Falludscha

Falludscha
Falludscha
Lage
Falludscha (Irak)
Falludscha
Falludscha
Koordinaten 33° 21′ N, 43° 47′ O33.352543.786944444444Koordinaten: 33° 21′ N, 43° 47′ O
Staat Irak
Gouvernement al-Anbar
Basisdaten
Einwohner 310.000 (2009)
Downtown fallujah.jpg

Falludscha (arabisch ‏الفلوجة‎, DMG al-Fallūǧa; auch Al Fallūjah) ist eine Stadt in der irakischen Provinz al-Anbar. Sie liegt etwa 50 Kilometer westlich von Bagdad und hat mit Stand 2005 offiziell 190.705 Einwohner, heute 310.000 (2009) Einwohner. Falludscha wird überwiegend von Sunniten bewohnt.

Im Irak ist die Stadt auch als „Stadt der Moscheen“ bekannt, da sich in der Stadt und in ihrer unmittelbaren Umgebung viele Moscheen befinden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Falludscha existierte bereits zu Zeiten des babylonischen Reiches. Die Stadt war lange ein wichtiges Zentrum jüdischer Gelehrter. Die Akademie von Pumbedita, wie die Stadt auf aramäisch hieß, war bis ins 11. Jahrhundert das weltweit wichtigste Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit.

Im britisch-irakischen Krieg von 1941 wurde die irakische Armee nahe Falludscha besiegt.

Von der irakischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1947 an, als Falludscha noch eine Kleinstadt mit rund 10.000 (Volkszählung 1965: 36.330 Einwohner) Einwohnern war, stieg die Einwohnerzahl bis 2003 auf über 300.000 Personen.

In der Ära Saddam Husseins, der den Irak zwischen 1979 und 2003 regierte, zählte das sunnitische Falludscha zu den wichtigsten Unterstützern des Regimes. Falludscha wurde zu einer wichtigen Industriestadt. Unter der Herrschaft Husseins wurde auch viel in die Infrastruktur der Stadt investiert, darunter ein Ringautobahnsystem. Viele Anhänger und Offiziere der Baʿth-Partei, sowie staatliche Angestellte lebten in der Stadt. Vom US-Militär wurde die Gegend um Falludscha „sunnitisches Dreieck“ getauft – eine Gegend, die seit dem Irakkrieg von 2003 durch besonders aktiven Widerstand auffällt.

Zweiter Golfkrieg

Hauptartikel: Zweiter Golfkrieg

Im Golfkrieg von 1991 hatte Falludscha die meisten zivilen Opfer zu beklagen. Bei zwei Versuchen, eine Brücke über den Euphrat zu zerstören, starben etwa 200 Menschen.

Zunächst versuchte ein britischer Bomber, die Brücke mittels lasergelenkter Bomben zu zerstören, traf dabei aber den Markt der Stadt. Dabei starben etwa 150 Menschen. Bei einem zweiten Angriff traf wieder eine Bombe den Marktplatz und tötete weitere 50 Menschen. Die Brücke ist mindestens 300 Meter vom Markt entfernt.[1]

Irak-Krieg

Falludscha 2004
Hauptartikel: Irak-Krieg

Falludscha erlangte Bekanntheit und internationale Beachtung, als die Stadt während des Irakkrieges Ende 2003 bis November 2004 Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen US Truppen und Rebellen wurde.

Der „Zeit“-Reporter Reiner Luyken betrachtet Falludscha als „Symbolstadt für die Abgründe des Irakkrieges“.[2] Unmittelbar nach der Einnahme des Landes durch eine Brigade der 82. US-Luftlandedivision der USA und ihrer Verbündeten am 23. April 2003 erwies sich Falludscha zunächst als stabiler und friedlicher als andere Landesteile. Ein Rat, der von örtlichen Einflussträgern bestimmt worden war, hatte während des Zusammenbruchs der irakischen Regierung die Kontrolle in der Stadt übernommen und Plünderungen sowie gewaltsame Auseinandersetzungen weitgehend verhindert. Die US-Truppen in Falludscha richteten ihr Hauptquartier zunächst in der ehemaligen Zentrale der Baath-Partei am Stadtrand ein. Kurz drauf wurde Camp Buheira rund drei Kilometer südöstlich der Stadt aufgebaut, das den US-Truppen bis zu ihrem Abzug 2009 als lokaler Stützpunkt diente. Zu ersten bewaffneten Auseinandersetzungen im größeren Umfang in Falludscha kam es am 28. April 2003: US-Soldaten hatten in den beiden Tagen zuvor ein Schulgebäude beschlagnahmt, um es als Stützpunkt zu benutzen. Dagegen versammelten sich trotz Ausgangssperre etwa 200 Demonstranten und warfen Steine; Soldaten schossen auf die Demonstranten (nach US-Angaben aufgrund vorheriger Angriffe von den Demonstranten). 20 Iraker wurden getötet, darunter auch Kinder, rund 85 verwundet. In den beiden folgenden Tagen kam es zu erneuten Demonstrationen, die auf tausende von Menschen anwuchsen. Die Ausgangssperre und das nahe gelegene Abu-Ghuraib-Gefängnis vergrößerten den Unmut in der Bevölkerung. Schnell entwickelte sich Falludscha zum Widerstandszentrum gegen die Besetzung, in dessen Umgebung viele Anschläge auf die Besatzungstruppen verübt wurden. Im Mai 2003 wurde die 82. Luftlandedivision durch das 3. US-Panzerkavallerieregiment und danach durch die 2. Brigade der 3. US-Infanteriedivision ersetzt. In der Stadt wurde vornehmlich aber nur ein Bataillon eingesetzt, dessen Soldaten Checkpoints errichteten und Hausdurchsuchungen vornahmen. Am 2. November 2003 wurde ein US-amerikanischer Transporthubschrauber vom Typ CH-47 "Chinook" von zwei irakischen Luftabwehrraketen vom Typ Strela-2 (SA-7 Grail) getroffen. Der Hubschrauber stürzte ab und 15 US-Soldaten starben. Am 31. März 2004 kam es zu einem Überfall auf vier Sicherheitsberater des US-Unternehmens Blackwater Security Consulting, deren Leichen von der Bevölkerung verbrannt und teils später an einer Brücke aufgehängt wurden. Die Bilder von der Leichenschändung lösten internationale Medienaufmerksamkeit aus.[3]

Belagerung und Gefechte im April 2004

Die US-Truppen gerieten zunehmend in die Defensive und wurden von US Special Forces-Einheiten unterstützt, die Rebellengruppen bekämpfen sollten, deren Einfluss auch auf die benachbarten Städte u. a. in Ramadi anwuchs. Erstmals bekannte sich die Bewegung Al-Tawhid wal-Jihad (deutsch: Einigkeit und Heiliger Krieg) des radikalen Führers Abu Musab az-Zarqawi zu den Anschlägen in der Stadt. Im Februar 2004 wurden zwei Bataillone der neu aufgestellten irakischen Nationalgarde nach Fallujah verlegt. Als Gegenaktion griffen die Aufständischen das irakische Polizeihauptquartier an, töteten 23 irakische Polizisten und befreiten 75 ihrer Mitkämpfer aus dem Gefängnis. Die Nationalgarde musste sich in die Umgebung von Falludscha zurückziehen. Anfang März wurde das zuletzt eingesetzte US-Bataillon der 82. Luftlandedivision abgezogen. Es hatte innerhalb von sieben Monaten rund 94 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren.[4]

Das US Marine Corps ersetzte die US Army in diesem Bereich, und die I. Marine Expeditionary Force (unter Generalleutnant James T. Conway) mit der 1. US-Marineinfanteriedivision (unter Generalmajor James N. Mattis) waren für den Bereich Falludscha zuständig. Ende März 2004 übernahm das 2. Bataillon des 1. US-Marineinfanterieregiments das Kommando in der Stadt.

Im Verlauf der darauf folgenden Operation Vigilant Resolve mit Belagerung und Bombardierung von Falludscha durch US-amerikanische Truppen unter Einsatz von weißem Phosphor, Streubomben und Uranmunition wurden mindestens 600 Iraker getötet und 1200 verletzt. Auf Koalitionsseite wurden 81 US-Soldaten getötet und über 90 verletzt. Knapp ein Drittel der Einwohner flüchtete im Verlauf der Aktion aus Falludscha. Vier Wochen lang belagerte die United States Army Falludscha. Am 30. April 2004 setzte sie Dschasim Muhammad Salih, der General unter Saddam Hussein war, als Bevollmächtigten in Falludscha ein und begann mit der Auflösung des Belagerungsringes. Salih präsentierte die Falludscha-Brigade, die für Ordnung in der Stadt sorgen sollte. Die rund 1200 Mann starke Truppe rückte in die Gebiete ein, die von den Amerikanern geräumt wurden. Dabei wurden mindestens 31 US-Soldaten sowie fünf irakische Nationalgardisten getötet.

Nach nur fünf Tagen wurde Salih (ein Sunnit vom Stamm der Dulaimi) von der amerikanische Stabsführung wieder abgelöst, „man habe einen Fehler gemacht, einen früheren General der Republikanischen Garden als Führer der Falludscha-Brigade zu berufen“. Stattdessen wurde von den Amerikanern Muhammad Latif eingesetzt.

Eroberung im November 2004

Im Oktober kam es, mit Beginn der Operation Phantom Fury, zu erneuten Kämpfen. Da die Falludscha Brigade aus verschiedenen Gründen den Zustrom von Widerstandskämpfern nicht aufhalten konnte, wurde die Stadt zu einem Refugium für Rebellen und Islamisten, das nach Ansicht des US-Militärs als Ausgangspunkt für zahlreiche Aktionen der Aufständischen genutzt wurde.[5] Des Weiteren wurde der irakische Kämpfer Al-Zarquawi in der Stadt vermutet.[6] Infolgedessen wurde die Bevölkerung aufgefordert, die Stadt zu verlassen, dem viele der Einwohner der Stadt nachkamen. Associated Press berichtete dazu, dass ab Anfang November Männer und Jungen im Alter von 15 bis 65 Jahren am Verlassen der Stadt gehindert wurden.[7]

Vom 7. bis zum 16. November fand eine amerikanische Offensive statt,[8] die von irakischen, polnischen und britischen Einheiten unterstützt wurde.[5] Im Rahmen der Offensive wurden laut US-Angaben etwa 1200 Rebellen getötet. Zarqawi wurde nicht gefasst. Auf amerikanischer Seite fielen 71 Soldaten, 621 wurden verwundet. Laut der englischen Organisation Iraqi Body Count starben etwa 700 Zivilisten.[6] Infolge der Kampfhandlungen wurden große Teile Falludschas zerstört, und ein signifikanter Anteil der Bevölkerung kehrte nicht zurück.[6] Falludscha gilt weiterhin, wie große Teile der Provinz Al-Anbar, als Hochburg der Rebellen.[5][6]

Im Herbst 2005 wurde durch britische und italienische Medienberichte bekannt, dass die US-Truppen in Falludscha weißen Phosphor und MK-77 Bomben gegen Bunkeranlagen in der Stadt eingesetzt hatten.[9] Weißer Phosphor ist wie alle Brandwaffen geächtet; die USA haben ein entsprechendes Abkommen jedoch nicht unterzeichnet. In dem Protokoll wird der Einsatz nicht allgemein verboten, sondern wenn die Möglichkeit besteht, dass Zivilisten zu Schaden kommen.[10] Im britischen Radiosender BBC gab US-Pressesprecher Oberstleutnant Barry Venable Mitte November 2005 öffentlich zu: „Wir benutzen es in erster Linie als Verdunkler, für Rauchvorhänge oder zur „Markierung von Zielen“. Es ist aber auch als Brandwaffe gegen feindliche Kämpfer eingesetzt worden“. Er ergänzte, weißer Phosphor sei nützlich, um Aufständische aus Positionen zu vertreiben, die nicht mit normaler Artillerie erreicht werden können.[11]

Kriegsfolgen

Zwei Jahre nach den Angriffen vom Frühjahr 2004 traten in sehr großer Zahl, überwiegend bei Kindern, Fälle von Leukämie, Meningitis, Thalassämie, Septicämie, angeborenen Missbildungen der Niere und Gehirntumoren auf, was vermutlich auf Vergiftungen durch eingesetzten weißen Phosphor und Uranwaffen zurückzuführen ist.

Aktuelle Analysen belegen einen 38-fachen Anstieg der Leukämie-Erkrankungen, einen 10-fachen Anstieg der Brustkrebs-Erkrankungen bei Frauen und beachtliche Anstiege der Lymphom-Erkrankungen, der Anzahl der Hirntumore bei Erwachsenen sowie der Säuglingssterblichkeit. Ebenfalls auffällig ist, dass sich das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Neugeborenen änderte. Während ein normales Verhältnis etwa 1.050 Jungen zu 1.000 Mädchen war so sank die Geburtenrate der Jungen ab 2005 um 18% was zu einem Verhältnis von 850 Jungen zu 1.000 Mädchen führte. Dies ist ein Indikator für genetische Schäden, die Jungen mehr betreffen als Mädchen. In Hiroshima wurden in Folge der Atombombenabwürfe ähnliche Veränderungen wie im Falle von Falludscha festgestellt. Auffällig im Vergleich zu Hiroshima ist nicht nur, dass die Leukämierate mehr als doppelt so hoch ist wie nach den Atombombenabwürfen dort, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der die Leute daran erkranken.[12][13][14]

Siehe auch

Literatur

  • Thomas E. Ricks: Fiasco: The American Military Adventure in Iraq. Penguin Press, 2006, ISBN 0-14-303891-5 (engl.)
  • Markus Reisner: Fallujah – Kampf um eine irakische Stadt. In: BMLV (Hrsg.): Truppendienst – Zeitschrift für Ausbildung, Führung und Einsatz. Nr. 297, S. 266–273, 1. August 2007 und Nr. 298, S. 359–366, 1. Oktober 2007, AV + Astoria Druckzentrum, Wien 2007

Einzelnachweise

  1. Reiner Luyken: Die Falludscha-Falle. In: Zeit Online. 28. Juli 2005, abgerufen am 5. April 2010.
    Barry Grey: The real lessons of Fallujah. In: World Socialist Web Site. 3. April 2004, abgerufen am 5. April 2010 (englisch).
  2. Reiner Luyken: Das Erwachen DIE ZEIT, 2. Juli 2009 Nr. 28
  3. USA schockiert über den Totentanz von Falludscha. Abgerufen am 27. April 2010.
  4. Markus Reisner: Fallujah - Kampf um eine irakische Stadt (I). In: Österreichs Bundesheer. März 2007, abgerufen am 5. April 2010.
  5. a b c Thomas E. Ricks: Fiasco: The American Military Adventure in Iraq. Penguin Press, 2006
  6. a b c d Reyner Luyken: "Die Falludscha-Falle." Die Zeit Nr. 31, 28. Juli 2005 (Seite abgerufen am 17. Oktober 2007)
  7. U.S. Won't Let Men Flee Fallujah, Saturday, November 13, 2004 (Seite abgerufen am 28. April 2010)
  8. Jim Garamone, Army News Service: Iraqi, U.S. troops begin 'Phantom Fury' in Fallujah. 8. November 2004 (Seite abgerufen am 17. Oktober 2007)
  9. BBC News online: US 'uses incendiary arms' in Iraq. 8. November 2005 (Seite abgerufen am 17. Oktober 2007)
  10. US used white phosphorus in Iraq BBC 16. Nov. 2005
  11. American Forces Network (AFN), 16. November 2005
  12. Chris Busby, Malak Hamdan, Entesar Ariabi: Cancer, Infant Mortality and Birth Sex-Ratio in Fallujah, Iraq 2005–2009. In: International Journal of Environmental Research and Public Health. 6. Juli 2010, abgerufen am 10. August 2010.
  13. Robert Cockburn: Toxic legacy of US assault on Fallujah 'worse than Hiroshima'. In: The Independent. 24. Juli 2010, abgerufen am 10. August 2010.
  14. Robert Cockburn: Worse Than Hiroshima? - The Toxic Legacy From the Siege of Fallujah. In: counterpunch. 27. Juli 2010, abgerufen am 10. August 2010.

Weblinks

Fotos und Videos:

 Commons: Falludscha – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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