Grenzarbeit

Grenzarbeit

Als Grenzgänger bezeichnet man Arbeitnehmer, die zwischen dem Land, in dem sie leben, und dem Land, in dem sie arbeiten pendeln. Dies ist in Europa vor allem zwischen den Ländern Luxemburg, Deutschland, Niederlande, Frankreich und Belgien sowie Deutschland und Frankreich einerseits und der Schweiz andererseits der Fall. Einen besonderen politischen Charakter hatte das in den Jahren 1948-1961 existierende Grenzgängerwesen im Raum Berlin.

Grenzgänger in der EU

Nach dem Gemeinschaftsrecht ist „Grenzgänger“ jeder Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaats beschäftigt (Beschäftigungsstaat) ist und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt (Wohnsitzstaat - politisches Kriterium), in das er in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt (zeitliches Kriterium). Diese Definition, die neben der Fahrt vom Wohnsitz zur Arbeitsstätte über eine Grenze hinweg die tägliche oder wöchentliche Rückkehr an den Wohnsitz verlangt, gilt jedoch nur für den sozialen Schutz der betreffenden Arbeitnehmer in der Europäischen Union.

Da es keine gemeinschaftliche Zuständigkeit gibt, sind für die steuerliche Behandlung der Grenzgänger ausschließlich die Doppelbesteuerungsabkommen maßgebend. Diese können beispielsweise die Besteuerung des Grenzgängers im Wohnsitzstaat (so z. B. nach dem französisch-belgischen Doppelbesteuerungsabkommen), die Besteuerung im Quellenstaat (so z. B. nach dem Abkommen zwischen den Niederlanden und Deutschland) oder beide Formen der Besteuerung gleichzeitig (Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland) vorsehen.

Während das OECD-Musterabkommen allgemein die Besteuerung im Quellenstaat vorsieht, liegt das Besteuerungsrecht für die Grenzarbeit dann, wenn der Steuerpflichtige in der Grenzzone eines Staates wohnt und in der Grenzzone eines anderen Staates arbeitet, zumeist beim Wohnsitzstaat und nicht beim Quellenstaat, sofern der Betreffende regelmäßig an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Liegt der Wohnort und/oder der Arbeitsort außerhalb der Grenzzone, wird das Arbeitseinkommen hingegen an der Quelle, d.h. im Beschäftigungsland, besteuert.

Im letztgenannten Fall behält der Arbeitgeber des Grenzgängers im Auftrag des Beschäftigungslandes den nach den steuerrechtlichen Vorschriften dieses Landes zu entrichtenden Steuerbetrag ein (Quellensteuerabzug). Verfügt der Haushalt des Grenzgängers im Wohnsitzstaat über weitere Einkommensquellen, insbesondere bei Erwerbstätigkeit des Ehegatten, kann der Progressionsvorbehalt Anwendung finden: Dabei behält sich der Wohnsitzstaat das Recht vor, das inländische Einkommen des Betroffenen nach dem Steuersatz zu besteuern, der dem Gesamteinkommen, d. h. einschließlich des transnationalen Einkommens, entspricht.

Grenzgänger im Raum Berlin 1948–1961

Nach Einführung der DM der Bank Deutscher Länder (DM-West) in den Westsektoren Berlins und der DM der Deutschen Notenbank (DM-Ost) in der SBZ und im sowjetischen Sektor Berlins entstand 1948 im Raum Berlin ein Grenzgängerproblem. Rund 122000 West-Berliner waren in Ost-Berlin oder im Berliner Umland beschäftigt und wurden dort mit DM-Ost entlohnt (Ost-Grenzgänger), während 76000 Ost-Berliner in den Westsektoren Berlins arbeiteten, wo sie in DM-West bezahlt wurden (West-Grenzgänger). Infolge des Umtauschkurses von 1:4, der der etwa vierfach höheren Kaufkraft der DM-West gegenüber der DM-Ost entsprach, war damit bei ungefähr gleichen Lohnsätzen in Ost und West die Existenz von über 120000 West-Berliner Haushalten gefährdet. Um den einheitlichen Berliner Arbeitsmarkt aufrecht erhalten zu können, schufen die Westmächte am 20. März 1949 eine Lohnausgleichskasse für Beschäftigte der gewerbliche Wirtschaft. Dort konnten die Ost-Grenzgänger 60% ihrer DM-Ost-Lohnsumme zum Kurs von 1:1 in DM-West umtauschen, während die West-Grenzgänger nur 10 % ihres Einkommens in DM-West ausgezahlt bekamen und 90 % in DM-Ost.

Weil die Ost-Grenzgänger in das politische und gesellschaftspolitische Programm der SED nicht einzubinden waren, reduzierte sie deren Zahl in wenigen Jahren durch Massenentlassungen und die Sperrung der West-Berliner Umlandgrenze (1952) auf 13000. Das Problem der Ost-Grenzgänger, die Beschäftigte in Behörden, Polizisten oder Lehrer waren, löste sich schon 1948/49 bei der Spaltung Berlins. Sie durften ihre Arbeitsplätze nur behalten, wenn sie in den Ost-Sektor umzogen. Von der Lohnausgleichskasse waren sie ohnehin nicht erfasst.

Dagegen misslang der SED eine entsprechende Senkung der West-Grenzgängerzahl. Sie lag, abgesehen von einem Einbruch um 1954, bis zur Errichtung der Berliner Mauer 1961 immer bei rund 60000. Der Druck auf diese Grenzgänger durch Benachteiligungen bei der Wohnraumvergabe, bei den Ausbildungschancen der Kinder und eine willkürliche Auslegung der Devisenbestimmungen führte nicht zur Aufgabe ihrer Arbeitsplätze in West-Berlin, sondern in über 50000 Fällen zur Flucht der Betroffenen in den Westen. Dennoch sank die Zahl nicht wesentlich. Wegen der Reduzierung der Ost-Grenzgänger konnte die Lohnausgleichskasse die Westgeldquote beim Lohnumtausch ständig erhöhen. Sie lag im August 1961 bei 40%, was die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses in West-Berlin angesichts des Umtauschkurses trotz der Rechtsunsicherheit attraktiv machte. Als die Republikflucht 1961 einen immer größeren Umfang annahm und die SED eine Lösung des Problems durch die Absperrung der Grenzen ansteuerte, entfesselte sie aus propagandistischen Gründen ein Kesseltreiben gegen die West-Grenzgänger in Form öffentlicher Veranstaltungen und einer Pressekampagne, in denen diese als Verräter, Kriminelle und Schmarotzer hingestellt wurden. Durch eine Reihe von neuen Vorschriften, die ab 1. August 1961 in Kraft traten, wurde den West-Grenzgängern eine Fortsetzung ihrer Beschäftigung in West-Berlin praktisch unmöglich gemacht. Bevor jedoch diese Vorschriften greifen konnten, wurde das Grenzgängerproblem im Berliner Raum durch Errichtung der Berliner Mauer am 13. August 1961 beseitigt. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 12000 Ost-Grenzgänger in Ost-Berlin beschäftigt, darunter 6000 bei der Reichsbahn. Die anderen waren zum großen Teil als Künstler (70% des solistischen Personals der Staatsoper Unter den Linden waren West-Berliner) oder als Wissenschaftler, Techniker oder Ärzte tätig. Weil die Lohnausgleichskasse infolge des Fernbleibens der West-Grenzgänger ihren Betrieb einstellen musste, war dieses für die DDR schwer ersetzbare Personal zur Aufgabe seiner Arbeitsplätze gezwungen, da nur sehr wenige zu einer Übersiedlung in den Osten bereit waren. Die SED nahm diesen Nachteil zugunsten der allgemeinen Absperrung der DDR in Kauf.

Die nun arbeitslosen ehemaligen West-Grenzgänger waren noch längere Zeit Diskriminierungen im Alltag ausgesetzt, wurden bei der Arbeitsbeschaffung unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt und standen unter polizeilicher Überwachung.

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