Geschäftsgrundlage

Geschäftsgrundlage

Geschäftsgrundlage sind im Zivilrecht die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien sowie die der einen Vertragspartei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut.[1]

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Die Lehre von der Geschäftsgrundlage ist Bestandteil des Vertragsrechts. Sowohl die Geschäftsgrundlage als auch deren Störung waren bis 2001 gesetzlich nicht geregelt, sondern wurden als ein Unterfall der Generalklausel des Treu und Glaubens (§ 242 BGB) behandelt. Die Clausula rebus sic stantibus wiederum sah vor, dass die Vertragsbindung bei nachträglicher grundlegender Veränderung der bei Vertragsabschluss gegebenen Umstände entfallen solle. Dieser Rechtssatz schränkt die Regel, dass Verträge einzuhalten sind („Pacta sunt servanda“), ein.

Die Geschäftsgrundlage im deutschen Zivilrecht

Im 1900 in Kraft getretenen Bürgerliche Gesetzbuch war das Problem der Geschäftsgrundlage zunächst nicht geregelt. Die clausula rebus sic stantibus, wie sie schon im römischen Recht diskutiert wurde, kannte das BGB nicht.[2] Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs hat jedoch - auf der Grundlage der Generalklausel des § 242 BGB - in besonderen Fällen den Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dann zugelassen, wenn es angesichts der Gesamtumstände treuwidrig gewesen wäre, denjenigen Vertragspartner, für den die Geschäftsgrundlage weggefallen war, an dem Vertrage festhalten zu wollen.[3] Bestimmte Fallgestaltungen wurden auch über das Bereicherungsrecht gelöst (condictio ob rem). Besondere Bedeutung erlangte das Institut als Grundlage der Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts[4].

Seit Januar 2002 besteht eine Regelung in § 313 BGB mit der amtlichen Überschrift Störung der Geschäftsgrundlage. Die Vorschrift regelt nicht nur den vollständigen Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern auch sonstige vertragswesentlichen Störungen. Dort wird in § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB die Geschäftsgrundlage mit Umständen umschrieben, die zur Grundlage eines Vertrags geworden sind. Diese Umstände sind so selbstverständlich, dass sie nicht ausdrücklich zum Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung erhoben wurden. Haben sich diese – nicht ausdrücklich aus dem Vertragsinhalt hervorgehenden – Umstände nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert, liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Die Störung muss so gravierend sein, dass dadurch die beiderseitigen Verpflichtungen in ein grobes Missverhältnis geraten.[5] Es darf jedoch nicht um Erwartungen und Umstände gehen, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Vertragsparteien fallen. Wurde etwa eine Festmiete für 10 Jahre vereinbart, und die ortsüblichen Mieten steigen während der Vertragslaufzeit rasant an, so stellt dieses Risiko ein vertragstypisches Vermieterrisiko dar, das nicht in den Regelungsbereich einer gestörten Geschäftsgrundlage gehört. Die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage greifen deshalb erst ein, wenn weder der Vertrag noch das Gesetz eine Risikoverteilung vornehmen.[6]

Anwendungsbereich

Bei den auf die Geschäftsgrundlage einwirkenden Störungen kann zwischen übergeordneten „großen“ und „kleinen“ Ereignissen unterschieden werden. Zu den „großen“ gehören Krieg, Revolution oder Naturkatastrophen, die auf die Geschäftsgrundlage einwirken können. Alle übrigen, insbesondere die sich auf Verträge auswirkenden Drittereignisse, gehören zu den „kleinen“ Ereignissen. Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist aufgrund eines „großen“ Ereignisses, nämlich den Störungen der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Ende des ersten Weltkrieges, entwickelt worden.[7] Der Rechtsbegriff geht auf Paul Oertmann zurück.[8] Wirken sich „große“ Ereignisse auf die eigentlichen Vertragsbestandteile aus, so ist dies ein Fall von höherer Gewalt.

Vertrag

Schon die systematische Stellung der Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage zeigt, dass sie nur dort relevant sein kann, wo ein wirksamer Vertrag geschlossen ist. Auf Fälle, in denen es bereits an einem Vertrag mangelt, oder ein zunächst wirksamer Vertrag später durch Anfechtung fortfällt, finden die Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage folglich keine Anwendung.

Der vertragliche Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlage ist sehr weit gefasst. Die Lehre von der Geschäftsgrundlage erfasst sämtliche Verträge des täglichen Lebens und wirkt hinein bis in das Schenkungsrecht. Hier hatte der BGH entschieden, dass Schwiegereltern nach der Ehescheidung der Kinder die während der Ehezeit an das Schwiegerkind gezahlten Geldbeträge zurückverlangen können, weil die Lebensgemeinschaft zwischen Tochter und Schwiegersohn die Geschäftsgrundlage der Schenkung sei und diese Grundlage nach dem Scheitern der Ehe nicht mehr bestehe.[9] Hingegen gehören die Vorstellungen über die steuerlichen Folgen eines Vertrags nicht zur Geschäftsgrundlage. Das Grundgeschäft ist weder Bedingung noch Geschäftsgrundlage für ein Devisentermingeschäft, selbst dann nicht, wenn die Bank von der konkreten Sicherung Kenntnis hatte. Denn Inhalt des abgeschlossenen Devisentermingeschäfts ist gerade die vertragliche Übernahme des Risikos der zukünftigen Kursentwicklung durch das Unternehmen. Scheitert also das Grundgeschäft, muss das kurssichernde Unternehmen am Fälligkeitstag des Termingeschäfts seinen Teil des Geschäfts erfüllen. Das Scheitern des Grundgeschäfts ist ein geschäftstypisches Risiko, das vom Exporteur getragen werden muss.

Vertragliche Vereinbarungen haben Vorrang vor § 313 BGB. Die veränderten Umstände dürfen nicht Gegenstand bzw. Inhalt des Vertrages geworden sein. Auch darf keine Spezialregelung eingreifen (etwa § 779 BGB für den beiderseitigen Irrtum über die Vertragsgrundlage beim Vergleich). Auch geht insbesondere § 275 Abs. 2 BGB - Fälle der faktischen oder praktischen Unmöglichkeit - dem § 313 BGB vor. Hingegen erfasst § 313 BGB gerade die Fälle der sogenannten wirtschaftlichen Unmöglichkeit, also Fälle, in denen der Mehraufwand dem Schuldner nicht zugemutet werden kann. Innerhalb des Anwendungsbereichs der Regelung wird vorrangig ein Recht zur Vertragsanpassung und subsidiär zur Vertragsauflösung geschaffen.

Geschäftsgrundlage als Tatbestandsmerkmal

Wie eingangs erwähnt, ist der exakte Anwendungsbereich des Begriffs der Geschäftsgrundlage, auch soweit er Gegenstand der nunmehrigen gesetzlichen Regelung geworden ist, umstritten.

Vor allem die Rechtsprechung hat bislang einen subjektiven Begriff der Geschäftsgrundlage zur Anwendung gebracht. Grundlage der Rechtsprechung war das Verständnis der Geschäftsgrundlage als der Summe der Vorstellungen, die eine Partei oder beide Parteien dem Vertrage zugrunde gelegt haben. Die so verstandene Geschäftsgrundlage muss allerdings sorgfältig von den Motiven, aus denen eine Partei den Vertrag schließt, abgegrenzt werden, deren Fortfall den Bestand des Vertrages regelmäßig nicht beeinträchtigen kann. Der Unterschied besteht darin, dass die Annahme bestimmter Umstände als Geschäftsgrundlage von der anderen Seite als Voraussetzung des Vertrages verstanden und zumindest nicht beanstandet wurde. Der Umstand, dass diese Vorstellungen nunmehr aber in § 313 Abs. 2 BGB den sonstigen Fällen der Störung der Geschäftsgrundlage ausdrücklich gleichgestellt werden, spricht dafür - was in der Rechtswissenschaft diskutiert wird - auch objektive Umstände als Gegenstand der Geschäftsgrundlage anzuerkennen.

Schwerwiegende Änderung

Dass nur eine schwerwiegende Änderung der die Geschäftsgrundlage bildenden Umstände zur Modifikation oder gar Auflösung des Vertrags berechtigt, liegt angesichts des Vertrauens, das der andere Vertragspartner mit Recht in den Bestand des Vertrags setzen durfte, auf der Hand.

Das Gesetz bringt dies nicht nur durch das Adjektiv schwerwiegend zum Ausdruck, sondern auch durch das weitere Erfordernis, dass die Parteien bei Kenntnis der Veränderung den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen haben würden. Dies zeigt auch, dass eine bloße spätere Veränderung in der Bewertung bestimmter Umstände keinen Einfluss auf die Geschäftsgrundlage haben kann.

Unzumutbarkeit

An den gesetzlichen Regelungen über die Zumutbarkeit zeigt sich, dass die Problematik ursprünglich von der Rechtsordnung im Kontext der Bestimmung des § 242 BGB über Treu und Glauben diskutiert worden ist. Um einen Fall der - durchgreifenden - Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen, darf demjenigen, der sich auf die Störung berufen will, das Festhalten am Vertrage nicht zugemutet werden können, umgekehrt muss die Anpassung oder Auflösung des Vertrages dem Vertragspartner zumutbar sein. Die hierzu erforderlichen Wertungen sollen anhand der Umstände des Einzelfalls und der gesetzlichen Risikoverteilung und Risikozuweisung vorzunehmen sein. In jedem Falle unzumutbar ist die Vertragsänderung dem anderen Teil, wenn derjenige, der sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen will, diese selbst schuldhaft herbeigeführt hat.

Andererseits stellt § 313 BGB gerade darauf ab, dass ein Festhalten an einem unveränderten Vertrag dem Schuldner nicht zugemutet werden kann. Das Leistungsinteresse des Gläubigers wird damit ausgeblendet.

Rechtsfolgen

Rechtsfolge der Störung der Geschäftsgrundlage ist ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages an die neuen Verhältnisse, soweit dies möglich ist. Eine Modifikation des Vertrages wird aber nur dann verlangt werden können, wenn sie für den anderen Teil günstiger ist als die Rückabwicklung des Vertrages. Andernfalls ist der Vertrag nach den Grundsätzen des Rücktritts abzuwickeln. Bei Dauerschuldverhältnissen, wie Arbeits- oder Mietverhältnissen tritt wegen der Schwierigkeit der Rückabwicklung an die Stelle des Rücktritts das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages.

Eine Störung der Geschäftsgrundlage hat nach ständiger Rechtsprechung des BGH in der Regel nicht die Auflösung des Vertrages zur Folge, sondern führt zur Anpassung seines Inhalts an die veränderten Umstände in einer Form, die den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung trägt.[10] Ein Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann zu Störungen der Vertragsgrundlage führen, die nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu behandeln sind.[11]

Die Geschäftsgrundlage darf nicht mit dem Geschäftsinhalt verwechselt werden. Zu letzterem gehören alle vertraglichen und gesetzlichen Regelungen, insbesondere die Verteilung der typischen Geschäftsrisiken auf die Vertragspartner.[12] Daher betrifft die Geschäftsgrundlage nur Umstände, die nicht ausdrücklicher Vertragsinhalt geworden sind.[13]

Einzelnachweise

  1. BGH-Urteil vom 10. September 2009, Az: VII ZR 152/ 08, NZBau 2009, 771, 774.
  2. RGZ 50, 255 ff.
  3. RGZ 99, 115 (116).
  4. Dieter Medicus, Bürgerliches Recht, 20. Auflage 2004, Rdnr. 152
  5. BGH, Urteil vom 8. Februar 1984, Az: VIII ZR 254/84.
  6. BGH NJW 2006, 899.
  7. Richard Alff, Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung..., 1974, S. 20.
  8. Paul Oertmann, Die Geschäftsgrundlage – Ein neuer Rechtsbegriff, Leipzig und Erlangen, 1921, Umfang: 179 Seiten.
  9. BGH, Urteil vom 3. Februar 2010, Az: XII ZR 189/06.
  10. BGH NJW-RR 2004, 229.
  11. BGH NJW 1983, 1548, 1552.
  12. BGH NJW 2002, 3695.
  13. RG 168, 121, 127.
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