Hans Christoph Binswanger

Hans Christoph Binswanger

Hans Christoph Binswanger (* 19. Juni 1929 in Zürich) ist ein Schweizer Wirtschaftswissenschaftler. Er entwickelte die Idee einer ökologischen Steuerreform und gilt als profilierter nicht-marxistischer Geld- und Wachstumskritiker. Er ist der Vater des Volkswirtschaftlers Mathias Binswanger.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hans Christoph Binswanger studierte Volkswirtschaftslehre in Zürich und Kiel. Er promovierte 1956 an der Universität Zürich; 1967 erfolgte seine Habilitation an der Handelshochschule in St. Gallen (HSG, heute Universität St. Gallen).

Er lehrte von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1994 als ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Von 1967 bis 1992 war er Direktor der Forschungsgemeinschaft für Nationalökonomie (FGN-HSG), seit 1980 geschäftsführend. Von 1992 bis 1995 wirkte er als Direktor des neu gegründeten Instituts für Wirtschaft und Ökologie (IWÖ-HSG).

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte

Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählen Umwelt- und Ressourcenökonomie, Geldtheorie, Geschichte der Wirtschaftstheorie und Europäische Integration. In seiner Forschung hat Binswanger die Grenzen der eigenen Disziplin immer wieder überschritten und ist dadurch auch einem breiteren Publikum bekannt geworden. So legte er beispielsweise mit seinem Werk Geld und Magie eine geldtheoretische Deutung von Goethes Faust vor. Sein Hauptinteresse gilt seit den 1960er Jahren dem Zusammenhang von Ökonomie und Ökologie.

Auf der Grundlage einer Geldtheorie, die Geld in der Doppelfunktion als Zahlungsmittel und Kapital begreift, diagnostiziert er, warum die Wirtschaft immer wachsen müsse. Seine Wirtschaftstheorie, die er als Gegenmodell zur neoklassischen Theorie sieht, hat er in seinem Spätwerk Die Wachstumsspirale ausgeführt: Ein Unternehmer, der etwas herstellen wolle, brauche Kapital, um Arbeit, Maschinen und Rohstoffe kaufen zu können. Dies Geld werde ihm als Kredit von Banken zur Verfügung gestellt. Die Geldschöpfung ist damit für Binswanger der Motor des Wachstums. Aus dem Geldvorschuss resultiere nämlich ein Wachstumszwang: Die Gewinne, die die Unternehmen heute machten, müssten die Investitionen von gestern rechtfertigen. Heute liessen sich aber für alle nur Gewinne erzielen, wenn auch genügend Kaufkraft vorhanden sei, also müsse auch heute wieder neu investiert werden in zusätzliche Arbeitskraft oder höhere Löhne. Diese Investition rechne sich erst morgen, wo dann wieder investiert werden müsse. „Wachstum verlangt weiteres Wachstum.“ Stabilität und Null-Wachstum seien nicht mehr möglich. Binswanger gibt das Wirtschaftswachstum, das weltweit notwendig sei, mit 1,8 Prozent an.[1][2]

Da Wachstum immer Natur verbrauche, fordert er, durch Änderungen des Wirtschaftssystems das Wachstum zu bremsen. Aktiengesellschaften, die auf fortwährenden Gewinn ausgerichtet seien, möchte er durch andere Unternehmensformen ersetzen: Genossenschaften oder Stiftungen, die weniger Wachstumsdynamik entfalteten. Ausserdem plädiert er dafür, dass nur noch die Zentralbanken Geld schöpfen dürfen, um so die Menge des Geldes zu begrenzen. Er knüpft damit an die Idee eines „Vollgeldes“ an, wie es der Soziologe Joseph Huber entwickelt hat, und verbindet sie mit seiner Intention einer Reduzierung des Wachstums.[2] Des Weiteren regt er an, über ein Bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken, das als umlaufgesichertes Geld ausgezahlt wird.[1]

Seine Idee der ökologischen Steuerreform versucht, die Natur als eigenständigen „Sozialpartner“ an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung sichtbar werden zu lassen. Seine Offenheit für alternative Denkansätze und Lösungsstrategien hat ihn zu einem der bekanntesten und profiliertesten Kritiker der aktuellen Hauptströmungen der Nationalökonomie werden lassen. Er sitzt als Beirat im Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft.

Binswanger konnte zahlreiche Ehrungen entgegennehmen: den Bundesnaturschutzpreis (1980), die Bodo-Manstein-Medaille des BUND (1980), den Grossen Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz (Liechtenstein, 1986), die Ernennung zum Ehrensenator der Wirtschaftsuniversität Wien (1994), den Preis der Stiftung Dr. J. E. Brandenberger (1994),[3] die Ernennung zum Ehrenvorsitzenden der Herbert-Gruhl-Gesellschaft e. V. (2003)[4] und den Adam-Smith-Preis für marktwirtschaftliche Umweltpolitik (2004).[5]

Er ist der Doktorvater von Josef Ackermann, dem derzeitigen Vorsitzenden des Vorstands der Deutschen Bank.[6] Ackermann hielt 1994 die Laudatio anlässlich der Verleihung des Dr.-Brandenberger-Preises.

Veröffentlichungen

  • Die europäische Wirtschaftsintegration durch partielle Unionen. Mit besonderer Berücksichtigung der Kohle- und Stahlindustrie. Dissertation. Keller, Winterthur 1957
  • Markt und internationale Währungsordnung. Ein Beitrag zur Integration von allgemeiner Gleichgewichtstheorie und monetärer Theorie. Mohr, Tübingen 1969
  • mit Hans Manfred Mayrzedt: Europapolitik der Rest-EFTA-Staaten. Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island, Portugal. Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich 1972
  • (Hrsg.): Die europäische Agrarpolitik vor neuen Alternativen. Haupt, Bern/Stuttgart 1977, ISBN 3-258-02548-7
  • mit Werner Geissberger & Theo Ginsburg (Hrsg.): Der NAWU-Report: Wege aus der Wohlstandsfalle. Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Umweltkrise. S. Fischer, Frankfurt 1978, ISBN 3-10-006401-1; Taschenbuchausgabe: Wege aus der Wohlstandsfalle. Der NAWU-Report, Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung. ebd. 1979, ISBN 3-596-24030-1
  • Eigentum und Eigentumspolitik. Ein Beitrag zur Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung. Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich 1978, ISBN 3-7255-1879-3
  • mit Holger Bonus & Manfred Timmermann: Wirtschaft und Umwelt. Möglichkeiten einer ökologieverträglichen Wirtschaftspolitik. Kohlhammer, Stuttgart [u.a.] 1981, ISBN 3-17-007353-2
  • Geld und Wirtschaft im Verständnis des Merkantilismus. In: Fritz Neumark (Hrsg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie II. Geschichte merkantilistischer Ideen und Praktiken. Duncker und Humblot, Berlin 1982, ISBN 3-428-05110-6
  • mit Heinz Frisch, Hans G. Nutzinger, Bertram Schefold, Gerhard Scherhorn, Udo E. Simonis & Burkhard Strümpel: Arbeit ohne Umweltzerstörung. Strategien für eine neue Wirtschaftspolitik. Eine Publikation des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). S. Fischer, Frankfurt 1983, ISBN 3-10-006403-8; überarbeitete Fassung als Taschenbuch ebd. 1988, ISBN 3-596-24189-8
  • Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft anhand von Goethes Faust. Mit einem Nachwort von Iring Fetscher. Edition Weitbrecht, Stuttgart 1985, ISBN 3-522-70140-2; zweite vollständig überarbeitete Ausgabe: Geld und Magie. Eine ökonomische Deutung von Goethes Faust. Murmann, Hamburg 2005, ISBN 3-938017-25-2
  • J. G. Schlossers Theorie der imaginären Bedürfnisse. Ein Beitrag zur deutschen Nationalökonomie jenseits von Physiokratie und Klassik. In: Harald Scherf (Hrsg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie V. Deutsche Nationalökonomie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Duncker und Humblot, Berlin 1986, ISBN 3-428-05913-1
  • Geld und Natur. Das wirtschaftliche Wachstum im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie. Edition Weitbrecht, Stuttgart/Wien 1992, ISBN 3-522-70450-9
  • Goethe als Ökonom. Chancen und Gefahren der modernen Wirtschaft im Spiegel von Goethes Dichtung. In: Bertram Schefold (Hrsg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XI. Die Darstellung der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften in der Belletristik. Duncker und Humblot, Berlin 1992, ISBN 3-428-07345-2
  • mit Paschen von Flotow (Hrsg.): Geld & Wachstum. Zur Philosophie und Praxis des Geldes. Edition Weitbrecht, Stuttgart/Wien 1994, ISBN 3-522-71670-1
  • Zukunftsfähiges Wirtschaften und ökologische Steuerreform. In: Frank Biermann, Sebastian Büttner & Carsten Helm (Hrsg.): Zukunftsfähige Entwicklung. Herausforderung an Wissenschaft und Politik. Festschrift für Udo E. Simonis zum 60. Geburtstag. Edition Sigma, Berlin 1997, ISBN 3-89404-174-9, S. 85–98
  • Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen. Essays zur Kultur der Wirtschaft. Gerling-Akademie-Verlag, München 1998, ISBN 3-932425-06-5. 2., aktualisierte Auflage: Murmann, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86774-136-1.
  • Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Metropolis-Verlag, Marburg 2006, ISBN 3-89518-554-X
  • König Midas: Wird alles zu Gold? Geld und Wachstum In: Alexander Karmann & Joachim Klose (Hrsg.): Geld regiert die Welt? Wirtschaftliche Reflexionen. Metropolis, Marburg 2006, ISBN 3-89518-556-6, S. 251–266
  • Vorwärts zur Mäßigung. Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. Murmann, Hamburg 2009, ISBN 978-3-86774-072-2

Literatur

  • Roland Kley (Hrsg.): Wachstum, Geld und Geist. Der Ökonom Hans Christoph Binswanger. VGS Verlagsgenossenschaft St. Gallen, 2010, ISBN 978-3-7291-1124-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Hans Christoph Binswanger: Wachstumszwang und Nachhaltigkeit – die Feststellung des Konflikts als Voraussetzung seiner Lösung. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung zur Postwachstumsökonomie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg am 12. November 2008 (PDF; 235 KB)
  2. a b die tageszeitung: Wirtschaftsexperte kritisiert den Wachstumszwang: „Wir müssen bremsen“. 4. Dezember 2009
  3. Stiftung Dr. J. E. Brandenberger: Bisherige Preisträger
  4. Herbert-Gruhl-Gesellschaft: CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel erhält Herbert-Gruhl-Preis. 16. Oktober 2003
  5. Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft: FÖS verleiht Adam-Smith-Preis an Binswanger. 2. Juli 2004 (PDF)
  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Josef Ackermann und Hans Christoph Binswanger: „Es fehlt das Geld. Nun gut, so schaff es denn!“. 30. Juni 2009

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