Geburtsblindheit

Geburtsblindheit
Gemälde „Die junge Blinde“ von John Everett Millais
Klassifikation nach ICD-10
H54 Blindheit und Sehschwäche
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter Blindheit (gr. Amaurosis) versteht man die fehlende oder sehr stark eingeschränkte Fähigkeit des Sehens. Blindheit ist eine schwere Behinderung. Eine unbegründete Angst vor dem Verlust der Sehfähigkeit nennt man Scotomaphobie, die Angst vor der Dunkelheit wird als Nyktophobie oder Scotophobie bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

Nach der gesetzlichen Definition in Deutschland liegt eine Blindheit vor, wenn die Sehschärfe (Visus) höchstens 0,02 ist oder eine Einschränkung des Gesichtsfeldes auf 5 Grad und weniger besteht, jeweils bezogen auf das bessere und voll korrigierte Auge. Eine Reduktion der Sehschärfe auf weniger als 0,05 wird als hochgradige Sehbehinderung bezeichnet.

Unter dem medizinischen Fachausdruck für Blindheit, der Amaurose, wird im Gegensatz zur gesetzlichen Definition in der Regel eine vollständige Erblindung verstanden, so dass auch keine Lichtwahrnehmung mehr vorhanden ist. Nach dieser Definition ist auch eine Erblindung nur eines Auges möglich.

Nicht zur Blindheit nach obigen Definitionen gehören die Farbenblindheit (Achromatopsie) und die Nachtblindheit.

Ursachen

Ursachen für Erblindung in Deutschland

Grundsätzlich kann jede Störung einer Struktur des visuellen Systems zu einer Erblindung führen.

Verbreitung

Nach dem WHO-Report von 2004 leben in Deutschland 164.000 (0,2 %) blinde und 1.066.000 (1,3 %) sehbehinderte Menschen. In Deutschland erblinden jährlich ca. 10.000 Menschen neu (Inzidenz 12,3/100.000) und ca. 160 Kinder werden blind geboren (2 von 10.000). Während es zwischen 1990 und 2002 nur zu einem moderaten Anstieg der Blindheit um 9 % gekommen ist, konnte ein Anstieg von Sehbehinderungen um 80 % registriert werden. Dies ist vor allem auf die erhöhte Lebenserwartung zurückzuführen. Während bei Menschen bis zum 39. Lebensjahr die Optikusatrophie als häufigste Erblindungsursache gilt, ist dies in der Altersgruppe vom 40. bis 79. Lebensjahr die Diabetische Retinopathie und ab dem 80. Lebensjahr die altersbedingte Makuladegeneration, gefolgt vom Glaukom. Da 48 % aller Erblindungen ab dem 80. Lebensjahr auftreten, ist die altersbedingte Makuladegeneration insgesamt die häufigste Ursache für Erblindung in Deutschland. 68 % aller Neuerblindungen betreffen dadurch Frauen.

Folgen und Komplikationen

Blindheit beeinträchtigt das Orientierungsvermögen (und dadurch den Alltag), Berufschancen und Sozialkontakte ganz erheblich.

Erworbene Blindheit führt zu erheblicher Hilfsbedürftigkeit. Besonders die Folgen einer angeborenen Blindheit erschließen sich sehenden Menschen nicht ohne weiteres.

Behandlung

Die Behandlung richtet sich nach der Grunderkrankung. Eine eventuell vorhandene Sehschwäche, Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit oder Schielen sollte frühzeitig erkannt und behandelt werden, um einer weiteren Verschlechterung des Sehvermögens vorzubeugen. Bei Verschlechterungen oder Auffälligkeiten des Sehvermögens sollte man zum Augenarzt gehen! Auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Augenarzt sind ratsam.

In Ländern, in denen wenig Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie bestehen, bieten gemeinnützige Organisationen wie die Christoffel-Blindenmission oder Vereine wie Sehen ohne Grenzen) solche Leistungen unentgeltlich an.

Schulung, Medien und Hilfsmittel

Förderung

Da therapeutische Optionen in Fällen von Blindheit meistens nicht bestehen, kommt den Schulungsmaßnahmen (Rehabilitation) eine große Bedeutung zu. Das Ziel ist hierbei vor allem, blinden Menschen eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung zu ermöglichen.

Insbesondere bei blinden und sehbehinderten Kindern ist eine Frühförderung, entweder im Rahmen von spezialisierten Kindergärten und Sonderschulen, oder integriert in „normalen“ Institutionen eine wichtige Voraussetzung, um die intellektuelle Entwicklung, Eigenständigkeit und die beruflichen Chancen abzusichern.

Siehe auch: Deutsche Blindenstudienanstalt, Blindenanstalt Nürnberg, Nikolauspflege

Medien

Die 1825 von Louis Braille entwickelte Punktschrift, die sogenannte Brailleschrift, ermöglicht blinden Menschen das Lesen und Schreiben von Texten. Andere Blindenschriftsysteme wurden fast vollständig von der Brailleschrift verdrängt. Das Schreiben von Texten ist z. B. mit einer Punktschriftmaschine wie dem Perkins-Brailler möglich. Die erste Schreibmaschine für Punktschrift wurde bereits 1899 von Oskar Picht erfunden. Es gibt heute auch Braillezeilen und Braille-Drucker für den PC.

Blindenbüchereien und gemeinnützige Vereine produzieren und verleihen Bücher, Zeitschriften und Texte im Audio- und Punktschriftformat. Im deutschsprachigen Raum haben diese Bibliotheken und Vereine sich zur Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen, kurz Medibus, zusammengeschlossen. [1] Das verbreitetste Ausleihmedium sind Tonträger. Der Versand erfolgt portofrei als Blindensendung. Früher wurden Hörbücher und Hörzeitschriften auf heute veralteten Kompaktkassetten verliehen, seit 2004 wird zunehmend auf praktische CDs im DAISY-Format umgestellt. DAISY ist der Name eines weltweiten Standards für navigierbare und barrierefrei zugängliche Multimedia-Dokumente. Die Abkürzung DAISY steht für „Digital Accessible Information System“, zu deutsch: digitales System für zugängliche Informationen. Auch kommerzielle Hörbücher ermöglichen blinden Menschen einen Zugang zur Literatur.

Einige Fernsehsender senden Filme im Zweikanalton, bei denen auf dem zweiten Kanal per Audiodeskription die Handlung erzählt wird.

Tastgrafiken auf Schwellpapier und Taktile Karten helfen blinden Menschen, Bilder und räumliche Verhältnisse zu "begreifen". In bekannten Bauwerken werden manchmal ertastbare Modelle der Anlage bzw. Gebäude aufgestellt.

Computernutzung

Blinde Menschen können Computer mit Hilfe einer sogenannten Screenreader-Software wie JAWS oder dem kostenlosen NVDA bedienen. Der Bildschirminhalt und die Bedienelemente werden von einer Sprachausgabe vorgelesen oder in Punktschrift auf einer Braillezeile ausgegeben. Auf der PC-Tastatur wird im Zehnfingersystem geschrieben und die Navigation erfolgt mittels Tastenkombinationen und den Cursortasten anstatt mit einer Maus. Auf Papier gedruckte Texte wie Bücher und Briefe können mit einem Scanner und einer Texterkennungssoftware gelesen werden. Blinde Internet-Nutzer sind auf eine barrierearme Gestaltung von Webseiten angewiesen.

Da viele Menschen erst im hohen Alter erblinden und Schwierigkeiten beim Erlernen der Bedienung eines PCs haben, gibt es spezielle Vorlesesysteme, mit denen gedruckte Texte ganz einfach erfasst, gespeichert und vorgelesen werden können.

Mobilität

Blinde Menschen können sich nach einem Orientierungs- und Mobilitätstraining (O&M) einigermaßen selbständig in ihrer Umwelt zurechtfinden. Ein weißer Langstock hilft bei der Orientierung im Nahbereich, Gehör und Geruchssinn liefern weitere Informationen. Auf vertrauten Wegen oder in bekanntem Terrain können blinde Menschen sich wesentlich besser orientieren als in gänzlich unbekannter Umgebung. Blindenführhunde führen ihre Halter auf dem besten Weg und weichen Hindernissen aus. Sie suchen und finden auf Kommando einzelne Wegziele wie Ampelpfosten, Briefkästen, Hauseingänge oder freie Sitzplätze in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Satellitengestützte Navigation und raumbezogene Informationssysteme, die mit blind bedienbaren Mobilgeräten genutzt werden können, stellen künftig eine große Chance für die Verbesserung der Mobilität und Lebensqualität blinder Menschen dar. Als erste satellitengestützte Navigationshilfen werden im deutschsprachigen Raum zurzeit die freie Software Loadstone-GPS und das kommerzielle Produkt Wayfinder Access genutzt. Beide Programme laufen auf höherwertigen Nokia-Mobiltelefonen, die mittels einer Screenreader-Software für blinde Menschen bedienbar sind. Die Informationen des Bildschirms werden von einer Sprachausgabe über den Lautsprecher ausgegeben.

Bodenindikatoren wie Rillen- und Noppenpflaster sollen blinde Langstock-Nutzer bei der Orientierung und Navigation auf Plätzen, Straßen, Gehwegen und in öffentlichen Gebäuden oder in Bahnhöfen unterstützen. Werden neben diesen taktilen Markierungsstreifen auch noch andere Hilfen wie Beschriftungen in Brailleschrift und Sprachansagen in Fahrstühlen bereitgestellt, spricht man von einem Blindenleitsystem. Verkehrsampeln mit akustischen oder vibrierenden Signalen und vorschriftsmäßig abgesicherte Baustellen und Bodenöffnungen machen die Teilnahme am Straßenverkehr für blinde Fußgänger weniger gefährlich.

Eine Kennzeichnung von blinden Menschen, die am Straßenverkehr teilnehmen, ist gesetzlich durch §2 (Eingeschränkte Zulassung) der Fahrerlaubnisverordnung geregelt. Blinde Fußgänger müssen ihre Behinderung durch einen weißen Blindenlangstock, die Begleitung durch einen Blindenhund im weißen Führgeschirr oder gelbe Armbinden mit drei schwarzen Punkten für andere Personen kenntlich machen. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen diese Kennzeichen im Straßenverkehr nicht verwenden.

Allgemeine Hilfsmittel

Blindenuhr

Für das alltägliche Leben gibt es viele verschiedene Hilfsmittel. Das fängt bei einfachen Dingen wie sprechenden Uhren und Weckern an und geht über den Milchalarm, der das Überkochen der Milch verhindert, bis hin zu einer Herdüberwachung, die piept, wenn der Herd zu lange angeschaltet ist oder die Kochplatten gefährlich heiß werden. Schon seit geraumer Zeit gibt es Skat-Karten, die mit einer Plastikfolie überzogen sind, so dass Sehende wie gewohnt spielen und Blinde die Karten gleichzeitig ertasten können. Eine Wahlschablone ermöglicht die unabhängige Teilnahme an politischen Wahlen.

Sonstiges

Blinde Menschen verfügen in der Regel über einen überdurchschnittlich trainierten Tastsinn. Diese besondere Fähigkeit könnte in Zukunft für die Früherkennung von Brustkrebs nutzbar gemacht werden. Im Rahmen des in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Modellprojektes „Discovering hands“ (Entdeckende Hände) laufen bereits erste Versuche. Bei Erfolg ist die Entwicklung eines neuen Berufsfeldes für blinde Frauen denkbar, für 2008 ist der Start eines regulären Ausbildungskurses geplant.

Museen und Erlebnisräume

Erlebnisräume wie die Ausstellung Dialog im Dunkeln, das Dialogmuseum oder Dunkelrestaurants bieten sehenden Menschen in geschützter Umgebung eine Selbsterfahrungsmöglichkeit zum Thema Blindheit.

Blindheit in Sprache, Kunst und Literatur

Blindheit taucht vielfach als Motiv in Mythen, Erzählungen und bildlichen Darstellungen aller Art auf. Genannt seien etwa der sagenhafte griechische Seher Teiresias und der alte Ödipus. Joh 9,25 berichtet von der wundersamen Heilung eines Blinden durch Jesus Christus. Die Geschichte wurde von dem Maler El Greco aufgegriffen, aber auch von John Newtons berühmtem Lied Amazing Grace. Das Gleichnis „Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide in die Grube“ (Mt 15,14) liegt dagegen Pieter Brueghels Bild Der Blindensturz von 1568 zugrunde. Desgleichen stehen Blinde im Zentrum literarischer Werke (z. B. in Vladimir Nabokovs Roman „König Dame Bube“ oder José Saramagos Roman "Die Stadt der Blinden").

Im übertragenen Sinne steht die Fähigkeit zu Sehen oft für die Fähigkeit, die Wirklichkeit überhaupt wahrzunehmen. Dieselbe Metapher gilt für das Fehlen der beiden Fähigkeiten:

  • „Ich will die Sache im Auge behalten“ oder „Ich will ein Auge darauf haben.“ bedeutet: Ich will dafür sorgen, dass die Sache zufriedenstellend weiterkommt.
  • „Jemand ist politikblind oder wirklichkeitsblind“ bedeutet, dass er die Zusammenhänge in der Politik oder der Wirklichkeit nicht versteht.
  • „Liebe macht blind“ bedeutet: Wer liebt, erkennt die oder den Geliebten nicht so wie sie oder er wirklich ist.
  • „Die waren auf dem rechten (bzw. linken) Auge blind“ weist auf eine parteiliche Haltung hin, welche gegenüber der politischen „Rechten“ (bzw. „Linken“) zu Duldsamkeit und Nachsicht neigt.
  • „Dem muss ich mal die Augen öffnen.“ bedeutet: Dem will ich erklären, was wirklich geschieht und womit das zusammenhängt.
  • Wenn ein Sachverhalt ganz und gar eindeutig ist, sagt man volkstümlich derb: „Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock.“
  • „Unter den Blinden ist der Einäugige der König“. Bedeutet soviel wie, dass bestimmte Situationen oder v. a. Lebensabschnitte zwar vielleicht besser laufen könnten (Einäuigig zu sein wünscht sich keiner) aber auch vieles nocht schlechter sein könnte (Blindheit ist noch schlimmer als Einäugigkeit).

Siehe auch

Literatur

  • Eva-Maria Glofke-Schulz: Löwin im Dschungel, Blinde und sehbehinderte Menschen zwischen Stigma und Selbstwerdung, Psychosozial Verlag, Gießen, erschienen im September 2007, 403 Seiten, ISBN 9783898067355
  • Enzyklopädie des Blinden- und Sehbehindertenwesens, 516 S. mit Abbildungen
  • 200 Jahre Blindenbildung in Deutschland (1806 - 2006), 288 S., edition bentheim Würzburg
  • Den Menschen sehen. 150 Jahre Nikolauspflege, 142 S. in Großdruck mit zahlreichen Abbildungen, hrsg. v. d. Nikolauspflege, Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Geschichte und Aufgaben der Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V. (Medibus)
Gesundheitshinweis
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