Heinrich Finke

Heinrich Finke

Heinrich Johannes Finke (* 13. Juni 1855 in Krechting, Kreis Borken, Westfalen; † 19. Dezember 1938 in Freiburg im Breisgau) war ein katholischer Kirchenhistoriker und Mediävist mit den Forschungsschwerpunkten Spätmittelalter und Vorreformation.

Heinrich Finke (1855–1938)

Als Heinrich Finke 1938 im Alter von 83 Jahren in Freiburg starb, galt er der Fachwelt seiner Zeit als einer der renommiertesten und bekanntesten akademischen Kirchenhistoriker, der vor allem auch in Spanien hohes Ansehen genoss.

Inhaltsverzeichnis

Leben, akademische Laufbahn und Hauptwerk

Heinrich Finke wird am 13. Juni 1855 im münsterländischen Krechting als Sohn eines Webers geboren. Schon als Jugendlicher, zunächst von höherer Schulbildung ausgeschlossen, betreibt Finke autodidaktische Lateinstudien in Vorbereitung auf seine Gymnasialzeit. Nach spätem Eintritt in eine höhere Schule besteht Finke das Abitur 1876 auf dem Gymnasium Paulinum zu Münster.

Dissertation und „Wanderjahre“

Noch im Jahr des Abiturs beginnt Heinrich Finke ein sporadisches, kurzes und aufgrund seiner finanziellen Lage immer wieder durch notwendige Nebentätigkeiten als Hauslehrer unterbrochenes Philologie- und Geschichtsstudium; zunächst in Münster, danach in Tübingen. Nach nur eineinhalb regulären Studiensemestern und fünfmonatiger Abfassungszeit seiner Dissertation wird er 1878 bei Bernhard Kugler in Tübingen mit einer Arbeit über König Sigismunds reichsständische Politik 1414–1418 (veröffentlicht: Paderborn 1880) promoviert. Die wirtschaftliche Not lässt ihn zunächst weiter als Hauslehrer für einen Frankfurter Bankier arbeiten, der ihm 1880 ein Studiensemester in Göttingen ermöglicht: Finke eignet sich Kenntnisse der historischen Hilfswissenschaften an, vor allem der Paläographie. 1880 beginnen jene sechs Jahre, die in Finkes autobiographischer Selbstdarstellung 1925 als „Wanderjahre“ (vgl. Literaturangabe) bezeichnet werden: Er verdingt sich abwechselnd als Hilfsarchivar und Stenograph im Berliner Reichstag und ist Zeitzeuge der Kulturkampf-Politik unter Reichskanzler Bismarck, den er verehrt. Es folgen zwei Jahre Korrespondententätigkeit für eine der Zentrums-Partei nahestehende Zeitung, schließlich anderthalb Jahre Archivdienst am Staatsarchiv zu Schleswig.

Als Student wird Finke aktives Mitglied von Katholischen Studentenverbindungen im KV: in Tübingen der K.St.V. Alamannia, in Göttingen des KStV Winfridia. Im Sommersemester 1880 ist er Senior der Winfridia und organisiert die 13. Vertreterversammlung des KV in Göttingen. Auch später als Dozent und Professor nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen des KV teil.

Habilitation, Urkundenbücher und Dozentur

Mit der Anfang 1886 an ihn ergehenden Anfrage, Nachfolger Wilhelm Diekamps (1854–1885) als Herausgeber des Westfälischen Urkundenbuchs zu werden, eröffnet sich Finke schließlich doch noch die Möglichkeit, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Bei einem sechsmonatigen Arbeitsaufenthalt in Rom erschließt und transkribiert Finke die entsprechenden Originalurkunden im vatikanischen Archiv, im römischen Staatsarchiv und in zahlreichen Bibliotheken.

1887 habilitiert sich Finke an der Universität Münster mit der Schrift Quellen und Forschungen zur Geschichte des Konstanzer Konzils (veröffentlicht: Paderborn 1889). Als Ergebnis seines Romaufenthalts erscheint im Jahr darauf das erste von ihm edierte Urkundenbuch: Papsturkunden Westfalens bis zum Jahre 1378 (= Westfälisches Urkundenbuch, Bd. 5,1), Münster 1888, dem sich 1894 das zweite anschließt: Die Urkunden des Bistums Paderborn 1251–1300 (=Westfälisches Urkundenbuch Bd. 4,3), Münster.

1891 wird Finke Privatdozent für Geschichte in Münster und erhält einen Lehrauftrag.

Durch die umfangreiche Quellentextedition, die Urkundenbücher zum Konstanzer Konzil (Acta Concilii Constanciensis), deren erster Band Finke bereits 1896 veröffentlicht und die er erst 1928 mit dem vierten Band abschließt, werden die Eckdaten eines Akademikerlebens markiert, das sich über Jahrzehnte hinweg schwerpunktmäßig mit dem Spätmittelalter und der Vorreformation beschäftigt. Im Verlauf dieser Arbeit gelingen Finke zwar bedeutende und in der Fachwelt damals Aufsehen erregende Archivalienfunde u.a. im Kronarchiv zu Barcelona, wo er bis dato unbekannte Konzilsakten ausfindig macht und ediert – sein ungewöhnlicher, archivalischer Spürsinn, verbunden mit Finderglück und die daraus erwachsenden Quellentexteditionen tragen Heinrich Finke den Titel eines „bœuf d’archives“ ein. Sein von ihm angestrengtes opus magnum bleibt gleichwohl ungeschrieben: Die lange geplante und bis ins hohe Alter in immer neuen Ansätzen versuchte, umfassende und geschlossene Darstellung des Spätmittelalters (Arbeitstitel: Das Geistesleben im Spätmittelalter) bleibt in Quellenstudien und Vorarbeiten stecken.

Wohl aus privaten Beweggründen schreibt Finke 1896 eine kunsthistorische Arbeit über den zur Schule der Nazarener zählenden Karl Müller (1818–1893), dessen Tochter Zoe mit Heinrich Finke verheiratet ist: Karl Müller. Sein Leben und künstlerisches Schaffen (= Vereinsschrift der Görres-Gesellschaft), Köln 1896.

Nachdem er seit 1897 als ordentlicher Professor zum Lehrkörper der Universität Münster zählte, erhält Finke 1898 einen Ruf der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, den er annimmt. 1899 wird er Ordinarius für Geschichte auf dem konfessionsgebunden Katholischen Lehrstuhl.

Erste Buchveröffentlichungen aus der Zeit seiner Freiburger Lehrtätigkeit sind die Abhandlungen: Aus den Tagen Bonifaz’ VIII. (= Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, Bd. 2.) Münster 1902 und Papsttum und Untergang des Templerordens (= Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, Bde. 4-5), Münster 1907.

Heinrich Finke und Spanien

Ehrung durch die Real Academia de la Historia, um 1925.

Mit den Acta Aragonensia. Quellen zur deutsch., ital., franz., span., zur Kirchen- und Kulturgeschichte aus der diplomatischen Korrespondenz Jaymes II (1291–1327), deren beiden ersten Bände 1908 erscheinen, begründet Finke den paradigmatischen Beginn deutsch-spanischer Wissenschaftsbeziehungen im Bereich der Spätmittelalterforschung im 20. Jahrhundert, die sein hohes Ansehen in den romanischen Ländern, vor allem in Spanien erklären: Er wird in den Folgejahren Ehrendoktor der Universitäten Barcelona, Valladolid, Mailand und Salamanca und ist Ehrenmitglied der Madrider Academia de la Historia. Die Acta Aragonensia kommen schließlich mit ihrem dritten Band 1923 zum Abschluss.

Heinrich Finke und Martin Heidegger

Als einflussreiches Mitglied und Dekan der Freiburger Philosophischen Fakultät unternimmt Finke, der sich in den Jahren vor 1914 als energischer Förderer des katholischen wissenschaftlichen Nachwuchses an der Freiburger Universität erweist, den zwar glücklosen, aber folgenreichen Versuch, dem vor seiner Habilitation stehenden Philosophen Martin Heidegger den vakanten Lehrstuhl für „christliche Philosophie“ gewissermaßen „freizuhalten“. Bereits 1912 hatte der finanziell unabgesicherte Heidegger den Finke-Schüler Ernst Laslowski gebeten, bei Finke wegen einer möglichen Unterstützung anzufragen. In seinem Promotionssemester 1913 belegt Heidegger bei Finke eine vierstündige Vorlesung zum Thema „Das Zeitalter der Renaissance“. Finke, der sich des jungen, großen philosophischen Talents bald darauf annimmt, rät, ja drängt Heidegger im November 1913 zu einer philosophiegeschichtlichen Habilitationsschrift, obgleich dieser vor dem Hintergrund seiner mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien 1912 über das logische Wesen des Zahlbegriffs zu forschen begonnen hatte. Finkes dringlichem Rat ist es zuzuschreiben, dass Martin Heidegger sich schließlich dem Thema „Duns Scotus“ zuwendet und über „Die Kategorien und Bedeutungslehre des Duns Scotus“ bei Heinrich Rickert 1915 habilitiert. Im Zusammenhang mit seinem Habilitationsverfahren führt Heidegger sein „steigerndes (philosophie-)historisches Interesse“ dabei ausdrücklich auf Finke zurück, wenn er in seinem eigenhändigen Lebenslauf schreibt: „… nicht zuletzt Vorlesungen und Seminarübungen bei Herrn Geheimrat Finke hatten zur Folge, daß die bei mir durch die Vorliebe für Mathematik genährte Abneigung gegen die Geschichte gründlich zerstört wurde.“ (zitiert nach: Ott, Hugo: Martin Heidegger, S. 86 f.) Den Zugang Heideggers zu einem frühen Freiburger Philosophieordinariat hat dies gleichwohl nicht eröffnet. Heinrich Finke lässt seinen früheren Favoriten wegen „mangelnder 'scholastischer' Zuverlässigkeit“ schließlich fallen und die Berufungskommission entscheidet sich 1916 für den Münsteraner Ordinarius Josef Geyser. Später, mit Brief vom 8. April 1917, bekundet Finke seinem früheren Schützling dennoch noch einmal seine Wertschätzung, schließlich sei „ein bedeutender theistischer spekulativer Philosoph“ nötiger als alle historisch verfahrenden christlich-katholischen Philosophen (zitiert in: Ott, Hugo, a.a.O., S. 94). Heidegger selbst sah sich indessen längst veranlasst, mit dem „System des Katholizismus“ zu brechen.

Finkes Freiburger Rektorat und das „Problem des Krieges“

In mehreren „Akademischen Vorträgen in Kriegszeit“ der Universität Freiburg bzw. als Gastredner der „Vaterländischen Versammlungen“, patriotische Veranstaltungen zur „Stärkung der Siegeszuversicht“ und „nationalen Sinnstiftung“ im Ersten Weltkrieg, äußert sich der Kirchenhistoriker, Professor und spätere Universitätsrektor (Prorektorat 1918) auch ausdrücklich politisch zum Zeitgeschehen:

  • Mitunterzeichner des Aufrufs an die Kulturwelt im Oktober 1914, das sogenannte Manifest der 93, in dem sich die Unterzeichner im Namen der Kultur vorbehaltlos mit der deutschen Kriegführung des Ersten Weltkriegs solidarisierten.
  • Rede beim zweiten vaterländischen Abend in Freiburg i.Br. am 11. Oktober 1914, Freiburg 1914.
  • Der Gedanke des gerechten und heiligen Krieges in Gegenwart und Vergangenheit. Rede vom 28. Oktober 1914 im Auditorium Maximum der Freiburger Universität, gedruckt in: ders.: dass., Freiburg, Troemer’s Universitäts-Buchhandlung 1915.
  • Deutsche Zukunftsfragen, in: Kraft aus der Höhe. Ein Pfingstgruß ehemaliger und jetziger Professoren an ihre Kommilitonen im Felde, hrsg. von Heinrich Finke, Kempten, Kösel 1915, S. 225–233.
  • Recht und Notwendigkeit des Weltkrieges (= Deutsche Kultur, Katholizismus und Weltkrieg. Eine Abwehr des Buches ‚La guerre allemande et le Catholicisme, hrsg. v. G. Pfeilschifter 1915, S. 19–46.
  • Stimmungsbilder aus Kriegsflandern im Winter 1914/15. Aus Briefen von Ludwig Finke, stud. Jur, Kriegsfreiwilliger … [= der ältere Sohn, Ludwig Finke, geb. 1893], gefallen vor Nieuport am 9. Mai 1915. Als Manuskript gedruckt, Freiburg, Caritas-Druckerei 1916.
  • Immatrikulations-Rede zum Kriegsschluß, geh. am 20. Dezember 1918, Freiburg, Poppen & Ortmann 1918.
  • Unseren Gefallenen zum Gedächtnis, Rede gehalten am 29. März 1919 in der Aula der Universität Freiburg i. Br. vom Rektor Geheimrat Prof. Dr. Heinrich Finke, Freiburg, Herder 1919.

Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (vgl: Wolfgang J. Mommsen) begreift er dabei in jeder Hinsicht konform mit der offiziell wilhelminischen, deutschnationalen Lesart: als einen Deutschland aufgezwungenen „Verteidigungskrieg“, dann aber notwendigen „Angriffskrieg“, als Freiheitskampf und kathartischen, aus deutscher Sicht „gerechten“, ja „heiligen“ Krieg und „Kreuzzug“:

  • „Wer möchte es missen jenes Neue, das in unser Leben getreten, jene Vertiefung und Läuterung unseres Wesens, die einzig dasteht in der Geschichte der Menschheit, jene stürmische ergreifende Kreuzzugsstimmung, wo wieder das 'Gott will es' ertönt (…), jenen todesfreudigen Opfermut, der unsere ganze Jugend wie ein Sturmwind erfaßt.“ ('Rede des Prof. H. Finke beim zweiten vaterländischen Abend in Freiburg i. Br. am 11. Oktober 1914', Freiburg 1914, S. 1).

Ebenso bedenklich sind jene kulturkritischen Passagen, in denen Finke – den Jargon des Dritten Reiches vorwegnehmend – den „Niedergang unserer sittlichen Kultur vor dem Kriege“ beschreibt, der ihm nur durch eine im Weltkrieg herbeigeführte national-kulturelle „Gesundung“ behebbar erscheint.

  • „In Literatur und Kunst eine weitgehende Abhängigkeit vom Auslande, und zwar von seinen häßlichen Seiten; vor allem in der Literatur die Neigung zum Zersetzenden, Krankhaften, Gemeinen; Ablehnung alles Idealen in der bildenden Kunst ein Wirklichkeitsfanatismus, Ablehnung alles tieferen Gehaltes, Haschen nach unsinnigen Problemen. Dann kam die große Zeit und der Ruf nach dem reinen, reineren Deutschtum. Da bleibt für Euch, Kommilitonen, nach glücklicher Heimkehr ein großes Arbeitsfeld. Ihr die geistigen Führer des Volkes, müßt den Geschmack ummodeln, wieder das Gesunde, das Kerndeutsche, das Unverfälschte zu Ehren bringen … “ ('Zukunftsfragen' 1915, a.a.O, S. 231 f.; gleichlautend noch in der 'Immatrikulationsrede' 1918, a.a.O., S. 12).

Noch 1919 versucht er als Rektor in öffentlicher Ansprache eine Sinndeutung des Krieges, bei der Vokabeln wie „Vaterlandsliebe“, „Heldentum“, „Tod fürs Vaterland“ unbeschadet und wie selbstverständlich eingesetzt werden. Allen Widrigkeiten zum Trotz – Finke verliert im Krieg beide Söhne – hofft der Historiker weiterhin auf jenen „neuen Geist, der unser Volk wieder zum Lehrer der Völker machen wird“ (Unseren Gefallenen zum Gedächtnis, a.a.O., S. 23.); dass dies ein „Geist“ ist, der die junge demokratische Republik 1919 hätte unterstützen können, darf bezweifelt werden.

Präsident der Görres-Gesellschaft

Finke wird 1924 Nachfolger von Hermann von Grauert Präsident der Görres-Gesellschaft und ediert bis 1937 die „Historischen Jahrbücher“ der Gesellschaft, in denen er selbst zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Das Amt und die Tätigkeiten innerhalb der Görres-Gesellschaft, deren römisches Institut er bereits 1888 initiiert und begründet hatte, bestimmen Finkes letzte zehn Lebensjahre nach seiner Emeritierung im Jahr 1928.

Heinrich Finke und der Nationalsozialismus

Der alternde Präsident setzt sich nach 1933 für den Fortbestand der Görres-Gesellschaft im nationalsozialistischen Deutschland ein – sie wird 1941 schließlich zwangsaufgelöst – und reflektiert über deren „Daseinsberechtigung durch von der gärenden Zeit geforderte Leistungen“, lotet die Anforderungen und Möglichkeiten einer „katholischen Wissenschaft in der heutigen Zeitenwende“ überhaupt aus; den rhetorisch wie inhaltlich äußerst problematischen, weil die nationalsozialistische Wissenschafts- und Kulturpolitik letztlich affirmierenden Aufsatz veröffentlicht er 1934 in: Schönere Zukunft, zugleich Ausgabe von „Das Neue Reich“ Nr. 2/3, Wien 1934, S. 39–41; 67–69):

  • „Wir stehen an einer geistigen Wende. Ein gewaltiger Sturmwind weht bei uns durch die Welt des Denkens, Dürres wird beseitigt, Ungesundes verschwindet, manches Gute und Schöne wird in den Ansätzen geknickt, manches Neue hat ein zunächst befremdendes Gesicht. (…). Aber mit einem gewissen Optimismus dürfen wir dem kommenden Geistesleben und Geisteskampfe entgegenschauen“ (a.a.O., S. 67)

Als Kotau vor dem nationalsozialistischen Regime gilt hingegen die von Finke angeordnete Neufassung des schon 1927 veröffentlichten, kritischen Artikels Nationalsozialismus von Franz Schweyer in der fünften Auflage des Staatslexikons. Diese war vom Herbst 1926 bis Dezember 1932 in fünf Bänden im Auftrag der Görres-Gesellschaft beim Herder-Verlag in Freiburg erschienen. Die Reichspressestelle der NSDAP in München verlangt nach 1933 umgehend vom Verlag nicht nur eine grundlegende Überarbeitung und deren Vorlage zur Zensur, sondern zudem eine öffentliche Erklärung des Bedauerns über den strittigen Artikel und ein Entschuldigungsschreiben Finkes an Hitler. Der Freiburger Oberbürgermeister Franz Kerber macht von der Erfüllung dieser Forderungen überdies die Zulassung der auf Oktober 1933 einberufenen Jahrestagung der Görresgesellschaft in Freiburg abhängig. Ihr Präsident Heinrich Finke lenkt ein und erklärt, dass er bei der Eröffnung der Generalversammlung auch über das Staatslexikon sprechen und den Artikel, der eine „persönliche Kränkung“ des „Reichskanzlers und Führers“ Adolf Hitler bedeute, ausdrücklich und mit Bedauern zurücknehmen werde. Überdies schreibt er am 4. Oktober 1933 den von ihm verlangten persönlichen Entschuldigungsbrief an Hitler (zitiert in: Frenken, Ansgar: Finke, a.a.O. S. 292 Anmerkung 26; vgl. Weblink: „Freiburger Zeitung“, 9. Oktober 1933).

Zu seinem 80. Geburtstag wird Finke – abschließende Tragik und Konsequenz eines deutschen Historikers zwischen Monarchie und Diktatur – von den höchsten Repräsentanten des „Dritten Reiches“ geehrt. Eine Gelehrtenbiographie, die im „Zweiten Reich“, dem Wilhelminischen Kaiserreich 1871–1918 beginnt, sich in diesem ausrichtet, akademisch etabliert und dem sie schließlich verhaftet bleibt, kommt so zu ihrem nicht unschlüssigen Ende, zumal sich Heinrich Finke mit Demokratie und Gesellschaft der Weimarer Republik wohl nur halbherzig und zu keiner Zeit wirklich grundlegend hat identifizieren können oder wollen. Die „Krönung aller Ehrungen“, so das Typoskript der Universitätsbibliothek Freiburg zu den Feierlichkeiten des 13. Juni 1935: Adolf Hitler verleiht dem greisen Jubilar die höchste zivile Auszeichnung, den Adlerschild des Deutschen Reiches, der Heinrich Finke mit einem persönlichen Begleitschreiben des „Führers und Reichskanzlers“ für „hervorragende Verdienste um die deutsche Geschichtsforschung“ vom Freiburger Oberbürgermeister Franz Kerber und Reichstatthalter, NSDAP-Gauleiter Robert Wagner überreicht wird (vgl. Weblink: „Freiburger Zeitung“, 14. Juni 1935, Abendausgabe).

Am 19. Dezember 1938 stirbt Heinrich Finke in Freiburg. Auch wenn seine Schüler 1935 gewusst haben mögen, dass mit der Annahme des Adlerschildes nicht notwendig ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus verbunden war: Der damalige Universitätsbibliothekar Josef Hermann Beckmann konstatiert in seinem Nachruf („Freiburger Tagespost“ Nr. 298, vom 22. Dezember 1938) erneut und rückblickend Finkes Schulterschluss mit den Nationalsozialisten: „So hat er auch die Jüngeren wiederholt auf die verpflichtende Aufgabe der Mitarbeit an der Bewegung und der Aufbauarbeit des Führers hingewiesen.“ Finkes Nachwelt hat dem nicht widersprochen.

Literaturverzeichnis

  • Beckmann, Josef Hermann: Verzeichnis der Schriften Heinrich Finkes, in: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 55, 1935, S. 466–477.
  • Cercel, Gabriel: Zur Entstehung einer phänomenologischen Hermeneutik der Geschichte: Heinrich Finke und Martin Heidegger (1911-1933), in: Heidegger Studies 27 (2011), S. 119-136
  • Engels, Odilo: Finke, (Johannes) Heinrich, Historiker, in: Ottnad, Bernd (Hrsg.): Badische Biographien, Neue Folge, Band II, Stuttgart, Kohlhammer 1987, S. 87–89.
  • Farías, Victor: Heidegger und der Nationalsozialismus, aus dem Spanischen u. Franz. übersetzt v. Klaus Laermann, mit einem Vorwort v. J. Habermas. Frankfurt a. M., S. Fischer 1989; hier das Kapitel: Von Freiburg nach Marburg, Heideggers Studium an der Universität Freiburg, S. 93–102.
  • Frenken, Ansgar: Die Erforschung des Konstanzer Konzils (1414–1418) in den letzten 100 Jahren. Paderborn 1995 [= Annuarium Historiae Conciliorum 25 (1993) 1-512], 17-89 [Kap.: Heinrich Finke und seine „Freiburger Schule“].
  • Frenken, Ansgar: Zwischen vorsichtiger Annäherung und partieller Resistenz. Die Görres-Gesellschaft im Dritten Reich, in: Hartmut Lehmann – Otto G. Oexle (Hrsg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, I: Fächer – Milieus – Karrieren, Göttingen 2004, 371-415.
  • Frenken, Ansgar: Heinrich Finke, der Nationalsozialismus und die Zwangsauflösung der Görres-Gesellschaft, in: Historisches Jahrbuch im Auftrag der Görres-Gesellschaft, 118. Jahrgang 1998. Freiburg, München, Verlag Karl Alber 1998, S. 287–303.
  • Haumann, Heiko / Schadek, Hans (Hrsg.): Geschichte der Stadt Freiburg, Band III, 1996.
  • Heimpel, Hermann: Aspekte. Alte und neue Texte, hrsg. v. S. Krüger, Göttingen, Wallstein 1995; hier: Heinrich Finke, ein Nachruf (HZ 160.1939); Heinrich Finke in der Erinnerung, S. 186–201.
  • Horten, Bettina: Heinrich Finke als Historiker der Vorreformation. Innsbruck, Univ., Diss., 1966.
  • Morsey, Rudolf: Görres-Gesellschaft und NS-Diktatur. Die Geschichte der Görres-Gesellschaft 1932/33 bis zum Verbot 1941. Paderborn, München, Wien, Zürich, Schöningh 2002.
  • Ott, Hugo: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie. Frankfurt / New York, Campus 1988; hier: S. 77–119.
  • Steinberg, Sigfried (Hrsg.): Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen I, Leipzig, Meiner 1925; darin: Heinrich Finke: [Autobiographie], S. 91–128.

Weblinks


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