Grouès

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Abbé Pierre (bürgerlicher Name Henri Antoine Grouès; * 5. August 1912 in Lyon; † 22. Januar 2007 in Paris) war ein französischer Priester, der die Wohltätigkeitsorganisation Emmaus (franz. Emmaüs) gegründet hat. Sein Pseudonym Abbé Pierre stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in der er der französischen Résistance und jüdischen Flüchtlingen half. Abbé Pierre führte 30 Jahre lang die Umfragen nach dem beliebtesten Franzosen an, bis er 2005 auf eigenen Wunsch nicht mehr in dieser Rangliste aufgeführt wurde.[1] [2]

Abbé Pierre

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Abbé Pierre stammte aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie [3] und war das fünfte Kind eines reichen Seidenfabrikanten. Er besuchte ein von Jesuiten geleitetes Gymnasium in Lyon. In dieser Umgebung entschied er sich, Priester zu werden. Sein Vater engagierte sich philanthropisch für die Armen: Als Kind erlebte Henri, wie sein wohlhabender Vater in der Freizeit Obdachlosen die Haare schnitt sowie für Essen und Kleidung der Bedürftigen sorgte.[4]. Zur Wahl des Priesterberufs bestärkte ihn auch ein Besuch in Assisi. Mit 20 Jahren trat er in den Kapuzinerorden ein, verteilte das Erbe des Vaters an die Armen und wurde 1938 zum Priester geweiht. Da er bald an Tuberkulose erkrankte, musste er das harte Mönchsleben aufgeben. Zwischen 1942 und 1945 verhalf er Juden und politisch Verfolgten zur Flucht in die Schweiz, indem er Papiere fälschte und Widerstand gegen die deutsche Besatzungsarmee leistete. 1949 gründete er in Neuilly-sur-Seine die Organisation Emmaus, die armen und obdachlosen Menschen helfen sollte. Im selben Jahr kaufte er vor den Toren von Paris ein Haus, das er obdachlosen Familien zur Verfügung stellte.

Nach der Befreiung Frankreichs gehörte Abbé Pierre der provisorischen Nationalversammlung an. Von 1945 bis 1951 vertrat er als unabhängiger Abgeordneter in der ersten Nationalversammlung das Département Meurthe-et-Moselle.

Im Winter 1953/54 suchte eine Kältewelle Frankreich heim, bei der viele Menschen starben. Abbé Pierre appellierte über Radio Luxemburg an alle Franzosen, den Obdachlosen im Lande zu helfen. Mit diesem Appell löste er eine landesweite Hilfswelle aus. Tausende Menschen, darunter Persönlichkeiten wie Charles de Gaulle und Charlie Chaplin, spendeten und halfen daraufhin. Ebenso wurde ein staatliches Wohnungsbauprogramm in Höhe von mehreren Mrd. Francs in Gang gesetzt. Seine Initiative fand darüber hinaus auch Eingang in die französischen Schulbücher.

Abbé Pierre starb am frühen Morgen des 22. Januar 2007 im Pariser Krankenhaus Val-de-Grâce an einer Lungenentzündung. In einer nationalen Trauerfeier in der Pariser Kathedrale Notre-Dame nahmen mehrere tausend Trauernde, fast das gesamte Regierungskabinett sowie hochrangige Geistliche anderer Religionen Abschied von Abbé Pierre. Seine letzte Ruhe fand Abbé Pierre in der normannischen Gemeinde Esteville.

Emmaus

Hauptartikel: Emmaus (Organisation)

Die Wohltätigkeitsorganisation Emmaus ist als Stiftung in mittlerweile 43 weiteren Ländern vertreten. Sie beschäftigt 1400 Angestellte und 10.000 ehrenamtliche Helfer. Menschen, die nicht mehr vom Arbeitsmarkt angenommen werden, finden eine mit dem Mindestlohn bezahlte Arbeit in der Reparatur und dem Wiederverkauf von defekten Haushaltsgegenständen. Bedürftige erhalten die Einrichtungsgegenstände kostenlos. Das humanitäre Engagement von Emmaus erstreckt sich vom Aufbau von Schulen in Afrika über den Kampf für die Rechte der Straßenkinder in Südamerika bis zum Widerstand gegen den Frauenhandel in Bosnien. Der Handel mit Altwaren wird mit 118 Mio. Euro jährlichem Eigenumsatz angegeben. Dazu kommen Spenden und Subventionen in mindestens gleicher Höhe.[5]

Abbé Pierre konnte die Vollendung seines Lebenswerkes nicht mehr erleben: die Annahme einer Gesetzesinitiative im französischen Parlament, die das Recht auf eine Wohnung für Jeden verankern soll. Eine Aktion der Initiative „Enfants de Don Quichotte“ („Kinder Don Quichottes“), die am 16. Dezember 2006 für Obdachlose eine lange Reihe roter Zelte mitten in Paris am Ufer des Canal Saint-Martin errichteten, beschleunigte die politische Willensbildung.[6] [7] Das Gesetzesvorhaben («Droit au Logement» / Recht auf Wohnung) konnte die Unterstützung von Premierminister Dominique de Villepin gewinnen.[8] Weiterhin ist ein Gesetz geplant, mit dem eine Steuer von 0,1 Prozent auf Textilien erhoben wird, um Altkleiderdienste zu finanzieren.

Politische Stellungnahmen

In den 1960er-Jahren warb er für Verständnis für die Kriegsdienstverweigerer der französischen Kolonialkriege. 1984 stellte er sich auf die Seite der Hausbesetzer. 1995 bereiste er die belagerte bosnische Hauptstadt Sarajewo. Er plädierte daraufhin für einen Nato-Einsatz, gegen das traditionell mit Frankreich verbündete Serbien, mit der Begründung Feigheit ist schlimmer als Gewalt. Er unterstützte Befreiungstheologen und kümmerte sich um Aids-Kranke.[4]

Den Pflichtzölibat in der römisch-katholischen Kirche hinterfragte Abbé Pierre. Positiv sah Abbé Pierre hingegen das Frauenpriestertum. Er lehnte das kirchliche Kondomverbot ab und plädierte für eine liberale Haltung bei der Empfängnisverhütung. Homosexuelle Paare sollten außerdem Kinder adoptieren dürfen. Das Papsttum dagegen war ihm zu mächtig. Auch die Ortskirchen sollten sich von der römischen Bevormundung befreien. Dann könne die römisch-katholische Kirche wieder ganz „evangelisch“ werden und eine Versöhnung der Christen wäre möglich. In seiner Autobiographie 2005 deutete er flüchtige sexuelle Begegnungen an.[3]

Auf große Kritik stieß Abbé Pierres Zustimmung zu Roger Garaudys revisionistischem Buch Die Gründungsmythen der israelischen Politik. Garaudy wurde deswegen 1998 wegen Holocaustleugnung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Abbé Pierre distanzierte sich vom Inhalt des Buches und gab an, dieses Buch nicht gelesen zu haben. Im September 1996 distanzierte er sich auf der CD Le Grand Pardon (Das große Pardon) endgültig von seinen umstrittenen Äußerungen zum Holocaust und plädierte für ein „planetarisches Bewusstsein ohne alle Nationalismen“.[9]

Auszeichnungen

Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet und zwei Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Der frühere Premierminister Laurent Fabius schlug vor, Abbé Pierre in das Pantheon der Nationalhelden aufzunehmen.

  • 2004 Großkreuz der Ehrenlegion
  • 2001 akzeptierte er die Ehrung, Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete ihn als „lebende Legende“.[10]
  • 1992 Großoffizier der Ehrenlegion – wurde von ihm abgelehnt, aus Protest gegen die unzureichende Unterstützung der Obdachlosen
  • 1991 Balzan-Preis
  • 1987 Kommandeur der Ehrenlegion
  • Croix de Guerre 1939–1945 mit bronzenen Palmzweigen
  • Médaille de la Résistance

Zitate

Man muss nicht selbst außergewöhnlich sein, um etwas Außergewöhnliches zu tun.

Abbé Pierre [11]

Belege

  1. „Der gute Mensch von Frankreich“, Berliner Zeitung, 22. Oktober 2002
  2. „Leibhafter Priester“, Tagblatt, 23. Januar 2007
  3. a b Kath.net: „Der französische Armenpriester Abbé Pierre ist tot“, 22. Januar 2007
  4. a b Katholisches Sonntagsblatt 28. Januar 2007
  5. „Trauer um den «Vater der Armen»: Abbé Pierre tot“, Hamburger Morgenpost, 22. Januar 2007
  6. „Campen mit Obdachlosen“, Telepolis, 15. Januar 2007
  7. „Mit Obdachlosen in den Wahlkampf“, Deutsche Welle, 4. Januar 2007
  8. „Frankreich will Recht auf Wohnung“, news.ch, 3. Januar 2007
  9. Bibliographie, Nouvel Observateur, 27. Januar 2007
  10. Legendärer französischer Armenpriester Abbé Pierre tot. "Eine Inkarnation des Guten", Die neue Epoche, 22. Januar 2007
  11. „Abbé Pierre – Ein Leben für die Armen“, Phoenix

Verschiedenes

  • Die französische Sängerin Patricia Kaas widmete Grouès den Titel L’abbé caillou von ihrem 2003 erschienenen Album »Sexe fort«.

Publikationen

Viele seiner Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Kinderbuch „C'est quoi la mort”, das in erster Linie das Leben zum Thema hat. Es ist ganz im Stil von Antoine de Saint-Exupérys Kleinem Prinzen gehalten.

  • Anne Facérias und Daniel Facérias (Hrsg.): Abbé Pierre - Père Pedro. Pour un monde de justice et de paix. Presses de la renaissance, Paris 2004, ISBN 2-7509-0044-1 (Interviews und Gespräche mit Abbé Pierre)
  • Mein Gott, warum? Fragen eines streitbaren Gottesmannes. dtv, München 2007, ISBN 3-423-24617-0

Filmographie

Siehe auch

Weblinks

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