Emmanuel Johannes Reichenberger

Emmanuel Johannes Reichenberger

Emmanuel Johannes Reichenberger (* 5. April 1888 in Vilseck, Oberpfalz; † 2. Juli 1966 in Wien) war ein römisch-katholischer Priester, Theologe und später sozial-politischer Schriftsteller. Während der Endphase des Zweiten Weltkriegs entwickelte er sich zum 'Vater der Heimatvertriebenen' und zum Gegner der Vertreibungspolitik und der Kollektivschuldthese wie sie unter den Alliierten weit verbreitet waren. Er leistete vor dessen Anschluss zum Deutschen Reiche im Sudetenland Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach seiner Ausbildung an den regionalen Schulen, folgte er der Berufung zum Priestertum nach und studierte in Regensburg und Leitmeritz Theologie. Im Jahre 1912 erhielt Reichenberger im Dom zu Leitmeritz die Priesterweihe aus den Händen von Bischof Josef Groß. Als junger Kaplan wurde er nach seiner Priesterweihe im Kronland Böhmen der k.u.k. Monarchie ansässig. Er wurde zum Kaplan der Pfarre Röchlitz ernannt, in einem heutigen Ortsteil von Reichenberg im Isergebirge. Reichenberger engagierte sich stark im katholischen Verbandswesen Böhmens. In Böhmen war er als Gegner der SdP Henleins bekannt und hatte den Namen „Der Rote Kaplan“ bekommen, wegen seines sozialen Engagements zu Gunsten der verarmten Arbeiter, und seiner Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Gruppen.

Reichenberger fürchtete, dass ein Aufstieg des Nationalsozialismus zur Verschärfung des Konfliktes der sudetendeutschen Katholiken mit der ohnehin antiklerikal eingestellten Regierung der Tschechoslowakei führen würde, und dass ähnlich wie im NS-Reich das „Neuheidentum“ unter den Deutschen in Böhmen von der SdP und der NSDAP verbreitet werden würde.[1]

Am 16. September 1938 sprach der „rote Kaplan“ Reichenberger vor dem tschechoslowakischen Rundfunk Radio Prag und verurteilte die SdP-Bestrebungen zur Vereinigung mit dem Deutschen Reiche:

„Wir stehen vor dem Rande des Abgrundes. Eine ungehemmte Kampagne des Hasses hat ihre ersten Opfer gefordert. Ich spreche als Deutscher, der sein Volk und seine Heimat liebt und der sie vor der Zerstörung behüten will. Wir dürfen nicht das Joch und den Fluch der restlichen Welt tragen. Ich spreche als Mensch und als Christ, der in jeder menschlichen Seele das Gleichnis Gottes erkennt, der glaubt an würdigere Methoden zur Beseitigung menschlicher und innerstaatlicher Meinungsverschiedenheiten als Krieg und Vernichtung. Sudetendeutsche Männer und Frauen: denkt an eure Verantwortung vor Gott, eurer Heimat und unserem Volke. Betet, arbeitet, opfert für den Frieden. Gott will es!“[2]

Weil er von den Nationalsozialisten Verfolgung zu erwarten hatte, floh Reichenberger nach dem Münchner Abkommen 1938 in die Rest-Tschechei, und danach als politischer Flüchtling nach Frankreich. Im Sommer 1939 reiste er nach England aus, von dort 1940 in die USA und dann zeitweise nach Kanada.

In London widersetzte Reichenberger sich zusammen mit sudetendeutschen antifaschistischen politischen Flüchtlingen dem Vertreibungsplan des tschechoslowakischen Exilpräsidenten Edvard Beneš. Öffentlich kämpfte er gegen die in den alliierten Medien verbreiteten Auffassungen der Kollektivschuld des deutschen Volkes, und vor allem der östlichen Reichsdeutschen und der Volksdeutschen Osteuropas. Den Exilregierungen Polens und der Tschechoslowakei stand er kritisch gegenüber.

Im April 1945 reiste Father Reichenberger mit der US-Armee in die wieder tschechoslowakischen deutschen Siedlungsgebiete Böhmens, Mährens und Tschechisch-Schlesiens. Er dokumentierte die Übergriffe und Verbrechen tschechischer Soldaten und Milizen an der sudetendeutschen Bevölkerung, wurde aber trotz seines antinationalsozialistischen Engagements des Landes verwiesen, weil er der Regierung der Tschechoslowakei mittlerweile als gefährlicher „deutscher Kritiker“ galt.

In Westdeutschland, vor allem in Bayern, aber auch später in Österreich, wurde Reichenberger zum Fürsprecher und Vater der Heimatvertriebenen aus ganz Osteuropa, besonders aber der vertriebenen Deutschen Böhmens und Mährens. Reichenberger veröffentlichte zahlreiche offene Briefe, warb in den Vereinigten Staaten für das Schicksal der Sudetendeutschen, und schrieb eine Reihe von Büchern über die von ihm als Verbrechen gegen die Menschenwürde eingestuften Verbrechen der Alliierten und deren Bevölkerungspolitik dem deutschen Volke gegenüber (besonders der Vertreibung, aber auch der Rheinwiesenlager und anderer Vorkommnisse).

Wegen seines Einsatzes für die Anerkennung deutschen Leids wurde er in seiner Zeit oft nicht verstanden, oder als „Reaktionär“ eingestuft, der den Nationalsozialismus entschuldigen und die deutschen Verbrechen verharmlosen wollte. Reichenberger hat nie den Nationalsozialismus unterstützt, war aber deutscher Patriot und von den Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges emotional betroffen. Kaplan Reichenbergers Arbeit für die Vertriebenen wurde von den amerikanischen Autoren Peter Hayes und Jeffry Diefendorf in ihrem Buch Lessons and Legacies (2003) der Holocaust Educational Foundation unter dem Kapitel „Verharmlosung des Holocaustes“ aufgeführt.

Father Reichenberger war als internationaler Priester auch Präses des Kolpinghauses in Chicago und Träger des Ehrenzeichens der Republik Österreich. Im Jahre 1952 erhielt er das Ehrendoktorat der Theologischen Fakultät der Universität Graz. Nach längerer Krankheit verstarb Father Reichenberger 1966 in Wien.

Werke

  • Ostdeutsche Passion (1948). Düsseldorf: Westland-Verlag.
  • Fahrt durch besiegtes Land (1950). Pyramide-Verlag: Karlsruhe.
  • Europa in Trümmern. Das Ergebnis des Kreuzzuges der Alliierten (1952). Leopold Stocker Verlag: Graz und Göttingen.
  • Wider Willkür und Machtrausch. Erkenntnisse und Bekenntnisse aus zwei Kontinenten (1955). Leopold Stocker Verlag: Graz und Göttingen.
  • Heimat der Sudetendeutschen. Widerlegung der tschechischen Kolonialtheorie (1967). Volkstum-Verlag: Wien. (In Zusammenarbeit mit Dr. Josef Starkbaum.)
  • Sudetendeutsche Passion. Für Wahrheit und Gerechtigkeit (1995). Arndt Verlag: Kiel.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Laura Hölzlwimmer & Martin Zückert (2007). Religion in den böhmischen Ländern 1938-1948. Diktatur, Krieg und Gesellschaftswandel als Herausforderungen für religiöses Leben und kirchliche Organisation. München: Oldenbourg Verlagsgruppe. S. 44
  2. Radio Prag-Praha, Internet-Seite, 10.1.2008, Rundfunksendung

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