Sondermunitionslager

Sondermunitionslager

Sondermunitionslager (englisch Special Ammunition Site, SAS) ist zumeist die Bezeichnung für von US-Militär bewachte und gewartete Depots für Atomsprengköpfe in jenen NATO-Staaten, die selbst nicht zu den Atommächten zählen (vgl. auch Kernwaffen in Europa). In der Regel verfügen diese Staaten jedoch über Trägersysteme (Flugzeuge, Raketen, Geschütze etc.), die für den Fall eines – auch „begrenzten“ – Atomkrieges im Rahmen der Nuklearen Teilhabe für die Ausrüstung mit US-Kernwaffenmunition vorgesehen sind.

Die meisten dieser Lager wurden nach dem Ende des Kalten Krieges im Laufe der 1990er Jahre aufgelöst.

Heute noch bekannte und als Sondermunitionslager genutzte Bunkeranlagen für nukleare Gefechtsköpfe (Stand Anfang 2010) befinden sich in Belgien (Kleine Brogel [1]), Deutschland (Fliegerhorst Büchel), Italien (Aviano und Ghedi-Torre), den Niederlanden (Volkel) und der Türkei (Incirlik Air Base) bei Stationierungsorten von Trägersystemen für „taktische Atomwaffen“.[2]

Inhaltsverzeichnis

Sondermunitionslager in der Bundesrepublik Deutschland

Einrichtung ab 1953

Unter den weltpolitischen Gegebenheiten des Kalten Krieges erhielt das zweigeteilte Deutschland, sozusagen als zentrales Frontgebiet der Block-Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Ostblock bzw. Warschauer Pakt (ab 1955) besondere Bedeutung für die Aufrüstungspolitik der Führungsmächte USA und Sowjetunion. 1953 waren mit der noch kaum international abgestimmten, durch Autorität der US-amerikanischen Besatzungsmacht veranlassten Stationierung der nuklear bestückten Haubitze M65 (sogenannte Atomic Annie) die ersten Sondermunitionslager der United States Army auf dem Gebiet der noch jungen Bundesrepublik eingerichtet worden - zwei Jahre vor dem Beitritt des Landes zur NATO. Die ersten nuklearen Fliegerbomben wurden im März 1955 von den USA in die Bundesrepublik gebracht, kurz darauf auch Atomsprengköpfe für Marschflugkörper, Kurzstreckenraketen und sogenannte Atomminen. Ein möglicher Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen war jedoch zunächst ausschließlich durch die USA selbst vorgesehen, zumal es offiziell noch keine bundesdeutschen Streitkräfte gab. Erst nach der Gründung der Bundeswehr informierten die USA 1957 die deutsche Öffentlichkeit über das Vorhandensein der Waffen. Kurz darauf setzte Bundeskanzler Konrad Adenauer für den Falle eines Krieges die Möglichkeit des Einsatzes taktischer Atomwaffenträger durch die Bundeswehr im Rahmen der Nuklearen Teilhabe gegen Proteste breiter Bevölkerungsschichten durch. Aufsicht und Wartung über die für die deutsche Trägersysteme vorgesehene atomare Munition blieb unter der Verfügungsgewalt der Amerikaner. In den folgenden Jahren erhielt die Bundeswehr auf Betreiben des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zahlreiche Trägersysteme für Atomwaffen.

Von Anfang der 1960er bis zu Beginn der 1990er Jahre waren auf dem Gebiet der Bundesrepublik Sondermunitionslager für nukleare Sprengkörper jedem Großverband der Bundeswehr auf Korps- und Divisionsebene zugeordnet. In der Spätphase des Kalten Krieges existierten schließlich etwa 100 Sondermunitionslager auf bundesdeutschem Gebiet.[3]

Die Atomwaffendepots, deren genauer Inhalt der militärischen Geheimhaltung unterlag, wurden in einen besonders gesicherten inneren und einen äußeren Sperrbereich eingeteilt. Im inneren Bereich waren die Sprengköpfe gelagert. Diese wurden von speziellen US-Wacheinheiten gesichert. Im äußeren Bereich wurden die Lenkvorrichtungen für den Einsatz und Instandsetzungsmaterial aufbewahrt. Der äußere Bereich unterstand deutschem Schutz und der Befehlsgewalt der Bundeswehr. Für diese Zwecke waren für Divisionsmaterial Begleitbatterien innerhalb der Artillerie aufgestellt. Diese waren formal Batterien (also organisatorisch auf Kompanieebene), personell allerdings bataillonsstark. Sie bestanden aus vier Zügen und waren relativ schwer bewaffnet (u.a. mit Feldkanonen). Für Sonderwaffen auf Korpsebene waren die Sicherungsbataillone zuständig. Diese hatten noch weitere Aufgaben für die Zusammenarbeit mit verbündeten Streitkräften der NATO und gehörten zum Territorialheer. Ab 1982 wurde diese Zusammenarbeit zwischen den US-Truppen und den deutschen Unterstützungskommandos auch für den potenziellen Kriegsfall im Wartime Host Nation Support-Abkommen (WHNS-Vertrag) umfänglicher geregelt.

Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde die Verbreitung der Sondermunitionslager auf dem Gebiet Westdeutschlands, nachdem die Zeitschrift Stern im Januar 1981 einen Artikel unter dem Titel „Atomrampe BRD“ veröffentlicht hatte, in dem die westdeutschen Standorte der Atomwaffenlager offengelegt wurden. Es wurde deutlich, dass sich bereits vor dem NATO-Doppelbeschluss umfangreiche Atomwaffenlager in der Bundesrepublik befanden, beispielsweise Lance-Kurzstreckenraketen an vier verschiedenen Standorten zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 sah vor, nukleare Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper in Europa zu stationieren. Gegen diesen Beschluss lebte die Friedensbewegung auf, die innerhalb weniger Monate zu einer sozialen Massenbewegung anwuchs.

Einer dieser Standorte, die Eberhard-Finckh-Kaserne bzw. das daran angeschlossene Sondermunitionslager Golf[4] auf der Schwäbischen Alb geriet in den frühen 1980er Jahren auch in die internationalen Schlagzeilen, als verschiedene Bezugsgruppen der Friedensbewegung mehrfach und über längere Zeiträume die Zufahrten zum Lager durch Sitzblockaden versperrten.[5] Diese Aktionsform als Teil des Zivilen Ungehorsams fand wenig später vor den Nachrüstungs-Stationierungsorten, insbesondere auf der Mutlanger Heide als bekanntestem Stationierungsort von Pershing II-Mittelstreckenraketen größere Verbreitung, von besonderer öffentlichkeitswirksamer Bedeutung war hier beispielsweise die sogenannte Prominentenblockade im September 1983. [6]

Räumung ab Beginn der 1990er Jahre

Demonstration gegen Atomwaffen in Deutschland, August 2008 nahe dem Fliegerhorst Büchel

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden Anfang der 1990er die meisten Sondermunitionslager vom US-Militär geräumt und damit ihrer militärischen Bestimmung enthoben. Dennoch existierten auch danach noch einzelne Depots mit nuklearer Munition auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Das größte Sondermunitionslager in Deutschland befand sich bei der Ramstein Air Base in der Nähe von Kaiserslautern, dem bedeutendsten europäischen Umschlagplatz der US-Luftwaffe für internationale Militär- und Truppentransporte. Von dort wurde die Kernwaffenmunition im Jahr 2005 abgezogen.

2010 gibt es mit dem in der Nähe von Büchel in Rheinland-Pfalz gelegenen Depot noch mindestens ein Sondermunitionslager mit nuklearer Munition für Tornado-Jagdbomber auf deutschem Boden. Dort ist die Friedensbewegung bis in die Gegenwart regelmäßig mit Demonstrationen von Atomwaffengegnern präsent.

Karte ehemaliger Standorte

Weitere Standorte ehemaliger Lager sind in einer Übersichtskarte verfügbar. [7]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Wo die Bomben wirklich liegen; Bericht von Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), vom 28. Februar 2010 zum belgischen Atomwaffenstandort Kleine Brogel
  2. Artikel Nukleare Teilhabe auf www.atomwaffena-z.info
  3. Abschnitt „Standorte“ im Artikel zur Geschichte der Atomwaffen in Deutschland; auf www.atomwaffena-z.info
  4. Geschichte des „Sondermunitionslagers Golf“
  5. Dokumentation zu den Aktionen der Friedensbewegung rund um die Eberhard-Finckh-Kaserne und das „Sondermunitionslager Golf“
  6. Fotos der „Prominentenblockade“ bei Mutlangen September 1983
  7. Standorte ehemaliger Sondermunitionslager auf dem Gebiet der („alten“) Bundesrepublik (eingesehen am 6. März 2010)

Weblinks


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