Felsengänge (Nürnberg)

Felsengänge (Nürnberg)
Felsengänge unter dem Bereich Agnesgasse / Albrecht-Dürer-Straße in der nördlichen Altstadt

Die Felsengänge sind ein weit verzweigtes Stollen- und Kellersystem unter der Nürnberger Altstadt. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts war vor allem das Stollensystem geheim. Deswegen, und wegen Aktenverlusten im Zweiten Weltkrieg, lässt sich heute die Gesamtanlage nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Die meisten heute bekannten Felsengänge und Felsenkeller liegen in der nördlichen Altstadt. In der südlichen Altstadt befinden sich wegen der vielen ehemals dortigen Brauereien ebenfalls noch einige nicht öffentlich zugängliche Kelleranlagen. Außerhalb der Altstadt gibt oder gab es ebenfalls einige Anlagen wie z. B. auf dem Johannisfriedhof, am Sandberg in St. Johannis, an der Bucher Straße oder der Bayreuther Straße.

Geschichte

Die Felsengänge entstanden, beginnend im Mittelalter, als ein über mehrere Stockwerke reichendes Gänge- und Kellersystem. Außerdem wurden im Burgberg unterirdische Kasematten und die Lochwasserleitung angelegt.

Bierkatakomben

Farbige erzhaltige Schichten im Sandstein

Als eine Art Reinheitsgebot fürs Bier kann man eine Verordnung des Rates der Stadt Nürnberg aus dem Jahre 1303 ansehen, in dem festgelegt wurde, dass nur Gerstenmalz zum Bierbrauen verwendet werden darf – keine anderen Getreidesorten. Diese Verordnung markiert den Beginn der uns bekannten Nürnberger Biergeschichte. Die erste urkundliche Erwähnung der Felsengänge war eine Verordnung des Rats der Stadt vom 11. November 1380 wie einer ein hause haben sol, der schenkt: jeder, der Bier brauen und verkaufen wollte, musste demnach einen eigenen Keller haben, zehen schuch tieff und sechzehen schuch weit....[1] In der stark befestigten Stadt Nürnberg, die zu keiner Zeit eingenommen werden konnte, gab es im Mittelalter rund zweihundert Brauereien, die die städtische Bevölkerung mit einer ausreichenden Menge Bier versorgten. Jede Brauerei hatte also unter dem Hause in dem Sandstein einen Keller zu graben, der im Laufe mit der Steigerung der Produktion bis zu vier Stockwerke tief und (mit Erlaubnis der angrenzenden Nachbarn) horizontal weitergetrieben wurde.[2]

Ehemaliges Bierlager

Der Bau der Vielzahl von Gewölben und Gängen, die über eine Fläche von 25.000 m² aus dem Felsen geschlagen wurden und ein faszinierendes Labyrinth ergaben, wurde streng überwacht, um die Standfestigkeit des Untergrunds nicht zu gefährden. Etwaige Verstöße der Bauherrn oder der Steinmetze, dass beispielsweise die Ständer der darunterliegenden Etage nicht exakt übereinander lagen, wurden vehement bestraft.

Um die erwünschte Kühlung des Bieres zu gewährleisten, wurden über die Etagen hinweg sogenannte Kühldome geschlagen, die im Winter mit Eis aufgefüllt wurden. Mit der Verbreitung moderner Kühltechnik verloren die Felsengänge ihre ursprüngliche Bedeutung als kühle Lagermöglichkeit. In den Kellern herrschen konstant 7-10 Grad (im überheißen Hitzesommer 2003 sollen es ausnahmsweise 13 Grad gewesen sein).

Ein System von Be- und Entlüftungsschächten sorgt in weiten Bereichen noch heute für ständigen Luftaustausch, es war im Zweiten Weltkrieg von besonderer Bedeutung für das Überleben von tausenden von Menschen während der Bombardierungen der Stadt.

Nürnberg war noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit vor München die führende bayerische Bierstadt.[3] Auch auf der ersten Eisenbahnfahrt Deutschlands von Nürnberg nach Fürth 1835 wurden einige Fässer Nürnberger Bier als Frachtgut transportiert.[4]

Kasematten

Schon seit 1545 erheben sich aus dem Graben hinter der Nürnberger Burg die gewaltigen Basteien des Baumeisters Antonio Fazuni. Zur Zeit ihrer Errichtung einmalig in Deutschland, erregte die imponierende Anlage weithin Aufsehen und diente vielen anderen Städten als Vorbild. Dieses im Zweiten Weltkrieg weitgehend unversehrt gebliebene Baudenkmal ist noch heute ein Zeugnis ersten Ranges für den Festungsbau der Renaissance in Deutschland. Im Inneren führen steile Treppen hinab zu spitztonnengewölbten, beschusssicheren Verteidigungsgängen tief unter den Basteien der Kaiserburg, den Kasematten.

Bedeutung für die Wasserversorgung der Stadt Nürnberg

Über eine bereits 1543 angelegte Verbindungstreppe geht es dann noch tiefer in die Felsengänge der Lochwasserleitung. Wann mit dem Bau dieser aus dem Fels geschlagenen, einst geheimen Gänge begonnen wurde, ist nicht bekannt. Aber schon 1459 beschreibt der Röhrenmeister Scharpf die bereits bestehende Lochwasserleitung.

Diese Felsengänge sind schmale, kaum mehr als 60 cm breite, insgesamt circa 2 km lange, meist aufrecht begehbare Stollen zur Gewinnung und Weiterleitung von Wasser. Mit der Einführung der zentralen Trinkwasserversorgung wurden diese jahrhundertealten unterirdischen Wassergewinnungsanlagen überflüssig.[5]

Die Felsengänge in den Sandsteinschichten des Burgberges stellen eine Besonderheit der Wassergewinnung im mittelalterlichen Nürnberg dar: Sie wurden ausschließlich zur Gewinnung von Wasser und zu dessen Weiterleitung angelegt. Hierbei orientierte man sich geschickt an den vorliegenden hydrogeologischen Verhältnisse: Innerhalb des Burgsandsteins treten infolge der zwischengelagerten, flächenhaften Lettenlagen mehrere schwebende Grundwasserhorizonte auf, aus welchen in verschiedenen Höhenniveaus das in bereits geringer Tiefe vorkommende Sickerwasser gewonnen werden konnte.

Um nun noch mehr Grundwasser aus dem Burgberg gewinnen zu können, machte man sich die flächenhafte Ausdehnung der als Aquitarden wirkenden Lettenlagen zunutze und ging dazu über, in deren hangenden Bereichen lange begehbare Wasserstollen aufzufahren, um somit auf der gesamten Stollenlänge entsprechend große Bereiche der Wasserhorizonte aufzuschließen.

Wasserstollen der Lochwasserleitung (Wasserstollen mit offener Rinne)

Damit das so gewonnene Grundwasser einer Entnahmestelle oder einem Brunnen zugeführt werden konnte, wurde in der Sohle der Wassergänge stets eine - oft mit gebrannten Ziegelplatten abgedeckte - Ablaufrinne angelegt. Das Wasser wurde von den Entnahmestollen aus zu möglichst vielen Standorten weitergeleitet. Hierzu wurden an den Mundlöchern der Wasserstollen tiefe und breite Wasserbecken oder -gewölbe mit entsprechenden Fassungsvermögen geschaffen, von denen ausgehend hölzerne oder bleierne Leitungsröhren oder aus dem Fels gehauene Gänge weiter zu den Verbrauchsstellen führten. Diese Röhrengänge hatten im Gegensatz zu den Wassergewinnungsstollen meist nur eine geringe Höhe, so dass man zu Kontrollbefahrungen durch sie nur hindurchkriechen konnte. Die Gesamtlänge einiger Stollensysteme betrug rund 2 km, wobei eine Gesamt-Grundwasserschüttung bis 2.000 l/h erreicht werden konnte.

Wann in Nürnberg erstmals Felsengänge zur Wassergewinnung aufgefahren wurden, ist urkundlich nicht genau belegbar: Eine städtische Rechnung aus dem Jahre 1383 scheint auf die Entlohnung von Arbeiten an einem der geheimen Wasserstollen hinzudeuten. Der älteste, sichere Schriftbeleg über die Wasserstollen stammt aus dem Jahre 1459.[6]

Auch ist bis heute nicht vollständig geklärt, wo überall in der Stadt Nürnberg unterirdische Stollensysteme bestanden haben und wie groß sie insgesamt waren. Das gesamte Netz aller jemals unter der Stadt angelegten Wassergewinnungsstollen kann wahrscheinlich niemals mehr vollständig rekonstruiert werden. Der Grund für das mangelhafte Wissen über diese unterirdischen Anlagen ist in der während der reichsstädtischen Zeit gepflogenen strikten Geheimhaltung derartiger Anlagen zu suchen. Die unterirdischen Felsengänge zur Wassergewinnung wurden vom Rat der Stadt ganz offiziell als geheime Gänge bezeichnet. Diese fast ängstlichen Geheimhaltungsbestrebungen waren in wichtigen Sicherheits- und Verteidigungsüberlegungen begründet: Da über die Felsengänge und Einzelbrunnen im Burgberg nur relativ wenig Trinkwasser gewonnen werden konnte, ging man dazu über, ergiebige Quellen außerhalb der Stadtbefestigungen zu fassen und deren Wasser über Felsgänge und Rohrleitungen in die Stadt hineinzuführen. So erfolgte die Wasserversorgung des Schönen Brunnens am Hauptmarkt aus zwei in Gleißhammer gelegenen Quellen, aus denen mit hohem Aufwand über zwei Holzröhrenleitungen etwa 3.000 l/h in den Brunnen eingespeist wurden.[7]

Gewerbliche Nutzung zwischen den Jahren 1900 und 1938

Ochsenmaulsalathersteller Harrer
Firmenchronik Harrer

Die oberste Etage der Keller wurde noch recht lange gewerblich genutzt. Die Lebensmittel-Firma Harrer lagerte dort vor allem Salzgurken. Von 1798 bis 1976 gab es die Firma Harrer. Diese war für ihre Gurken und für den patentierten Ochsenmaulsalat über Nürnbergs Stadtgrenzen hinaus berühmt. In einer Ecke steht noch eines der Gurkenfässer. Als man es Leid war, die Gurken von oben runter zu schleppen, wurde ein Rohr nach unten verlegt, wo man oben die Gurken kurzerhand hinein warf und sie unten mit einem Leinentuch auffing, um sie weiter zu verarbeiten. Dieser Job war so unangenehm, dass er von Eltern als Kinderschreck benutzt wurde und die Erziehungsmethode lautete: "Wenn du nicht lernst, wirst du mal beim Harrer arbeiten müssen". Die Gurkenfirma hatte in den Kellern bis kurz vor dem Krieg ihren Firmensitz. Sie lagerten dort tonnenweise Gurkenfässer und auch ein Büro war daneben in einem der Keller. Im Krieg wurde die Firma offensichtlich fluchtartig verlassen, die Eingänge verschüttet und die Keller vergessen. Sie dümpelten also 40 Jahre vergessen vor sich hin, bis man sie in den 1980er Jahren wieder entdeckte. Von der Gurkenfirma waren noch die Gurken in den Fässern (40 Jahre alte, konservierte Gurken!) und Arbeiter mit Gasmasken entsorgten den ganzen Krempel auf die Sondermülldeponie. Von den Fässern lagen noch verstreut ein paar Planken im Keller rum, ansonsten waren es nur leere Gewölbe. Das anschließende Büro im Keller war mit Strom versorgt. Eine 25 Volt-Leitung war von oben nach unten gezogen, blankes, unisoliertes Kupfer auf dem Gestein. In dem Büro brannte eine schwaches Licht und eine Schreibkraft erledigte zwölf Stunden am Tag die Büroangelegenheiten. Die Blankokupferdrähte waren mittlerweile fast vollends verrottet und waren nur noch als Kupferschatten und kupferrote Verfärbungen im Sandstein erkenntlich.[8]

Bedeutung im Zweiten Weltkrieg

Verbindungsgang zwischen zwei Kellersystemen

Bereits in den Jahren 1934 und 1935 wurde man sich der Bedeutung der unterirdischen Anlagen von Nürnberg als Luftschutzbunker bewusst. Die vorhandenen, teilweise großflächigen, Kellergewölbe wurden mit bis zu 40 Meter langen Stichgängen verbunden. An verschiedenen Stellen der Stadt wurden die Zugänge mit Luftschleusen ausgebaut.

Nach einer Reihe von Luftangriffen seit 1940 legte in den Abendstunden des 2. Januar 1945 ein britisches Bombergeschwader die Nürnberger Altstadt in Schutt und Asche. Es war nicht der schwerste, aber der folgenreichste Angriff auf bewohntes Gebiet; 80 Prozent der Altstadt wurden damals zerstört. Die Bunkeranlage, angelegt für zirka 20.000 bis 25.000 Personen, musste in dieser Nacht schätzungsweise 35.000 bis 40.000 Menschen Platz bieten. Dank eines frühzeitigen Alarms fünfzig Minuten vor dem Angriff – normal waren damals zirka zehn bis zwanzig Minuten Vorwarnzeit – konnten so viele Bürger den Bunker rechtzeitig erreichen.[9]

Insgesamt war Nürnberg die nach Dresden am stärksten zerstörte deutsche Stadt. Trotz des in der Stadt tobenden Feuersturms überlebten die Schutzsuchenden in den Kellersystemen dank des weitläufigen Be- und Entlüftungssystem, in das von den Seiten her ausreichend sauerstoffreiche Luft nachströmen konnte.[10]

Etliche Kunstgegenstände wurden nach den ersten Bombenangriffen im Jahre 1940 in den Gewölben eingelagert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

In den unterirdischen Anlagen lebten noch hunderte wohnsitzlos gewordene Nürnberger bis in die 1950er Jahre. Nach dem Krieg wurden die Lüftungsschächte größtenteils verschlossen und da andererseits auch durch Abriss und Neubau von Häusern manche Lüftungsschächte einfach verbaut wurden, gab es schwere Schäden an den Kellern: Der Sandstein wurde mit Sickerwasser überladen, da er mangels Luftzirkulation nicht mehr trocknen konnte, und ganze Brocken stürzten aufgrund ihres Eigengewichts aus den Decken und Säulen. Erst als ein Haus einsturzgefährdet geworden war, begann man, die Keller mit Bergbaumitteln, Stützen und Holzverkeilungen zu stabilisieren, mit Beton auszuspritzen und zu sanieren. Stahlträger und Stahlkorsetts wurden in die Wände getrieben. Da die heutigen Häuser viel schwerer sind als die Fachwerkbauten von früher, sind die Keller bis auf die unterste Etage und ihren festen Felsengrund mit Stahlbetonsäulen durchbaut, worauf ein Hotel mit einer Tiefgarage steht.

Einige Gewölbebereiche wurden auch gewerblich für die Champignonzucht genutzt.[11]

Heute können Teile besichtigt werden. Die Felsengänge sind eine Station der Historischen Meile Nürnberg. Ein Zugang ist über eine Treppe beim Albrecht-Dürer-Denkmal auf dem Albrecht-Dürer-Platz in der Sebalder Altstadt. Das Gängesystem ist mit den Lochgefängnissen und dem Historischen Kunstbunker direkt unter der Nürnberger Burg verbunden.

Andere Teile werden wieder privat genutzt. Beispielsweise lagert die Brauerei im Altstadthof in einigen Kellern wieder Bier, Essig und Schnäpse.

Einzelnachweise

  1. http://www.felsengaenge-nuernberg.de/seiten/felsenkeller.htm
  2. Heckel, Willy, Franken, Polygott, 2002
  3. Alles über die Führungen und Übersichtsplan aufgerufen am 7. Februar 2010
  4. http://www.bierwelten.de/201007091070/news/tucher-braeu/zum-jahrestag-von-adler-und-krokodil-lederer-feiert-175-jahre-eisenbahn-in-deutschland.html
  5. Nürnberg: Kaiser, Knechte, Kasematten, Eine Stadtführung in Nürnberg am 12. September 2009
  6. Herppich, W., Das unterirdische Nürnberg, Verlag Hofmann, Nürnberg, 1987
  7. Hirner, W., Die Geschichte der Wasserversorgung Nürnbergs, Sonderdruck Informationsbroschüre des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, Nürnberg, 1986
  8. Bericht einer Führung durch die Felsengänge von Nürnberg aufgerufen am 7. Februar 2010
  9. Radlmaier/Zelnhefer, Tatort Nürnberg: auf den Spuren des Nationalsozialismus, Ars Vivendi, Cadolzburg, 2002
  10. Michael Diefenbacher, Rudolf Endres (Hrsg.): Stadtlexikon Nürnberg. 2., verbesserte Auflage. W. Tümmels Verlag, Nürnberg 2000, ISBN 3-921590-69-8 (online).
  11. Engel, R., Historische Felsengänge, Nürnberg, 2009

Literatur

  • Herppich, Walter: Das unterirdische Nürnberg - Von "geheimen Gängen" und Felsengewölben. 2. Auflage. Hofmann Verlag Nürnberg, Nürnberg 2001, ISBN 3-87191-301-4.
  • Rudolf Käs: Felsengänge. In: Michael Diefenbacher, Rudolf Endres (Hrsg.): Stadtlexikon Nürnberg. 2., verbesserte Auflage. W. Tümmels Verlag, Nürnberg 2000, ISBN 3-921590-69-8 (Gesamtausgabe online).

Weblinks

 Commons: Felsengänge (Nuremberg) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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