- Epoche (Literatur)
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Eine literarische Epoche ist ein Abschnitt der Literaturgeschichte. Die Bezeichnung stammt vom griechischen Wort epoché ab, was „Einschnitt“ bedeutet.
Der Geschichtsschreibung der literarischen Epochen liegt die Annahme zugrunde, dass es heuristisch sinnvoll sein kann, Werken, die in einen gemeinsamen Zeitabschnitt fallen, durch gewisse „Trennereignisse“ oder „Epochenschwellen“ (Hans Blumenberg) formatiert sind (etwa das Schaffen Goethes „nach Schillers Tod“) und ähnliche stilistische und formale Eigenschaften aufweisen, ein zugrundeliegendes gemeinsames Ordnungsprinzip zu geben. Eine Schwierigkeit ist dabei ein 'Henne-Ei'-Problem, das sich in der Auswahl des Materials ergibt: Ordnet man Autoren einer Epoche zu, weil sie für den 'Geist der Zeit' repräsentativ sind und nicht gerade originell, oder hat man schon einen Epochenbegriff im Kopf, und lässt dann entsprechend ausgesuchte Autoren diese repräsentieren? Was kann 'repräsentativ' sein, wenn durch Kanonbildung stets Minderheitenliteraturen ausgegrenzt werden?
Die theoretische Herkunft der Epochenbegriffe ist höchst unterschiedlich: aus der Religionsgeschichte (Reformationszeit, Gegenreformation), aus der politischen Geschichte (Restauration, Vormärz, Gründerzeit), aus der Kunstgeschichte (Barock, Biedermeier, Expressionismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit); Ableitungen von Personen (besonders im anglophonen Raum: elisabethanische, viktorianische Literatur; aber auch: Goethezeit; 'Nach-Hegels-Tod'), enthalten ein impliziertes Werturteil (Ästhetizismus, Manierismus, Biedermeier, Dekadenz), oder entstehen durch Relativierung bereits bestehender Epochenbegriffe (Postmoderne).
Mehrere dieser Begriffe können um einen einzelnen Zeitabschnitt konkurrieren (so etwa Jugendstil und Impressionismus); umgekehrt kann ein Begriff mehrere Zeitabschnitte umfassen (etwa kann man Manierismus als die Endform des Barock sehen oder als das Ende der realistischen Erzähltradition Anfang des 20. Jahrhunderts). Verschiedene Kulturen können mit scheinbar gleichnamigen Epochen verschiedene Zeitabschnitte bezeichnen (das restauration age dauert in Großbritannien bis ins 18. Jahrhundert, während im deutschen Sprachraum die Restaurationszeit 1688 endet.) Ebenso bezeichnet der Begriff Renaissance eine ganz Europa (und Amerika) umfassende kulturelle Entwicklung, die eigentlich alle künstlerischen, sozialen und ökonomischen Bereiche beinhaltet. Anders sieht es beim Begriff Barock aus, der ursprünglich eine Stilbezeichnung in der Architektur und Bildenden Kunst meint, aber schließlich auch auf andere Künste übertragen wurde. Aufklärung bezieht sich auf eine geistesgeschichtliche, vor allem philosophisch geprägte Entwicklung.
Epochenbegriffe können überzeitliche Kriterien darstellen und zugleich einen festen geschichtlichen Abschnitt bezeichnen (so wird Hesses Prosa (neu)-romantisch genannt; unter Romantik im engeren Sinne aber nur die Literatur von 1790–1830 verstanden). Unterschieden werden müssen Epochen, die durch die Selbstbezeichnung ihrer 'Bewohner' gekennzeichnet ist (programmatische Epochen wie etwa der Expressionismus), oder die durch nachträgliche literaturgeschichtliche Reflexion entstanden sind (so zum Beispiel Barock); hier muss man zwischen Epoche und „Epochenbewußtsein“ (Reinhart Koselleck) trennen.
Ein schwieriges Problem für die Forschung bietet die zeitliche Begrenzung einer Epoche, ihre Dauer. Nach welchen Kriterien kann man bestimmen, wann beispielsweise das Barockzeitalter endet und die Aufklärung beginnt? Es gilt herauszufinden, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt etablierte Normen oder literarische Konventionen an Einfluss verlieren oder eindeutig mit ihnen gebrochen wird und so aus diesem Bruch etwas Neues entsteht, das ebenfalls wieder zur Norm wird. Diese Veränderungen müssen nicht unbedingt ästhetischer Natur sein, sondern können mit einer veränderten Weltanschauung oder mit politischen und ökonomischen Entwicklungen einhergehen.
Positionen, nach denen es einen gewissen naturnotwendigen Entwicklungsprozess der Epochen gibt (etwa das Schema 'Barock' - 'Aufklärung' - 'Klassik' - 'Romantik'; oder die These von Ernst Robert Curtius, Epochen der Klassik und des Manierismus lösten sich immer wieder ab), werden inzwischen kaum mehr vertreten. Die deterministischen Geschichtsteleologien, die sie bewarben, entfalteten dennoch besonders im 19. Jahrhundert und im beginnenden 20. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Wirkung.
Inhaltsverzeichnis
Epochen der neueren deutschen Literatur
Alle Jahreszahlen stellen ungefähre Angaben dar.
- 1470–1611: Renaissance, Humanismus und Reformation
- 1600–1720: Barockliteratur
- 1720–1800: Aufklärung
- 1767–1785: Sturm und Drang
- 1786–1805: Weimarer Klassik
- 1793–1848: Romantik
- 1815–1850: Biedermeier/Vormärz und Junges Deutschland
- 1850–1890: Realismus
- 1880–1900: Naturalismus
und seine Gegenströmungen Impressionismus, fin de siècle und Symbolismus - 1890–1980: Moderne
- 1890–1910: Heimatkunst, Impressionismus
- 1910–1925: Expressionismus
- 1920–1930: Neue Sachlichkeit
- 1918–1933: Literatur der Weimarer Republik
- 1933–1945: Literatur in der Zeit des Nationalsozialismus, Exilliteratur und Innere Emigration
- 1945–1960/1990: Literatur nach 1945
- seit 1970: Neue Subjektivität
- 1975-2009: Literatur der Neuen Frauenbewegung
- seit 1980: Postmoderne/ Gegenwartsliteratur
Schematische Übersicht über die Epochen und Strömungen der deutschen Literatur
Epochen der deutschen Literatur Heimatkunst Fin de siècle Junges Deutschland Symbolismus Sturm und Drang bis 1785 Biedermeier / Vormärz Impressionismus Neue Sachlichkeit deutsche Exilliteratur Postmoderne Renaissance und Humanismus Empfindsamkeit Romantik Naturalismus Literatur der Weimarer Republik Innere Emigration DDR-Literatur Frühes Mittelalter Hohes Mittelalter Spätes Mittelalter Barockliteratur Aufklärung bis 1785 Weimarer Klassik Realismus Expressionismus NS-Literatur Trümmerliteratur, Nachkriegsliteratur bis 1967 750 1170 1270 1470 1500 1600 1720 1740 1767 1780 1786 1793 1805 1815 1830 1848 1850 1880 1890 1900 1910 1914 1918 1920 1925 1930 1933 1945 1960 1990 Literatur
- Reinhart Koselleck: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. Fink Verlag München 1987, ISBN 3770523903
- Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1992, ISBN 351828357X
- Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur und Sprachhistorie. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1985, ISBN 3518280864
- Mchael Bogdal: BA-Studium Germanistik: ein Lehrbuch. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 2008, S. 66-69 (Einführung)
Weblinks
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