Hauptstadtfrage Niederösterreichs

Hauptstadtfrage Niederösterreichs
Nach der Klärung der Hauptstadtfrage bekam St. Pölten einen neuen Stadtteil: das Landhausviertel.

Bei der Niederösterreichischen Hauptstadtfrage handelte es sich um die Frage, ob Wien nach der Trennung vom Bundesland Niederösterreich Sitz der niederösterreichischen Landesregierung bleiben sollte oder ob eine Stadt auf dem Gebiet des Bundeslandes zur Hauptstadt gemacht werden sollte. 1986 wurde die Hauptstadtfrage per Volksbefragung entschieden und St. Pölten wurde Landeshauptstadt.

Der Landtag von Niederösterreich legte verschiedene Berechnungen vor, die Verluste für das Landesbudget von bis zu 50 % bescheinigten. Es besteht eine Konkurrenzsituation einerseits zwischen der Großstadt Wien und den Städten im Land Niederösterreich sowie zwischen Wien und den umliegenden Wohngemeinden, die sich auf niederösterreichischem Boden befinden. Auch die politische Situation spielte eine Rolle, da Niederösterreich seit 1945 ein von der ÖVP dominiertes Bundesland ist, während Wien von der SPÖ regiert wird.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Wien war seit dem Mittelalter Zentrum und Sitz der Regierungsbehörden von Niederösterreich. Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war die österreichische Hauptstadt zunächst weiterhin ein Teil des Bundeslandes Niederösterreich. Doch schon damals entstanden erste Ideen zur Trennung in zwei Länder, wobei die damals niederösterreichische Gemeinde Floridsdorf (heute ein Wiener Stadtbezirk) als Hauptstadt von Niederösterreich vorgeschlagen wurde. Als die Trennung der beiden Bundesländer im Jahr 1922 realisiert wurde, dachte zunächst aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation niemand daran, am Sitz der niederösterreichischen Landesregierung und -verwaltung in Wien zu rütteln.

Wieder aufgetaucht ist die Hauptstadtfrage dann im Jahr 1928; später wurde auch in der Zeit des Nationalsozialismus der (gescheiterte) Versuch unternommen, Krems an der Donau zur Gauhauptstadt zu deklarieren.

Ab den 1960er Jahren kamen vor allem auf Grund von Raumplanungs-Studien wieder Diskussionen auf. Um einer Landflucht nach Wien zu begegnen sollte im Zentralraum Sankt Pölten ein Landeszentrum geschaffen werden. Aber auch andere Städte wurden als möglicher Sitz der niederösterreichischen Regierung genannt: Korneuburg, Klosterneuburg und Mödling. Unter Landeshauptmann Andreas Maurer war es vor allem die ÖVP, die diese Ideen weiter verfolgte, während sie von der SPÖ unter dem aus Ternitz, also dem südlichen Industrieviertel kommenden Landeshauptmannstellvertreter Hans Czettel strikt abgelehnt wurden. So wurden die Pläne 1975 wieder einmal zu den Akten gelegt. Nachdem Siegfried Ludwig die ÖVP-Mehrheit bei den Landtagswahlen 1983 ausgebaut hatte, wurde die Hauptstadtfrage wieder aktualisiert. Auch die von Ernst Höger geführte SPÖ gab ihre strikte Ablehnung auf.

Als Problem für die Proponenten einer neuen Hauptstadt ergab sich, dass die Bewohner des bevölkerungsreichen Wiener Beckens von einer Hauptstadt im Westen (Krems oder St.Pölten) im Hinblick auf Behördenwege und berufliches Pendlertum wenig zu profitieren hatten. Dieses Legitimationsproblem wurde durch direkte Demokratie gelöst.

Volksbefragung

1984 wurde vom damaligen Landeshauptmann Siegfried Ludwig eine Volksbefragung mit dem Slogan Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft initiiert, welche die endgültige Klärung der Frage bringen sollte. Bei dieser Konsultation der Bürger am 1. und 2. März 1986 wurde eine zweifache Frage gestellt: Einerseits ging es um eine grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine eigene Landeshauptstadt: Sie wurde von 56 % der Teilnehmer bejaht. Zugleich wurde die Rangordnung zwischen einzelnen Städten erfragt, wodurch in gewissem Maße der Lokalpatriotismus selbst chancenloser Mitbewerber für ein grundsätzliches Ja gewonnen werden konnte. Die Stimmenmehrheit fiel, wie aus demographischen und politischen Gründen zu erwarten, auf Sankt Pölten (45 %), welches sich damit vor Krems (29 %) platzierte. Die Städte im Wiener Umfeld Baden (8 %) und Tulln (5 %) waren chancenlos, und Wiener Neustadt (4 %), für dessen Bewohner die Hauptstadtgründung im Westen des Landes eine echte Verschlechterung darstellte, landete am letzten Platz. Die Gesamtzahl der an der Befragung Teilnehmenden betrug 61,3 % der etwa 1,2 Millionen Wahlberechtigten, eine für direktdemokratische Sachvoten ungewöhnlich hohe Zahl.

Beschlussfassung und Durchführung

Am 10. Juli desselben Jahres wurden die entsprechenden Beschlüsse vom Landtag gefasst und schon bald darauf begannen die Bau- und Übersiedelungsarbeiten in der neuen Hauptstadt.

In Sankt Pölten wurde das Regierungsviertel auf der grünen Wiese neu errichtet. Nach ungefähr zehn Jahren war die komplette Verwaltung übersiedelt. Das Landhaus in der Wiener Herrengasse ist nach wie vor im Besitz des Landes Niederösterreich. Es sind darin das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (vorm. Außenministerium) sowie Veranstaltungsräume und Büros untergebracht.

Aber nicht nur die Landesregierung übersiedelte nach Sankt Pölten in das Landhausviertel, sondern auch Bundesdienststellen, sowie viele Landesdirektionen bauten auch in der neuen Landeshauptstadt ihre Landeszentralen auf.

Literatur

  • Austria. Bundespressedienst: Österreichisches Jahrbuch - 1987, Band 58, Druck und Verlag der Österr. Staatsdruckerei, 1987, Seite 548 ff.
  • Hermann Riepl, Niederösterreichische Landeshauptstadt-Planungsgesellschaft: Die niederösterreichische Landeshauptstadt: Vision und Wirklichkeit : Dokumentation. Verlag Niederösterreichische Landeshauptstadt-Planungsgesellschaft mbH, 1987, ISBN 978-3853268209.

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