- Liberec
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Liberec Basisdaten Staat: Tschechien Region: Liberecký kraj Bezirk: Liberec Fläche: 10610 ha Geographische Lage: 50° 46′ N, 15° 3′ O50.76444444444415.046944444444374Koordinaten: 50° 45′ 52″ N, 15° 2′ 49″ O Höhe: 374 m n.m. Einwohner: 101.865 (1. Jan. 2011) [1] Postleitzahl: 460 01 Kfz-Kennzeichen: L Verkehr Bahnanschluss: Liberec−Černousy
Liberec−Česká Lípa
Liberec−Harrachov
Liberec−Jaroměř
Liberec−ZittauStruktur Status: Statutarstadt Ortsteile: 2 Stadtbezirke
33 OrtsteileVerwaltung Oberbürgermeister: Jan Korytář (SZ) (Stand: 2010) Adresse: nám. Dr. Ed. Beneše 1
460 59 LiberecGemeindenummer: 563889 Website: www.liberec.cz Liberec [ˈlɪbɛrɛts] ( Aussprache?/i; deutsch Reichenberg) ist eine Stadt in Tschechien. Mit etwa 104.000 Einwohnern ist sie neben Ústí nad Labem die größte und wichtigste Stadt Nordböhmens, Verwaltungssitz der Region Liberecký kraj.
Inhaltsverzeichnis
Geografie
Liberec liegt im Norden Tschechiens nicht weit vom Dreiländereck mit Polen und Deutschland entfernt im Reichenberger Kessel (Liberecká kotlina) des Zittauer Beckens (tschech. Žitavská pánev), der vom Isergebirge im Nordosten und dem Jeschkengebirge (tschechisch Ještědský hřbet) im Südwesten begrenzt wird. Durch Liberec fließt die Lausitzer Neiße (Lužická Nisa), Hausberg der Stadt ist der südwestlich gelegene 1012 m hohe Ještěd (Jeschken).
Stadtgliederung
Die Stadt Liberec besteht aus den Stadtbezirken Liberec und Liberec XXX - Vratislavice nad Nisou (Maffersdorf). Der Stadtbezirk Liberec gliedert sich in die Stadtteile Liberec I - Staré Město, Liberec II - Nové Město, Liberec III - Jeřáb, Liberec IV - Perštýn (Birgstein), Liberec V - Kristiánov, Liberec VI -Rochlice (Röchlitz), Liberec VII - Horní Růžodol (Ober Rosenthal), Liberec VIII - Dolní Hanychov (Nieder Hanichen), Liberec IX - Janův Důl (Johannesthal), Liberec X - Františkov (Franzendorf), Liberec XI - Růžodol I (Rosenthal), Liberec XII -Staré Pavlovice (Alt Paulsdorf), Liberec XIII - Nové Pavlovice (Neu Paulsdorf), Liberec XIV - Ruprechtice (Ruppersdorf), Liberec XV - Starý Harcov (Alt Harzdorf), Liberec XVI - Nový Harcov (Neu Harzdorf), Liberec XVII - Kateřinky (Katharinberg), Liberec XVIII - Karlinky (Karolinsfeld), Liberec XIX - Horní Hanychov (Ober Hanichen), Liberec XX - Ostašov (Berzdorf), Liberec XXI - Rudolfov (Rudolfsthal), Liberec XXII - Horní Suchá (Ober Berzdorf), Liberec XXIII - Doubí (Eichicht), Liberec XXIV - Pilinkov (Heinersdorf a. Jeschken), Liberec XXV - Vesec (Dörfel), Liberec XXVIII - Hluboká (Lubokey), Liberec XXIX - Kunratice (Kunnersdorf), Liberec XXXI - Krásná Studánka (Schönborn), Liberec XXXII - Radčice (Ratschendorf), Liberec XXXIII - Machnín (Machendorf), Liberec XXXIV - Bedřichovka (Friedrichshain) und Liberec XXXV - Karlov pod Ještědem (Karlswald).
Geologie
Der größte Teil des Liberecer Stadtgebiets befindet sich auf einem Felsuntergrund aus Granit, der zum Riesengebirgs-Iser-Massiv (Krkonošsko-jizerský žulový masív) gehört, dem Hauptteil des Isergebirges. In seiner faziellen Ausprägung tritt das Gestein als porphyrischer, grobkörniger und biotithaltiger und mittelkörniger Granit bis Granodiorit auf. Er ist im Karbon entstanden. Die westlich der Lausitzer Neiße gelegenen Stadtgebiete haben einen Lössuntergrund, der sich als äolisches Sediment im Pleistozän durch Winde aus den weiter westlich gelegenen Landschaften niederschlug.[2]
In überregionalen Zusammenhängen ist das Granitmassiv ein Teil der Westsudetischen Zone (západosudetská oblast) des Böhmischen Massivs. Das Tal der Lausitzer Neiße bildet die Grenze zu Gesteinsuntergründen aus dem Silur und Kambrium, die von den Lössablagerungen überdeckt sind.[3]
Geschichte
Ur- und Frühgeschichte
Als ältester Beleg für die Anwesenheit von Menschen auf diesem Gebiet gilt eine Beilklinge aus der jüngeren Steinzeit. Gefunden wurde sie in der Nähe der Neiße bei Vratislavice nad Nisou.
Mittelalter
Die Gegend um Reichenberg gewann im 13. Jahrhundert an Bedeutung, als deutsche Siedler das bislang kaum bewohnte Gebiet erschlossen und die Wälder im Bereich des alten Handelsweges vom Zentrum Böhmens zur Ostsee rodeten. Die älteste belegte Siedlung der Gegend neben der Johanniterkommende von Böhmisch Aicha ist Friedland, von wo aus die Fürsten, denen unter anderem auch Reichenberg unterstand, jahrhundertelang herrschten.
Reichenberg wurde im Jahr 1352 erstmals urkundlich erwähnt. Ende des 14. Jahrhunderts war es bereits gut besiedelt. Seine ersten bedeutenden Eigentümer stammten aus der Familie von Biberstein.
In den Hussitenkriegen hatten die Hussiten in der Gegend um Reichenberg ihre Stützpunkte gegen die katholischen Lausitzen. Nach dem Ende der Kriege um 1433 begann eine ruhige Zeit des Aufbaus. Die deutsch-tschechische Sprachgrenze verlief bereits damals knapp zehn Kilometer südwestlich der Stadt. Mit dem Entstehen neuerer Siedlungen bildete sich bereits größtenteils die heutige Besiedlungsstruktur heraus.
16. bis 19. Jahrhundert
Im 16. Jahrhundert erlebten Stadt und Umgebung eine Blütezeit. Die Familie von Redern, das neue Herrschergeschlecht auf Friedland, förderte den Aufbau der Textilerzeugung, einer guten Einnahmequelle in dieser rauen Gegend, in der außer Flachs nicht viel wächst. So wurde Nordböhmen zu einem Zentrum der Leinenweberei und der Tuchmacherei. Reichenberg entwickelte sich in dieser Zeit vom Dorf zur größeren Siedlung. 1577 wurde es von Kaiser Rudolf II. zur Stadt erhoben und erhielt das Stadtwappen, das zwei Türme, ein Rad (das Symbol der Adelsfamilie von Redern) und einen einschwänzigen (!) Löwen enthält.
Nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 wurde Christoph von Redern enteignet, da er auf Seiten der protestantischen Opposition gegen das Haus Habsburg gestanden hatte. Die Ländereien um Reichenberg wurden Wallenstein zugesprochen. Dieser sorgte dafür, dass seine Ländereien von den Kämpfen des Dreißigjährigen Krieges zunächst weitgehend verschont blieben. Er verhalf der Gegend zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung, die ihm zusätzliche Waffen und Söldner verschaffte. Für die so aufgestellten Heere bekam er wiederum neue Ländereien. Bei der Aufteilung von Wallensteins Besitz nach seiner Ermordung 1634 fiel die Gegend um Friedland der italienischen Adelsfamilie Gallas zu und ging nach deren Aussterben im Mannestamm an die Linie Clam-Gallas über. Im Dreißigjährigen Krieg wurden Reichenberg und Umgebung von durchziehenden Armeen stark in Mitleidenschaft gezogen. Zu Beginn des Krieges beim Einsetzen der Gegenreformation in Böhmen emigrierten besonders aus dem Grenzgebiet viele Adlige ins evangelisch-lutherische Kurfürstentum Sachsen, da sie den römisch-katholischen Glauben öffentlich in einer Taufzeremonie annehmen sollten, um ihren Besitz in Böhmen zu behalten. Es dauerte etwa 70 Jahre, bis sich das verwüstete Land von den Schrecken des 30jährigen Krieges, den Pest- und Choleraepidemien erholt hatte. Von 1862 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bestand in Reichenberg wieder eine evangelische Pfarrgemeinde Deutsche Evangelische Gemeinde Reichenberg A.B.. Das Toleranzedikt Kaiser Josephs II. von 1781 ermöglichte den Bau einer eigenen Kirche. Die Glaubensgemeinschaft Altkatholische Kirche wurde „geduldet“.
Von 1619 bis Oktober 1939 bestand in Reichenberg eine jüdische Gemeinde, welche 1887 bis 1889 in der Lerchenfeldgasse eine Synagoge im Stil der Frührenaissance errichten ließ, die 1889 im Beisein der Stadtverwaltung, des Militärs der Garnison Reichenberg und der römisch-katholischen und evangelischen-lutherischen Geistlichen eine Weihe erhielt. Nach dem Münchner Abkommen 1938 und der Besetzung der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei durch Truppen des Deutschen Reiches wurde die Synagoge in Reichenberg von Parteigängern des Nationalsozialismus niedergebrannt.
In der Zeit des Frühkapitalismus entstanden im 18. Jahrhundert aus vielen Handwerksbetrieben Manufakturen. Aus dem Landesinneren kamen auch Tschechen auf der Suche nach Arbeit in die Industriegebiete des Nordens. Aus dieser Zeit stammen die ersten Belege des tschechischen Namens der Stadt Liberec.
Im 19. Jahrhundert begünstigten die vielen Flüsse in der bergigen Gegend, die nun als Energiequelle genutzt werden konnten, die Entwicklung von Fabriken. Neben Textilfabriken entstanden bald auch solche, in denen Maschinen für die Textilerzeugung hergestellt wurden. Mit der Industrialisierung setzte infolge der Zuwanderung von tschechischen Arbeitskräften eine Bevölkerungsverschiebung ein. Betrug der Anteil der tschechischen Einwohner Reichenbergs 1860 noch weniger als ein Prozent, so lag er 1900 bei bereits acht Prozent.
Webereiunternehmen Liebieg & Comp.
Große Verdienste um die wirtschaftliche Entwicklung Reichenbergs erwarb sich die Textilindustriellenfamilie Liebieg. Die aus Braunau stammenden Brüder Franz Liebieg (1799−1878) und Johann Liebieg (1802−1870) gründeten 1822 die Firma Gebrüder Liebieg und übernahmen 1828 eine herrschaftliche Weberei, die sie bald zu einem der bedeutendsten Webereiunternehmen in Europa ausbauen konnten, das seine Produkte bis nach Süd- und Mittelamerika lieferte. Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigte Liebieg fast 3000 Arbeiter, für die vorbildliche Einrichtungen der sozialen Fürsorge vorhanden waren. Nach Plänen des Nürnberger Architekten Jakob Schmeißner[4] entstand die Garten-Wohnsiedlung. Für 150 Arbeiterhäuser stellte Liebieg den Baugrund kostenlos zur Verfügung und gewährte zudem günstige Darlehen. Zur Unterbringung von Kindern der Beschäftigten wurde eine firmeneigene Krippe eingerichtet. Die Liebieg-Werke waren das größte Unternehmen der Donaumonarchie und bis 1938 das größte Textilunternehmen der Tschechoslowakei.[5]
Neben ihrem sozialen Engagement bereicherten die Familienmitglieder auch das kulturelle Leben der Stadt und der Region. Johanns Sohn Heinrich hatte eine breit gefächerte Kunstsammlung, aus der die heutige Oblastní galerie hervorging.
20. und 21. Jahrhundert
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war es die zweitgrößte Stadt Böhmens. Die Unternehmer bauten sich prachtvolle Villen und nach Plänen von Franz von Neumann wurde zwischen 1888 und 1893 ein neues Rathaus gebaut. Seine Ähnlichkeit mit dem Wiener Rathaus hat der Stadt den Beinamen „Wien des Nordens“ eingebracht.
Der Erste Weltkrieg bereitete der „Goldenen Zeit“ der Stadt ein jähes Ende. Da Reichenberg keine Schwerindustrie hatte, brachte ihm auch der Krieg keine wirtschaftlichen Vorteile. Während des Kriegs hungerte ein großer Teil der Bevölkerung in dem dicht besiedelten, aber wenig fruchtbaren Gebiet.
Im November 1918 war Reichenberg für einige Wochen Hauptstadt der deutsch-österreichischen Provinz Deutschböhmen. Hier hatte die Landesregierung unter Rudolf Lodgman von Auen ihren Sitz. Doch schon in den ersten Novembertagen hatte tschechisches Militär mit der Besetzung des deutschsprachigen Grenzgebietes begonnen. Eine friedliche Demonstration der Reichenberger Bevölkerung gegen die drohende Besetzung am 8. Dezember 1918 blieb wirkungslos: Am 15. Dezember um 5 Uhr morgens besetzten mehrere hundert tschechische Soldaten des Infanterieregiments 36 aus Mladá Boleslav die Stadt. Die Landesregierung war bereits wenige Tage vorher über Friedland nach Sachsen geflohen.
Mit der Gründung der Tschechoslowakei verlor die Industrie ihre Märkte in Österreich, Ungarn und Jugoslawien. Reichenberg konnte sich in den 1920er Jahren dennoch erholen. Der um 1900 noch sehr geringe tschechische Bevölkerungsanteil der Stadt stieg merklich an. Bei der Volkszählung des Jahres 1930 bekannten sich im Bezirk Reichenberg 85.526 als Deutsche und 18.958 als Tschechen.
Die Weltwirtschaftskrise 1929, zunehmende nationalsozialistische Propaganda aus Deutschland sowie die zentralistische Politik der Tschechoslowakei, die eine Tschechisierung des mehrheitlich deutschsprachigen Reichenberg anstrebte, führten zu politischen Konflikten.
Nach dem Münchener Abkommen besetzten deutsche Truppen in der Zeit vom 1. bis 10. Oktober 1938 die Stadt. Sie gehörte jetzt mit ihrer früheren deutsch-österreichischen Bezeichnung Reichenberg zunächst weiterhin zum politischen Bezirk Reichenberg. Am 20. November 1938 wurde Reichenberg zu einem eigenen selbstständigen Stadtkreis erhoben und nach der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 verwaltet. Am folgenden Tag wurde die Stadt förmlich in das Deutsche Reich eingegliedert und kam zum Verwaltungsbezirk der Sudetendeutschen Gebiete unter dem Reichskommissar Konrad Henlein.
Ab 15. April 1939 galt das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Reichsgau Sudetenland (Sudetengaugesetz). Danach kam Reichenberg zum Reichsgau Sudetenland und wurde dem neuen Regierungsbezirk Aussig zugeteilt. Die Stadt war Hauptstadt des Reichsgaues und erhielt später die offizielle Bezeichnung Gauhauptstadt.
Zum 1. Mai 1939 wurden die Gemeinden Alt Harzdorf, Alt Paulsdorf, Franzendorf, Johannesthal, Neu Paulsdorf, Nieder Hanichen, Ober Rosenthal, Röchlitz Rosenthal I und Ruppersdorf aus dem Landkreis Reichenberg in die Stadt eingegliedert.
Seit Mai 1945 gehörte die Stadt Liberec zur wiedererrichteten Tschechoslowakei. Aufgrund des von Deutschland verlorenen Zweiten Weltkriegs wurde seit Mai 1945 die deutschsprachige Bevölkerung der Tschechoslowakei, die Sudetendeutschen, bis auf die Personengruppe der "Antifaschisten", zunächst in einer wilden Vertreibung enteignet und über die Grenzen vertrieben oder flüchteten vor Misshandlungen und Abtransport in Sammellager unter Zurücklassung ihres Eigentums. Durch die Beneš-Dekrete von Oktober 1945 wurde diese und die nachfolgenden Enteignungen und Vertreibungen der deutschen und ungarischen Bevölkerung in der Tschechoslovakei von der Regierung in Prag legalisiert. Die Patenschaft für die Heimatvertriebenen aus Reichenberg, dem heutigen Liberec übernahm im Jahre 1955 Augsburg, wo in der Heimatstube Reichenberg ein Erinnerungsarchiv aufgebaut wurde und der "Heimatkreis Reichenberg - Stadt und Land e.V." in Augsburg mit seinen Initiativen im Jahre 2001 zur Städtepartnerschaft Augsburg und Liberec in der Tschechischen Republik führte. Die Reichenberger Zeitung, das "Jeschken-Iser Jahrbuch" und das "Reichenberg Heimatblatt" des Helmut Preissler Verlag in Nürnberg fördern diese völkerverbindende Partnerschaft im Sinne des Vereinten Europa.
Die Stadt Reichenberg hatte am 1. Dezember 1930 73.829 Einwohner und am 17. Mai 1939 69.195. Die Einwohnerzahl von Liberec betrug am 22. Mai 1947 nach Ende des Zweiten Weltkriegs 52.798. Zahlreiche Neubürger aus Mittelböhmen, der Slowakei, sogenannte "Repatrianten" und Roma siedelten sich in der Nachkriegszeit in Liberec und den Nachbarorten an und suchten ihren Lebensunterhalt.
Während der Niederschlagung der Okkupation der Tschechoslovakei durch Truppenverbände des Ostblock im Sommer 1968, welche durch den Prager Frühling beendet wurde, gab es am 21. August 1968 in Liberec Todesopfer unter der ansässigen Bevölkerung, als diese gegen die russisch-sowjetischen Okkupationstruppen demonstrierte und von einem Schützenpanzerwagen aus das Feuer auf die vor dem Rathaus versammelten Demonstranten eröffnet wurde. Eine Gedenktafel mit neun Gliedern einer Panzerkette an der Vorderfront des Rathauses erinnert heute an die Toten. Die Hilfslosigkeit der Demonstranten zeigt eine überlieferte Begebenheit aus der Stadtgeschichte von Liberec/Reichenberg. Die Demonstraten haben Lücken in den Marschkolonnen der Okupationstruppen ausgenutzt, um an Kreuzungen in der Stadt und der Umgebung die einfahrenden Panzerkonvois der Sowjetunnion in falsche Richtungen umzuleiten, damit diese die Orientierung verlieren. Am 23. August 1968 waren viele Straßenschilder der Innenstadt von Liberec ausgetauscht. Jede Straße hieß nun "Dubčekova ulice", einerseits, um den Okkupanten die Orientierung zu nehmen, andererseits um die Verbundenheit mit Parteichef Alexander Dubček zu zeigen. Auf der Spitze des Rathausturmes entfalteten Kletterer eine große schwarze Fahne. Erinnerungen an den Roman Der brave Soldat Schwejk von Jaroslav Hasek werden wach.
Nach der Samtenen Revolution von 1989 begann eine Neuorientierung der Stadt Liberec. Investoren zeigten Interesse an einem Wiederaufbau. Das historische Zentrum der Stadt wurde renoviert und die Infrastruktur verbessert. Dabei wurde die alte meterspurige Straßenbahn auf Regelspur (teilweise mit Dreischienengleis) umgebaut. Die Textilfabrik Textilana fiel allerdings den verschärften Wettbewerbsbedingungen zum Opfer und wurde 2004/2005 fast völlig abgerissen. Ein wichtiger Industriezweig ist nun das LIAZ-Werk − Liberecké automobilové závody (Škoda-LKW).
Liberec richtete die Nordische Skiweltmeisterschaft 2009 aus und setzte sich gegen den Konkurrenten Oslo durch.
Eingemeindungen
Nach der 1939 erfolgten Eingemeindung von fünf Orten in unmittelbarer Stadtnähe sind in den Jahren 1954 (4), 1963 (2), und 1976 (5) weitere 11 Dörfer zur Stadt Liberec hinzugekommen.
1980 erfolgte die Eingemeindung von Kunratice, Vratislavice nad Nisou, Krásná Studánka, Radčice, Machnín, Bedřichovka und Karlov pod Ještědem. 1986 kamen Dlouhý Most, Jeřmanice und Šimonovice zu Liberec, alle drei Gemeinden sind jedoch seit 1990 wieder eigenständig.
Name der Stadt
Der Ort Reichenberg wird bereits im Jahre 1352 mit der Bezeichnung Reychinberch erwähnt, später hieß er:
- ab 1369 Reychmberg
- 1385–99 Reichenberg
- 1410 Rychmberg
- 1545 Rychberg
- 1634 Libercum
- 1790 Reichenberg, Liber, ehedem auch Habersdorf genannt; Liberk
- 1834 Reichenberg (böhmisch Liberk)
- 1845 Liberec
- 1945 Liberk, Liberec
Der Name Richenberg wandelte sich in Reichenberg. Ins Tschechische ging er noch in der alten Form mit Rich ein – und wurde daneben auch stark in Richberk, Riberk gekürzt. Und gerade aus dieser allegorischen Form entstand der tschechische Name Liberk durch Dissimilation von r-r > l-r, vergleiche tschechisch: legrace (deutsch: Spaß, Zeitvertreib, Entspannung) von lateinisch recreatio, tschechisch: lejstro (deutsch: Schrift, Liste) von rejstro.
Der Name Reichenberg entstand aus dem Terminus Ort (Dorf) am richen Berge. Die Bedeutung beider Artikel führt zu der Auslegung, dass hier ein Berg war, in dem man reich förderte. Ein wesentlicher Bergbau in der unmittelbaren Umgebung ist jedoch in keiner historischen Quelle überliefert. Der Name Reichenberg lässt sich entweder als Wunschname erklären – die Gründer hätten sich gewünscht, dass der neue Ort an diesem Berge einst reich werden würde – oder aber der Name Reichenberg wurde von den neuen Siedlern, die von irgendwo aus Deutschland hierher zogen, bereits mitgebracht.
Wirtschaft
Verkehr
Liberec liegt an der Europastraße 442, die in Richtung Prag als autobahnähnliche Schnellstraße ausgebaut ist. Nach Norden geht die Straße in Richtung Görlitz und Ústí nad Labem. In Deutschland wird die Bundesstraße 178n gebaut, die Liberec, Zittau und Löbau an die Bundesautobahn 4 anschließt. Für Liberec verbessert sich mit dieser Straße, die die Rychlostní silnice 35 verlängert, die Anbindung nach Norden und Westen.
Liberec hat direkte Zugverbindungen nach Prag, Ústí nad Labem, Cheb, Pardubice, Dresden, Zittau und Seifhennersdorf.
Der öffentlicher Personennahverkehr in der Stadt wird von dem Verkehrsbetrieb der Stadt Liberec durchgeführt, der auch vier Straßenbahnlinien auf einer Normalspur- sowie einer Meterspur-Straßenbahnstrecke betreibt, darunter die meterspurige Überlandstraßenbahn in das benachbarte Jablonec nad Nisou. Ein Teilabschnitt der Normalspurstrecke ist mit einer dritten Schiene ausgestattet, so dass auch Meterspurfahrzeuge diese Strecke befahren können.
Bildungseinrichtungen
Die Stadt ist Sitz der Technischen Universität in Liberec. Die Geschichte der Universität greift auf die 1953 gegründete Hochschule für Maschinenbau zurück. Die Hochschule beteiligt sich an dem Netzwerk Neisse University und am Internationalen Hochschulinstitut Zittau.
Kirchen
- Erzdekanatskirche des Hl. Antonius des Großen. Marco Spazzia di Lancio errichtete in den Jahren 1579-1588 die dreischiffige Kirche anstelle eines Holzkirchleins. In den 1880-er Jahren fanden Veränderungen hin zu einem pseudogotischem Aussehen statt. Dazu zählt unter anderem die Erhöhung des Turmes auf 70 Meter.
- Kirche zum Hl. Kreuz. Aus einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden Friedhofskapelle schuf J. J. Kunze 1753-1761 ein Barockbau. Der Innenraum ist im barocken Stil reich verziert. Das Gemälde mit einer Darstellung der Hl. Anna selbdritt am ersten Altar links wird Albrecht Dürer zugeschrieben. Heute feiern hier Christen der Tschechischen griechisch-katholischen Kirche (Apostolisches Exarchat von Tschechien) ihre Gottesdienste.
- Kirche der Böhmischen Brüder. Nach 1945 entstand eine Gemeinde, die zur Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder gehört. Zunächst besaß sie ein Bethaus. Ein richtiger Kirchenbau sollte errichtet werden, was aber während der sozialistischen Epoche verboten war. Erst Mitte 1989 konnte die Gemeinde eine Villa in der Puchmajer-Straße kaufen, die drei Stockwerke, eine Dachterasse und einen Turm besitzt. Dieser Turm gereichte dem Architekten Pavel Vaněček zum Anlass, sowohl den Anbau der Kapelle als auch die weiteren Räume im quadratischen Stil zu errichten. Dem Besucher der Kirche fallen seit 1996 drei Türme ins Auge: Unter dem niedrigsten Turm befindet sich die Eingangshalle, unter dem mittleren Turm Altar, Ambo und Kreuz und im dritten, ursprünglichen Turm befindet sich ein Meditationsraum.
Eine klassische Orgel ist aus Kostengründen noch geplant. Eine elektronische Orgel ersetzt deren Spiel. Sowohl der Altar als auch das Kreuz bestehen aus Eichenholz und stammen vom Bildhauer Jiří Seifert.
- Kirche des Hl. Johannes des Täufers im Stadtviertel Rochlice.
- Kirche des Hl. Johannes Nepomuk im Stadtviertel Janův Důl.
- Kirche des Hl. Vinzenz von Paola im Stadtviertel Perštýn. Sie wurde in den Jahren 1884-87 erbaut.
- Kirche der Hl. Maria Magdalena in der Jungmannstraße. Als neubarocke Kirche erbaut, wurde sie jedoch erst im Jahre 1911 vollendet.
- Jubiläumskirche der Jungfrau Maria "U Obrázku" im Stadtviertel Ruprechtice. Im Jugendstil wurde sie im Jahre 1907 auf einem hundertjährigen Brunnen an einem Wallfahrtsort erbaut.
- Kirche des Hl. Antonius von Padua im Stadtteil Ruprechtice.
Synagoge
Eine nach dem Projekt des Wiener Hochschulprofessors Karl König in den Jahren 1887-89 im Neurenaissancestil erbaute Synagoge wurde am 24. September 1889 unter der Anwesenheit von Ratsherren, der Armee sowie evangelischen und katholischen Würdenträgern feierlich eingeweiht. Sie wurde während der deutschen Besatzung niedergebrannt, an ihrer Stelle entstand nach dem Zweiten Weltkrieg ein Parkplatz. Am 9. November 2000, am 62. Gedenktag an die Novemberpogrome 1938, wurde der sogenannte "Versöhnungsbau" mit dreieckigem Grundriss an der Stelle der zerstörten Synagoge eröffnet. Er beherbergt die neue Synagoge und eine Bibliothek.
Sehenswürdigkeiten
- Das Rathaus wurde vom Wiener Architekten Franz von Neumann im Neorenaissance-Stil errichtet. Der 1891 fertig gestellte Hauptturm ist ein markantes Wahrzeichen der Stadt. Das Gebäude weist einige architektonische Analogien zum Wiener Rathaus auf.
- Die Wallensteinhäuser wurden Ende des 17. Jahrhundert als Fachwerk-Ensemble erbaut.
- Das Nordböhmische Museum beherbergt Ausstellungen zu Kunsthandwerk, regionaler Archäologie, Heimat- und Naturkunde; das Gebäude wurde als Gewerbemuseum 1897/1898 von dem Berliner Architekten Hans Grisebach errichtet, der dabei Elemente eines Entwurfs des ursprünglich beauftragten Wiener Architekten Friedrich Ohmann übernahm.
- Das Schloss wurde von den Brüdern Christoph und Melchior von Redern 1585−1587 erbaut und erhielt 1785/1786 sein heutiges Aussehen.
- Die Liebieg-Villa, die 1871/1872 von Johann Liebieg jun., Sohn des Gründers der Reichenberger Textilfabrik, beherbergt die 'Regionale Galerie'.
- Die Villa Stroß, Husova 64, zählt zu den bedeutendsten Bauten des frühen 20. Jahrhunderts in der Region. Sie wurde 1924/1925 vom Architekten Thilo Schoder für den Textilfabrikanten Franz Stroß erbaut. Wegen des ungewöhnlichen, gestaffelten Baukörpers mit seinen abgerundeten Ecken wurde das Gebäude im Volksmund auch als „Nildampfer“ bezeichnet[6].
- Das Krematorium auf dem Monstranzberg entstand 1915−1917 nach einem Entwurf des Dresdner Architekten Rudolf Bitzan. Es war das erste Krematorium auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie, die Baugenehmigung wurde 1912 vor dem Verwaltungsgerichtshof erstritten. Die erste Einäscherung fand am 31. Oktober 1918 statt, also erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie.
- Der modern ausgebaute Botanische Garten, dessen Ursprung auf einen Reichenberger Bürgerverein zurückgeht, und der die älteste Institution dieser Art in Tschechien ist.
Tourismus und Sport
Durch Liberec verlaufen der Bergwanderweg Eisenach–Budapest und eine Talstrecke des Oder-Neiße-Radwegs.
In Liberec ist der Fußball-Erstligist Slovan Liberec zu Hause. Besonders in den 2000er Jahren konnte er Erfolge feiern, wie den Meistertitel 2002 und 2006, sowie den Gewinn des Pokals 2000.
Die 47. Nordische Skiweltmeisterschaft fand vom 18. Februar bis zum 1. März 2009 in Liberec statt.
Vom 12. bis zum 19. Februar 2011 fand in Liberec das European Youth Olympic Winter Festival statt.
Städtepartnerschaften
- Augsburg, Deutschland, seit 2001
- Zittau, Deutschland
- Nahariya, Israel
- Amiens, Frankreich
- Amersfoort, Niederlande
- St. Gallen, Schweiz
Persönlichkeiten
Prominente Bewohner und Söhne und Töchter der Stadt sind in der Liste der Persönlichkeiten der Stadt Liberec aufgeführt.
Literatur
- Stadt und Land im Neißetal - Ein Heimatbuch, bearbeitet von Randolf Gränzer unter Mitwirkung zahlreicher Heimatfreunde, Seite 1 bis 796 mit zahlreichen Abbildungen; Übersicht der einzelnen Artikel im Inhaltsverzeichnis Seite 790 bis 794. Herausgegeben vom Heimatkreis Reichenberg in Augsburg 1974,
- Marek Řeháček: Reichenberg in Böhmen. Ein touristischer Führer durch die Stadt und ihre Umgebung. Verlag Kalendář Liberecká, 2008.
- Řeháček, Marek: Das Isergebirge. Wanderführer durch das Gebirge und seine Umgebung. Hrsg. der ersten Ausgabe: Kalendář Liberecka, 2003.
- Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (Hrsg.): Auf den Spuren reformatorischer Stätten in der Tschechischen Republik; Verlag Trilabit s.r.o., Praha, 2011, ISBN: 978-80-87098-19-6
Weblinks
Commons: Liberec – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Website der Stadt (tschechisch, deutsch)
Einzelnachweise
- ↑ Český statistický úřad – Die Einwohnerzahlen der tschechischen Gemeinden vom 1. Januar 2011 (XLS, 1,3 MB)
- ↑ J. Chaloupský (Red.): Geologická mapa ČR, List 03-14 Liberec. Praha (UUG) 1988, Signatur 29, 30, 33, 36, 39
- ↑ Ivo Chlupáč et al.: Geologická minulost České Republiky. Praha (Academia) 2002. S. 15-17 ISBN 80-200-0914-0
- ↑ Eintrag zu Schmeißner im Historischen Architektenverzeichnis von U. Bücholt
- ↑ Neue Deutsche Biographie, Bd. 14, S. 492-497
- ↑ Hubertus Adam: Ein Nildampfer in Böhmen. (Architektur-Datenbank nextroom)
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