Gehörsrüge

Gehörsrüge

Die Anhörungsrüge oder Gehörsrüge ist ein besonderer Rechtsbehelf im deutschen Prozessrecht, der es erlaubt, Verstöße einer Entscheidung gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend zu machen, wenn gegen die Entscheidung sonst ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist.

Im Zivilprozessrecht ist die Anhörungsrüge in § 321a ZPO geregelt und wurde durch Gesetz vom 9. Dezember 2004 mit Wirkung ab 1. Januar 2005 neu gestaltet. Hintergrund der Neuregelung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003[1], nach welcher wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde der Schutz gegen Verletzungen des rechtlichen Gehörs in erster Linie durch die Fachgerichte selbst erfolgen müsse, hierzu müssten entsprechende Rechtsbehelfe im Gesetz vorgesehen werden.

Die Bezeichnung ergibt sich nicht aus der Paragraphenüberschrift oder dem Gesetzestext (§ 321a ZPO spricht nur von „Rüge“), allerdings trägt das Gesetz vom 9. Dezember 2004 den Kurztitel „Anhörungsrügengesetz“. In der Literatur ist auch der Ausdruck „Gehörsrüge“ im Gebrauch, der den Bezug zum Anspruch auf rechtliches Gehör verdeutlicht.

Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung rechtlichen Gehörs schriftlich bei dem Gericht, dessen Entscheidung angegriffen wird, zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Ist die Rüge begründet, wurde also das rechtliche Gehör verletzt, wird das Verfahren in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor der Entscheidung befand. Anderenfalls wird die Rüge durch unanfechtbaren Beschluss verworfen oder zurückgewiesen.

Umstritten ist, ob neben der Anhörungsrüge auch eine Gegenvorstellung erhoben werden kann. Die Frage ist, ob das neue Rechtsinstitut die bisher von der Rechtsprechung anerkannte Gegenvorstellung gegen nicht mehr anfechtbare gerichtliche Entscheidungen verdrängt oder ob neben der Anhörungsrüge auch die Gegenvorstellung wegen schwerwiegender formeller oder materieller Rechtsfehler möglich ist. Nach herrschender Meinung ist für den außerordentlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge kein Raum mehr[2].

Ähnliche Regelungen gibt es auch für den Strafprozess (§ 33a und § 356a StPO), den Prozess vor den Arbeitsgerichten (§ 78a ArbGG), den Verwaltungsprozess (§ 152a VwGO), den Prozess vor den Sozialgerichten (§ 178a SGG), den Prozess vor den Finanzgerichten (§ 133a FGO) und in den Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit(§ 29a FGG).

Einzelnachweise

  1. BVerfGE 107, 395ff
  2. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 25. Auflage, ISBN 3-504-47014-3, § 321a Rn. 4

Literatur

  • Daniel Schnabl: Die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO – Gewährleistung von Verfahrensgrundrechten durch die Fachgerichte, Mohr Siebeck Verlag, 2007 (ISBN 978-3-16-149222-8).
  • Jürgen Gehb: Vom langsamen Ende eines verfassungsrechtlichen Dogmas? – Der trickreiche Weg des Bundesverfassungsgerichts zum Anhörungsrügengesetz –, DÖV 2005, 683–687.
  • Jürgen Treber: Neuerungen durch das Anhörungsrügengesetz, NJW 2005, 97–101.
  • Bernhard Ulrici: Das Anhörungsrügengesetz, Jura 2005, 368–372.
  • Rüdiger Zuck: Das Verhältnis der Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde, NVwZ 2005, 739–743.
  • Wolf-Rüdiger Schenke: Außerordentliche Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozessrecht nach Erlass des Anhörungsrügengesetzes, NVwZ 2005, 729–739.
  • Frank-Michael Goebel (RiOLG, Hrsg.): AnwaltFormulare Zivilprozessrecht, Deutscher Anwaltverlag, 2006, ISBN 3-824-00766-5
  • Ingo-Jens Tegebauer: Die Anhörungsrüge in der verfassungsgerichtlichen Praxis, DÖV 2008, 954-958
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