen General Guillermo Suárez Mason, der unter Verdacht des Mordes an Elisabeth Käsemann steht, Haftbefehl erlassen. Im November 2003 wurden auch Auslieferungsanträge nach Deutschland gegen die Beschuldigten Jorge Rafael Videla, ehemaliger Präsident der Militärjunta in Argentinien, und gegen Exadmiral Emilio Massera erlassen. Die Anträge wurden am 17. April 2007 vom Obersten Gerichtshof Argentiniens endgültig abgewiesen.
Am 26. Februar 2010 wurde in Argentinien ein Prozess gegen acht frühere Militärangehörige wegen Mord und Entführung in über 100 Fällen eröffnet (Menschenrechtsverletzungen in 157 Fällen), darunter der Fall Elisabeth Käsemann. Als Nebenkläger nimmt die Bundesrepublik am Verfahren teil. Der Käsemann-Mord soll auch im Verfahren gegen den früheren Junta-Chef Jorge Rafael Videla verhandelt werden. Auch dabei tritt die Bundesrepublik als Nebenklägerin auf.[2]
Das Gericht verhängte am 14. Juli 2011 gegen zwei der Angeklagten lebenslange Freiheitsstrafen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fünf weitere Angeklagte wurden zu Haftstrafen zwischen 18 und 22 ½ Jahren verurteilt.[3][4][5]
Vorwurf der Untätigkeit an deutsche Behörden
Der deutschen Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem dafür zuständigen Außenminister Hans-Dietrich Genscher wurde mehrfach vorgeworfen, dass sie mehr Wert auf gute wirtschaftliche Beziehungen zu Argentinien gelegt und sich nicht darum gekümmert hätte, dass die – neben Käsemann – insgesamt etwa 100 entführten Deutschen und Deutschstämmigen (z. B. Klaus Zieschank) überlebten.[6][7] Angehörige von deutschen „Verschwundenen“ erhoben vor allem schwere Vorwürfe gegen die deutsche Botschaft in Buenos Aires und das Auswärtige Amt. Es gibt, wie im Fall Käsemann eingehend dokumentiert ist, zahlreiche Hinweise, dass die deutschen Behörden trotz eindringlicher Appelle der Familien zu wenig unternahmen, um bei den argentinischen Behörden zugunsten der willkürlich Verhafteten zu intervenieren.[7][8] Im Fall Käsemann gilt dies als besonders tragisch, da sie zum Zeitpunkt der Bitten der Familie an die Behörden zwar schwer gefoltert wurde, aber noch lebte. Nachdem bekannt wurde, dass sie durch vier Schüsse in den Rücken bei einem angeblichen Gefecht mit Rebellen getötet worden war, eine bald widerlegte Schutzbehauptung der Argentinier, meinte ein Familienmitglied: „Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben.“[6] Bis heute setzt sich die deutsche Organisation Koalition gegen Straflosigkeit teilweise erfolgreich für die Strafverfolgung der an Verbrechen an Deutschen beteiligten Täter ein.
Gedenken
In Erinnerung an Elisabeth Käsemann wurde vom evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid in ihrer Geburtsstadt Gelsenkirchen eine Elisabeth-Käsemann-Familienbildungsstätte gegründet, in der verschiedene Programme für Frauen, Kinder und Emigranten angeboten werden.
Siehe auch
Literatur
- Kai Ambos und Christoph Grammer: Tatherrschaft qua Organisation. Die Verantwortlichkeit der argentinischen Militärführung für den Tod von Elisabeth Käsemann. In: Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte 4. 2002/2003, S. 529–553
- Dellwo und Baer Hg.: Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter! Buch und DVD in der Reihe Bibliothek des Widerstands, Oktober 2010, Laika-Verlag. Hamburg, ISBN 978-3-942281-77-5
Drehbuch
- Osvaldo Bayer, Frieder Wagner: „…dass Du zwei Tage schweigst unter der Folter.“ Elisabeth Käsemann – ein deutsches Schicksal. 1991.[9]
Weblinks
- Ausstellung Elisabeth Käsemann, Ein Leben in Solidarität mit Lateinamerika (PDF-Datei; 2,70 MB)
- Strafanzeige Fall Elisabeth Käsemann
- Der Fall Käsemann beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
Einzelnachweise
- ↑ Reimar Oltmanns: [Detenido – torturado – desaparecido – verhaftet, gefoltert, verschwunden in Argentinien – beerdigt auf dem Friedhof Lustnau in Tübingen]
- ↑ Frankfurter Rundschau v. Fr. 26. Februar 2010, Seite 7: „Späte Aufarbeitung“ [1]
- ↑ Späte Sühne für Mord an Tübinger Studentin. In: Schwäbisches Tagblatt. 15. Juli 2011, abgerufen am 15. Juli 2011.
- ↑ Spiegel-Online 12. Juli 2011:Folteropfer Elisabeth Käsemann. Argentiniens Richter urteilen über die Sadisten von „El Vesubio“
- ↑ Spiegel-Online 15. Juli 2011: Folteropfer Elisabeth Käsemann. Argentinische Militärs müssen lebenslang in Haft
- ↑ a b Ein Leben in Solidarität mit Lateinamerika. Elisabeth Käsemann. Ausstellungsbroschüre, Koalition gegen Straflosigkeit, Nürnberg, Mai 2007, S.14
- ↑ a b Miriam Hollstein: Deutsche Justiz jagt Junta-General. Welt online, 15. Juli 2001
- ↑ Ein Leben in Solidarität mit Lateinamerika. Elisabeth Käsemann. Ausstellungsbroschüre, Koalition gegen Straflosigkeit, Nürnberg, Mai 2007, S.8
- ↑ „…dass Du zwei Tage schweigst unter der Folter“. Webseite von bewegung.taz.de. Abgerufen am 19. Mai 2010.
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