INF-Vertrag

INF-Vertrag
US-Präsident Reagan (rechts) und der Sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (links) unterzeichnen den INF Vertrag im Weißen Haus, 1987.
Am 1. Juni 1988 erfolgte die Unterzeichnung der Ratifizierungsurkunden im Kreml in Moskau.

Als INF-Verträge (Intermediate Range Nuclear Forces, zu deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme) oder als Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme bezeichnet man die Verträge über die Vernichtung aller Raketen mit mittlerer und kürzerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer) und deren Produktionsverbot zwischen der Sowjetunion und den USA vom 8. Dezember 1987.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

In den 1970ern kam es in einer Entspannungsphase des Kalten Kriegs mit den SALT-Verträgen und dem ABM-Vertrag zu einer ersten Begrenzung der strategischen Nuklearrüstung.

Die Sowjetunion begann am Ende der 1970er Jahre, moderne RSD-10/SS-20-Mittelstreckenraketen zu stationieren. Im Vergleich zu den Vorgängersystemen SS-4 und SS-5 wiesen sie eine größere Reichweite, Genauigkeit, Mobilität und Zerstörungskraft auf und wurden daher von der NATO als Bedrohung Westeuropas eingestuft. Dies hatte 1979 den NATO-Doppelbeschluss zur Folge. In ihm wurde die Stationierung eigener Pershing II-Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles im NATO-Gebiet beschlossen, falls die sowjetischen Mittelstreckenraketen nicht abgezogen würden. Nachdem die Sowjetunion anfangs nur nach einer Rücknahme des Doppelbeschlusses zu Verhandlungen bereit war, gelang es dem Bundeskanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher, den Kreml davon zu überzeugen, dass die Aufnahme von Rüstungskontrollverhandlungen über nukleare Mittelstreckensysteme angesichts der NATO-Nachrüstung auch im sowjetischen Interesse liegt. Die Sowjetunion fand sich allerdings ausschließlich zu Vorgesprächen mit den USA bereit und nahm an der Konferenz vom 17. Oktober bis 17. November 1980 in Genf teil. Am 24. September 1981 einigten sich US-Außenminister Alexander Haig und sein sowjetischer Kollege Andrej Gromyko bei ihrem ersten Treffen zu Beginn der 36. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York darauf, die Verhandlungen am 30. November 1981 in Genf fortzuführen. Sie wurden von einer Ständigen Beratungskommission der USA und der Sowjetunion geführt und im Westen als Standing Consultative Commission (SCC) bezeichnet. Die NATO hatte Ende 1979 außerdem eine besondere Konsultationsgruppe für INF-Verhandlungen gegründet, die als Special Consultative Group (SCG) gemeinsame Verhandlungspositionen der NATO-Partner erarbeitete und die westliche Verhandlungspositionen koordinierte.

Die Positionen der USA waren zu Beginn der INF-Verhandlungen:

  • Vorrangige bilaterale Behandlung von landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen der USA und der Sowjetunion im Zusammenhang mit den SALT-Verträgen
  • Gleichbehandlung der Rechte und Begrenzungen
  • Keine Berücksichtigung von Raketensystemen dritter Staaten (Großbritannien, Frankreich)
  • Weltweite Begrenzungen unter Berücksichtigung der Bedrohung Westeuropas und keine Verlagerung der Bedrohung nach Asien
  • Kollaterale Begrenzungen für landgestützte nukleare Mittelstreckensysteme per kürzerer Reichweite
  • Nachprüfbarkeit der Einhaltung des Vertrages

Am 18. November 1981 unterbreitete US-Präsident Ronald Reagan der Sowjetunion den Vorschlag einer beiderseitigen Null-Lösung für landgestützte Mittelstreckenraketen, der den weltweiten Verzicht der USA auf Stationierung von Pershing II-Raketen und landgestützten Marschflugkörpern vorsah und im Gegenzug von der Sowjetunion die Verschrottung aller SS-20-Raketen und Außerdienststellung der älteren SS-4 und SS-5 forderte.

Zu Beginn der zweiten Runde der Abrüstungsverhandlungen in Genf gab die Sowjetunion am 25. Mai 1982 einen eigenen Vorschlag bekannt. Dieser beinhaltete einen Vertragsentwurf, der folgende beiderseitige Verpflichtungen vorsah:

  • keine neuen Systeme von nuklearen Mittelstreckensystemen in Europa zu stationieren,
  • alle am 1. Juni 1982 in Europa vorhandenen nuklearen Mittelstreckensysteme (Raketen und Mittelstreckenbomber) der NATO und der Staaten des Warschauer Pakts mit einer Reichweite von mehr als 1.000 Kilometern auf maximal 300 Systeme für beide Seiten zu reduzieren,
  • 255 britische und französische Sprengköpfe auf Seiten der USA anzurechnen,
  • Marschflugkörper mit mehr als 600 Kilometern Reichweite sowie ballistischen Luft-Boden-Raketen (ASGM) weltweit zu verbieten

Am 21. Dezember 1982 gab der Generalsekretär der KPdSU Juri Wladimirowitsch Andropow bekannt, dass die Sowjetunion bereit sei, die eigenen Mittelstreckenraketen auf die Anzahl der britischen und französischen Systeme, insgesamt 162 Raketen, zu reduzieren. Im Gegenzug sollten die USA auf die Nachrüstung gemäß dem NATO-Doppelbeschluss verzichten. Entsprechende RSD-10 [SS-20] Raketen sollten aber nicht eliminiert werden, sondern würden außerhalb der Reichweite der Raketen in die östliche Sowjetunion verlagert.

Die Verhandlungen wurden jedoch ergebnislos abgebrochen. Grund hierfür war vor allem, dass die NATO die Einbeziehung der französischen und britischen Raketen strikt ablehnte. So kam es zur Stationierung der Mittelstreckenraketen ab 1983, unter anderem in Deutschland. Das Scheitern der INF-Verhandlungen belastete ab November 1983 auch die Verhandlungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Der Beschluss traf zudem auf starken Widerstand der Friedensbewegung.

Neue Gespräche zwischen der Sowjetunion und den USA wurden erst im März 1985 wieder aufgenommen, gleichzeitig begannen Verhandlungen über den START-Vertrag und über Verteidigungs- und Weltraumangelegenheiten. Es gab zwei Gipfeltreffen, eines im November 1985 in Genf und eines 1986 in Reykjavík. Anfangs wurde noch über Obergrenzen bei den Systemen verhandelt. 1986 begannen Diskussionen über eine komplette Abschaffung von Kernwaffen. Man konnte sich anfangs sogar vorstellen, dies bis zum Jahr 2000 zu verwirklichen. Am 22. Juli stimmte Gorbatschow dem Vorschlag zu, auch alle Mittelstreckenraketen ab 500 km Reichweite in den Vertrag einzubeziehen. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten US-Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow in Washington den INF-Vertrag, der offiziell als The Treaty Between the United States of America and the Union of Soviet Socialist Republics on the Elimination of Their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles bezeichnet wird. Der amerikanische Senat ratifizierte den Vertrag am 27. Mai 1988, am 1. Juni trat er in Kraft.

Eine besondere Rolle war beim Zustandekommen des Vertrages den beiden deutschen Staaten zugefallen. Die beiden Staaten waren potentielles Zielgebiet für einen Erstschlag und daher durch die Raketen besonders bedroht. Sie drängten deshalb ihre jeweiligen Bündnispartner zum Verzicht auf die Waffen, wodurch sich als Nebeneffekt auch die innerdeutschen Beziehungen verbesserten. Kurz vor dem Vertragsabschluss kam es zu Problemen aufgrund der 72 Pershing 1A-Raketen der westdeutschen Bundeswehr. Die UdSSR verlangte, sie in den Vertrag aufzunehmen. Teile der Union sprachen sich gegen die Einbeziehung dieser Raketen in den Vertrag aus, FDP, die Grünen und die SPD waren für ihre Abrüstung. 1987 beendete Bundeskanzler Helmut Kohl den Streit unter Berufung auf seine Richtlinienkompetenz und stimmte der Außerdienststellung der Raketen zu. Die Zustimmung erfolgte einseitig durch die Bundesrepublik und wurde nicht in den Vertrag aufgenommen.

Vertragsinhalt

INF-Inspektionsorte in der östlichen und zentralen Sowjetunion 1990
INF-Inspektionsorte in der westlichen Sowjetunion 1990

In dem Vertrag wurde festgelegt, dass beide Seiten weltweit sowohl ihre landgestützten Nuklearraketen mit kürzerer (500–1000 km) und mittlerer Reichweite (1000–5500 km) (doppelte Nulllösung) als auch deren Abschussvorrichtungen und Infrastruktur innerhalb von 3 Jahren vernichten und keine neuen herstellen. Zum Vertrag gehörte auch ein Memorandum of Understanding on Data, ein Protokoll über die Inspektionen und eines über die Zerstörung der Waffen. Der INF-Vertrag erfasste allerdings keine Kurzstreckenraketen mit Atomsprengköpfen, sogenannte Short-Range Nuclear Forces (SNF) mit einer Reichweite bis 500 km.

1988 wurde der Vertrag noch durch einige Dokumente ergänzt. Die USA mussten 846 und die Sowjetunion 1846 Raketen zerstören, die letzte Rakete wurde im Mai 1991 demontiert. Der Vertrag beinhaltete auch das Recht, die Einrichtungen des anderen Landes zu überprüfen. Am 27. September 1991 gab US-Präsident George Bush auch die Beseitigung aller bodengestützten nuklearen Kurzstreckenraketen (Short-Range Nuclear Forces), den Abzug aller taktischen Nuklearwaffen (Cruise Missiles) auf US-Kriegsschiffen und die Verringerung der Atombomben in Depots in Europa auf einige hundert bekannt.

Die Inspektionsrechte aus dem INF-Vertrag endeten am 31. Mai 2001. Der Kern des Vertrages ist zwar zeitlich unbegrenzt, allerdings haben beide Seiten das Recht, sich vom Vertrag zurückzuziehen. Der Vertrag wird als Durchbruch bei den Bemühungen um eine Abrüstung gesehen, da es sich um einen wirklichen Verzicht auf eine ganze Familie von Waffen handelt, erstmalig verbunden mit wirksamen Kontrollverfahren, und nicht nur Obergrenzen festgelegt wurden. 1991 hatte der START-Vertrag eine weitere Abrüstung zur Folge.

Die Zukunft des INF-Vertrages erscheint indes fraglich. Wie Russlands Präsident Wladimir Putin am 10. Februar 2007 erklärte, dient der Vertrag angesichts der von den USA beabsichtigten Aufstellung von Teilen eines bodengestützten Raketenabwehrsystems in der Tschechischen Republik und Polen den russischen Sicherheitsinteressen nicht länger. Die amerikanischen Pläne gefährdeten die strategische Stabilität, was, wie der Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte wenige Tage später ausführte, geeignete Gegenmaßnahmen erforderlich mache.

Siehe auch

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