Militärdiktatur

Militärdiktatur
Weltkarte über die Regierungsformen
Regierungsformen der Welt

Republikanische Staatsform:

██ Präsidentielles Regierungssystem

██ An das Parlament gebundene Exekutivbefugnis

██ Semipräsidentielles Regierungssystem

██ Parlamentarisches Regierungssystem

██ Einparteiensystem


Monarchische Staatsform:

██ Parlamentarische Monarchie

██ Konstitutionelle Monarchie

██ Absolute Monarchie


Militärdiktatur:

██ Militärregierung

Stand: Mai 2009

Eine Militärdiktatur ist ein autoritäres Regime, in dem die politische Führung vom Militär oder Teilen des Militärs ausgeübt wird. Sie besitzt Gemeinsamkeiten mit der Stratokratie, ist aber nicht mit ihr identisch. Typische Militärdiktaturen werden von einer Junta (Offiziersgruppe) oder einem einzelnen Offizier beherrscht. Der Begriff Junta stammt aus dem Spanischen und bedeutet „Regierung“, „Verwaltung“. Hier bedeutet es im engeren Sinne eine Form der Oligarchie, das heißt, einige Wenige (zum Beispiel das Militär) stellen die Regierung in den wichtigsten Bereichen der Exekutive, Legislative und Judikative. Eine Militärdiktatur entsteht meistens durch einen Putsch, der sich gegen die jeweils bestehende Ordnung und die damit verbundene Regierung richtet.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung und Kategorisierung

Militärdiktaturen traten in den letzten Jahrzehnten vor allem in den Entwicklungsländern auf. Besonders charakteristisch und bedeutend sind sie für die politische Entwicklung Lateinamerikas im 20. Jahrhundert, in dem alle Staaten Lateinamerikas eine mehr oder weniger lange Zeit durch eine Militärdiktatur regiert wurden. Im Rahmen der vergleichenden Regierungslehre berechnete der Politikwissenschaftler Gabriel Almond 1993, dass Ende der 80er Jahre über ein Drittel und Anfang der 90er Jahre über ein Viertel der Staaten von Militärregimen regiert wurden. Innerhalb dieses politikwissenschaftlichen Fachbereichs unterscheidet man solche Regierungsformen nach der Ausprägungsintensität des vorherrschenden Autoritarismus und ihren Regierungszielen.

Militärdiktaturen neuen Typs

Historisch gesehen sind Militärregime keine Neuerscheinung der Nachkriegsgeschichte, allerdings bildete sich in den 1960er Jahren vor allem in Lateinamerika ein neuer Typ von Militärdiktaturen. Sie unterschieden sich von den traditionellen Militärdiktaturen in ihren Herrschaftszielen, die jetzt hauptsächlich die Legitimation ihrer Macht aus einer angeblichen oder tatsächlichen Bedrohung von Staat und Gesellschaft durch sogenannte systemfeindliche Gruppierungen, die in der Regel – jedoch nicht nur – im politischen Spektrum links standen, herleiteten. Die Militärdiktaturen traten dabei oft als Retter von Staat, Wirtschaft und Kultur auf und setzten sich meist für politische Strukturreformen ein. In vielen Fällen ging die Machtergreifung und Machtausübung des Militärs mit exzessiver Gewalt und außergesetzlichen Maßnahmen einher (siehe Schmutziger Krieg und Desaparecidos). Im Zusammenhang mit der übermäßigen staatlichen Gewaltanwendung entwickelten die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler R.D. Duvall und Michael Stohl im Jahr 1983 den Begriff Staatsterrorismus, der sich aber natürlich nicht nur auf Militärdiktaturen bezieht.

Besonders bekannt sind die Vorgänge während der Militärdiktaturen in Chile unter General Augusto Pinochet (1973–1989) und Argentinien in der Zeit von 1976 bis 1983, wo zehntausende Menschen spurlos verschwanden, die so genannten Desaparecidos. Während des Bürgerkriegs in El Salvador ab 1980 ermordeten die Todesschwadronen der von den USA unterstützten Militärregierung systematisch rund vierzigtausend Oppositionelle (etwa 0,6 % der Bevölkerung), um eine Machtübernahme linker Gruppen zu verhindern.[1] Ähnliche Dimensionen hatte der Bürgerkrieg in Guatemala.

Ideologien der Militärdiktaturen

Das Aufkommen der neuen Militärdiktaturen ist neben gesellschaftlichen und innenpolitischen Faktoren jeweils vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen. Die dabei an die Macht gekommenen Militärregierungen reduzieren sich aber nicht auf eine anti-kommunistische Abwehrbewegung, sondern stützten sich darüber hinaus auf eine eigene Ideologie, deren wichtigstes Ideologem die „Doktrin der nationalen Sicherheit“ war. Dieses durch geopolitisches Denken geprägte Ideologem steht in der Mehrheit der Militärdiktaturen mit einem für sie typischen Weltbild in Verbindung. Erst durch diese ideologische Grundlage waren die Militärregime in der Lage ihr außergesetzliches Vorgehen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Die wesentlichen Elemente dieses Weltbilds sind in Lateinamerika nach Spitta (aktueller Leiter des DAAD-Büros in Mexiko):

  1. katholischer Traditionalismus spanischen Ursprungs
  2. Nationalismus (Überbetonung des ser nacional)
  3. Kult des Militärischen als Erziehungsideal – Sendungsbewusstsein und Messianismus
  4. Rassismus
  5. Antikommunismus

Ein Beleg für die Bemühungen der Militärs eine aus ihrer Sicht integrative Ideologie zu entwickeln, liefern zahlreiche geopolitische Schriften. Einige berühmte Beispiele sind die Schriften der „Escola Superior de Guerra“ (ESG), einer berühmten Militärakademie in Brasilien und das 1978 veröffentlichte Werk Pinochets mit dem Titel „Geopolítica de Chile“. Die radikale Konsequenz aus dieser Ideologie belegt das Zitat des argentinischen Brigadegenerals Ibérico Saint Jean am Ende des Artikels.

Beispiele:

Theoretische Erklärungsversuche

Der Aufstieg von Militärregimen wurde in der Vergangenheit mit verschiedenen Theorien erklärt. Dabei entstehen unterschiedliche Ansätze, je nachdem ob man eher die inneren Prozesse eines Landes, oder die externen Einflüsse betont. Im ersten Fall kann man mit Hilfe der Modernisierungstheorie argumentieren, die vor allem auf ökonomischen Faktoren abhebt. Betont man eher die externen Einflüsse, so lässt sich der Aufstieg der Militärdiktaturen auch dependenztheoretisch begründen, indem man Interventionen aus dem Ausland, Imperialismus oder das putschistische Verhalten der politischen Mittelklasse betont.

Beispiele für Militärdiktaturen

  • 1967–1974: Die Griechische Militärdiktatur.
  • 1973–1990: Die Militärdiktatur in Chile.
  • 1976–1983: Die argentinische Militärdiktatur gilt als typisches Beispiel für die südamerikanischen Diktaturen der 1970er und 1980er Jahre, insbesondere in Bezug auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch das systematische Verschwindenlassen von zehntausenden Menschen.
  • Die türkische Regierung unter Ministerpräsident Süleyman Demirel wurde am 12. September 1980 von Generalstabschef Kenan Evren gestürzt. Demirel scheiterte vor allem im Kampf gegen rechte und linke Terroristen.
  • Myanmar: Seit 1962 sich abwechselnde Militärdiktaturen durch Ne Win, Saw Maung und Than Shwe, seit dem 4. Februar 2011 existiert zwar eine zivile Regierung mit Thein Sein als zivilem Präsidenten, dieser entstammt jedoch selbst dem Militär und Than Shwe übt wahrscheinlich weiterhin großen Einfluss auf die Politik aus.
  • Pervez Musharraf putschte 1999 gegen die pakistanische Regierung. Seitdem hat er 76 Generäle und mehrere Offiziere als Führungspersönlichkeiten in Wirtschaft und Politik eingesetzt. Seine Militärherrschaft wurde vom Westblock geduldet, da sich Musharraf am Kampf gegen den Terror beteiligte und fundamental-islamistische Elemente tendenziell unterdrückte; er trat 2008 zurück.
  • Der togoische Oberstleutnant Étienne Gnassingbé Eyadéma regierte nach einem unblutigen Militärputsch am 13. Januar 1967 ununterbrochen bis 1991.
  • Der Sudan wird seit 1989 von einer Militärregierung unter Umar Hasan Ahmad al-Baschir regiert.
  • Japan konnte spätestens nach der Ernennung von General Tojo Hideki Ende 1941 bis zur Kapitulation im September 1945, trotz des Vorhandenseins des Kaisers Hirohito als formell oberster Autorität im Land, als Militärdiktatur bezeichnet werden.
  • Auch Deutschland war während des Ersten Weltkriegs, insbesondere in den Jahren 1916 bis 1918, trotz monarchischer Staatsform de facto eine Militärdiktatur, da die zivile Regierung der Obersten Heeresleitung völlig untergeordnet war.

Aktuelle Entwicklung der Militärdiktaturen

Viele Entwicklungsländer sind anfällig für Putsche und somit auch für Militärdiktaturen. So etablierten sich auch in Lateinamerika in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Militärdiktaturen, die jedoch großteils durch die demokratische Transition Anfang der 1990er Jahre beseitigt wurden. Die Gründe dafür sind meistens soziale und wirtschaftliche Missstände, politische Krisen, Vertrauensverlust der Bevölkerung in die politischen Institutionen und das historisch gewachsene Selbstverständnis des Militärs.

Seit den 1990er Jahren hat die Zahl der Militärdiktaturen abgenommen, was mit der von Samuel Phillips Huntington beschriebenen „Demokratisierungswellen“ in den 90ern in Verbindung steht. Außerdem bedingte das Ende des Kalten Krieges den Bedeutungsverlust eines ihrer wichtigsten ideologischen Elemente (Anti-Kommunismus). Ob es zu einer neuen Form von Militärregimen mit beispielsweise populistischer Ausrichtung kommt, bleibt abzuwarten.

Zitat

„Erst werden wir die Subversiven töten, dann die Sympathisanten, danach die Indifferenten und zum Schluss die Zaghaften“

General Ibérico Saint Jean, argentinischer Brigadegeneral und Gouverneur der Provinz Buenos Aires zu Zeiten der Militärjunta (1976–1983)

Siehe auch

Literatur

  • Gabriel A. Almond, G. Bingham Powell, Robert J. Mundt (Hrsg.): Comparative Politics. A theoretical framework. HarperCollins, New York NY 1993, ISBN 0-673-52282-2.
  • Raymond D. Duvall, Michael Stohl: Governance by Terror. In: Michael Stohl (Hrsg.): The Politics of Terrorism (= Public administration and public policy 18). 2nd edition, revised and expanded. Dekker, New York NY u. a. 1983, ISBN 0-8247-1908-5, S. 179–219.
  • Samuel P. Huntington: The third wave. Democratization in the late Twentieth Century (= The Julian J. Rothbaum distinguished lecture Series 4). University of Oklahoma Press, Norman OK 1991, ISBN 0-8061-2346-X.
  • Morris Janowitz, Roger W. Little: Militär und Gesellschaft (= Praxeologie 1, ZDB-ID 537175-2). Boldt, Boppard am Rhein 1965.
  • Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hrsg.): Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika (= Iberoamericana. Editionen der Ibero-Americana. Reihe 5: Monographien und Aufsätze 31). Vervuert, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-89354-831-9.

Einzelnachweise

  1. Benjamin Schwarz: Dirty Hands. The success of U.S. policy in El Salvador -- preventing a guerrilla victory -- was based on 40,000 political murders. Buchrezension zu William M. LeoGrande: Our own Backyard. The United States in Central America 1977-1992. 1998, Dezember 1998.

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